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Export von Pflegegeld nur bei Zuständigkeit nach der VO 883/2004?

ELIASFELTEN (LINZ/SALZBURG)
  1. § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 steht in Einklang mit der Rsp des EuGH, da dieser den Mitgliedstaaten lediglich das Recht – und nicht die Pflicht – einräumt, über die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 hinaus Leistungen nach nationalem Recht zu gewähren.

  2. Für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach § 3a Abs 1 BPGG sind allein die Kollisionsregeln nach Art 11 ff der VO 883/2004 heranzuziehen.

  3. Es ist kein zwingender Grund erkennbar, warum die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 unterschiedlich interpretiert werden sollten, je nachdem ob es um die genuine Auslegung der Verordnung selbst oder um die Auslegung von nationalem Recht geht, das auf die Regeln der Verordnung verweist.

Der frühere Kl (im Folgenden Pflegebedürftiger) ist am 17.7.2016, nach Vorlage des Aktes an den OGH, verstorben. Mit Beschluss vom 13.9.2016, 10 ObS 83/16b, sprach der OGH aus, dass das Verfahren durch den Tod unterbrochen wurde. Am 25.10.2016 stellte die Ehegattin des Verstorbenen, die mit ihm im gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens. Entsprechend diesem Antrag wird das unterbrochene Verfahren gem § 19 Abs 3 BPGG mit der Ehegattin des Verstorbenen als nunmehriger Kl fortgesetzt. [...]

Im vorliegenden Fall ist allein die Frage zu beantworten, ob der Pflegebedürftige die in § 3a Abs 1 BPGG idF BGBl I 2015/12 normierten Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld erfüllt. § 3a Abs 1 BPGG in der hier bereits anzuwendenden novellierten Fassung lautet folgendermaßen:

„Anspruch auf Pflegegeld ... besteht ... für österreichische Staatsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, sofern nach der VO (EG) Nr 883/2004 ... nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist.“

Namentlich geht es darum, ob die Schweiz der zuständige Staat für die Erbringung der Pflegeleistungen ist, was vom Erstgericht bejaht und vom Berufungsgericht verneint wurde.

Der am 1.2.1968 geborene Pflegebedürftige lebte seit jeher in Österreich. Zuletzt unterlag er im Oktober 1996 einer Pflichtversicherung nach dem ASVG. Jedenfalls seit 28.8.2015 war er in der Schweiz beschäftigt; seit 8.10.2012 war er dort von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht befreit. Der Kl hatte mit einem in Österreich ansäs-312sigen Versicherungsunternehmen eine private KV abgeschlossen, die an Kosten für Hauskrankenpflege durch diplomiertes Pflegepersonal jährlich bis zu 964,63 € leistet. Eine Leistung iSd § 3 BPGG bezog der Pflegebedürftige in Österreich weder zum Stichtag 1.9.2015 noch zum Schluss der Verhandlung erster Instanz am 11.2.2016.

Mit Bescheid vom 10.9.2015 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag des Pflegebedürftigen vom 28.8.2015 auf Gewährung von Pflegegeld ab.

Das Erstgericht wies die auf Zuspruch von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klage ab.

Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

[...]

In ihrem Rekurs stellt die Bekl in den Vordergrund, dass der Pflegebedürftige nicht alle Anspruchsvoraussetzungen nach nationalem Recht erfülle. Nach den einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen, die auf der Grundlage des Freizügigkeitsabkommens auch im Verhältnis zur Schweiz gelten, sei die Schweiz für die Erbringung von Pflegeleistungen zuständig. Damit erfülle der Kl die in § 3a Abs 1 BPGG normierte negative Anspruchsvoraussetzung, dass kein anderer (Mitglied-)Staat für Pflegeleistungen zuständig sei, nicht. Der Umstand, dass der Kl aufgrund schweizerischer Bestimmungen von der Verpflichtung zur KV ausgenommen sei, indiziere grundsätzlich, dass die Schweiz auch tatsächlich der zuständige (Mitglied-)Staat sei. Die Möglichkeit der Einräumung einer – nur bedingt leistungsabdeckenden – privatrechtlichen KV entlasse den unionsrechtlich zuständigen Staat nicht aus seiner Zuständigkeit.

Diese Ausführungen sind berechtigt.

1. In Anhang II des am 21.6.1999 unterzeichneten und seit 1.6.2002 in Kraft stehenden Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz wird normiert, dass die in Abschnitt A dieses Anhangs genannten Rechtsakte der Europäischen Union anzuwenden sind, wobei unter Pkt 1 die VO (EG) 883/2004 angeführt ist. Zudem wird in Art 1 Abs 2 des Anhangs II festgelegt, dass der Begriff „Mitgliedstaat“ in den Rechtsakten, die in Abschnitt A genannt sind, neben den durch die betreffenden Rechtsakte der Europäischen Union erfassten Staaten auch die Schweiz umfasst.

2. Der sachliche Geltungsbereich der VO 883/2004 wird in ihrem Art 3 festgelegt, wobei in Abs 1 die diversen Zweige der sozialen Sicherheit aufgezählt werden, für deren Rechtsvorschriften die Verordnung gilt. In die Koordinierung sind nicht nur die klassischen Sozialversicherungssysteme einbezogen, sondern auch solche, die – ohne hoheitlich verwaltet zu werden – Teil des staatlichen Systems der sozialen Sicherheit sind (Fuchs in

Fuchs
[Hrsg], Europäisches Sozialrecht6 [2013] VO [EG] 883/2004 Art 3 Rz 2 mwN). „Rechtsvorschriften“ iSd Verordnung können unter bestimmten Voraussetzungen auch die Regelungen privatrechtlicher Verträge sein, durch die ein sozialrechtlich einzustufender Leistungsanspruch begründet wird (Leopold in BeckOK Sozialrecht ed 41 [1.4.2016] VO 833/2004 Art 1 Rz 67). Private Versicherungen werden dann erfasst, wenn diese auf einer gesetzlichen Grundlage an die Stelle sonst greifender Versicherungen in einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit treten können (Spiegel in
Spiegel
[Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [44. Lfg, 2014] Art 1 VO 883/2004 Rz 40). So gilt etwa ein privater Krankenversicherungsträger für die bei ihm in einer Gruppenversicherung versicherten Kammerangehörigen aufgrund des obligatorischen Elements des Abschlusses eines solchen Versicherungsvertrags nach § 5 GSVG als zuständiger Träger iSd VO 883/2004 (Spiegel in
Spiegel
, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 1 Rz 47).

3. Die Aufzählung der Zweige der sozialen Sicherheit in Art 3 enthält in Abs 1 lit a Leistungen bei Krankheit. Beim Pflegegeld handelt es sich nach stRsp des EuGH um eine solche Leistung bei Krankheit (für das österreichische Pflegegeld EuGH 8.3.2001, C-215/99, Jauch, ECLI:EU:C:2001:139; EuGH21.2.2006, C-286/03, Hosse, ECLI:EU:C:2006:125), weil das Pflegegeld eine „Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung“ sei, mit dem es „auch organisatorisch verknüpft“ sei. Es bezwecke die Verbesserung des Gesundheitszustands und der Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen (EuGH 8.3.2001, C-215/99, Jauch, ECLI:EU:C:2001:139, Rz 28; 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, ECLI:EU:C:2011:439, Rz 43).

4. Indem Art 11 Abs 1 der VO 883/2004 den Grundsatz betont, dass Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen (vgl auch ErwGr 18a), werden positive wie negative Rechtsanwendungskonflikte ausgeschlossen: Mit der Festlegung der Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung ist zugleich entschieden, dass die Rechtsvorschriften anderer, eventuell ebenfalls betroffener Staaten nicht anzuwenden sind (Leopold in BeckOK Sozialrecht ed 41 [1.4.2016] VO 833/2004 Art 11 Rz 6 und 19). Auch den Sozialversicherten ist es nicht freigestellt, die Wirkungen der VO 883/2004 aushebeln zu können, etwa durch abweichende vertragliche Abreden (EuGH 4.6.2015, C-543/13, Fischer-Lintjens, ECLI:EU:C:2015:359, Rz 38).

4.1. Im hier zu beurteilenden Fall gilt, dass der Pflegebedürftige, da er nach den Feststellungen im maßgeblichen Zeitraum eine Beschäftigung in der Schweiz ausübt, nach Art 11 Abs 3 lit a der VO 883/2004 den Rechtsvorschriften der Schweiz unterliegt.

4.2. Der Umstand, dass der Pflegebedürftige in der Schweiz tatsächlich gar nicht versichert war, spielt kollisionsrechtlich keine Rolle. Wie die Mitgliedstaaten ihr System der sozialen Sicherheit ausgestalten, ist nicht Gegenstand der Kollisionsregeln der VO 883/2004. Konsequenterweise stellt Art 11 Abs 3 lit a der Verordnung lediglich auf den Tatbestand „Beschäftigung“ ab und nicht etwa auf das Vorliegen einer Versicherung in einem Mitgliedstaat aufgrund einer Beschäftigung.

4.3. Entgegen der in der Rekursbeantwortung vertretenen Ansicht unterlag der Pflegebedürftige – worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewie-313sen hat – in der Schweiz der Versicherungspflicht, weshalb kein Raum für die Anwendung des Art 14 der Verordnung („Freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung“) besteht.

4.4. Auch eine andere, dem Art 11 der VO 883/2004 vorgehende Sonderregelung nach Art der Art 12-16 der Verordnung oder ihres Titels III ist in casu nicht einschlägig.

4.5. Zusammenfassend ist nach dem Kollisionsrecht der VO 883/2004 die Schweiz für die Erbringung von Pflege-(geld-)leistungen zuständig. Ob in der Schweiz tatsächlich Pflegeleistungen erbracht werden oder nicht, ist für die Bestimmung der Leistungszuständigkeit ohne Bedeutung. Ein Leistungsanspruch aus Österreich kann sich nur aus dem nationalen Recht ergeben, nicht auf der Grundlage der VO 883/2004.

4.6. Da das nationale Recht in § 3a BPGG in der hier anzuwendenden Fassung (BGBl I 2015/12) darauf abstellt, dass nicht ein anderer Mitgliedstaat „nach der VO (EG) Nr 883/2004 ... zuständig ist“ ist, liegt es an sich nahe, dass kein Anspruch nach nationalem Recht besteht.

Das Berufungsgericht hat diesen Schluss nicht gezogen. Vielmehr differenziert es zwischen der Auslegung von Unionsrecht und dem im hier gegebenen Zusammenhang (offensichtlich) auf das Unionsrecht verweisenden nationalen Recht:

  1. Zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts (und damit des leistungszuständigen Staates) nach der VO 883/2004 seien deren Artikel 11 ff heranzuziehen. Demnach bestehe die Zuständigkeit der Schweiz.

  2. Soweit die maßgebliche innerstaatliche (österreichische) Rechtsvorschrift (§ 3a Abs 1 BPGG) auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der VO 883/2004 abstelle (hier also prinzipiell der Schweiz), seien nicht nur die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004, sondern auch die in Art 1 der Verordnung enthaltenen Begriffsbestimmungen heranzuziehen. Maßgeblich sei, ob es in der Schweiz einen leistungszuständigen Träger gebe. Fehle ein solcher, entfalle die laut Pkt a) gegebene Leistungszuständigkeit der Schweiz wiederum.

§ 3a Abs 1 BPGG wird also so interpretiert, dass es nicht auf die Zuständigkeit nach der VO 883/2004 ankommen soll, sondern darauf, dass nach dem innerstaatlichen Recht des zuständigen Staates ein Träger vorhanden ist, der eine Pflegeleistung erbringt.

5. Diese Interpretation ist nicht mit dem Wortlaut des § 3a Abs 1 BPGG vereinbar. Es ist auch kein zwingender Grund erkennbar, warum die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 unterschiedlich interpretiert werden sollten, je nachdem ob es um die genuine Auslegung der Verordnung selbst oder um die Auslegung von nationalem Recht geht, das auf die Regeln der Verordnung verweist.

5.1. Aus der zu Familienleistungen ergangenen Rsp des EuGH zur Überlagerung der Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 durch Primärrecht (EuGH 20.5.2008, C-352/06, Bosmann, ECLI:EU:C:2008:290; 12.6.2012, C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak, ECLI:EU:C:2012:339) hat der OGH in drei Entscheidungen zu § 3a BPGG in der Fassung vor der Novelle BGBl I 2015/12 abgeleitet, dass der Umstand, dass nach Unionsrecht ein anderer Mitgliedstaat der für Geldleistungen bei Krankheit zuständige Staat sei, einem Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG nicht entgegenstehe, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nach dem nationalen Recht erfüllt sind (10 ObS 2/14p, SSV-NF 28/38; 10 ObS 36/14p, SSV-NF 28/39 = DRdA 2015/23, 186 [Pfalz]; 10 ObS 86/14s).

Diese Aussage, die auf durchaus nicht unkritisch aufgenommener EuGH-Rsp beruht (dazu etwa Fuchs, Kindergeldzahlung des unzuständigen Mitgliedstaates – Entscheidungsanmerkung zu EuGH 12.6.2012, C-611/10 ua, DRdA 2013/18, 223 [225 ff]; Felten, Pflegegeld für Ausgleichszulagenbezieher aus anderen EU-Mitgliedstaaten?ÖZPR 2014/25, 44 [46]), wird nicht in Zweifel gezogen.

5.2. Als Konsequenz dieser Rsp hat der Gesetzgeber mit der Novelle BGBl I 2015/12 § 3a Abs 1 BPGG um die negative Anspruchsvoraussetzung ergänzt, dass Österreich nur zur Leistung verpflichtet ist, wenn nicht ein anderer Mitgliedstaat nach der VO 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist.

Die Änderung des § 3a BPGG beruhte auf einem Initiativantrag. In den Materialien wird darauf hingewiesen, dass die Rsp nur das Recht einräumt, trotz Unzuständigkeit eine Leistung zu gewähren; dabei handle es sich jedoch um keine unabwendbare Verpflichtung. Durch die vorgeschlagene Änderung des § 3a BPGG solle klargestellt werden, dass Österreich nur dann zur Leistung von Pflegegeld verpflichtet ist, wenn nicht ein anderer Staat aufgrund der VO 883/2004 für die Pflegeleistungen im Rahmen der Koordination als Leistung bei Krankheit zuständig ist (IA 883/A BlgNR 25. GP 29).

5.3. Pfalz geht in seiner Glosse zu OGH10 ObS 36/14p auf § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 ein und spricht davon, dass der österreichische Gesetzgeber als Konsequenz der EuGH- und der OGH-Rsp die an sich unmittelbar anwendbaren Kollisionsvorschriften der VO 883/2004 „in gewisser Weise in nationales Recht transformierte“. Die Unionsrechtskonformität des § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 wird von ihm bejaht (Pfalz, DRdA 2015, 189). Die Zulässigkeit einer solchen Regelung wird demgegenüber von Jorens/Van Overmeiren bezweifelt, die die Vermutung äußern, dass eine solche Bestimmung als mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beurteilt werden könnte (Jorens/Van Overmeiren, Allgemeine Prinzipien der Koordinierung der Verordnung 883/2004, in

Eichenhofer
[Hrsg], 50 Jahre nach ihrem Beginn – Neue Regeln für die Koordinierung sozialer Sicherheit [2009] 105 [139]).

5.4. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 nur einen sehr geringen Anwendungsbereich hat, da die Bestimmung nun auf die Zuständigkeit nach der VO 883/2004 abstellt, also eine Leistung nur gewährt, wenn ohnehin eine Zuständigkeit Österreichs nach der Verordnung besteht. In Übereinstimmung mit Pfalz ist die Unionsrechtskonformität des § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12zu bejahen, zumal mit der Novelle die Rechtslage vor den – den Zuständigkeitsregeln314der Verordnung entgegenstehenden – Entscheidungen des EuGH und des OGH wiederhergestellt wurde. Diese Maßnahme steht in Einklang mit der Rsp des EuGH, da dieser den Mitgliedstaaten lediglich das Recht – und nicht die Pflicht – einräumt, über die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 hinaus Leistungen nach nationalem Recht zu gewähren (so auch IA 883/A BlgNR 25. GP 29).

5.5. Somit ist die Frage zu klären, was unter der in § 3a Abs 1 BPGG normierten Anspruchsvoraussetzung der „Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats“ zu verstehen ist.

(a) Die Gesetzesmaterialien (IA 883/A BlgNR 25. GP) verweisen diesbezüglich auf die VO 883/2004 und den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, sofern die nationalen Zuständigkeitsregeln nicht mit den unionsrechtlich normierten Zuständigkeitsregeln übereinstimmen.

(b) Das Berufungsgericht stellt bei der Auslegung des § 3a Abs 1 BPGG nicht nur auf die Art 11-16 der VO 883/2004 ab, sondern greift auch auf die Begriffsdefinitionen in Art 1 der Verordnung zurück. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei der „zuständige Mitgliedstaat“ als derjenige Mitgliedstaat zu verstehen, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat (Art 1 lit s der VO 883/2004). Der zuständige Träger wiederum sei derjenige, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags versichert ist (Art 1 lit q sublit i). Da es in der Schweiz keinen „zuständigen Träger“ gebe, könne die Schweiz nicht als zuständiger Mitgliedstaat iSd § 3a Abs 1 BPGG qualifiziert werden. Damit sei die negative Anspruchsvoraussetzung des § 3a Abs 1 BPGG erfüllt, sodass diese Bestimmung dem Pflegegeldanspruch nicht entgegenstehe.

(c) Allerdings wird die Zuständigkeit in der VO 883/2004, auf die § 3a Abs 1 BPGG nach seinem Wortlaut explizit verweist, in den Kollisionsregeln der Art 11 ff geregelt und nicht in den Begriffsbestimmungen. Alleine aufgrund von Begriffsdefinitionen könnte die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates auch gar nicht beurteilt (und erst recht nicht begründet) werden.

Greift man auf die Kollisionsregeln zurück, so kommt man – wie das Berufungsgericht in seinem ersten Schritt – zu dem Ergebnis, dass die Rechtsvorschriften der Schweiz anzuwenden sind. Demnach ist die Schweiz in casu zuständig für die Leistung von Pflegegeld, weshalb die negative Anspruchsvoraussetzung des § 3a Abs 1 BPGG, dass kein anderer Staat zuständig sein dürfe, nicht erfüllt ist.

(d) Wie bereits erwähnt, stellt der Wortlaut des § 3a Abs 1 BPGG darauf ab, dass nach der VO 883/2004 kein anderer Mitgliedstaat „für Pflegeleistungen zuständig“ ist.

Der EuGH versteht etwa in seiner E in der Rs Hudzinski und Wawrzyniak unter dem „zuständigen Mitgliedstaat“ jenen, der nach Titel II der VO (EWG) 1408/71 – also der Vorgänger-Verordnung der VO (EG) 883/2004 – als zuständig gilt (EuGH 12.6.2012, C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak, ECLI:EU:C:2012:339, Rz 49 f). Der Titel II der VO 1408/71 enthält Kollisionsnormen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und entspricht im Wesentlichen dem Titel II der VO 883/2004. Dies spricht dafür, dass unter dem zuständigen Mitgliedstaat nach der VO 883/2004 jener verstanden wird, der sich nach den Kollisionsregeln der Verordnung ergibt, ohne dass auf das zusätzliche Merkmal des Sitzes eines Trägers abgestellt werden dürfte.

Dazu kommt, dass nach ErwGr 18a der VO 883/2004 auch der Umstand, dass ein Staat tatsächlich Leistungen gewährt, keinen Einfluss auf die Zuständigkeit hat, sondern dass sich die Zuständigkeit auch in diesen Fällen nach dem Titel II der Verordnung richtet (Pöltl in

Spiegel
[Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [38. Lfg, 2013] Art 11 VO 883/2004 Rz 4/1).

(e) Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht und der in der Rekursbeantwortung vertretenen Meinung davon ausginge, dass zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates die Begriffsdefinitionen der VO 883/2004 heranzuziehen seien, steht dem Argument, dass es in der Schweiz keinen zuständigen Träger gebe, Folgendes entgegen:

Unionsrechtlich zuständiger Träger nach der VO 883/2004 ist jener schweizerische Träger, der an sich für die Leistungserbringung zuständig wäre (gäbe es eine entsprechende Pflegegeldleistung in der Schweiz und wäre keine Befreiung des Kl von der Krankenversicherungspflicht in der Schweiz ausgesprochen worden). Wie die Schweiz ihr innerstaatliches System der sozialen Sicherheit organisiert, ob sie es privatisiert oder unter gewissen Umständen Befreiungen von der Versicherungspflicht vorsieht, bleibt ihr nach der VO 883/2004 unbenommen (siehe bereits oben 4.2.). Die Zuständigkeit nach den Kollisionsregeln der Verordnung bleibt davon unberührt.

(f) Die grundsätzliche Zuständigkeit der Schweiz nach den Kollisionsregeln der VO 883/2004 zeigt sich schon darin, dass die Schweiz den Kl von der Versicherungspflicht befreit hat.

(g) Wird – wie hier – eine differenzierte Auslegung der VO 883/2004 je nachdem, ob die Verordnung selbst oder eine nationale Bestimmung, die auf die Verordnung verweist, ausgelegt wird, abgelehnt, hätte die Ansicht des Berufungsgerichts und der Rekursgegnerin zur fehlenden Zuständigkeit der Schweiz (mangels eines zuständigen Trägers) die Konsequenz, dass dann kein Mitgliedstaat zuständig wäre. Ziel der VO 883/2004 ist es aber, die Systeme der sozialen Sicherheit so zu koordinieren, dass immer die Rechtsvorschriften (nur) eines Mitgliedstaates anzuwenden sind (anstatt vieler Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld3 [2013] Rz 183, 192), nicht aber, dass es keinen zuständigen Mitgliedstaat gibt.

(h) Zusammenfassend sind – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates auch nach § 3a Abs 1 BPGG allein die Kollisionsregeln nach Art 11 ff der VO 883/2004 heranzuziehen.

6. Da der Pflegebedürftige aufgrund der Zuständigkeit der Schweiz die negative Anspruchsvoraussetzung des § 3a Abs 1 BPGG (dass kein anderer Mitgliedstaat nach der VO 883/2004 zuständig ist) nicht erfüllt, besteht kein Anspruch auf Pflegegeld nach innerstaatlichem Recht. [...].315

ANMERKUNG

Der OGH hat mit der vorliegenden E einerseits zur Auslegung des § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12, andererseits zu dessen Unionsrechtskonformität Stellung genommen. Während das Ergebnis und die Begründung des OGH zu ersterem vollumfänglich überzeugt, sind bezüglich der uneingeschränkten Bejahung der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Zweifel anzumelden. Die Entscheidungsanmerkung beschränkt sich daher auf diesen Gesichtspunkt.

1.
Zur Entstehungsgeschichte des § 3a Abs 1 BPGG

§ 3a BPGG in der streitgegenständlichen Fassung stellt eine Reaktion auf die E des OGH mit AZ 10 ObS 36/14p dar (DRdA 2015, 186 [Pfalz]). In diesem Verfahren hatte der Gerichtshof die Frage zu klären, ob eine Person, die seit langem in Österreich lebt bzw dort ihren Wohnsitz und ihre Familie hat, einen Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG geltend machen kann, wenn sie ausschließlich eine ausländische Pension und allenfalls eine österreichische Ausgleichszulage bezieht. Gem § 3a BPGG in der alten Fassung bestand auch ohne sogenannte „Grundleistung“ ein Anspruch auf Pflegegeld, wenn die pflegebedürftige Person Unionsbürger war und über einen inländischen Wohnsitz verfügte. Die zuständige PVA hatte jedoch in dem genannten Fall einen solchen Anspruch mit dem Argument verneint, dass Österreich gem den Kollisionsregeln der VO 883/2004 für die Gewährung von Pflegegeld nicht zuständig sei. Da es sich beim Pflegegeld nach der gefestigten Rsp des EuGH um eine Leistung bei Krankheit iSd Koordinierungs-VO handle, sei der Anspruch gegenüber dem pensionsauszahlenden Staat geltend zu machen. Das entspricht tatsächlich den Kollisionsregeln der VO 883/2004. Allerdings hatte der EuGH bereits zuvor in zwei Entscheidungen die Ansicht vertreten, dass die Kollisionsregeln des europäischen Koordinierungsrechts dem nicht entgegenstehen, dass ein unzuständiger Mitgliedstaat Familienleistungen gewährt, wenn nach nationalem Recht alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (EuGHC-352/06, Bosmann, ECLI:EU:C:2008:290; bzw EuGHC-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak, ECLI:EU:C:2012:339). Der EuGH begründete dies mit dem Primärrecht. Da die VO 883/2004 dem Zweck diene, die Freizügigkeit der Unionsbürger zu fördern, seien ihre Bestimmungen im Lichte dessen auszulegen. Das gelte auch für die Kollisionsregeln. Wenn diese es einem Mitgliedstaat verwehren würden, einen Leistungsanspruch nach nationalem Recht auf Grund der mangelnden Zuständigkeit zu gewähren, so würde das die Freizügigkeit nicht fördern, sondern – im Gegenteil – behindern.

In Anbetracht dieser EuGH-Rsp kam der OGH in der zitierten E vom 17.6.2014, 10 ObS 36/14p, zu dem Ergebnis, dass die PVA den Anspruch auf Pflegegeld nicht mit Verweis auf die mangelnde Zuständigkeit nach der VO 883/2004 verweigern könne, wenn die pflegebedürftige Person alle Anspruchsvoraussetzungen des § 3a BPGG erfüllt.

Der OGH berief sich in seiner Begründung ausdrücklich auf die Rs Hudzinski und Wawrzyniak (C-611/10 und C-612/10, ECLI:EU:C:2012:339), obgleich diese zu Familienleistungen und nicht zu Leistungen bei Krankheit ergangen waren. Dies brachte dem OGH zum Teil Kritik ein (Beck, ÖZPR 2014, 144); freilich zu Unrecht. Denn nicht die Besonderheiten der konkreten Leistung waren für das Ergebnis des EuGH ausschlaggebend, sondern der Umstand, dass das Primärrecht zu einer freizügigkeitsfördernden Interpretation der Kollisionsregeln der VO 883/2004 zwingt. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Familienleistung oder um eine Leistung bei Krankheit handelt.

Das Ergebnis dieser Entscheidung war also, dass Unionsbürger, die in Österreich ihren Wohnsitz haben, aber eine Pension aus einem anderen Mitgliedstaat beziehen, in Österreich Pflegegeld nach § 3a BPGG in Anspruch nehmen konnten, obgleich nach der VO 883/2004 eigentlich ein anderer Staat für die Gewährung der Pflegeleistungen zuständig gewesen wäre. MaW: Die Judikatur des OGH hatte eine Erweiterung des Empfängerkreises von Pflegegeld zur Folge.

Die Neufassung des § 3a BPGG durch BGBl I 2015/12 stellt eine unmittelbare Reaktion auf diese Judikatur des OGH dar (Gleitsmann/Kircher, Novelle des Bundespflegegeldgesetzes 2014, JB Sozialversicherungsrecht 2015, 133). Das Ziel der Gesetzesnovelle war es, die politisch unerwünschte Ausweitung des Empfängerkreises wieder zu „sanieren“. Die konkrete Umsetzung war freilich einigermaßen überraschend. Denn die Voraussetzungen für den subsidiären Anspruch auf Pflegegeld nach § 3a BPGG blieben grundsätzlich unverändert. Hinzu kam lediglich die Klarstellung, dass der Anspruch nur dann bestehen soll, „sofern nach der Verordnung (EG) Nr 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [...] nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist“. Nunmehr setzt also ein Anspruch auf Pflegegeld gem § 3a BPGG ausdrücklich die Zuständigkeit Österreichs nach der VO 883/2004 voraus.

2.
Zur Unionsrechtskonformität des § 3a BPGG

Gegenstand der vorliegenden E war daher letztlich die Frage, ob diese Klarstellung im Gesetz tatsächlich ausreicht, um den gewünschten Zweck zu erfüllen. Nach Ansicht des OGH ist das zu bejahen. Eine eigenständige Begründung dafür bleibt er freilich schuldig. Der Gerichtshof beruft sich vielmehr auf die Gesetzesmaterialien. In diesen findet sich der Hinweis, dass der EuGH lediglich die Ansicht vertreten habe, dass der unzuständige Mitgliedstaat nicht daran gehindert sei, Leistungen der sozialen Sicherheit auf Grund des nationalen Rechts zu gewähren. Daher handle es sich dabei „um keine unabwendbare Verpflichtung, sondern nur um ein Recht, das Österreich auch wieder entziehen kann“ (IA 883/A 25. GP 29). Der Verweis auf die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 im neugefassten § 3a Abs 1 BPGG wird also vom Gesetzgeber – und diesem folgend auch vom OGH – als „Entzug dieses Rechtes“ verstanden.316

Selbst wenn man diese Auffassung teilt, was keineswegs eindeutig erscheint, darf jedoch daran gezweifelt werden, ob das eingesetzte Mittel tatsächlich den gewünschten Zweck erfüllt. Denn dieser Klarstellung hätte es eigentlich gar nicht bedurft. Schon vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2015/12 war klar, dass ein Anspruch auf Pflegegeld gem § 3a BPGG nur dann besteht, wenn Österreich nach der VO 883/2004 zuständig ist. Das gilt auch ohne entsprechende Regelung im nationalen Recht auf Grund der unmittelbaren Geltung von EU-Verordnungen. Nach der stRsp des EuGH handelt es sich nämlich bei den Kollisionsregeln der VO 883/2004 um ein geschlossenes System, das eine eindeutige Zuständigkeit schafft (grundlegend EuGHC-302/84, Ten Holder, ECLI:EU:C:1986:242). Dh maW: Die Regelung des § 3a Abs 1 BPGG leistet grundsätzlich nicht mehr als das, was ohnehin schon geltendes Recht ist.

Nach der Intention des Gesetzgebers soll sie allerdings mehr leisten: Ziel der Neufassung des § 3a BPGG ist nämlich, jene Breschen zu schließen, welche der EuGH mit seiner Rsp in den Rs Bosmann (C-352/06), Hudzinski (C-611/10) und zuletzt auch Franzen (EuGHC-382/13, ECLI:EU:C:2015:261) in die Kollisionsregeln der VO 883/2004 geschlagen hat. Allerdings hat der EuGH dafür eine denkbar scharfe Waffe verwendet; nämlich das Primärrecht. Schon allein deshalb ergeben sich Zweifel, ob der EuGH, wenn er von einer „Befugnis“ des unzuständigen Staates, Leistungen zu gewähren, spricht (Rs Bosmann, C-352/06, EU:C:2008:290), nicht in Wirklichkeit „Verpflichtung“ meint. Aus diesem Grund war ja auch der OGH davon ausgegangen, dass diese Judikatur des EuGH, obwohl sie ursprünglich zu Familienleistungen ergangen war, auch auf Pflegeleistungen Anwendung findet. Das impliziert, dass der Gerichtshof – entgegen seiner nunmehrigen Auffassung – zunächst noch selbst der Ansicht war, dass es sich um eine aus dem Primärrecht ergebende Verpflichtung des unzuständigen Staates handelt, Leistungen der sozialen Sicherheit an Personen zu gewähren, die alle nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Insofern überrascht es, dass der OGH in der vorliegenden E ohne nähere Prüfung von der Unionsrechtskonformität des § 3a Abs 1 BPGG ausgegangen ist. Denn wenn nicht einmal die sekundärrechtlichen Kollisionsregeln der VO 883/2004 ein wirksames Mittel darstellen, um die primärrechtlich garantierten Freizügigkeitsrechte in die Schranken zu weisen, dann muss das umso mehr für eine einfachgesetzliche Regel wie § 3a Abs 1 BPGG gelten.

Hinzu kommt, dass § 3a Abs 1 BPGG im Ergebnis nichts anderes klarstellt, als dass Österreich die Anwendung seiner eigenen Rechtsvorschriften ausschließlich für den Fall ablehnt, dass es sich um eine Person handelt, die von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch gemacht hat und für die deshalb nach den Koordinierungsregeln ein anderer Staat zuständig ist. Es liegt mit Jorens auf der Hand, dass darin zumindest eine mittelbare Diskriminierung von Unionsbürgern zu sehen ist (Jorens in

Jorens
[Hrsg], 50 Jahre Koordinierung der sozialen Sicherheit [2009] 208). Das stellt auch Pfalz – auf den sich der OGH ausdrücklich beruft – nicht in Abrede (DRdA 2015, 189). Allerdings hält er diese für sachlich gerechtfertigt. Nach der Judikatur des EuGH sei es nämlich grundsätzlich zulässig, dass ein Staat eine ausreichende Nahebeziehung zum Leistungsempfänger sicherstellen wolle. Da die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates ein Indiz für das Fehlen einer solchen Nahebeziehung sei, könne davon ausgegangen werden, dass § 3a Abs 1 BPGG unionsrechtskonform sei (Pfalz, DRdA 2015, 189). Bei genauerem Hinsehen erscheint diese Argumentation freilich wenig überzeugend, vor allem, wenn es um den Anspruch nach § 3a BPGG geht. Denn einen solchen können nach nationalem Recht nur solche Personen geltend machen, die österreichische Staatsbürger sind und/oder einen österreichischen Wohnsitz und damit eine Nahebeziehung zu Österreich haben. Die Zuständigkeit nach der VO 883/2004 hingegen ergibt sich „lediglich“ aus dem Pensionsbezug. Dies alleine stellt noch nicht zwingend eine (stärkere) Nahebeziehung her. Tatsächlich ist gerade im Anwendungsbereich des § 3a BPGG der pauschale Verweis auf die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 wenig bis gar nicht geeignet, um eine hinreichende Nahebeziehung zum unzuständigen – typischerweise – Wohnmitgliedstaat auszuschließen (ebenso im Ergebnis Vießmann, NZS 2015, 692).

3.
Ergebnis

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass die vorliegende E des OGH, soweit sie die Unionsrechtskonformität des § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 uneingeschränkt bejaht, nicht überzeugt. Das Hauptargument des Gerichtshofes ist, dass der EuGH bis dato lediglich festgestellt habe, dass der unzuständige Mitgliedstaat „befugt“, nicht jedoch „verpflichtet“ sei, Leistungen zu gewähren. Eine Begründung für diese Annahme bleibt er – ebenso wie die Gesetzesmaterialien – jedoch schuldig. Zwar hat der EuGH in der Rs Bosmann tatsächlich den Begriff der „Befugnis“ verwendet (Rz 31), allerdings nur deshalb, weil die Vorlagefrage in diesem Sinne formuliert war. In den Folgeentscheidungen Hudzinski (C-611/10) und zuletzt auch Franzen (C-382/13) ist hingegen jeweils die Rede davon, dass das Unionsrecht einer Leistungsgewähr des unzuständigen Mitgliedstaats „nicht entgegensteht“. Das ist nicht mit einer bloßen „Befugnis“ gleichzusetzen. Dagegen spricht auch, dass in all den genannten Fällen das Primärrecht ausschlaggebend für das Ergebnis des EuGH war. Denn das Primärrecht begründet Verpflichtungen, nicht bloße „Befugnisse“.

Folglich kann auch im Anwendungsbereich des § 3a Abs 1 BPGG mit guten Gründen bezweifelt werden, dass sich aus dem Primärrecht lediglich eine „Befugnis“ Österreichs als unzuständiger Staat zur Gewährung von Pflegegeld ergibt. Bei genauer Betrachtung sprechen die besseren Argumente für eine Verpflichtung (idS auch Spiegel in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 3 ASVG Rz 50; Eichenhofer, ZESAR 2016, 254 f; Fuchs, DRdA 2015, 7; ebenso wohl auch Kapuy, DRdA 2016, 402).317