Die 1937 geborene Kl lebt seit 2005 in Österreich und wohnt seit 2012 bei einer ihrer Töchter in Wien. Sie bezieht eine Pensionsleistung aus Bulgarien und seit 1.7.2010 von der Bekl die Ausgleichszulage, hat aber keinen Anspruch auf den Bezug einer Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeitspension nach österreichischem Recht.

Aufgrund ihrer im Einzelnen festgestellten körperlichen und psychischen Behinderungen benötigt sie bereits seit Antragstellung grundsätzlich Unterstützung bei der täglichen Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung des Stuhlgangs und der Vorbereitung und Anleitung beim An- und Auskleiden. Sie ist auf Hilfe bei der Pflege der Leib- und Bettwäsche, der Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, dem Instandhalten des Wohnraums und auf Mobilitätshilfe iwS angewiesen.

Am 22.9.2011 beantragte sie bei der Bekl die Zuerkennung des Pflegegeldes nach dem Bundespflegegeldgesetz.

Mit Bescheid vom 22.11.2011 wies die Bekl diesen Antrag ab, weil die Kl keine österreichische Pension beziehe.

Die Kl begehrt mit der fristgerecht eingebrachten Klage von der Bekl die Gewährung von Bundespflegegeld in der gesetzlichen Höhe ab 1.10.2011. Die Bekl beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Kl gehöre nicht zu den nach § 3 oder § 3a BPGG Anspruchsberechtigten. Für die Zeit vom 1.10.2011 bis 31.12.2011 gebühre das Pflegegeld mangels einer österreichischen Pensionsleistung nicht. Die mit dem gerichtlichen Vergleich vom 14.12.2011 rückwirkend gewährte EWR-Ausgleichszulage sei keine für das Pflegegeld notwendige Grundleistung. Das Pflegegeld sei eine Leistung bei Krankheit iSd VO (EG) 883/2004. Pflegebedürftige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich hätten daher Anspruch auf Pflegegeld, sofern sie der österreichischen KV zugehörig seien. Unterliege die Pflegebedürftige jedoch in der KV den Rechtsvorschriften eines anderen EU-Mitgliedstaats, sei dieser für die Gewährung pflegebedingter Leistungen zuständig. Da der Bezug der bulgarischen Rente die Krankenversicherungspflicht der Kl in Bulgarien begründe, sei das Klagebegehren unberechtigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Festellungen. Rechtlich führte es aus, nach Art 21 Abs 1 der VO (EG) 883/2004 erhielten Personen, die in einem anderen als dem für die Versicherungsleistung zuständigen Mitgliedstaat wohnten, bei Pflegebedürftigkeit Geldleistungen direkt vom zuständigen Träger, nicht jedoch vom Träger des Wohnorts ausbezahlt. Die Kl unterliege als Bezieherin einer bulgarischen Pension der bulgarischen KV. Für die Entscheidung über einen Anspruch auf Pflegegeld sei daher der ausländische Träger zuständig. Die von der Kl bezogene Ausgleichszulage knüpfe lediglich an die konkrete Einkommenssituation und den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an. An der Maßgeblichkeit der bulgarischen KV vermöge dies nichts zu ändern. § 3 Abs 1 und § 3a Abs 1 BPGG kämen im räumlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 nicht zur Anwendung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge. [...]186

Die von der Bekl beantwortete außerordentliche Revision der Kl ist aus dem Grund der Rechtssicherheit zulässig; sie ist im Ergebnis zum Teil auch berechtigt. [...]

6. Die Kl hat seit 1.1.2012 Anspruch auf Pflegegeld nach § 3a Abs 2 Z 1 BPGG:

Dieser Anspruch setzt lediglich voraus, dass die betreffende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat und keine Grundleistung bezieht. Das trifft auf einen Ausgleichszulagenbezieher, der in Österreich lebt und eine Pension aus einem anderen EU-Mitgliedstaat bezieht, grundsätzlich zu. Weder ausländische Pensionen noch die Ausgleichszulage sind im Katalog von Grundleistungen gem § 3 Abs 1 Z 1 bis 10 BPGG angeführt. Daher können sich Unionsbürger unter den genannten Voraussetzungen auf § 3a Abs 2 Z 1 BPGG berufen, weil Art 18 AEUV jedwede Diskriminierung von Unionsbürgern gegenüber eigenen Staatsbürgern verbietet. Dies bedeutet, dass ein Unionsbürger auch bei Bezug einer beitragsunabhängigen Leistung wie der Ausgleichszulage, Pflegegeld gem § 3a BPGG in Anspruch nehmen kann, wenn sein gewöhnlicher Aufenthaltsort – wie im Fall der Kl – in Österreich liegt (vgl Felten, Pflegegeld für Ausgleichszulagenbezieher aus anderen EU-Mitgliedstaaten?ÖZPR 2014, 44 [45]). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat sie unter Zugrundelegung des § 4 BPGG und der EinstufungsV zum BPG Pflegebedarf in anspruchsbegründender Höhe.

7. Dem steht nicht – wie das Erstgericht und Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld3 Rz 192 meinen – entgegen, dass die Kl nur eine bulgarische Rente bezieht und Österreich nach den oben genannten Koordinierungsbestimmungen der VO (EG) 883/2004 für Geldleistungen bei Krankheit (Pflegebedürftigkeit) nicht zuständig ist, sondern Bulgarien, dessen Recht Geldleistungen bei Pflegebedürftigkeit vorsieht (siehe die bei Fuchs, Europäisches Sozialrecht6 314 f abgedruckte Liste der Verwaltungskommission vom Mai 2010 [unter: http://ec.europa. eu/social/main.jsp?langId=de&catId=868]).

8. Greifeneder/Liebhart (aaO Rz 183 und 192) führen aus, nach der KoordinierungsVO gelte der – in Art 23 VO (EG) 883/2004 konkretisierte – Grundsatz, dass nur die Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats anzuwenden seien. Aufgrund dieses Grundsatzes der Einheitlichkeit des Systems der sozialen Sicherheit könne nur vom zuständigen Staat die Sach- und Geldleistung der KV bezogen werden, weshalb der Anspruch auf Pflegegeld in Österreich ausgeschlossen sei, wenn Österreich nach der KoordinierungsVO nicht der für Leistungen der KV zuständige Staat sei. Da es sich um eine Frage der Zuständigkeit des Leistungsträgers handle, könne auch nicht mit dem Gebot der Gleichbehandlung von EU (EWR-)Bürgern mit den österreichischen Pflegegeldbeziehern argumentiert werden.

Dem ist zu erwidern:

Es trifft zu, dass die Vorschriften über die Bestimmung des anwendbaren Rechts in der – von der VO (EG) 883/2004 abgelösten – VO (EWG) 1408/71 nach stRsp des EuGH ua bezwecken, dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (EuGHC-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak, Rn 41 mwN). Unter Berufung auf Vorjudikatur sprach der EuGH im Urteil in den Rs Hudzinski und Wawrzyniak (Rn 45 ff) aus, dass die Koordinierungsbestimmungen für Familienleistungen dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, der nach diesen Vorschriften nicht als zuständiger Staat bestimmt ist, nicht verwehren, allein nach seinem nationalem Recht einem Wander- AN Familienleistungen zu gewähren. Demnach kann ein Mitgliedstaat einen Leistungsanspruch nicht deshalb verneinen, weil er nach Unionsrecht nicht zuständig ist, wenn der Anspruchswerber alle Anspruchsvoraussetzungen nach rein nationalem Recht erfüllt. Auch wenn dieses Urteil Familienleistungen betrifft, sind die auf Vorjudikate gestützten Aussagen des EuGH angesichts ihrer allgemeinen Natur auch für die Kategorie „Leistung bei Krankheit“ anwendbar (vgl Felten, Pflegegeld für Ausgleichszulagenbezieher aus anderen EU-Mitgliedstaaten?ÖZPR 2014, 45 f).

9. Da die Kl die Anspruchsvoraussetzungen nach § 3a Abs 2 Z 1 BPGG erfüllt, steht demnach einem Anspruch auf Pflegegeld nicht entgegen, dass nach Unionsrecht Bulgarien der für Geldleistungen bei Krankheit zuständige Staat ist. Denn nach rein nationalem Recht sind die Voraussetzungen des § 3a BPGG erfüllt. Dies gilt selbst dann, wenn die betreffende Person bereits Pflegeleistungen aus diesem anderen pensionsauszahlenden Staat bezieht. In diesem Fall wäre Österreich verpflichtet, zumindest einen Unterschiedsbetrag zu zahlen, sollte das österreichische Pflegegeld höher als die ausländische Leistung sein (Felten, Pflegegeld für Ausgleichszulagenbezieher aus anderen EU-Mitgliedstaaten?ÖZPR 2014, 44 [45]).

10. § 7 BPGG normiert, dass Geldleistungen, die wegen Pflegebedürftigkeit nach anderen bundesgesetzlichen oder ausländischen Vorschriften gewährt werden, auf das Bundespflegegeld anzurechnen sind. Diese Antikumulierungsnorm erfasst aber nur tatsächlich bezogene Leistungen; ein erst zu realisierender Anspruch rechtfertigt daher noch keine Anrechnung (vgl 10 ObS 1/03z, SSVNF 17/44; Pfeil, BPGG 117; Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld3 Rz 233). Die Antikumulierungsvorschrift des Art 34 VO (EG) 883/2004 ist in der vorliegenden Konstellation nicht anwendbar, betrifft sie doch das Zusammentreffen einer Geldleistung wegen Pflegebedürftigkeit und einer Sachleistung aus diesem Grund. [...]

ANMERKUNG

Die voranstehende E des OGH betrifft den Anspruch auf österreichisches Pflegegeld von UnionsbürgerInnen, die nach den sekundärrechtlichen Koordinierungsvorschriften dem Krankenversicherungssystem eines anderen Mitgliedstaates angehö-187ren. Die Kl erhält eine bulgarische (Alters-)Pension. Nach Art 24 iVm Art 29 Koordinierungs-VO hat sie daher gegen den zuständigen Träger im pensionsauszahlenden Staat Anspruch auf Geldleistungen bei Krankheit. Das österreichische Pflegegeld ist nach der Rsp des EuGH eine Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a Koordinierungs-VO (EuGH 8.3.2001, C-215/99, Jauch, Slg 2001, I-01901; EuGH 21.2.2006, C-286/03, Hosse, Slg 2006, I-01771). Aus den europarechtlichen Kollisionsregeln ergibt sich demnach keine Zuständigkeit Österreichs und damit auch keine Verpflichtung, an die Kl Pflegegeld zu leisten.

Der OGH blickt jedoch nur auf das nationale Recht und bejaht dementsprechend einen Anspruch auf Pflegegeld gem § 3a BPGG (idF vor der Novelle BGBl I 2015/12). Der EuGH, auf den sich der OGH beruft, hat in seiner jüngeren Rsp wiederholt betont, dass das Unionsrecht einer Gewährung von Sozialleistungen, die von den unionsrechtlichen Koordinierungsregeln nicht verlangt wird, nicht entgegensteht. Durch die vorliegende und eine ähnliche oberstgerichtliche E vom selben Tag (OGH 17.6.2014, 10 ObS 2/14p – in diesem Fall ging es um eine 1927 geborene österreichische Staatsbürgerin. Die fehlende koordinierungsrechtliche Zuständigkeit Österreichs ergab sich aus den von der Kl aus Belgien und Deutschland bezogenen Hinterbliebenenleistungen) sah sich der österreichische Gesetzgeber veranlasst, einzuschreiten und den Anspruch auf Pflegegeld auf Personen zu beschränken, bei denen Österreich nach der Koordinierungs-VO für Pflegeleistungen zuständig ist (vgl § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12). Dazu stellt sich die Frage, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Der OGH legt seinem Urteil vor allem die rezente Rsp des EuGH im Bereich der Familienleistungen zu Grunde. Der EuGH hat in den Urteilen Bosmann (EuGH 20.5.2008, C-352/06, Slg 2008, I-03827) sowie Hudzinski und Wawrzyniak (EuGH 12.6.2012, verb Rs C-611/10 und C-612/10, ECLI:EU:C:2012:339) wirtschaftlich aktiven UnionsbürgerInnen Ansprüche auf deutsches Kindergeld eingeräumt, obwohl Deutschland nach den einschlägigen Koordinierungsvorschriften ebenfalls nicht zuständig war (vgl dazu Devetzi, Von „Bosmann“ zu „Hudzinski“ und „Wawrzyniak“ – Deutsches Kindergeld in Europa, ZESAR 11-12/12, 447; Fuchs, Kindergeldzahlung des unzuständigen Mitgliedstaates, DRdA 2013, 223 [225 ff]). Die VO (EWG) 1408/71 – als Vorgängerregelung der Koordinierungs-VO – würde es einem an sich nicht zuständigen Mitgliedstaat nicht verwehren, UnionsbürgerInnen mehr Leistungen zu gewähren als nach den Kollisionsregeln notwendig ist. Wenngleich den Mitgliedstaaten eine solche Möglichkeit zur freiwilligen Leistungsgewährung grundsätzlich wohl nicht abgesprochen werden kann (klärungsbedürftig erscheinen im gegebenen Zusammenhang die – dann noch verbleibenden – Auswirkungen von Art 11 Abs 1 Koordinierungs-VO), prägte der EuGH damit eine Judikaturlinie, die dem bis dahin üblichen Verständnis des Koordinierungsrechts entgegenläuft und die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten vor potentiell erhebliche Probleme stellt.

Die genannten Entscheidungen des EuGH sind nicht ohne Kritik geblieben, vor allem weil der Gerichtshof darin mithilfe fragwürdiger Rückgriffe auf das Primärrecht (insb Art 45 und 48 AEUV) die von den Mitgliedstaaten und der Union beschlossenen Kollisionsregeln auf sekundärrechtlicher Ebene aushebelt (Fuchs, DRdA 2013, 223 [225 ff]; Felten, Pflegegeld für Ausgleichszulagenbezieher aus anderen EU-Mitgliedstaaten?ÖZPR 2014, 44 [46]; Lhernould, Ouverture de droits à prestations familiales dans deux Etats membres de l‘Union: consolidation de nouveaux principes?Revue de jurisprudence sociale 2012, 583). Ferner steht diese Judikatur in Widerspruch zu älteren Urteilen, in denen der EuGH noch festgehalten hatte, dass ein Leistungsanspruch gegen mehrere Mitgliedstaaten wegen des kollisionsrechtlichen Prinzips der ausschließlichen Zuständigkeit nur eines Mitgliedstaates (vgl Art 11 Abs 1 Koordinierungs-VO) nicht besteht (EuGH 12.6.1986, C-302/84, Ten Holder, Slg 1986, 1821; EuGH 10.7.1986, C-60/85, Luijten, Slg 1986, 2365). Der EuGH trägt kaum zur Rechtssicherheit bei, wenn er diese ältere Rsp weiterhin zitiert, obwohl er nun zu anderen Ergebnissen kommt (vgl EuGH Rs Hudzinski und Wawrzyniak, Rz 41, 43 und 46). Letztlich läuft die Judikatur des EuGH auf ein ungeschriebenes Günstigkeitsprinzip hinaus, das vor allem in Widerspruch zu Art 11 Abs 1 Koordinierungs-VO steht (Fuchs, DRdA 2013, 223 [227]; Felten, ÖZPR 2014, 44 [46]). Manche Autoren sprechen auch von „Rosinenpickerei“ (Felten, aaO) oder gar der „Büchse der Pandora“ (Jorens/Van Overmeiren, Allgemeine Prinzipien der Koordinierung in Verordnung 883/2004, in

Eichenhofer
[Hrsg], 50 Jahre nach ihrem Beginn – Neue Regeln für die Koordinierung sozialer Sicherheit [2009] 105 [140]).

Im Hinblick auf die E des OGH ist zunächst zu fragen, ob die soeben erläuterte Rsp des EuGH auch auf den vorliegenden Fall angewendet werden kann. Der OGH bejaht dies – Felten (ÖZPR 2014, 44 [45 f]) folgend – wegen der „allgemeinen Natur“ der Aussagen des EuGH (aA offenbar Beck, Erste Rechtsprechung des OGH hinsichtlich des Anspruchs auf Bundespflegegeld ohne Einbeziehung in die österreichische Krankenversicherung, ÖZPR 2014, 142 [144]). Diese könnten, wenngleich für den Bereich der Familienleistungen getroffen, auf Leistungen bei Krankheit übertragen werden (in diese Richtung auch schon Jorens/Van Overmeiren, Allgemeine Prinzipien der Koordinierung in Verordnung 883/2004, 139). Soweit der OGH und Felten davon ausgehen, dass der EuGH – wenn es um die primärrechtlich verankerte (AN-)Freizügigkeit geht – den sekundärrechtlichen Koordinierungsvorschriften im Bereich der Leistungen bei Krankheit ebenso wenig Bedeutung beimessen wird, ist ihnen mE zuzustimmen. Dafür spricht auch ein Urteil aus 2006 zu Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, in dem der EuGH unter Verweis auf den Zweck des Art 42 EGV (jetzt Art 48 AEUV) eine vom Wortlaut kaum mehr gedeckte Auslegung der Kollisionsregeln vor-188genommen hat (EuGH 9.11.2006, C-205/05, Nemec, Slg 2006, I-0745).

ME könnte jedoch der Umstand, dass es sich bei der Kl um eine wirtschaftlich inaktive Unionsbürgerin handelt, von Bedeutung sein. Im europäischen Sozialrecht wird traditionell zwischen wirtschaftlich aktiven und inaktiven Personen unterschieden, auch der EuGH spricht in den vom OGH zu Grunde gelegten Urteilen meist nur von Wander-AN und der Freizügigkeit der AN (EuGH Rs Hudzinski und Wawrzyniak, Rz 46, 53). Ferner dient der vom EuGH zur Auslegungsmaxime erhobene Art 48 AEUV ausdrücklich der Herstellung der Freizügigkeit der AN. Manche Ausführungen sind zwar nicht auf wirtschaftlich aktive UnionsbürgerInnen beschränkt, etwa dass einem Mitgliedstaat „nicht die Befugnis abgesprochen werden [könne], den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienleis tungen zu gewähren“ (EuGH Rs Hudzinski und Wawrzyniak, Rz 48). Dennoch ist mE nicht ohne weiteres abschätzbar, wie der EuGH im vorliegenden Fall in einem Vorabentscheidungsverfahren entschieden hätte. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass dem EuGH bisweilen an einer billigen Entscheidung des konkreten Einzelfalles mehr zu liegen scheint, als an einer kohärenten und damit Rechtssicherheit bietenden Judikatur.

Die Rsp von OGH und EuGH führte nun zu dem überraschenden Ergebnis, dass der österreichische Gesetzgeber die an sich unmittelbar anwendbaren Kollisionsregeln der Koordinierungs-VO im Hinblick auf das Pflegegeld in gewisser Weise in nationales Recht transformierte (IA 833/A BlgNR 25. GP 28 f). So gewährt § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 nun österreichischen StaatsbürgerInnen und ihnen gleichgestellten Personen (UnionsbürgerInnen) mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland Anspruch auf Pflegegeld nur, „sofern nach der Verordnung (EG) Nr 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, [...] nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist.

Jorens/Van Overmeiren äußern die Vermutung, dass eine solche Bestimmung als mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beurteilt würde (Jorens/Van Overmeiren, Allgemeine Prinzipien der Koordinierung in Verordnung 883/2004, 139). Zweifellos kommt diese Einschränkung des Anspruchs auf Pflegegeld tendenziell öfter bei UnionsbürgerInnen aus anderen Mitgliedstaaten zur Anwendung, weil bei diesen öfter ein ausländischer Träger für Leistungen bei Krankheit zuständig sein wird. Demzufolge kann die Regelung zu einer mittelbaren Benachteiligung der betroffenen Personen führen. An dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass wirtschaftlich aktive UnionsbürgerInnen, um die es dem EuGH wohl vorrangig geht, die Voraussetzungen des BPGG im Hinblick auf den ständigen Betreuungsund Hilfsbedarf auch ungeachtet der Novelle des § 3a nur selten erfüllen werden.

Für die Frage der Vereinbarkeit des § 3a BPGG mit dem Unionsrecht ist jedoch vor allem entscheidend, ob die durch ihn bewirkte mittelbare Benachteiligung insofern gerechtfertigt werden kann, als sie zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet und erforderlich sowie verhältnismäßig ist. Als legitimes Ziel kommt vor allem die Sicherstellung einer hinreichenden Verbindung zwischen dem/der eine Leistung beantragenden UnionsbürgerIn und dem Leistungsstaat in Frage (vgl Rebhahn, Der Einfluss der Unionsbürgerschaft auf den Zugang zu Sozialleistungen – insb zur Ausgleichszulage [EuGH-Urteil Brey], wbl 2013, 605 [608 ff]; ders, Zugang der Unionsbürger zu Sozialleistungen, in

Schroeder/Obwexer
(Hrsg), 20 Jahre Unionsbürgerschaft, EuR Beiheft 1/2015, 95 [107 ff]). Diese Verbindung dient dem Schutz des finanziellen Gleichgewichts des betroffenen Sozialsystems, wird aber wohl auch als eigener Rechtfertigungsgrund gesehen (EuGH 21.7.2011, C-503/09, Stewart, Slg 2011, I-06497, Rz 89 f mwN aus der Judikatur; Rebhahn, wbl 2013, 605 [607]). Der EuGH hat ausdrücklich festgehalten, dass diese Verbindung durch den Aufenthalt während einer gewissen Zeit nachgewiesen werden kann (EuGH 15.3.2005, C-209/03, Bidar, Slg 2005, I-02119, Rz 59). Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach den Koordinierungsvorschriften ist ebenfalls ein Indiz für die fehlende Verbindung zum potentiellen Leistungsstaat (vgl Fuchs, DRdA 2013, 223 [227)]). ME kann dieser Maßnahme, die dem geltenden Sekundärrecht entspricht, im Allgemeinen die Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht abgesprochen werden. Ansonsten würde die vom EuGH betonte „Möglichkeit“ bzw „Befugnis“ der Leistungsgewährung des an sich nicht zuständigen Mitgliedstaates endgültig zur Verpflichtung. § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 ist daher mE als unionsrechtskonform zu beurteilen.

Auch für den vorliegenden Fall, auf den die Novelle BGBl I 2015/12 nicht anwendbar war, kann nach der hinreichenden Verbundenheit der Kl mit dem österreichischen Pflegegeldsystem gefragt werden. Der ausschließliche Bezug einer ausländischen Pension – die der Kl gewährte Ausgleichszulage stellt als beitragsunabhängige Sonderleistung die geforderte Verbindung per se wohl nicht her – sowie die Tatsache, dass die Kl erst im Alter nach Österreich gekommen ist, sprechen dagegen. Insb der langjährige Aufenthalt der Kl im Inland spricht aber wohl entscheidend für eine hinreichende Verbindung (vgl Rebhahn, EuR Beiheft 1/2015, 95 [101]). Bei einem berechtigten Aufenthalt von fünf Jahren entsteht nach Art 16 der Unionsbürger- RL (2004/38/EG) das Recht auf Daueraufenthalt. Die Kl hielt sich bereits rund fünf Jahre lang in Österreich auf, bevor sie erstmals Ausgleichszulage erhielt. Ein weiteres Jahr später stellte sie den Antrag auf Pflegegeld. Schließlich muss auch der Umstand, dass die Tochter der Kl ebenfalls in Österreich lebt, in die Beurteilung der maßgeblichen Verbundenheit miteinbezogen werden. Bejaht man in einem solchen Fall die „hinreichende Verbundenheit“ mit dem Aufenthaltsstaat im Hinblick auf eine Leistung wie das Pflegegeld, dann wird fraglich, ob die neue österreichische Regelung beim generellen Ausschluss von Personen, für die nach den Koordinierungsvorschriften ein anderer189Mitgliedstaat zuständig ist, zu weit gegangen ist, ob sie also solche Fälle vom Leistungsausschluss hätte ausnehmen müssen.

Im Hinblick auf das nationale Recht bietet die E des OGH wenig Anlass für Diskussionen. Blickt man nur auf die österreichische Rechtslage, ergibt sich der Anspruch der Kl gegenüber der Bekl ab dem 1.1.2012 aus § 3a BPGG idF vor BGBl I 2015/12. Davor wäre ein Antrag auf Gewährung von Landespflegegeld nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften zu stellen gewesen (vgl Felten, Besteht bei Zuständigkeit einer ausländischen Kranken- bzw Pflegeversicherung – unabhängig davon, ob von dort Pflegegeld bezahlt wird oder nicht – ein Anspruch auf Landespflegegeld?ÖZPR 2011, 18).