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Entgelt bei Teilzeitbeschäftigung und pro-rata-temporis-Grundsatz

DIETERWEIß (LINZ)
§ 4 Anhang zur RL 97/81/EG; Art 157 AEUV
EuGH 5.11.2014 C-476/12ÖGB/Verband Österreichischer Banken und Bankiers
  1. Ist der AN nach den Bedingungen des Arbeitsverhältnisses teilzeitbeschäftigt, ist die Berechnung von Entgeltbestandteilen nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz sachlich gerechtfertigt iS von § 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und angemessen iS von § 4 Nr 2 dieser Vereinbarung.

  2. Die Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten AN reduzierten Arbeitszeit stellt ein objektives Kriterium dar, das eine proportionale Kürzung der Ansprüche der betroffenen AN erlaubt.

  3. Der Entgeltcharakter einer Leistung kann nicht in Zweifel gezogen werden, wenn der AN auf sie wegen des Bestehens des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch gegen seinen AG hat.

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von § 4 der am 6.6.1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit [RV-TZ]) im Anhang der RL 97/81/EG des Rates vom 15.12.1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl 1998, L 14, S 9, berichtigt im ABl L 128, S 71) in der durch die RL 98/23/EG des Rates vom 7.4.1998 (ABl L 131, S 10) geänderten Fassung (im Folgenden: RL 97/81) sowie die Auslegung von Art 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und dem Verband Österreichischer Banken und Bankiers (VÖBB) wegen einer auf der Grundlage des KollV für Angestellte der Banken und Bankiers (im Folgenden: KVBB) gezahlten Kinderzulage.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Die RV-TZ soll nach ihrem § 1 Buchst. a „die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten sicherstellen und die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern“.

4 § 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) dieser Rahmenvereinbarung sieht vor:

  • „1.

    Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

  • 2.

    Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-ratatemporis-Grundsatz. ...“

Österreichisches Recht

5 § 19d des Arbeitszeitgesetzes bestimmt: [...]

6 Nach Abschnitt III („Sozialzulagen“) des KVBB werden „[a]ls Sozialzulage ... Familien- und Kinderzulagen gewährt“.

7 § 21 („Familienzulage“) des KVBB sieht in Abs 2 vor:

„Die Familienzulagen für ... Teilzeitbeschäftigte werden errechnet, indem die entsprechenden Zulagen für Vollzeitbeschäftigte ... durch die kollektivvertragliche wöchentliche Normalarbeitszeit (38,5 Stunden) dividiert und mit der Anzahl der vereinbarten Wochenarbeitsstunden multipliziert werden.“

8 In § 22 („Kinderzulage“) des KVBB heißt es: „(1) Kinderzulagen erhalten Arbeitnehmer für jedes Kind, für das sie Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe haben und diese nachweislich beziehen. ...

(4) § 21 Abs 2 ... gilt sinngemäß für den Bezug von Kinderzulagen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9 Der ÖGB brachte als zuständiges Organ der Arbeitnehmerschaft des österreichischen Bankensektors im Rahmen des besonderen Verfahrens gem § 54 Abs 2 des ASGG eine Klage ein.

10 Mit dieser gegen den VÖBB als dem für die Vertretung der AG des österreichischen Bankensektors zuständigen Organ gerichteten Klage wird vom OGH die Feststellung begehrt, dass Teilzeitbeschäftigte, die in den Anwendungsbereich des KVBB fallen, das Recht haben, die Kinderzulage nach § 22 Abs 1 des KVBB ungekürzt und nicht nur in Höhe eines Betrags zu erhalten, der anteilig im Verhältnis zu ihrer Arbeitszeit berechnet wird.

11 Unter diesen Umständen hat der OGH wegen seiner Zweifel hinsichtlich der Tragweite des Prorata-temporis-Grundsatzes in der bei ihm anhängigen Rechtssache entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Ist der Pro-rata-temporis-Grundsatz nach § 4 Nr 2 der RV-TZ auf eine in einem KollV (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des AG zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?

  2. Wenn Frage 1 verneint wird: [...]

  3. Wenn die Fragen 1 und 2 verneint werden: [...]

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

12 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob § 4 Nr 2 der RV-TZ dahin aus-223zulegen ist, dass der Pro-rata-temporis-Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der AG eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines KollV wie des KVBB zahlt.

13 Dazu ist erstens festzustellen, dass die betreffende Kinderzulage nach den Angaben des vorlegenden Gerichts in seinem Vorabentscheidungsersuchen keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung ist. Sie wird vom AG auf der Basis eines zwischen den Vertragsparteien ausgehandelten KollV AN mit unterhaltsberechtigten Kindern gezahlt.

14 Demnach kann diese Leistung nicht als „Leistung der sozialen Sicherheit“ iSd VO (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166, S 1) eingestuft werden, auch wenn mit ihr Ziele verfolgt werden, die den Zielen bestimmter in dieser VO vorgesehener Leistungen entsprechen.

15 Zweitens ist festzustellen, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens nach den Angaben des vorlegenden Gerichts, die in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurden, darin übereinstimmen, dass es sich bei der Kinderzulage um dem AN gezahltes Entgelt handelt.

16 Wie die Generalanwältin in Nr 36 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, entspricht diese Einstufung der Kinderzulage dem Unionsrecht. Nach gefestigter Rsp sind nämlich unter „Entgelt“ iS von Art 157 Abs 2 AEUV die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der AG dem AN aufgrund von dessen Beschäftigung mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Nach stRsp umfasst dieser Begriff alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, sofern der AG sie dem AN, sei es auch mittelbar, aufgrund von dessen Beschäftigung gewährt (vgl Urteil Hliddal und Bornand, C-216/12 und C-217/12, EU:C:2013:568, Rn 41 und die dort angeführte Rsp).

17 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof klargestellt, dass es für die Anwendung von Art 157 AEUV auf die Rechtsnatur dieser Vergünstigungen nicht ankommt, sofern sie im Zusammenhang mit der Beschäftigung gewährt werden (Urteil Krüger, C-281/97, EU:C:1999:396, Rn 16).

18 Wie er ferner hervorgehoben hat, tragen zwar zahlreiche von AG gewährte Vergünstigungen auch sozialpolitischen Erwägungen Rechnung, doch kann der Entgeltcharakter einer Leistung nicht in Zweifel gezogen werden, wenn der AN auf sie wegen des Bestehens des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch gegen seinen AG hat (Urteil Barber, C-262/88, EU:C:1990:209, Rn 18).

19 Da die Kinderzulage zum Entgelt des AN gehört, richtet sie sich aber nach den zwischen ihm und dem AG vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses.

20 Ist der AN nach den Bedingungen dieses Arbeitsverhältnisses teilzeitbeschäftigt, ist folglich die Berechnung der Kinderzulage nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz sachlich gerechtfertigt iS von § 4 Nr 1 der RV-TZ und angemessen iS von § 4 Nr 2 dieser Vereinbarung (vgl entsprechend Urteil Heimann und Toltschin, C-229/11 und C-230/11, EU:C:2012:693, Rn 34 und die dort angeführte Rsp).

21 Dazu ist zum einen festzustellen, dass die Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistung der Anwendung von § 4 Nr 2 der RV-TZ offensichtlich nicht entgegensteht, da die Kinderzulage, die zu den Vergütungen zählt, die dem AN bar gezahlt werden, eine teilbare Leistung ist (vgl entsprechend Urteile Impact, C-268/06, EU:C:2008:223, Rn 116, sowie Bruno ua, C-395/08 und C-396/08, EU:C:2010:329, Rn 34).

22 Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof den Pro-rata-temporis-Grundsatz bereits auf andere vom AG im Zusammenhang mit einem Teilzeitarbeitsverhältnis zu erbringende Leistungen angewandt hat.

23 So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das Unionsrecht im Fall der Teilzeitbeschäftigung einer Berechnung nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz weder für das Ruhegehalt (vgl in diesem Sinne Urteile Schönheit und Becker, C-4/02 und C-5/02, EU:C:2003:583, Rn 90 und 91) noch für den bezahlten Jahresurlaub entgegensteht (vgl in diesem Sinne Urteile Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, C-486/08, EU:C:2010:215, Rn 33, sowie Heimann und Toltschin, EU:C:2012:693, Rn 36).

24 In den Rechtssachen, in denen die genannten Urteile ergangen sind, stellte nämlich die Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten AN reduzierten Arbeitszeit ein objektives Kriterium dar, das eine proportionale Kürzung der Ansprüche der betroffenen AN erlaubte.

25 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass § 4 Nr 2 der RV-TZ dahin auszulegen ist, dass der Pro-rata-temporis-Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der AG eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines KollV wie des KVBB zahlt. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Mit dem vorliegenden Urteil hat die erste Kammer des EuGH aufgrund des (sehr umfangreich und ausdifferenziert begründeten) Vorlagebeschlusses des OGH vom 13.9.2012, 8 ObA 20/12t (DRdA 2013, 262), sowie nach den (ebenfalls eingehend und detailliert begründeten) Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston vom 13.2.2014, Rs C-476/12, die (knapp gehaltene) Grundlage für die Entscheidungen des OGH in insgesamt fünf Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG zu fünf verschiedenen Kollektivverträgen – bemerkenswerterweise alle aus dem Sektor der Finanzdienstleistungen-Kreditinstitute – geschaffen: OGH 25.11.2014, 8 ObA 76/14f betreffend den KollV für Angestellte der Banken und Bankiers, OGH 18.12.2014, 9 ObA 145/14k betreffend den KollV für Angestellte der gewerblichen Kreditgenossenschaften Österreichs, OGH 18.12.2014, 9 ObA 146/14g betreffend den KollV für die Angestellten der Sparkassen, 224OGH 29.1.2015, 9 ObA 147/14d betreffend den KollV für die Angestellten der Raiffeisen Bankengruppe und Raiffeisen-Revisionsverbände sowie OGH 18.12.2014, 9 ObA 148/14a betreffend den KollV für die Angestellten der österreichischen Landes-Hypothekenbanken.

Die Beantwortung der ersten gestellten Frage – die weiteren zwei Fragen waren als bloße Eventualfragen formuliert und mussten daher vom EuGH nach Bejahung der ersten Frage nicht mehr beantwortet werden – erscheint auf den ersten Blick klar zu sein; dies liegt jedoch wohl weitgehend daran, dass sich der EuGH mit den im Vorlagebeschluss aufgeworfenen Themenstellungen nicht (wirklich) auseinandergesetzt und sich auf eine doch recht rudimentär und vereinfachend wirkende Begründung zurückgezogen hat.

2.
Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter

Ausgehend von der Tatsache, dass nach wie vor die weitaus überwiegende Zahl der Teilzeitbeschäftigten weiblich ist (in Österreich waren im vierten Quartal 2014 – jeweils ungefähr – von 4,12 Mio Erwerbstätigen 2,97 Mio vollzeit- und 1,15 Mio – davon rund 233.000 Männer und 922.000 Frauen – teilzeitbeschäftigt; vgl http://www.statistik.at/web_de/statistiken/arbeitsmarkt/arbeitszeit/062866.html, abgefragt am 1.5.2015), stellt sich gerade im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Behandlung von Teilzeitbeschäftigten nicht nur die Frage einer unzulässigen Diskriminierung iSd § 4 Nr 1 der RV-TZ, sondern auch die nach einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (vgl etwa auch Mosler in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 [2011] § 19d AZG Rz 58). Im Grunde ist daher in diesem Zusammenhang regelmäßig auch die RL 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Gleichbehandlungs-RL) mit zu berücksichtigen.

Beiden Regelungen ist freilich gemeinsam, dass sie eine unterschiedliche Behandlung nicht per se und absolut verbieten, sondern diese vielmehr ausdrücklich zulassen, wenn „die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren [...] durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel [...] zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ sind (Art 2 Abs 1 lit b Gleichbehandlungs-RL) bzw „die unterschiedliche Behandlung [...] aus objektiven Gründen gerechtfertigt“ ist (§ 4 Nr 1 RV-TZ); ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung verhindert also in beiden Fällen deren diskriminierende Wirkung (in diesem Sinne auch Heilegger/Schwarz in

Klein/Heilegger/Schwarz
, AZG3 [2011] § 19d Erl 14). Insofern können durchaus Wertungen, die im Zusammenhang mit der Beurteilung unterschiedlicher Behandlung aufgrund des Geschlechts entwickelt wurden, auch bei der Beurteilung unterschiedlicher Behandlung aufgrund von Teilzeitarbeit herangezogen werden; eine wechselseitige Heranziehung der Merkmale – also des Geschlechts (oder damit zusammenhängender Faktoren) für die Begründung der unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten und der Teilzeitbeschäftigung für die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern – scheidet jedenfalls aus.

Zu den allgemein bei Richtlinien bestehenden Interpretationsproblemen tritt bei der RL 97/81/EG, dass ihr Kern nicht die RL selbst ist, sondern mit dieser vielmehr vom Rat der EU eine zwischen den europäischen Sozialpartnern – nämlich der Union der europäischen Industrie- und AG-Verbände, dem Europäischen Gewerkschaftsbund und dem Europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft – abgeschlossene (bloße) Rahmenvereinbarung durchgeführt werden soll, und dass die RL die Definition der in der RV-TZ verwendeten – und in dieser nicht genauer definierten – Begriffe den Mitgliedstaaten entsprechend ihrem nationalen Recht bzw ihrer nationalen Praxis überlässt, sofern diese inhaltlich dem Rahmenabkommen entsprechen (Erwägungsgrund 16 der RL 97/81/EG). Definitionen finden sich freilich in der RV-TZ nur für die Begriffe des „Teilzeitbeschäftigten“ und des „vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten“ (§ 3), wobei der Begriff des „Vollzeitbeschäftigten an sich“ wiederum nicht unmittelbar definiert wird; im Übrigen beschränkt sich die RV-TZ auf einen Verweis auf die „gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen“ bzw die „nationalen Gepflogenheiten“.

Auch der mit „Grundsatz der Nichtdiskriminierung“ übertitelte § 4 der RV-TZ enthält – insb in den hier relevanten ersten beiden Nummern – eher programmatische Aussagen als konkrete Handlungsanweisungen.

2.
Zum Verhältnis zwischen sachlicher Differenzierung und Aliquotierung
2.1.
Allgemeines

Der vorliegenden E des EuGH scheint zu entnehmen zu sein, dass die Berechnung jeglichen Entgelts nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz (jedenfalls) sachlich gerechtfertigt iSd § 4 Nr 1 der RV-TZ und angemessen iSd § 4 Nr 2 der RV-TZ wäre (insb Rz 19 f; in diesem Sinne wohl auch die Ausführungen der Generalanwältin Sharpston, Rz 30 f, 38; vorweg abl OGH 13.9.2012, 8 ObA 20/12t [Pkt 2.4]).

Dagegen scheinen – vor allem aufgrund der Allgemeinheit der Aussage – doch Bedenken angebracht, wobei im vorgegebenen Rahmen nur Anregungen für eine Diskussion gegeben werden können:

Ein (wesentlicher) Teil der in § 4 Nr 1 der RV-TZ angesprochenen „Beschäftigungsbedingungen“ ist – nicht nur nach dem österreichischen Begriffsverständnis – das Entgelt (daneben zählen aber wohl auch Maßnahmen des AN-Schutzes – wie etwa die Überlassung persönlicher Schutzausrüstung – dazu, wobei in diesem Zusammenhang eine „Minderung pro rata temporis“ in der Regel weder möglich noch angemessen sein wird; vgl dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rs EuGHC-476/12, Rz 25). Das Entgelt wiederum wird – im Unionsrecht ebenso wie im österreichi-225schen – grundsätzlich weit verstanden, und zwar als jede Leistung, die der AN vom AG dafür erhält, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt (vgl nur OGH RIS-Justiz RS0031505; Löschnigg, Arbeitsrecht12 [2015] Rz 6/121 mwN; Rebhahn in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 1152 ABGB Rz 13 ff; darunter können etwa auch Versorgungsgenüsse fallen, vgl EuGHC-395/08 und C-396/08, Bruno ua Rz 42, EU:C:2010:329). Art 157 Abs 2 AEUV definiert den Entgeltbegriff noch weiter als „die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen [...], die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt“ (dieser Entgeltbegriff umfasst daher auch Aufwandsentschädigungen; vgl nur Rebhahn in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 1152 ABGB Rz 22).

Damit sind zwei wesentliche Elemente festzumachen: Zum einen ist das Entgelt (im arbeitsrechtlichen Sinne) solchermaßen durch den Zahler – nämlich (grundsätzlich) den AG – charakterisiert (und damit etwa von Leistungen der sozialen Sicherheit iSd VO 883/2004/EG abzugrenzen; vgl dazu etwa EuGHC-216/12 und C-217/12, Hliddal und Bornand, Rz 43 f, EU:C:2013:568), zum anderen durch seinen Charakter als „Vergütung“ – also Gegenleistung – für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft.

Wäre der AG gesetzlich verpflichtet, anstelle des Staates eine Sozialleistung – etwa eine funktionell der Mindestsicherung entsprechende Leistung – zu zahlen, könnte allenfalls die Qualifikation als Entgelt entfallen, die Leistung als solche der sozialen Sicherheit iS der VO 883/2004/EG zu qualifizieren sein (vgl EuGHC-45/90, Paletta, Rz 19, EU:C:1992:236) und daher aus unionsrechtlicher Sicht eine Differenzierung nach dem Beschäftigungsausmaß ausscheiden (vgl die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rs C-476/12, Rz 41 unter Hinweis auf EuGHC-268/06, Impact, Rz 131, EU:C:2008:223). (Zu hinterfragen könnte in dieser Konstellation allerdings die Zulässigkeit der Überbindung der Pflicht zur Tragung der Sozialleistung auf den AG unabhängig vom Beschäftigungsausmaß sein; jedenfalls würde dies im Ergebnis wohl der von der RV-TZ beabsichtigten Förderung der Teilzeitarbeit widersprechen.)

Diese Gegenleistung kann freilich unterschiedlich ausgestaltet sein, wobei die Frage, ob eine unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt – und (bejahendenfalls) auch ob eine Aliquotierung angemessen – ist, je nach (dem Zweck) der Leistung – insb ob diese der Abgeltung der Zurverfügungstellung der Arbeitskraft an sich dient oder aber (daneben auch) andere Zwecke verfolgt – durchaus unterschiedlich zu behandeln sein kann.

2.2.
Einzelne Entgeltbestandteile

Klar und nicht näher erörterungsbedürftig ist, dass zeit- bzw leistungsabhängige Entgelte bei gleicher Arbeitsleistung ausgehend von den selben Grundbeträgen – also dem selben Stunden- bzw Stücklohn (also Einheiten, die von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten gleichermaßen zur Gänze geleistet werden) – zu bemessen sind und eine Differenzierung auf dieser Ebene durch die bloße Tatsache der Teilzeitarbeit sachlich nicht zu rechtfertigen und daher unzulässig wäre (vgl auch Art 157 Abs 2 lit a und b AEUV; vgl auch EuGH 31.3.1981, 96/80, Jenkins, der auf Grundlage des Art 119 EWG-V unterschiedliche Stundenlöhne zulässt, sofern die Differenzierung nicht wegen des Geschlechts erfolgt). Dass das daraus resultierende Einkommen pro Woche oder Monat bei Teilzeitbeschäftigten entsprechend – und zwar pro rata temporis – niedriger ist als bei Vollzeitbeschäftigten, liegt in der Natur der Sache und ist daher sachlich ebenso gerechtfertigt wie die aliquote Bemessung des Einkommens, wenn der Grundbetrag auf längere Zeiträume – etwa auf eine Woche oder einen Monat – abstellt.

Der Kreis zur vorliegenden E des EuGH schließt sich mit der Frage der Beurteilung von Leistungen des AG, die nicht – oder jedenfalls nicht nur – der Abgeltung der Tätigkeit des AN an sich dienen, sondern denen auch andere Zwecke innewohnen; zu denken wäre dabei nicht nur an (soziale Zwecke verfolgende) „Sozialzulagen“ oder „Sozialleistungen“ (wie die Kinderzulage im zu entscheidenden Sachverhalt, aber auch Essens- oder Fahrtkostenzuschüsse), sondern auch an (besondere Belastungen abgeltende) Erschwerniszulagen und (motivationsfördernden) Prämien für die Erreichung bestimmter Umsatzziele.

In all diesen Fällen kann wohl kaum pauschal davon ausgegangen werden, dass eine Aliquotierung sachlich gerechtfertigt und angemessen ist. Vielmehr ist – wie dies vom OGH im Vorlagebeschluss ausgeführt wurde – auf die Zwecke der besonderen Entgelte abzustellen und im konkreten Einzelfall die sachliche Rechtfertigung zu überprüfen. Das erscheint zwar im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit der rechtlichen Beurteilung nicht besonders erstrebenswert, ist aber im Interesse einer sachlichen Beurteilung erforderlich:

Leistungsorientierte Entgeltbestandteile dienen zwar ebenfalls der Abgeltung der „Arbeit an sich“, jedoch nicht der bloßen Zurverfügungstellung der Arbeitsleistung, sondern eines bestimmten Arbeitserfolgs. Hier ist die Lage schon bedeutend schwieriger, würde doch die formelle Gleichbehandlung aller Beschäftigten faktisch häufig zum Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten führen (vgl dazu schon Mosler, Arbeitsrechtliche Probleme der Teilzeitbeschäftigung,

). Sofern nicht die formelle Gleich-, aber de-facto-Ungleichbehandlung dennoch sachlich gerechtfertigt ist (dazu Mosler, ), ergibt sich allerdings ein Dilemma bei der Behebung der de-facto-Ungleichbehandlung, weil (zumindest) zwei Werte potentiell pro-rata-temporis anzupassen sein können: der zu erreichende Umsatz einerseits und die gewährte Prämie andererseits. Sachgerecht und angemessen erscheint die Aliquotierung beider Werte, was freilich dazu führt, dass Teilzeitbeschäftigte zwar bereits bei Erreichung eines aliquot geminderten Umsatzes einen – ebenfalls aliquot geminderten – Prämienanspruch erwerben, sich dieser jedoch226 bei – in der Praxis wohl eher unwahrscheinlicher – Erreichung des für Vollzeitbeschäftigte gültigen Umsatzziels nicht erhöht, sodass insofern Teilzeitbeschäftigte wiederum ungleich behandelt werden. Diese Ungleichbehandlung wird jedoch wohl durch den Vorteil des früheren Entstehens des Prämienanspruchs aufgewogen und ist daher sachlich gerechtfertigt (gegen ein „Rosinenpicken“ in dem Sinne, dass die Prämie bei Erreichen des für Vollzeitbeschäftigte geltenden Umsatzes in voller Höhe zustände, bestehen jedenfalls auch grundsätzliche Bedenken).

2.3.
Grenzen der Bemessung pro-rata-temporis

In vielen Konstellationen kann freilich – je nach dem konkreten Zweck der Leistung – nicht etwa eine aliquote Minderung, sondern die Gewährung in voller Höhe oder ihr gänzlicher Entfall sachgerecht und angemessen sein:

Dies wird etwa für Zulagen oder Zuschläge zur Abgeltung erhöhter gesundheitlicher Belastungen gelten, die letztlich von der Dauer der Arbeitsleistung in einem bestimmten Bezugszeitraum – sei dies ein Arbeitstag oder eine Arbeitswoche (bei Abhängigkeit von der Belastung an einem einzelnen Arbeitstag ist ein Abstellen auf die Wochenarbeitszeit unzulässig; in diesem Sinne OGH 1.12.2014, 9 ObA 90/04g; vgl auch Heilegger/Schwarz in

Klein/Heilegger/Schwarz
, AZG3 § 19d Erl 14 [477]) – abhängig ist (in diesem Sinne hat offenbar die Bekl zur Gewährung einer Außendienstzulage in dem vom OGH am 27.9.2013 zu 9 ObA 58/13i entschiedenen Rechtsstreit argumentiert, dies jedoch unzureichend begründet; ähnliche Überlegungen liegen dem – sowohl nach der Tages-, als auch nach der Wochenarbeitszeit differenzierenden – Überstundenzuschlag gem §§ 10 iVm 6 AZG zugrunde; vgl dazu Heilegger/Schwarz in
Klein/Heilegger/Schwarz
, AZG3 § 19d Erl 14 [477]), aber auch für Essens- oder Fahrtkostenzuschüsse (die zwar zumindest teilweise als Aufwandsentschädigungen zu qualifizieren sein könnten, aber jedenfalls unter den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“ iSd § 4 Nr 1 RV-TZ zu subsumieren sind): Je nachdem, ob der Teilzeitbeschäftigte vor bzw nach der üblichen Essenszeit arbeitet oder nicht, kann die Gewährung des Essenszuschusses in voller Höhe oder der gänzliche Entfall sachlich gerechtfertigt sein (vgl dazu Schrank, Arbeitszeitgesetze2 [2012] § 19d AZG Rz 117 unter Hinweis auf Mosler in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 19d AZG Rz 54). Dient ein Fahrtkostenzuschuss zur Abgeltung der Fahrtkosten an sich – worauf etwa die Abhängigkeit der Höhe des Zuschusses von der Fahrtstrecke hinweisen könnte –, wäre die Aliquotierung nicht sachgerecht; dient er jedoch zur Abdeckung höherer Fahrtkosten – etwa weil zu Beginn und/oder Ende der Arbeitsleistung keine öffentlichen Verkehrsmittel verkehren und die AN daher auf private Verkehrsmittel angewiesen sind –, kann auch hier – je nach Lage der Arbeitszeit – die Gewährung in voller (bzw halber) Höhe ebenso sachlich gerechtfertigt sein wie der gänzliche Entfall.

Werden „Sozialleistungen“ vom AG freiwillig – also ohne gesetzliche oder (kollektiv)vertragliche Verpflichtung – gewährt, stände einem gänzlichen Entfall der Leistung allerdings wohl § 19d Abs 6 Satz 2 AZG entgegen. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Bestimmung vom Gesetzgeber damit begründet wurde, bei freiwilligen Sozialleistungen sei eine Aliquotierung nach dem Ausmaß der regelmäßig geleisteten Arbeitszeit zulässig, da eine volle Einbeziehung für den AG unzumutbar sein könne (vgl die ErläutRV zum ArbBG, BGBl 1992/833 , 735 BlgNR 18. GP 44).

Darin – iVm dem Ziel der RV-TZ, Teilzeitarbeit zu fördern – liegt wohl eine ausreichende sachliche Begründung für die Aliquotierung der Kinderzulage nach dem KVBB und den anderen in den betroffenen Verfahren relevanten Kollektivverträgen (vgl in diesem Sinne die Ausführungen des OGH im Vorlagebeschluss vom 13.9.2012, 8 ObA 20/12t [Pkt 4.3]); anzumerken ist allerdings, dass diese Argumentation dann nicht trägt, wenn durch die Leistung – wie etwa eine Erschwerniszulage – tatsächliche Belastungen ausgeglichen werden sollen, die schon bei einer Teilzeitbeschäftigung im selben Maße auftreten wie bei einer Vollzeitbeschäftigung.

3.
Ergebnis

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die sachliche Rechtfertigung einer (grundsätzlich) unterschiedlichen Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten nicht dazu führen kann, dass die Minderung jeglichen Entgelts nach dem Pro-rata-temporis- Grundsatz jedenfalls angemessen ist. Vielmehr ist jeweils aufgrund der konkreten Zweckwidmung des Entgeltbestandteils zu prüfen, ob und inwieweit dessen Minderung in Betracht kommt. Das kann gleichermaßen dazu führen, dass der Entgeltbestandteil Teilzeitbeschäftigten in voller Höhe zu gewähren ist, diesen nur pro-rata-temporis zusteht oder der Anspruch sogar gänzlich entfällt.227