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Zur Auslegung eines arbeitsrechtlichen Vergleichs

DavidKoxeder

Der Kl war seit 1991 bei der Bekl zuletzt als Flugkapitän tätig. Im Mai 2012 wurde er über einen Betriebsübergang mit 1.7.2012 auf ein anderes Flugunternehmen ohne Übernahme der leistungsorientierten Pensionskassenzusagen informiert, ohne dass er dem Betriebsübergang in weiterer Folge rechtzeitig und wirksam widersprochen hätte. Er wurde vom den Betrieb übernehmenden Flugunternehmen (dessen spätere Gesamtrechtsnachfolgerin infolge einer Fusion wiederum die Bekl wurde) zum 31.12.2012 gekündigt. Nachdem zwischen den gegenständlichen Parteien mehrere Gerichtsverfahren anhängig waren, trafen sie am 5.5.2014 einen außergerichtlichen Vergleich, wonach der Kl aus dem zum 31.12.2012 durch DG-Kündigung beendeten Dienstverhältnis eine Abschlagszahlung iHv € 430.000,- brutto (darin enthalten die kollektivvertragliche Abfertigung in Höhe des 33-fachen Bruttomonatsgehaltes) unter Anrechnung der bereits mit der Endabrechnung ausbezahlten Abfertigung erhält.

Weiters wurde in Pkt 6. des Vergleichs vereinbart, dass der Kl für den Fall, dass einem anderen, namentlich genannten früheren Piloten der Bekl in seinem Verfahren rechtskräftig oder rechtswirksam eine Pensionsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG oder eine sonstige Zahlung aus einer Betriebspensionszusage der Bekl zugesprochen wird, ebenfalls eine Zahlung aus seiner Betriebspensionszusage erhält, die sich dem Grunde und der Höhe nach nach den gleichen oder vergleichbaren Parametern errechnet. Sollte es im Verfahren des anderen Piloten zu keiner rechtskräftigen oder rechtswirksamen Entscheidung kommen, werden die Parteien dieser Vereinbarung eine Alternative finden, die dem wirtschaftlichen Gehalt dieser Regelung entspricht.

Festgelegt wurde sinngemäß in Pkt 7. des Vergleichs, dass mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sämtliche Ansprüche gegenüber der Rechtsvorgängerin der Bekl sowie dieser selbst iZm dem Dienstverhältnis verglichen sind. Über diese Vereinbarung hinaus bestehen – mit Ausnahme des vom Kl behaupteten und von der Bekl bzw ihrer Gesamtrechtsvorgängerin bestrittenen Anspruchs auf Pensionsabfindung gem § 5 Abs 2 AVRAG – keinerlei Ansprüche des Kl gegen die Bekl bzw ihre Gesamtrechtsvorgängerin.

Das Hauptbegehren des anderen Piloten auf Pensionsabfindung gem § 5 Abs 2 AVRAG wurde 2015 rechtskräftig abgewiesen.

Das Berufungsgericht legte den Vergleich nach § 914 ABGB – vom Wortlaut von Pkt 6. („Für den Fall, dass ...“) ausgehend – zusammenfassend dahingehend aus, dass eine aufschiebende Bedingung iSd § 696 ABGB vorliege. Bei Bedingungseintritt solle der Kl eine „dem Grunde und der Höhe nach“ nach den gleichen oder vergleichbaren Parametern zu ermittelnde Zahlung wie der andere Pilot erhalten, während bei Nichteintritt der vereinbarten Bedingung, wenn dem anderen Piloten keine Zahlung rechtskräftig oder rechtswirksam zugesprochen werde, die genannten Rechtswirkungen nicht eintreten sollten und der Kl keine Zahlung erhalte, wobei damit jede rechtskräftige Entscheidung umfasst sei.

Bei einem stattgebenden Urteil (oder einem entsprechenden Vergleich) im Verfahren des anderen Piloten solle daher ein Anspruch des Kl entstehen, bei einem abweisenden Urteil oder Vergleich jedoch nicht. Im zweiten Satz des Pktes 6. sei nach Ansicht des Berufungsgerichts nur für andere Fälle, beispielsweise 362 Klagsrückziehung, Unterbrechung ohne Fortsetzung oder Ruhen des Verfahrens, die Sonderregelung getroffen worden, dass eine dem wirtschaftlichen Gehalt dieser Regelung entsprechende Alternative gefunden würde.

Für dieses Auslegungsergebnis spricht nach Auffassung des Berufungsgerichts auch die Entstehungsgeschichte des Vergleichsabschlusses. Auch die Formulierung des Pktes 7. stehe dem nicht entgegen, weil dort bloß erneut betont werde, dass nur der allfällige Anspruch nach § 5 Abs 2 AVRAG sowie Pensionsansprüche gegenüber der Pensionskasse als Ausnahmen vom Generalvergleich nicht umfasst seien und diese Ansprüche allenfalls zusätzlich zur dem Kl im Vergleich zugestandenen Summe von € 430.000,- bestehen könnten. Ob und unter welchen Voraussetzungen solche Ansprüche bestünden, sei in Pkt 6. und nicht in Pkt 7. geregelt. Für eine vom Kl angestrebte Anwendung des § 915 ABGB sei kein Raum.

Der OGH wies die außerordentliche Revision des Kl mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurück.

Eine aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffene abschließende Regelung über die gegenseitigen Ansprüche als Vergleich anzusehen ist, dessen Bereinigungswirkung sich im Zweifel auf alle aus diesem Dauerschuldverhältnis entstehenden oder damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten erstreckt. Diese Bereinigungswirkung tritt auch dann ein, wenn in den Vergleich keine Generalklausel aufgenommen wurde. Sie umfasst auch solche Ansprüche, an welche die Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwar nicht gedacht haben, an die sie aber denken hätten können.

Bei der Auslegung iSd § 914 ABGB von Vergleichen ist so wie bei allen Verträgen ausgehend vom (schriftlichen) Wortlaut der Vereinbarung die Parteienabsicht zu erforschen. Lässt sich ein vom objektiven Erklärungswert abweichender Wille der Parteien nicht feststellen, ist der Vergleich unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und der Übung des redlichen Verkehrs so auszulegen, wie er für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war. Dabei kommt es auf eine nicht erkennbar geäußerte Absicht einer Partei bei Vergleichsabschluss nicht entscheidend an. Wenn mit diesen Auslegungsregeln nach § 914 ABGB das Auslangen gefunden wird, kommt die subsidiäre Anwendung des § 915 ABGB nicht in Betracht. Die der rechtlichen Beurteilung zuzurechnende Auslegung einer Vereinbarung nach den Grundsätzen des § 914 ABGB, insb unter Erforschung der im konkreten Fall verfolgten Parteienabsicht, wirft ebenso wenig wie die Auslegung eines Vergleichs aufgrund seiner spezifischen Vorgeschichte erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, sofern – wie hier – kein grobes Abweichen von den allgemeinen Auslegungsregeln vorliegt.

Die Auslegung des Berufungsgerichts hält sich nach Ansicht des OGH im Rahmen der Regeln und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums. Die Formulierung von Pkt 7. fand sich nach den Feststellungen bereits in Vorentwürfen des Vergleichs, wohingegen der Pensionsabfindungsanspruch, den die Parteien mit der Regelung in Pkt 6. an das Ergebnis des Verfahrens des anderen Piloten koppelten, in den früheren Entwürfen gänzlich ausgespart geblieben wäre, und erst in der letzten Besprechung vor Erstellung des endgültigen Entwurfs der Versuch unternommen wurde, auch hierfür eine praktikable Lösung zu finden. Vor diesem Hintergrund die relevante Regelung in Pkt 6. des Vergleichs zu erblicken, ist zumindest vertretbar.

Die Anwendung des § 5 Abs 2 AVRAG setzt den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber (mangels Widerspruchs des AN gem § 3 Abs 4 AVRAG) bei gleichzeitiger Nichtübernahme der betrieblichen Pensionszusage durch den Erwerber voraus. Anders ausgedrückt: Der AN muss den Betriebsübergang „mitmachen“, um in den Genuss der privilegierten Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG zu gelangen. Auch daraus ist jedoch kein zwingendes Argument gegen das hier vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis zu gewinnen. Zwar hat der andere Pilot, auf den im Vergleich Bezug genommen wird, den Betriebsübergang – anders als nach den bisherigen Verfahrensergebnissen der Kl – gerade nicht „mitgemacht“ und gelangte schon deshalb nicht in den Genuss der Leistungen nach § 5 Abs 2 AVRAG. Aus den erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich jedoch, dass der Kl zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses selbst den Standpunkt vertrat, auch er habe den Betriebsübergang nicht „mitgemacht“. Auch in diesem Lichte ist gegen das Auslegungsergebnis, wonach die Parteien übereinstimmten, die gerichtliche Entscheidung im Fall jenes anderen Piloten als auch für das Rechtsverhältnis zum Kl relevant anzusehen, und sie daher das Schicksal seiner Pensionsabfindungsforderung an jenes Verfahrensergebnis „koppelten“, kein zwingendes Gegenargument zu gewinnen.

Zusammengefasst vertrat der OGH die Meinung, dass im Weiteren auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts vertretbar war, wonach der Kl mangels Eintritts der in Pkt 6. des Vergleichs normierten Bedingung keinen Anspruch auf eine über den Vergleichsbetrag von € 430.000,- hinausgehende Zahlung nach § 5 Abs 2 AVRAG hat. 363