184Keine Entziehung des Rehabilitationsgeldes allein wegen fehlender Zuständigkeit, wenn diese nie gegeben war
Keine Entziehung des Rehabilitationsgeldes allein wegen fehlender Zuständigkeit, wenn diese nie gegeben war
Wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen – wie hier die Zuständigkeit Österreichs für die Leistungsgewährung – nie vorhanden waren, steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen. Es kommt somit darauf an, ob andere Gründe für eine Entziehung gegeben sind, also sich der Gesundheitszustand besserte oder Mitwirkungspflichten verletzt wurden.
Der Kl wurde von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) ab 1.1.2016 Rehabilitationsgeld gewährt. Basis dafür war eine Gesamtkrankenstandsprognose von sieben Wochen pro Jahr. Mit Schreiben vom Mai 2017 wurde die Kl auf ihr Mitwirkungspflicht aufmerksam gemacht und zur Durchführung medizinischer Behandlungen, insb einer stationären Aufnahme an einer psychiatrischen Abteilung, aufgefordert.
Die Kl bezieht seit März 2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der deutschen Rentenversicherung. Von November 2020 bis Oktober 2021 hielt sich die Kl in Spanien auf, wo es aufgrund von Wartezeiten von bis zu 10 Monaten sehr schwierig ist, eine psychiatrische Behandlung zu bekommen.
Die PVA entzog der Kl mit Bescheid vom 29.6.2021 das Rehabilitationsgeld zum 31.8.2021. Dagegen brachte die Kl Klage ein und begehrte die Weitergewährung. Dem hielt die PVA entgegen, dass die Kl nicht mehr invalid sei. Außerdem sei Österreich aufgrund des Bezugs der deutschen Rente nicht mehr leistungszuständig. Ab November 2020 habe die Kl überdies ihre Mitwirkungspflichten verletzt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und begründete dies damit, dass die Krankenstandsprognose zum August 2021 unter sieben Wochen liege und die Kl schuldhaft ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge. Aufgrund des Bezugs der deutschen Rente sei Deutschland zuständig. Da die Kl ihren Wohnsitz im November 2020 nach Spanien verlegt hat, sei aufgrund einer tatsächlichen Änderung der Umstände 408 eine neuerliche Beurteilung der Rechtslage zulässig. Die Entziehung sei zu Recht erfolgt und eine neuerliche Gewährung ausgeschlossen.
Dagegen erhob die Kl Revision mit dem Antrag auf Stattgebung des Klagebegehrens, hilfsweise stellte sie einen Aufhebungsantrag. Die Revision ist nach Ansicht des OGH zulässig und iSd Aufhebungsantrags auch berechtigt.
„[…] Die Entziehung einer laufenden Leistung wie des Rehabilitationsgeldes ist nach § 99 Abs 1 ASVG nur zulässig, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben (RS0083884). […]
1.3. Für den anzustellenden Vergleich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit den Verhältnissen im Zeitpunkt des Leistungsentzugs in Beziehung zu setzen (RS0083884 [T2]; RS0083876). […] Zur Beurteilung, ob sich die Verhältnisse derart verändert haben, dass eine Entziehung gerechtfertigt ist, sind im Verfahren über die Entziehung unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen neuerlich Feststellungen über die für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen zu treffen (RS0083884 [T3]).
1.4. Die nachträgliche Erkenntnis, dass die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch zur Zeit der Zuerkennung nicht vorhanden waren, rechtfertigt die Entziehung der Leistung nicht (RS0083941; RS0106704).
2. Das Berufungsgericht sah eine solche Änderung der Verhältnisse bereits darin, dass die Klägerin ihren Wohnsitz (nach der Gewährung des Rehabilitationsgeldes durch Vergleich im Jahr 2017) im November 2020 nach Spanien verlegte. Der Wohnsitz der Klägerin ist im konkreten Fall allerdings nicht entscheidungswesentlich […].
2.2.1. Personen, für die die VO 883/2004 gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art 11 Abs 1 VO 883/2004) […].
2.2.2. Die Klägerin ging weder bei Abschluss des Vergleichs vom 9. Mai 2017, mit dem ihr Rehabilitationsgeld gewährt wurde, noch im Entziehungszeitpunkt 31. August 2021 einer Beschäftigung in Österreich nach […], sodass Österreich nicht nach Art 11 Abs 3 lit a VO 883/2004 zuständig gewesen sein kann.[…] Nach Art 29 Abs 1 iVm Art 21 VO 883/2004 ist für die Gewährung von Geldleistungen – wozu auch das Rehabilitationsgeld zählt – an Pensionisten (Rentner) mit einer Pension (Rente) eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union der pensionsauszahlende Staat und nicht der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig […]. Da die Klägerin zu beiden maßgeblichen Zeitpunkten eine deutsche Rente bezog, war somit […] Deutschland der für Geldleistungen zuständige Mitgliedstaat und Österreich – unabhängig vom Wohnort der Klägerin – nicht zur Zahlung des österreichischen Rehabilitationsgeldes verpflichtet.
2.2.3. Für die Frage, welcher Mitgliedstaat nach der VO 883/2004 für die Erbringung von Geldleistungen bei Krankheit zuständig ist, ist es aufgrund des Bezugs der deutschen Rente somit irrelevant, in welchem Staat der Wohnort der Klägerin lag. […]
2.3. Österreich war somit im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs am 9. Mai 2017 und auch im Entziehungszeitpunkt 31. August 2021 nicht der für die Erbringung von Geldleistungen bei Krankheit zuständige Mitgliedstaat, sodass der Umstand, dass die Klägerin im Entziehungszeitpunkt ihren Wohnort nicht mehr in Österreich, sondern in Spanien hatte, keine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellte, die eine Entziehung rechtfertigen könnte.
3. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts kommt es im vorliegenden Fall somit darauf an, ob die anderen von der Beklagten geltend gemachten Gründe für eine Entziehung vorliegen, also sich der Gesundheitszustand der Klägerin besserte oder sie ihre Mitwirkungspflicht verletzte.
3.1 Für eine Besserung des Gesundheitszustands ist zu prüfen, welches Leistungskalkül zum Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgeldes (RS0083884 [T3, T6]; hier: 9. Mai 2017) und welcher zum Entziehungszeitpunkt (hier: 31. August 2021) tatsächlich vorlag. Eine solche Prüfung lässt die vorliegende Feststellungsgrundlage jedoch nicht zu.
3.1.1. Ein Leistungskalkül zum Gewährungszeitpunkt lässt sich – worauf das Berufungsgericht zutreffend verweist – dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. […]
3.1.2. Das Berufungsgericht erachtete überdies aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht die vom Erstgericht getroffenen und in der Berufung mittels Beweisrüge bekämpften Feststellungen zum Leistungskalkül (der Krankenstandsprognose) im Entziehungszeitpunkt für nicht entscheidungswesentlich. Wenn das Berufungsgericht – wie hier – die Beweisrüge einer Partei gegen bestimmte, in Wahrheit entscheidungswesentliche Feststellungen aus rechtlichen Gründen nicht erledigt, bestehen – mangels gesicherter Tatsachengrundlage – Feststellungsmängel, die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung in dritter Instanz wahrzunehmen sind und deshalb keiner Mängelrüge in der Revision bedürfen […]. Auch insofern liegen somit sekundäre Feststellungsmängel vor. […]
3.2. Verweigert die zu rehabilitierende Person die Mitwirkung an medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen, die ihr zumutbar sind, so ist auch bei Fortbestehen vorübergehender Invalidität, nachdem auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde, das Rehabilitationsgeld zu entziehen (§ 99 Abs 1a ASVG). Das Erstgericht stellte zwar fest, dass die Beklagte die Klägerin zur Durchführung von konkreten zweckmäßigen und zumutbaren Behandlungsmaßnahmen aufforderte, sie auf die Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Mitwirkungspflicht hinwies und die Klägerin nicht alle Behandlungsmaßnahmen durchführen ließ. Das Berufungsgericht unterließ allerdings auch die Behandlung der darauf bezogenen Beweisrüge der Klägerin in der Berufung, was erkennbar wiederum auf die – vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte – Annahme zurückzuführen ist, dass diese Frage nicht entscheidungswesentlich sei. Auch insofern erlaubt die (nicht gesicherte) Tatsachengrundlage somit keine abschließende 409 Beurteilung der Frage, ob die Entziehung des Rehabilitationsgeldes gerechtfertigt war oder nicht.
3.3. […] Das auf Weitergewährung des entzogenen Rehabilitationsgeldes gerichtete Klagebegehren enthält zwar als logisches Substrat auch das Eventualbegehren auf Wiedergewährung der Pensionsleistung für den Fall, dass zwar die Entziehung berechtigt war, inzwischen aber die Voraussetzungen für eine Neugewährung vorliegen (RS0099110). […] In diesem Fall wären die Voraussetzungen des neu zu gewährenden Anspruchs der Klägerin überdies unabhängig von einer Änderung der Verhältnisse seit der Gewährung im Jahr 2017 zu prüfen, sodass der Klägerin die mangelnde Zuständigkeit Österreichs für Geldleistungen bei Krankheit nach der VO 883/2004 entgegengehalten werden könnte. […]
4. Das Verfahren erweist sich daher insgesamt als sekundär mangelhaft. Da sich die Unvollständigkeit der Sachverhaltsgrundlage nicht ausschließlich aus der Unterlassung der Behandlung von Beweisrügen durch das Berufungsgericht ergibt, sondern schon die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen für die abschließende Beurteilung der Sozialrechtssache nicht ausreichen, bedarf es einer neuerlichen Entscheidung durch die erste Instanz. Das Erstgericht wird daher Feststellungen zum Leistungskalkül (und insbesondere zur Krankenstandsprognose) im Zuerkennungszeitpunkt zu treffen haben. […]
In der gegenständlichen E hat sich der OGH mit den Möglichkeiten der Entziehung eines Rehabilitationsgeldes sowie mit der Frage der Zuständigkeit anhand der VO 883/2004 beschäftigt. Schlussendlich wurde die Rechtssache zur Nachholung wesentlicher Feststellungen zurück an die erste Instanz verwiesen.
Der OGH hat festgestellt, dass Österreich im gegenständlichen Fall nach Art 29 VO 883/2004 schon im Zuerkennungszeitpunkt nicht für die Gewährung des Rehabilitationsgeldes zuständig war, da die Kl schon damals die deutsche Rente bezog – auf den Wohnort kommt es somit nicht an. Der Wohnortwechsel stellt daher, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes, keine wesentliche Änderung der Verhältnisse dar und somit auch keine Begründung für die Entziehung des Rehabilitationsgeldes.
Daher hätte im gegenständlichen Fall inhaltlich geprüft werden müssen, ob die Entziehung wegen des gebesserten gesundheitlichen Zustandes oder aufgrund einer vorwerfbaren Verletzung der Mitwirkungspflicht gerechtfertigt ist. Da aber ein Leistungskalkül zum Gewährungszeitpunkt schon vom Erstgericht nicht festgestellt wurde, ist ein Vergleich des Gesundheitszustandes nicht möglich. Mit der Beweisrüge der Kl zur Verletzung der Mitwirkungspflicht hat sich das Berufungsgericht aufgrund seiner Rechtsansicht gar nicht auseinandergesetzt, weshalb auch diese Frage nicht abschließend beurteilt werden kann.