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Schwerarbeit bei täglichem Tag- und Nachtdienst eines Taxifahrers?

AlexanderPasz
§ 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV

Reine Nachtarbeit stellt kein Belastungsmoment iSd SchwerarbeitsV dar, das zum Vorliegen von Schwerarbeit führt. Die besonders belastenden Arbeitsbedingungen des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV liegen vielmehr in der unregelmäßigen Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes, die notwendigerweise einen Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst voraussetzt. Standzeiten eines Taxilenkers können abhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung „Arbeitsbereitschaft“ sein.

SACHVERHALT

Der 1961 geborene Kl war ab 1.9.2001 bei unterschiedlichen DG als Taxilenker mit einer Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden beschäftigt. Ein üblicher Arbeitstag unter der Woche begann dabei um 7:10 Uhr mit Schülerfahrten. Anschließend fuhr der Kl nach Hause und führte üblicherweise von 11:30 bis 13:15 Uhr wieder Schülerfahrten durch, wenn es keine anderen (Fahr-)Aufträge gab. Danach hatte er wieder frei. Zudem war der Kl „immer“ für den Abend- und Nachtdienst eingeteilt, der durchschnittlich von 19:00 Uhr bis 4:00 oder 5:00 Uhr dauerte. Dieser Abenddienst war „grundsätzlich“ jeden Tag zu leisten, wobei zumindest sechs Dienste im Monat bis 5:00 Uhr dauerten. Zwischen 1.9.2001 und 1.1.2022 leistete der Kl in 184 Monaten an mehr als fünf Tagen Nachtdienst, der von 19:00 bis mindestens 5:00 Uhr dauerte. Die Nachtarbeit, insb an den Wochenenden von Freitag bis Sonntag, war Teil des Anforderungsprofils der Tätigkeit des Kl.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 23.6.2022 stellte die bekl Pensionsversicherungsanstalt fest, dass der Kl zum Feststellungszeitpunkt 1.1.2022 insgesamt 546 Versicherungsmonate erworben habe, lehnte aber die vom Kl begehrte „Anerkennung“ von Schwerarbeitszeiten in bestimmten, näher definierten Zeiträumen ab. Mit seiner Klage begehrt der Kl die Feststellung, dass die von ihm in den genannten Zeiträumen erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate seien.

Das Erstgericht stellte 184 Monate an Schwerarbeitszeiten iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV fest. Das Berufungsgericht wies das auf Feststellung von Schwerarbeitsmonaten gerichtete Begehren zur Gänze ab. Obwohl der Kl quasi „Tag und Nacht“ gearbeitet habe, liege keine Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV vor. Da der Kl jeden Tag in der Nacht gearbeitet habe, fehlt für die Anerkennung von Schwerarbeitsmonaten der notwendige Wechsel zwischen Tag- und Nachtdiensten. Auch wenn die Tätigkeit des Kl möglicherweise massive Schlafdefizite verursacht habe, ziele § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV nur auf eine Störung des Schlafrhythmus durch unregelmäßige Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes ab, der hier aber nicht vorliege. Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil keine Rsp zu Konstellationen vorliege, bei denen offensichtlich unter Missachtung arbeitszeitlicher Regelungen täglich ein Tag- und ein Nachtdienst geleistet werde. Gegen die E des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Kl, mit dem er die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

Die Revision ist zulässig und iSd hilfsweise begehrten Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

[…]

2. Nach dem hier allein in Betracht kommenden § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV gelten Tätigkeiten dann als besonders belastend bzw als Schwerarbeit (§ 607 406 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 4 APG), wenn sie in einem Schicht- oder Wechseldienst auch während der Nacht (zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr) jeweils im Ausmaß von mindestens sechs Stunden und zumindest an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat erbracht werden, sofern in diese Arbeitszeit nicht überwiegend Arbeitsbereitschaft fällt.

2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stellt reine Nachtarbeit kein Belastungsmoment iSd SchwerarbeitsV dar, das zum Vorliegen von Schwerarbeit führt […]. Die besonders belastenden Arbeitsbedingungen liegen vielmehr in der unregelmäßigen Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes, die notwendigerweise einen Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst voraussetzt […]. Es muss daher ein Schicht- oder Wechseldienst (im Rahmen eines periodischen Dienst- bzw Schichtplans) erbracht werden, das heißt, es muss vor, nach oder zwischen den sechs Nachtdiensten zumindest ein Wechsel zu einem Tagdienst stattfinden […]. Regelmäßig geleistete 24-Stunden-Dienste stellen daher keine Schwerarbeit dar […].

2.2. Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV liegt zwar schon dann vor, wenn nur an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat – in einzelnen Schicht- oder Nachtdiensten – unregelmäßige Nachtarbeit geleistet wurde […]. Es darf aber nicht „überwiegend“, also mehr als der Hälfte der Zeit bzw mindestens drei Stunden, bloße Arbeitsbereitschaft vorliegen […]. Unter Arbeitsbereitschaft ist dabei der Aufenthalt an einem vom Dienstgeber bestimmten Ort mit der Verpflichtung zur jederzeitigen Aufnahme der Arbeit im Bedarfsfall zu verstehen […].

3. Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass der Oberste Gerichtshof von einem Zusammenhang zwischen § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV und den arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen ausgeht, was vor allem in der Verwendung der dort definierten Begriffe zum Ausdruck kommt […]. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme konsequent, § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV sei in ein arbeitszeitrechtliches Regime eingebettet und setze demgemäß (implizit) voraus, dass zwischen den wechselnden Diensten eine Ruhezeit nach § 12 AZG liegt. Ob die Kohärenz der Bestimmungen so weit geht, dass nur dem Arbeitszeitrecht entsprechende Dienste Schwerarbeitszeiten begründen können, also – mit den Worten der Beklagten – fortgesetzte Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz nicht mit Schwerarbeitsmonaten honoriert werden können, oder teleologische Erwägungen dazu führen, dem § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV (argumentum a minori ad maius) auch den Wechsel von Tag- zu Nachtdienst ohne dazwischen liegende Ruhezeit zu unterstellen (vgl Brandstetter, Glosse zu 10 ObS 104/17t in JAS 2018, 66 [72 f]), muss hier zumindest derzeit aber nicht entschieden werden.

3.1. Denn das Berufungsgericht schließt den Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst aus, weil der Kläger an jedem Arbeitstag in der Nacht gearbeitet habe. Das lässt sich aus dem Sachverhalt in dieser Form aber nicht ableiten, weil das Erstgericht bislang nur festgestellt hat, dass der Abend- und Nachtdienst „grundsätzlich jeden Tag zu leisten“ und der Kläger dafür „immer [...] eingeteilt“ war. Dass und wann er diesen tatsächlich geleistet hat, steht daher nicht fest. Die Feststellung, Nachtarbeit „insbesondere“ am Wochenende sei Bestandteil seiner Tätigkeit gewesen, legt im Zusammenhalt mit den Ausführungen in der Beweiswürdigung, wonach „sechs Nachtdienste […] bei durchschnittlich 4,33 Wochen pro Monat (daher zumindest 8,66 Freitage und Samstage) jedenfalls im Rahmen der Plausibilität“ lägen, weshalb der Kläger auch dann, sollte er „einmal ein Wochenende nicht gearbeitet haben, die[se] Schwelle dennoch überschreiten” würde, vielmehr nahe, dass das Erstgericht davon ausgegangen ist, der Kläger habe Nachtdienste vorwiegend am Wochenende erbracht. Tagdienste insbesondere in Form der Schülerfahrten leistete er nach den Feststellungen hingegen nur an „üblichen Arbeitstag[en] unter der Woche“, nicht aber am Wochenende. Dies würde auch dem Vorbringen des Klägers entsprechen, wonach er „vor allem am Wochenende” in der Nacht, unter der Woche dagegen „vorwiegend tagsüber“ gearbeitet habe. Ob das Erstgericht tatsächlich von so gelagerten (und auch wirklich geleisteten) Tag- und Nachtdiensten oder doch von der vom Berufungsgericht angenommenen täglichen Nachtarbeit ausgegangen ist, lässt sich mangels ausreichend deutlicher Feststellungen nicht definitiv klären.

3.2. Träfe die (nach den Feststellungen mögliche) Darstellung des Klägers zu, hätte es – wie von ihm behauptet – durchaus zu Wechseln zwischen den unter der Woche geleisteten Tagdiensten und den einzelnen Nachtdiensten am Wochenende kommen können. Selbst unter dieser Prämisse lägen Schwerarbeitszeiten aber nur vor, sofern in die Nachtdienste nicht überwiegend Arbeitsbereitschaft gefallen wäre. Abhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung können dazu auch Standzeiten eines Taxilenkers zählen. Auch für die Beantwortung dieser Fragen fehlen entsprechend klare Feststellungen.

4. Zusammenfassend erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weil anhand der bisher getroffenen (unvollständigen und undeutlichen) Feststellungen nicht beurteilt werden kann, ob aufgrund der zeitlichen Lagerung der Dienste der für Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV notwendige Wechsel zwischen Tag- und Nachtdiensten vorliegt. Erst wenn das verneint wird und feststeht, dass der Kläger täglich Nacht- und an einzelnen Tagen zusätzlich noch Tagdienste geleistet hat, stellt sich die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage, ob auch (praktisch) durchgehend, also unter Missachtung gesetzlicher Ruhezeiten geleistete Tag- und Nachtdienste Schwerarbeitszeiten darstellen können.

5. Im fortgesetzten Verfahren werden daher – allenfalls nach Erörterung mit den Parteien und Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage – möglichst konkrete und eindeutige Feststellungen zu treffen sein, wann, wie lange und in welcher Abfolge der Kläger tagsüber und/oder in der Nacht gearbeitet hat. Weiters werden zur Beurteilung des Vorliegens „bloßer“ Arbeitsbereitschaft möglichst genaue Feststellungen über den tatsächlichen Inhalt der Tätigkeit des Klägers während der Nachtdienste zu treffen sein. […] 407

ERLÄUTERUNG

Bei der Schwerarbeitsregelung geht es um einen Zugang zu einer vorzeitigen Alterspension, die die Verkürzung der Lebenszeit wegen der Ausübung von gesundheitsbelastender Schwerarbeit ausgleichen soll und mit dem Privileg verminderter Abschläge honoriert. Das Vorliegen von zumindest 120 Schwerarbeitsmonaten in den letzten 20 Jahren vor dem Stichtag berechtigt zu einem früheren Pensionsantritt mit Vollendung des 60. Lebensjahres, wenn Versicherte bereits 45 Versicherungsjahre erworben haben. Die vorliegende E befasst sich mit dem Schwerarbeitstatbestand des Schicht- oder Wechseldienstes (unregelmäßiger Nachtarbeit) nach § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV eines Taxifahrers, der – entsprechend den Feststellungen des Erstgerichts – Abend- und Nachtdienste „grundsätzlich jeden Tag zu leisten“ hatte und zusätzlich dazu, an den „üblichen Arbeitstag[en] unter der Woche“ Tagdienste, insb in Form von Schülerfahrten, verrichtete.

Nach der stRsp des OGH ist für den Schwerarbeitstatbestand des Schicht- oder Wechseldienstes ein Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst notwendig (jüngst OGH 13.12.2022, 10 ObS 81/22t). Reine Nachtarbeit stellt kein Belastungsmoment iSd SchwerarbeitsV dar, das zum Vorliegen von Schwerarbeit führt. Zur Anerkennung von Schwerarbeit nach § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV sind Nachtschichten im Ausmaß von mindestens sechs Stunden, in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, zumindest an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat notwendig. Während der Nachtschicht darf zudem nicht überwiegend, also mehr als der Hälfte der Zeit bzw mindestens drei Stunden, Arbeitsbereitschaft anfallen.

Das Berufungsgericht ging im gegenständlichen Fall von einer täglichen Nachtarbeit aus, womit der notwendige Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst am gleichen Tag erfolgt wäre. Nachdem § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV nur auf eine Störung des Schlafrhythmus durch unregelmäßige Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes abziele und diese Störung nicht vorliegt, sei keine Schwerarbeit verrichtet worden. Für den OGH war die Sache jedoch aufgrund unvollständiger und undeutlicher Feststellungen nicht spruchreif. Er entschied daher, dass vom Erstgericht weitere Feststellungen zur Arbeitszeit zu treffen sind. Es seien auch genaue Feststellungen zum tatsächlichen Inhalt der Tätigkeit des Kl während der Nachtdienste aufzunehmen, da auch Standzeiten eines Taxilenkers Arbeitsbereitschaft darstellen könnten. Überwiegende Arbeitsbereitschaft in der Nachtschicht würde entsprechend § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV zum Ausschluss von Schwerarbeit führen. Die Beantwortung der Frage, ob durchgehende, also unter Missachtung gesetzlicher Ruhezeiten geleistete Tag- und Nachtdienste Schwerarbeitszeiten darstellen können, ließ der OGH offen, da diese Frage nur dann zu beantworten ist, wenn der Sachverhalt dies auch notwendig macht.