181Reduktion von Kinderbetreuungsgeld wegen verspäteter Mutter-Kind-Pass-Untersuchung
Reduktion von Kinderbetreuungsgeld wegen verspäteter Mutter-Kind-Pass-Untersuchung
§ 7 Abs 3 Z 2 KBGG bezieht sich ausschließlich auf den Nachweis von Untersuchungen, die rechtzeitig, dh innerhalb der in § 7 Abs 2 KBGG vorgesehenen Fristen, vorgenommen wurden.
Die Kl (beide Elternteile) erhielten anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 20.12.2021 pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto.
Am 30.1.2023 suchten die Kl mit der Tochter wegen einer akuten Infektion der Lymphknoten ein Primärversorgungszentrum auf. Sie zeigten dem behandelnden Arzt den Mutter-Kind-Pass, die noch ausstehende fünfte Untersuchung erfolgte aber nicht. Die Kl hatten diese bis dahin auch noch nicht veranlasst. Die Genesung der Tochter dauerte rund vier Wochen. Da sie danach an Feuchtblattern erkrankte, suchten die Kl mit der Tochter am 10.3.2023 erneut das Primärversorgungszentrum auf. Bei diesem Termin wurde sodann die fünfte Untersuchung vorgenommen. Der Nachweis darüber ging der bekl Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) am 31.5.2023 zu.
Gegenstand des Verfahrens war die Reduktion des Kinderbetreuungsgeldanspruchs mangels rechtzeitiger Durchführung der fünften Mutter-Kind-Pass-Untersuchung des Kindes. Mit Bescheiden sprach die Bekl aus, dass sich der Anspruch der Kl auf Kinderbetreuungsgeld jeweils um € 1.300,- reduziere. Mit ihren Klagen begehrten die Kl die Feststellung, dass ihr Kinderbetreuungsgeldanspruch nicht reduziert werde und sie nicht zum Rückersatz verpflichtet seien. Die fünfte Untersuchung der Tochter sei zwar tatsächlich nicht rechtzeitig erfolgt, die Gründe dafür hätten sie aber nicht zu vertreten. Nach Überwinden der Erkrankung sei die Untersuchung nachgeholt und der Bekl der Nachweis darüber noch vor Vollendung des 18. Lebensmonats (19.6.2023) übermittelt worden. Die Bekl hielt dem entgegen, dass die am 30.1.2023 diagnostizierte Schwellung der Lymphknoten der fünften Untersuchung medizinisch nicht entgegengestanden sei. Da damals keine Infektion mehr bestand, wäre den Kl auch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, die Untersuchung noch fristgerecht (bis spätestens 19.2.2023) vorzunehmen.
Das Erstgericht wies die Klagen ab und verpflichtete die Kl zum Rückersatz. Das Berufungsgericht gab hingegen den Klagen mit der Begründung statt, dass die Kl den fehlenden Nachweis über die fünfte Untersuchung vor Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes nachgebracht hätten und ließ die Revision nicht zu.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl. Die Revision ist zulässig, weil sich der OGH mit der Reichweite der Ausnahmebestimmung des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG noch nicht befasst hat. Diese ist auch berechtigt.
„1. Nach § 7 Abs 1 Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002 (MuKiPassV, BGBl II 2001/470 idF BGBl II 2013/420) sind in den ersten vierzehn Lebensmonaten fünf 403 ärztliche Untersuchungen des Kindes vorgesehen. Die fünfte Untersuchung ist im 10., 11., 12., 13. oder 14. Lebensmonat vorzunehmen und hat eine Augenuntersuchung einzuschließen (§ 7 Abs 6 MuKiPassV).
Gemäß § 7 Abs 2 Z 2 KBGG setzt der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe unter anderem voraus, dass die zweite bis fünfte Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats nach der MuKiPassV vorgenommen und spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden. Erfolgt das nicht, reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um 1.300 € (§ 3 Abs 4 KBGG).
Von dieser Kürzungsregel sieht § 7 Abs 3 KBGG insofern Ausnahmen vor, als dennoch Anspruch auf das volle Kinderbetreuungsgeld besteht, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt (Z 1) oder die jeweiligen Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes nachgebracht werden (Z 2). […]
2. Zur Ausnahme des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG
2.1. Der Wortlaut des § 7 Abs 2 Z 2 KBGG unterscheidet deutlich zwischen dem Zeitpunkt der Vornahme der Untersuchungen des Kindes und jenem ihres Nachweises. Während die zweite bis fünfte Untersuchung (entsprechend § 7 Abs 2 bis 6 MuKiPassV) bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes zu erfolgen hat, steht für ihren Nachweis ein weiterer Monat zur Verfügung. Durch das Verwenden des Bindeworts „und“ ist auch eindeutig klargestellt, dass sich der Nachweis auf rechtzeitig erfolgte Untersuchungen bezieht. § 7 Abs 3 KBGG sieht sodann ein darauf abgestimmtes System von Ausnahmen vor, das die möglichen Fälle der Säumnis auch unterschiedlich behandelt: Bestehen berücksichtigungswürdige Gründe, bleibt der volle Kinderbetreuungsgeldanspruch unabhängig davon auch über den 18. Lebensmonat des Kindes hinaus bestehen, ob die Untersuchung oder ihr Nachweis nicht fristgerecht erfolgte (Z 1). Betrifft die Säumnis hingegen nur den Nachweis der (zeitgerechten) Untersuchung, bedarf es zur Vermeidung der Anspruchskürzung keiner rechtfertigenden Gründe, wenn er bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats nachgebracht wird (Z 2). […]
2.2. […] Bereits in der Stammfassung (BGBl I 2001/103) sah § 7 Abs 3 KBGG eine Nachsichtsregelung für Säumnisse im Zusammenhang mit Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen vor. Danach bestand der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe dann, „wenn die Vornahme der Untersuchungen aus Gründen, die nicht von den Kindeseltern zu vertreten sind
“, unterblieb. Die – der nunmehr in Geltung stehenden Bestimmung entsprechende – Möglichkeit, auch den Nachweis der Untersuchungen nachzureichen, wurde erst mit Novelle BGBl I 2003/122 geschaffen. Nach den Gesetzesmaterialien sollten damit in jenen Fällen Härten vermieden werden, in denen „alle Untersuchungen ordnungsgemäß durchgeführt wurden, aber nur der Nachweis verspätet erfolgt ist
“ (ErläutRV 248 BlgNR 22. GP 2). […]
Seine heutige Fassung erhielt § 7 Abs 3 KBGG durch die Novelle BGBl I 2016/53. Die Gesetzesmaterialien führen für die hier interessierende Frage aus […]: „Die Nachfrist zur Nachholung der versäumten Vorlagepflicht durch die Eltern – ohne die nicht überprüft werden kann, ob die Untersuchungen vollständig und rechtzeitig durchgeführt wurden – endet mit der Vollendung des 18. Lebensmonats“
(ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 9).
Daraus ergibt sich klar, dass der Gesetzgeber stets nur das Nachreichen des Nachweises über fristgerecht durchgeführte Untersuchungen ermöglichen wollte.
2.3. Wie die Revision zu Recht einwendet, bezieht sich § 7 Abs 3 Z 2 KBGG daher ausschließlich auf den Nachweis von Untersuchungen, die rechtzeitig, dh innerhalb der in § 7 Abs 2 KBGG vorgesehenen Fristen, vorgenommen wurden. […]
3. Liegt die Ausnahme des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG nicht vor, bedarf es der Prüfung, ob sich die Kläger auf § 7 Abs 3 Z 1 KBGG stützen können.
3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt es für die Beurteilung, ob die nicht fristgerechte Vornahme oder der nicht rechtzeitige Nachweis der Untersuchungen von den Eltern zu vertreten sind, darauf an, ob ihnen ein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann (10 ObS 33/21g Rz 13; 10 ObS 2/21y Rz 13 ua).
3.2. In den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Fassungen des § 7 KBGG werden dafür ein Aufenthalt im Ausland, wo entsprechende Untersuchungen nicht möglich sind, höhere Gewalt oder auch die spätere Adoption des Kindes als Beispiele genannt (vgl 10 ObS 15/20h […]).“
Gem § 7 Abs 2 Z 2 KBGG setzt der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe voraus, dass die fünfte Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats vorgenommen und spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes durch Vorlage nachgewiesen wird. Erfolgt das nicht, reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um € 1.300,-.
Von dieser Kürzungsregel sieht § 7 Abs 3 KBGG Ausnahmen vor, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt (Z 1) oder die jeweiligen Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes nachgebracht werden (Z 2).
Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass § 7 Abs 3 KBGG nicht unabhängig von der Nachweisregelung des § 7 Abs 2 KBGG besteht, sondern an diese systematisch anknüpft. In der E 10 ObS 58/21h vom 29.7.2021 kam der OGH zum Ergebnis, dass die außerhalb der Zurechnungssphäre der Eltern liegenden 404 Hinderungsgründe des § 7 Abs 3 Z 1 KBGG innerhalb der in § 7 Abs 2 KBGG angeführten Nachweisfrist (somit bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes) zum Tragen kommen müssen. Hinderungsgründe, die erst nach Ablauf der Frist des § 7 Abs 2 KBGG entstehen, erfüllen die Voraussetzungen des § 7 Abs 3 Z 1 KBGG nicht.
Im hier vorliegenden Fall bleibt der OGH konsequent und interpretiert auch § 7 Abs 3 Z 2 KBGG iVm § 7 Abs 2 Z 2 KBGG. Hierbei führt er aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG – wonach der Nachweis der (hier) fünften Untersuchung des Kindes bis zum 18. Lebensmonat möglich ist – ausschließlich dann greift, wenn die (hier) fünfte Untersuchung, in der gesetzlichen Frist, entsprechend § 7 Abs 2 Z 2 KBGG vorgenommen wurde. Der OGH verkennt dabei nicht, dass die Regelung des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG in einem Spannungsverhältnis zu § 7 Abs 2 Z 2 KBGG steht, weil sie der dort normierten Frist für die Erbringung des Untersuchungsnachweises bis zum 15. Lebensmonat des Kindes – bei einer rechtzeitigen Vornahme der Untersuchung – praktisch den Anwendungsbereich nimmt. Dennoch kann dieser Umstand nicht dazu führen, der Bestimmung einen Inhalt zu unterstellen, der nicht von ihrem Gesetzeswortlaut gedeckt ist (vgl RS0010053). Da im hier vorliegenden Fall die Untersuchung allerdings nach dem 15. Lebensmonat – somit verspätet – vorgenommen wurde, konnten sich die Kl nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG berufen.
Liegt die Ausnahme der Z 2 nicht vor, bedarf es der Prüfung, ob sich die Kl auf § 7 Abs 3 Z 1 KBGG stützen können. Hierbei ist entscheidend, ob die nicht fristgerechte Vornahme oder der nicht rechtzeitige Nachweis der Untersuchungen von den Eltern zu vertreten sind, insofern, ob ihnen ein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann (OGH 30.3.2021, 10 ObS 33/21g).
Die Tochter der Kl war bis zum 14. Lebensmonat, am 20.2.2023, krank. Bis dahin hatten die Kl keinen Untersuchungstermin vereinbart. Sie behaupteten auch nicht, dass ein solcher geplant war. Der OGH führte daher aus, dass es von den Eltern sehr wohl zu vertreten war, dass die fünfte Untersuchung nicht anlässlich einer „zufälligen“ Akut-Behandlung erfolgte, ohne dass sie sich in irgendeiner Form um die Vornahme bemüht oder darauf hingewirkt hätten. Ob die fünfte Untersuchung im Primärversorgungszentrum wegen der Erkrankung oder aus anderen Gründen unterblieben ist, ist dabei nicht entscheidend, weil der rechtlich relevante Vorwurf in der Inaktivität der Kl liegt.
Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.