178Ende der betrieblichen Tätigkeit beendet Pflichtversicherung auch bei aufrechter Berufsberechtigung (hier nach dem Wirtschaftstreuhandgesetz)
Ende der betrieblichen Tätigkeit beendet Pflichtversicherung auch bei aufrechter Berufsberechtigung (hier nach dem Wirtschaftstreuhandgesetz)
Der Mitbeteiligte veräußerte 2018 seine Steuerberatungskanzlei und verteilte den Veräußerungsgewinn steuerlich gleichmäßig auf drei Jahre. Er war bis Ende 2019 weiterhin Inhaber einer Berechtigung nach dem Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017 (WTBG 2017) zur selbständigen Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes des Steuerberaters.
Die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) stellte mit Bescheid vom 4.7.2022 fest, dass der Mitbeteiligte von 1.1. bis 31.12.2019 der Pflichtversicherung nach dem GSVG (PV und KV) sowie nach dem ASVG (UV) unterlegen sei. Begründend führte die SVS im Wesentlichen aus, die Pflichtversicherung des Mitbeteiligten habe nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG im Jahr 2019 fortbestanden, da die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 ausgewiesenen Einkünfte des Mitbeteiligten aus einer betrieblichen Tätigkeit resultierten, die Versicherungsgrenze überschritten worden und die berufsrechtliche Berechtigung aufrecht gewesen sei.
Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, dass er seine selbständige Tätigkeit mit der Veräußerung seiner Steuerberatungskanzlei am 30.6.2018 beendet und ab diesem Zeitpunkt auch keine Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit mehr erzielt habe, es sich bei Veräußerungsgewinnen um sozialversicherungsfreie Einkünfte handle und er daher im Jahr 2019 nicht mehr der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterlegen sei. Der Mitbeteiligte brachte weiters vor, dass seine im Jahr 2019 aufrechte Berufsberechtigung unerheblich für die Frage sei, ob noch eine die Pflichtversicherung begründende Tätigkeit vorliege.
Das BVwG gab der Beschwerde statt und behob den Bescheid der SVS ersatzlos. Die Revision wurde vom BVwG gem Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Das BVwG begründete seine Entscheidung in rechtlicher Hinsicht damit, dass für die zeitliche Abgrenzung der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG die Aufnahme und die Beendigung der betrieblichen Tätigkeit maßgeblich sei. Die SVS habe in unzulässiger Weise an das bloße Formalkriterium der Berufsberechtigung angeknüpft.
Der VwGH erklärte die von der SVS erhobene außerordentliche Revision für zulässig, da Rsp zur Beendigung der Pflichtversicherung durch den Wegfall der berufsrechtlichen Berechtigung nach § 7 Abs 4 Z 2 GSVG und dem Verhältnis dieses Tatbestandes zu dem nach § 7 Abs 4 Z 1 GSVG (Beendigung der betrieblichen Tätigkeit) fehlt. Im Ergebnis erachtete der VwGH die Revision auch für berechtigt.
Begründend führt der VwGH aus, dass sich die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG grundsätzlich nach der Einkommensteuerpflicht richtet; bei Vorliegen eines rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides, aus dem (die Versicherungsgrenzen übersteigende) Einkünfte der im § 2 Abs 1 Z 4 GSVG genannten Art hervorgehen, besteht nach dieser Bestimmung Versicherungspflicht, wenn die zugrundeliegende Tätigkeit im betreffenden Zeitraum (weiter) ausgeübt wurde. Unter Verweis auf sein Erkenntnis vom 10.9.2014, 2012/08/0155, stellt der VwGH jedoch klar, dass es Voraussetzung für die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG insb ist, dass im zu beurteilenden Zeitraum eine betriebliche Tätigkeit (noch) vorliegt.
Soweit eine fristgerechte Meldung über den Eintritt der Voraussetzungen für den Beginn und das Ende der Pflichtversicherung nach § 18 GSVG erfolgt, beginnt somit die Pflichtversicherung nach § 6 Abs 4 Z 1 GSVG mit dem Tag der Aufnahme einer betrieblichen Tätigkeit und sie endet nach § 7 Abs 4 Z 1 GSVG mit deren Beendigung. Der VwGH verweist in diesem Zusammenhang auf seine Erkenntnisse vom 29.3.2006, 2004/08/0094 und vom 24.11.2010, 2010/08/0145, aus denen sich ergibt, dass für die zeitliche Abgrenzung der Versicherungspflicht nur der Beginn und das Ende der betrieblichen Tätigkeit von Bedeutung sind.
Nach Ansicht des VwGH spricht die dargestellte Rsp gegen die Argumentation der SVS, dass die Pflichtversicherung gem § 7 Abs 4 Z 2 GSVG erst mit deren 397 Wegfall der berufsrechtlichen Berechtigung des Mitbeteiligten Ende 2019 geendet habe. Der VwGH erkennt im Gesetzeswortlaut sowie in den Gesetzesmaterialien keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, für Inhaber von Berufsberechtigungen eine Pflichtversicherung unabhängig von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw einer betrieblichen Tätigkeit einzuführen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (886 BlgNR 20. GP 110) zum Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 1997 (ASRÄG 1997), BGBl I 1997/139, mit dem im Zuge der Einführung der Pflichtversicherung der neuen Selbständigen nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG auch die Tatbestände ihres Beginns nach § 6 Abs 4 Z 1 und 2 GSVG und ihrer Beendigung § 7 Abs 4 Z 1 und 2 GSVG geschaffen wurden, wird vielmehr ausdrücklich betont, dass die Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit nicht nur für den Eintritt der Pflichtversicherung, sondern auch für deren zeitliche Abgrenzung von Bedeutung ist.
Entgegen der Ansicht der Revision durch § 7 Abs 4 Z 2 GSVG wurde also auch für Personen, bei denen die rechtmäßige Ausübung der betrieblichen Tätigkeit von einer berufsrechtlichen Berechtigung abhängt, das Fortdauern einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG nicht von den Voraussetzungen des Eintritts der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG – insb der fortgesetzten Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit – gelöst. Vielmehr ergibt sich im Einklang mit der gesetzgeberischen Absicht, mit der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG Personen nach Maßgabe ihrer betrieblichen Tätigkeit zu erfassen, dass der Beendigungstatbestand nach § 7 Abs 4 Z 2 GSVG (Wegfall der berufsrechtlichen Berechtigung) denjenigen des § 7 Abs 4 Z 1 GSVG (Beendigung der betrieblichen Tätigkeiten) nicht verdrängt. Dass die einzelnen Tatbestände der Beendigung der Pflichtversicherung nach § 7 Abs 4 GSVG sich nicht wechselseitig ausschließen, sondern ergänzen, ergibt sich nach dem VwGH auch aus den in § 7 Abs 4 Z 3 bis 5 GSVG geregelten Endigungstatbeständen.
Die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG endet daher für alle Personengruppen – somit auch für Versicherte, bei denen die Ausübung der betrieblichen Tätigkeit von einer berufsrechtlichen Berechtigung abhängt – nach Maßgabe von § 7 Abs 4 Z 1 GSVG mit der Beendigung der betrieblichen Tätigkeit. Voraussetzung für den Eintritt des Endes der Pflichtversicherung mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem die Beendigung der betrieblichen Tätigkeiten erfolgt, ist nach § 7 Abs 4 Z 1 GSVG allerdings, dass vom Versicherten das Ende der betrieblichen Tätigkeit innerhalb der Frist nach § 18 GSVG gemeldet wird.
Das angefochtene Erkenntnis erwies sich jedoch aus einem anderen Grund als rechtswidrig. Der VwGH weist einmal mehr darauf hin (ua VwGH 23.3.2023, Ra 2023/12/0018), dass das BVwG in der Sache selbst zu entscheiden hat. Die ersatzlose Behebung des Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht stellt eine Entscheidung in der Sache selbst dar; ein solcherart in Form eines Erkenntnisses gefasster Spruch eines Verwaltungsgerichts schließt eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich aus. Die ersatzlose Behebung eines Bescheides setzt daher voraus, dass dieser nicht hätte ergehen dürfen und der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation hergestellt werden kann. Nach dem VwGH handelt es sich somit um eine „negative“ Sachentscheidung (vgl auch 7.3.2023, Ra 2020/05/0050). Da im vorliegenden Fall die SVS mit ihrem Bescheid vom 4.7.2022 aufgrund des Antrags des Mitbeteiligten iSv § 410 Abs 1 Z 7 ASVG iVm § 194 Abs 1 GSVG über die Pflichtversicherung des Mitbeteiligten im Jahr 2019 abgesprochen hat, wäre vom BvwG daher bei einer Entscheidung in der Sache über diese – durch den Bescheid vom 4.7.2022 festgelegte – Sache des Verfahrens abzusprechen gewesen. Indem das BVwG statt selbst über die Sache des Verfahrens zu entscheiden, den Bescheid der SVS ersatzlos behoben hat, hat es seine Entscheidung mit einer Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, weshalb das angefochtene Erkenntnis gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.