177Anspruch auf Betriebshilfe oder Wochengeld auch bei „Opting-in“ in die Krankenversicherung der Selbständigen
Anspruch auf Betriebshilfe oder Wochengeld auch bei „Opting-in“ in die Krankenversicherung der Selbständigen
Auch die nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG nur Teilversicherten (Anm: Opting-in) sind „auf Grund einer Erwerbstätigkeit“ in der KV pflichtversichert und zählen daher zu den nach § 102 Abs 5 GSVG Anspruchsberechtigten.
Die Kl, die über keine Gewerbeberechtigung verfügt, nahm im Jahr 2020 Kontakt zu zwei Personen auf, damit diese ihr Personen vermitteln, bei denen sie gegen Entgelt Haare flechten bzw stylen könne. Bei wie vielen Personen, in welcher Regelmäßigkeit und in welchem zeitlichen Ausmaß die Kl diese Tätigkeit ausübte und welche Geldbeträge sie dafür erhielt, war nicht feststellbar. Die erhaltenen Beträge überstiegen jedenfalls nicht € 220,- monatlich. Am 28.8.2020 erstattete die Kl eine Versicherungserklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG. Sie gab bekannt, dass sie die Versicherungsgrenze von € 5.527,92 im 394 Jahr 2020 voraussichtlich nicht überschreiten werde und beantragte die GSVG-KV („Opting-in“). Am 13.1.2021 beantragte die Kl Wochengeld für ihren Sohn.
Da die bekl Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) innerhalb von drei Monaten keinen Bescheid erließ, erhob die Kl eine Säumnisklage. Die Bekl gestand die Säumnis zu, bestritt aber den Anspruch.
Die Vorinstanzen schlossen sich der Ansicht der Bekl an, wonach die Kl zwar aufgrund ihrer Versicherungserklärung in der KV nach dem GSVG pflichtversichert gewesen sei, dem „Opting-in“ nach § 3 Abs 1 Z 4 GSVG jedoch keine Erwerbstätigkeit zu Grunde liege. Die dadurch bewirkte Versicherung bestehe daher nicht (wie von § 102 Abs 5 GSVG gefordert) aufgrund einer Erwerbstätigkeit, sondern nur aufgrund des Antrags nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG.
Der OGH erachtete die außerordentliche Revision für zulässig und auch berechtigt. Er hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Sache mangels Entscheidungsreife an das Erstgericht zurück.
[…]
2. Nach § 102 Abs 5 Satz 1 GSVG gebührt […] Wochengeld weiblichen Personen, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach dem GSVG in der Krankenversicherung pflichtversichert sind. […]
3.1. Das Gesetz eröffnet „neuen Selbständigen“ […] zwei Möglichkeiten […]:
Die erste besteht darin, die Erklärung abzugeben, dass die Summe der Einkünfte aus allen selbständigen Erwerbstätigkeiten im Kalenderjahr die in Betracht kommende Versicherungsgrenze übersteigen wird, womit die Pflichtversicherung begründet wird (§ 2 Abs 1 Z 4 Satz 2; § 4 Abs 1 Z 5 GSVG). Wird die Versicherungsgrenze tatsächlich unterschritten, wird dadurch weder die Pflichtversicherung rückwirkend beendet, noch können bereits geleistete Beiträge rückerstattet werden […]. Die Erklärung hat insoweit daher die Rechtswirkung eines „Opting in“ (VwGH, Ra 2020/08/0082;Ra 2019/08/0143) […]
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Die zweite Möglichkeit besteht darin, eine solche Erklärung (zunächst) nicht abzugeben und auf das Ergebnis des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids zu warten. In diesem Fall ist gemäß § 2 Abs 1 Z 4 Satz 3 GSVG der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids, aus dem die Versicherungsgrenzen übersteigende Einkünfte im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 Satz 1 GSVG hervorgehen, im Nachhinein festzustellen (10ObS82/17g&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 82/17g […]). Abgesehen davon, dass in diesem Fall ein Beitragszuschlag gemäß § 35 Abs 6 GSVG anfällt, besteht bis dahin kein Versicherungsschutz (10ObS109/04h&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 109/04h). Der Betroffene hat jedoch die Möglichkeit, zumindest einen Krankenversicherungsschutz ex nunc durch eine Erklärung im Sinn des § 3 Abs 1 Z 2 GSVG zu erlangen („Opting in“; VwGH, 2003/08/0126 ua). In diesem Fall gilt die Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 5 letzter Halbsatz GSVG ausdrücklich (doch) nicht.
3.2. Im vorliegenden Fall war die Kl nach den getroffenen Feststellungen […] selbständig erwerbstätig und bezog […] aufgrund ihrer Tätigkeit als „Stylistin“ auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb […]. Die Kl gestand in der Berufung auch zu, dass sich ihre Einkünfte unter der Versicherungsgrenze bewegten. […] Aufgrund ihrer Erklärung nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG war sie allerdings in der Krankenversicherung (teil-)pflichtversichert.
3.3. Aus dem bisher Gesagten folgt, dass primäre Voraussetzung und Grund dieser Pflichtversicherung das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 Satz 1 GSVG war. Ob die von der Kl dabei erzielten Einkünfte (nach der dahingehenden Erklärung voraussichtlich) über der Versicherungsgrenze lagen oder nicht, hatte darauf keinen unmittelbaren Einfluss. Dieser Umstand war nur insofern relevant, als im Fall des Unterschreitens der Grenze die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nur über einen zusätzlichen Antrag nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG erreicht werden konnte.
4. Wenn die Bekl und ihr folgend die Vorinstanzen dennoch davon ausgehen, dass es sich bei dieser Pflichtversicherung nicht um eine solche „auf Grund einer Erwerbstätigkeit“ handelt, weil sie erst durch den Antrag respektive das „Opting in“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG begründet wurde, ist ihnen nicht zu folgen.
4.1. Diese Ansicht ist mit dem Wortlaut des § 102 Abs 5 Satz 1 GSVG, nach dem es nur darauf ankommt, ob die Pflichtversicherung […] Folge einer Erwerbstätigkeit […] ist, nicht vereinbar. Zwar ist richtig, dass der Eintritt dieser Pflichtversicherung im Fall der Kl zusätzlich noch eines ausdrücklichen Antrags bedurfte. Das ändert aber nichts daran, dass „Grund“ der Pflichtversicherung die Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG war und nicht etwa die Eigenschaft als Angehöriger oder ein Pensionsbezug […]. Eine Einschränkung des § 102 Abs 5 Satz 1 GSVG dahin, dass die Pflichtversicherung „nur“ oder „ausschließlich“ durch eine Erwerbstätigkeit begründet wird, lässt sich dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht entnehmen.
4.2. Der Bekl ist zwar zuzustimmen, dass die Bezeichnung dieser Form der Teilversicherung als „Pflichtversicherung“ in einem gewissen Widerspruch zum Umstand steht, dass ihr Eintritt nicht „verpflichtend“ ist bzw nicht ipso iure eintritt (vgl § 10 Abs 1 ASVG), sondern vom Willen des Betroffenen abhängt […]. Ob die Terminologie „glücklich“ gewählt ist oder dem ansonsten gängigen Begriffsverständnis entspricht, ändert aber nichts daran, dass das Gesetz die antragsabhängige Teilversicherung in der Krankenversicherung ausdrücklich der „Pflichtversicherung“ […] zuordnet (§ 3 Abs 1 GSVG). […]
5. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Einschränkung des Kreises der nach § 102 Abs 5 GSVG Anspruchsberechtigten auf „nur“ bzw „ausschließlich“ 395 aufgrund einer Erwerbstätigkeit in der Krankenversicherung Pflichtversicherte ließe sich daher nur durch eine teleologische Reduktion erzielen. Eine solche setzt aber voraus, dass eine nach dem klaren Gesetzeszweck erforderliche Ausnahme fehlt (RS0008979RS0008979; RS0106113RS0106113 [insb T3] ua).
Das ist hier nicht der Fall. Es bestehen weder Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber „bloß“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Pflichtversicherte vom Anwendungsbereich des § 102 Abs 5 GSVG ausnehmen wollte, noch sprechen teleologische Erwägungen dafür.
5.1. […] Im Gegenteil spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber des ASRÄG 1997 und der 55. ASVG-Novelle geringfügig beschäftigten Dienstnehmern, die von der Möglichkeit der Selbstversicherung nach § 19a ASVG Gebrauch gemacht haben, einen Anspruch auf Wochengeld einräumte (§ 19a Abs 6, § 162 Abs 3a ASVG in der damals geltenden Fassung), dafür, dass das auch für „neue Selbständige“ mit geringfügigen Einkünften gelten sollte. Dass sich das GSVG dabei einer anderen Systematik als das ASVG (das eine Selbstversicherung vorsieht) bedient und daher keine dem § 19a Abs 6 ASVG vergleichbare Bestimmung benötigt, tut der grundsätzlichen Intention des Gesetzgebers, allen Sozialversicherten mit einem geringen Einkommen einen Anspruch auf Wochengeld einzuräumen, keinen Abbruch.
5.2. Dagegen lässt sich (aus teleologischer Sicht) auch nicht einwenden, dass das Wochengeld nach § 102a Abs 5 GSVG wesentlich höher ist als jenes nach § 162 Abs 3a ASVG.
Abgesehen davon, dass nach dem dem Sozialversicherungsrecht prinzipiell innewohnenden Versicherungsprinzip den vom Sozialversicherungsträger zu erbringenden Leistungen nicht automatisch Beitragsleistungen in gleicher Höhe gegenüber stehen müssen (vgl jüngst VfGH G197/2023&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">G 197/2023 Rz 206; auch RS0116064RS0116064), dient das Wochengeld im GSVG nicht dem Ersatz des beim Versicherten eingetretenen Ausfalls des Entgelts, sondern der Bezahlung einer die Versicherte entlastenden betriebsfremden Kraft (10ObS49/13y&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 49/13y […] 10ObS33/11t&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 33/11t […]). Eine Verknüpfung des Wochengeldes mit den zuvor erzielten Einkünften ist dieser Regelung somit fremd.
Vor allem ist nicht zu erkennen, warum der Inhalt der Erklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 Satz 2 GSVG eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen sollte, obwohl daran nach dem System des GSVG keine andere Beitragsleistung knüpft: Wird erklärt, (voraussichtlich) Einkünfte über der Versicherungsgrenze zu beziehen, richtet sich die Beitragshöhe nach der vorläufigen Beitragsgrundlage des § 25a Abs 1 Z 1 GSVG […] und damit nach der Mindestbeitragsgrundlage des § 25 Abs 4 GSVG. Beiträge auf dieser Grundlage hat […] auch die „bloß“ über Antrag nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Pflichtversicherte zu leisten […]. Stellt sich im ersten Fall nachträglich heraus, dass die Einkünfte die Versicherungsgrenze doch nicht überschritten haben, ändert sich dadurch am zuvor bestandenen Versicherungsschutz nichts […]. Bei völlig gleichen Einkünften und Versicherungsbeiträgen hätte die aufgrund der Erklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG Pflichtversicherte daher zumindest bis zum Vorliegen des (rechtskräftigen) Einkommensteuerbescheids Anspruch auf eine Leistung nach § 102 Abs 5 GSVG, die „bloß“ über Antrag nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Versicherte dagegen nicht. Ein plausibler Grund für diese Verschiedenbehandlung ist weder ersichtlich noch zeigt die Bekl einen solchen auf. […]
6. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob die Kl für die Ausübung ihrer Tätigkeit einer Gewerbeberechtigung bedurft hätte. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass auch eine selbständige Tätigkeit, die ohne eine entsprechende Gewerbeberechtigung ausgeübt wird, den Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG erfüllt (RS0127648RS0127648; VwGH, 2010/08/0145; […] vgl auch ErläutRV 886 BlgNR 20. GP 111). Ist aber die (hier nicht strittige) Frage der Versicherungspflicht von der gewerberechtlichen Beurteilung unabhängig, ist auch kein Grund ersichtlich, die Anspruchsberechtigung der Kl nach § 102 Abs 5 GSVG davon abhängig zu machen. […]
Der Anspruch auf Betriebshilfe oder Wochengeld nach dem GSVG gebührt weiblichen Versicherten, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit in der KV pflichtversichert sind. In gegenständlicher E hat der OGH erstmals klargestellt, dass auch Neue Selbständige, die gem § 2 Abs 1 Z 4 iVm § 3 Abs 1 Z 2 GSVG in die KV optiert haben, Anspruch auf Betriebshilfe oder Wochengeld haben. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen gelangt der OGH in der ausführlich begründeten E zu dem Schluss, dass auch diese Form der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit und nicht etwa aufgrund eines Pensionsbezuges besteht.
Das „Opting-in“ in die KV ermöglicht es somit auch Neuen Selbständigen, die voraussichtlich unter der Geringfügigkeitsgrenze verdienen werden, einen Anspruch auf Betriebshilfe oder Wochengeld zu erwerben. Da das „Opting-in“ ex nunc wirkt, ist entscheidend, ob zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft, daher mit Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung (§ 80 Z 3 GSVG), der Antrag auf Pflichtversicherung in der KV bereits gestellt wurde.
Gem § 102a Abs 2 GSVG gebührt primär Betriebshilfe nach Maßgabe der Verfügbarkeit entsprechend geschulter und für die Verrichtung der in Betracht kommenden Arbeiten geeigneter Personen. Wenn der Versicherungsträger keine Arbeitskraft beistellt, wird unter der Voraussetzung, dass eine betriebsfremde oder, wenn eine solche nicht zur Verfügung steht, eine nicht betriebsfremde Hilfe ständig zur Entlastung der Wöchnerin eingesetzt wird, Wochengeld gewährt (Abs 3). Als ständig gilt nur eine Tätigkeit, die an mindestens vier Tagen oder im Ausmaß von 20 Stunden in einer Woche von der Hilfe zur Entlastung der Wöchnerin verrichtet wird. Die Voraussetzung der Entlastung durch eine Hilfe entfällt ua dann, 396 wenn wegen der Art der der Wöchnerin zustehenden Berechtigung zur Ausübung der die Pflichtversicherung begründenden selbständigen Erwerbstätigkeit der Einsatz einer Hilfe zur Entlastung der Wöchnerin nicht zulässig ist (Abs 4 Z 2). Darauf gestützt brachte die Kl in ihrer Revision vor, dass sie eine künstlerisch gestaltende Tätigkeit ausübe (Hair-Design), die nicht von einer fremden Kraft ersetzt werden könne. Da diese Voraussetzungen aufgrund der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht, dass gar kein Anspruch nach § 102a ASVG besteht, nicht geprüft wurden, erachtete der OGH die Rechtssache als nicht entscheidungsreif und wies diese an das Erstgericht zurück. Das Neuerungsverbot steht dieser Prüfung nicht entgegen, da es sich um noch nicht abschließend entschiedene Fragen handelt (RS0042014, RS0042458).