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Verweisbarkeit eines Behindertenbetreuers auf Tätigkeit als Angestellter im „Back-Office“

ElisabethHansemann

Der Kl war vor dem Stichtag 1.2.2023 159 Monate als Behindertenbetreuer in einem Wohnheim für Personen mit geistiger Behinderung, Mehrfachbehinderung, Autismus sowie Personen mit psychischen Erkrankungen tätig. Hauptaufgabe des Kl waren pädagogische Inhalte. Der Kl ist nicht mehr in der Lage, als Behindertenbetreuer tätig zu sein. Unter Nutzung seiner beruflichen Kenntnisse aus seinem Pädagogik-Teilstudium und den Beratungen wäre er jedoch in der Lage, im „Back-Office“ in der Personalentwicklung eines Unternehmens zu arbeiten, wobei er hauptsächlich mit der Erstellung und Umsetzung 392 von Schulungskonzepten und Ausbildungsmodellen einschließlich technisch-organisatorischer Vorbereitungen, der Auswahl und Organisation von Trainern, der Evaluierung von Fortbildungsveranstaltungen sowie der Verwaltung des Trainingsbudgets und gegebenenfalls Einzelcoachings betraut wäre.

Mit Bescheid vom 27.4.2023 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Kl auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Berufsunfähigkeitspension ab 1.2.2023 ab und stellte fest, dass auch kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld sowie medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe. Die Tätigkeit als Angestellter im „Back-Office“ sei ihm möglich und zumutbar. Die Tätigkeit sei auch gleichwertig zu der zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübten Tätigkeit eines Behindertenbetreuers und zudem mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Kl ist mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Zwar liegt noch keine Rsp zum Verweisungsfeld für den Beruf des Behindertenbetreuers vor, die im vorliegenden Fall relevierten Rechtsfragen lassen sich aber dem OGH zufolge unter Rückgriff auf die von der Rsp entwickelten Grundsätze zur Berufsunfähigkeit von Angestellten lösen.

Danach liegt Berufsunfähigkeit nur dann vor, wenn der Versicherte weder die zuletzt (nicht nur vorübergehend) ausgeübte Angestelltentätigkeit noch gleichwertige Tätigkeiten im Rahmen seiner Berufsgruppe zu verrichten im Stande ist. Der zuletzt ausgeübte Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen. Maßgeblich dafür ist, inwieweit ein Versicherter in einem möglichen Verweisungsberuf das erworbene qualifizierte berufliche Wissen verwerten kann. Entscheidend ist, ob ein Kernbereich der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten bei Ausübung der (berufsschutzerhaltenden) Teiltätigkeiten im Rahmen der infrage kommenden Verweisungsberufe verwertet wird, weshalb eine Verweisung auf eine Berufssparte mit völlig anders gearteten Anforderungen ausgeschlossen ist.

Die Vorinstanzen sind von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen nicht abgewichen. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts ist der Kl nämlich „unter Nutzung“ seiner Kenntnisse aus dem Pädagogik-Studium und aus der Beratungstätigkeit als Behindertenbetreuer in der Lage, die näher beschriebene Tätigkeit im Bereich der Personalentwicklung auszuüben. Die (implizite) Annahme, wonach der Kl namentlich bei der Erstellung von Schulungskonzepten und Ausbildungsmodulen sowie bei der Auswahl von Trainern, aber auch bei Evaluierung von Fortbildungsveranstaltungen sein qualifiziertes pädagogisches Vorwissen sowie im Rahmen gegebenenfalls durchzuführender Einzelcoachings seine beruflichen Beratungskenntnisse verwerten kann, bedarf keiner Korrektur.

Dem Argument des Kl, dass seine Tätigkeit mit der eines Krankenpflegers vergleichbar sei und diplomierte Krankenpfleger nicht auf bloße Hilfsdienste oder administrativen Aufgaben verwiesen werden dürfen, entgegnete das Berufungsgericht zutreffend, dass es keine Grundlage im festgestellten Sachverhalt gab, die darauf hinweisen, dass der Kl als Behindertenbetreuer mit dem (höheren) Pflegedienst vergleichbare Tätigkeiten ausgeübt habe. Die vom Kl ausgeübten pflegerischen Tätigkeiten erschöpften sich nämlich in der Dokumentation des Gesundheitszustandes der Heimbewohner sowie in der Vorbereitung und Ausgabe der Medikamente.

Dem auf die OGH-E 10 ObS 139/88 vom 8.11.1988 gestützte Vorbringen des Kl, dass Pädagogen, die bisher mit der unmittelbaren pädagogischen Betreuung von Personen betraut gewesen seien, auf keine andere als diese pädagogische Tätigkeit verwiesen werden dürfen, hält der OGH die E 10 ObS 32/11w vom 29.3.2011 entgegen, in der klargestellt wurde, dass die Verweisung einer bisher nicht mit administrativen Aufgaben befassten Kindergartenpädagogin auf die (administrative) Tätigkeit der Leisterin eines Kindergartens oder Kinderheims zulässig ist, zumal sie dabei einen Kernbereich ihrer Ausbildung und bisherigen Tätigkeit verwerten kann.

Zur Frage, ob die Ausübung des Verweisungsberufes zu einem unzumutbaren sozialen Abstieg führen würde, wurde vom Kl nicht andeutungsweise in der ersten Instanz vorgebracht, dass die Tätigkeit im „Back-Office“ eine ins Gewicht fallende Einbuße an sozialem Prestige (oder an Entlohnung) mit sich bringen würde. Die Vorinstanzen waren vor diesem Hintergrund nicht gehalten, zu diesem Themenkreis Feststellungen zu treffen. 393