171Keine Valorisierung des Rehabilitationsgeldes durch kollektivvertragliche Lohn- und Gehaltserhöhungen im Bezugszeitraum
Keine Valorisierung des Rehabilitationsgeldes durch kollektivvertragliche Lohn- und Gehaltserhöhungen im Bezugszeitraum
Eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung ist beim Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) gem § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Bemessungszeitraum – nicht jedoch während des laufenden Bezugs – eintritt.
Der Kl bezog seit 1.8.2020 Rehabilitationsgeld. Zuvor war der Kl bei der P-GmbH beschäftigt. Auf dieses Dienstverhältnis war der KollV für Arbeitskräfteüberlasser anzuwenden. Der Kl war als Elektriker in ein Unternehmen überlassen worden, auf das der KollV für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe zur Anwendung gelangte.
Mit Bescheid vom 5.5.2023 wies die Bekl den Antrag auf ein höheres Rehabilitationsgeld – unter Berücksichtigung der Lohnerhöhungen der anzuwendenden Kollektivverträge der Jahre 2021 bis 2023 – ab. Auch das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die dagegen gerichtete ordentliche Revision ist zwar zulässig, da zur Frage der Anwendung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG auf die Bemessungsgrundlage des Rehabilitationsgeldes noch keine höchstgerichtliche Rsp vorgelegen hat, jedoch ist sie nicht berechtigt.
[14] 2.1. Das mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz (SRÄG) 2012 […] geschaffene Rehabilitationsgeld, das die weggefallene befristete Invaliditätspension ersetzt […], ist dem Krankengeldbezug nachgebildet und funktional als dessen Fortsetzung anzusehen […]. Während die Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension eine Leistung mit Pensionscharakter ist, liegt beim Rehabilitationsgeld – entsprechend der Systematik des Krankengeldes – der Fokus auf der Einkommensersatzfunktion […]. […]
[15] 2.2. […] § 143a Abs 2 ASVG verweist zum Ausmaß des Rehabilitationsgeldes auf § 141 Abs 1 und 2 ASVG, worin die Gewährung von Krankengeld im Ausmaß von 50 % bzw 60 % der Bemessungsgrundlage für einen Kalendertag geregelt ist.
[16] 2.3. Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ergibt sich aus § 125 ASVG. Nach § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG ist Bemessungsgrundlage für das Krankengeld der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst (Bruttoentgelt), der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum […] gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging. Nach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG sind Lohn- und Gehaltserhöhungen aufgrund Normen kollektiver Rechtsgestaltung zu berücksichtigen.
[17] 2.4. Dieser letzte Satz wurde im Rahmen der 50. ASVG-Novelle […] in den Abs 1 des § 125 ASVG aufgenommen. Auch der zuvor angeführte erste Halbsatz der Bestimmung geht in seiner heutigen Fassung auf diese Novelle zurück. Davor war noch auf den Arbeitsverdienst in dem dem Versicherungsfall zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum abgestellt worden.
[18] Zu diesen Gesetzesänderungen findet sich in den Materialien zur 50. ASVG-Novelle der Hinweis, gemäß § 125 Abs 1 ASVG hänge die Höhe des Krankengeldes von der Höhe des beitragspflichtigen Entgelts ab, das im Beitragszeitraum vor der Erkrankung bezogen wurde. Eine während der Zeit der Entgeltfortzahlung aufgrund des Angestelltengesetzes oder des Entgeltfortzahlungsgesetzes eingetretene Lohnerhöhung wirke sich auf die Höhe des Krankengeldes nicht aus, obwohl vom höheren Entgelt Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden seien. Um diese als ungerecht empfundene Rechtslage zu beseitigen, solle § 125 Abs 1 ASVG dahingehend novelliert werden, dass die Bemessungsgrundlage auf das Ende jenes Beitragszeitraums abstelle, in dem das letzte „volle“ (also nicht durch die Krankheit geschmälerte) Entgelt gezahlt werde […].
[19] 2.5. Vor dem Hintergrund des ausdrücklich angeführten gesetzgeberischen Motivs, auch noch nach der Erkrankung erfolgte Entgelterhöhungen bis zum Beginn des Krankengeldbezugs in die Bemessungsgrundlage einfließen zu lassen, wurde in der Literatur zum neu eingeführten letzten Satz des § 125 Abs 1 ASVG die Ansicht vertreten, dass sich eine während der Zeit der arbeitsrechtlichen Lohn- und Gehaltsfortzahlung eingetretene kollektivvertragliche Erhöhung des Arbeitsverdienstes in Zukunft positiv auf die Höhe des Krankengeldes auswirken wird […].
[20] In der Entscheidung 10 ObS 151/93 legte der Senat dieser Novellierung – wenngleich nur obiter – erkennbar dasselbe Verständnis zugrunde. Dass sich demgegenüber auch erst während des Krankengeldbezugs eintretende kollektivvertragliche Entgelterhöhungen auf die Leistungshöhe auswirken sollen, ist den Entscheidungsgründen dieses Urteils entgegen dem Standpunkt des Klägers nicht zu entnehmen (unklar dazu Schober in Sonntag, ASVG15 § 125 Rz 3).
[21] 2.6. Demgegenüber vertritt Burger (Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 123/17mDRdA 2019/4) – unter Verweis auf Drs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 141ASVG Rz 10, die allerdings bloß den Gesetzeswortlaut wiedergibt –, aus § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG folge die viel zu wenig beachtete Valorisierung der Bemessungsgrundlage des Kranken- und Rehabilitationsgeldes. Die Bemessungsgrundlage der Geldleistung sei also nicht eingefroren; sie solle sich, so der Wortlaut des Gesetzes, dynamisch mitentwickeln, wobei die wohl von Amts wegen vorzunehmende 385 Anpassung der Leistung insbesondere für BezieherInnen von Rehabilitationsgeld, dessen maximale Bezugsdauer nicht eingeschränkt sei, von Bedeutung sei.
[22] In diesem Sinn ist womöglich auch Windisch-Graetz (in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 125 ASVG Rz 4) zu verstehen, die aus § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ableitet, dass das Krankengeld entsprechend zu erhöhen ist, wenn im anzuwendenden Kollektivvertrag Lohnerhöhungen vereinbart werden, die sich auf den das Krankengeld beziehenden Dienstnehmer auswirken würden.
[23] 2.7. Diesem Normverständnis eines Teils der jüngeren Lehre, auf dem auch der Rechtsstandpunkt des Klägers aufbaut, ist aus folgenden Erwägungen nicht beizutreten:
[24] Wie sich aus der bereits zuvor skizzierten Genese der Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ergibt, bezog sich diese im Zeitpunkt ihrer Implementierung alleine auf das Krankengeld. Das Rehabilitationsgeld wurde erst etwa zwei Jahrzehnte später anstelle der befristeten Invaliditätspension als eine an das Krankengeld angenäherte und dessen Systematik folgende Sozialleistung geschaffen.
[25] Schon angesichts der begrenzten Dauer des Krankengeldanspruchs von im Allgemeinen maximal 52 Wochen (§ 139 ASVG) liegt nun aber die Annahme nicht nahe, dass es dem Gesetzgeber bei der Statuierung der in Rede stehenden Gesetzespassage gerade um die nachträgliche Anpassung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes an die laufende Entwicklung der kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter im Bezugszeitraum ging. Teleologische Erwägungen lassen eine periodische Anpassung des typischerweise nicht länger als ein Jahr bezogenen Krankengeldes an kollektivvertragliche Änderungen des Arbeitsverdienstes nämlich nicht geboten erscheinen.
[26] Einen Anhaltspunkt für ein solches Verständnis des Regelungsinhalts liefern auch nicht der Gesetzeswortlaut in seiner systematischen Einbettung oder die zuvor angeführten Materialien zur 50. ASVG-Novelle.
[27] Für den Fall, dass mit der betreffenden Regelung tatsächlich das gesetzgeberische Motiv verfolgt worden wäre, die zu gewährende Krankengeldleistung im Sinne einer „dynamischen Mitentwicklung“ laufend entsprechend den im Bezugszeitraum erfolgten Entgelterhöhungen durch Kollektivvertrag anzupassen, sodass eine Kollektivvertragsänderung nach Ende des Bemessungszeitraums […] zu einer Neuberechnung der Bemessungsgrundlage führen muss, wäre zu erwarten gewesen, dass eine solche rechtspolitische Zielsetzung in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich Niederschlag gefunden hätte.
[28] Auch die Materialien zum SRÄG 2012 […] geben keinen Hinweis darauf, dass diese nach ihrer Zweckrichtung zwar nur vorübergehend zu gewährende […], allerdings – anders als das Krankengeld – in ihrer Bezugsdauer nicht von vornherein begrenzte Sozialleistung […] einer Anpassung an die Entwicklung der kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter bedarf […]. Weder erfolgte im Rahmen dieser Novelle eine Änderung der Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG, noch bringen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage ein geändertes Verständnis dieser Regelung zum Ausdruck, wonach sich daraus […] das Gebot einer laufenden Anpassung der Bemessungsgrundlage ableiten ließe.
[29] Die Frage einer periodischen Anpassung des – mitunter über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg zu gewährenden – Rehabilitationsgeldes wurde vom Gesetzgeber auch erkennbar bedacht, aber aus Gründen der Existenzsicherung offenbar (nur) dann als notwendig erachtet, wenn das Rehabilitationsgeld lediglich die Höhe des Richtsatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG erreicht […].
[30] Dies steht der Annahme entgegen, dass die (formal unveränderte) Regelung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nach Einführung des Rehabilitationsgeldes unter anderem als den bisherigen Zweck- und Wertungsgesichtspunkten zu sehen ist […].
[31] Erst im Jahr 2022 sah sich der Gesetzgeber angesichts der Prognose einer anhaltenden Teuerungswelle dazu veranlasst, im Rahmen des Teuerungs-Entlastungspakets III (BGBl I 2022/174) eine – erstmalig mit 1.1.2023 vorzunehmende – jährliche gesetzliche Valorisierung unter anderem des Rehabilitationsgeldes einzuführen; und zwar dergestalt, dass mit Wirksamkeit ab 1. Jänner eines jeden Jahres die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld für jene Personen, die zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf eine solche Leistung haben, mit dem Anpassungsfaktor zu vervielfachen ist, sofern der Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt (§ 108i Abs 1 Satz 1 ASVG).
[32] Durch die Einschränkung der Valorisierung auf jene Bemessungsgrundlagen, deren Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt, sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage […] eine unerwünschte Doppelvalorisierung vermieden werden.
[33] Wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend erkannt, verdeutlicht nicht zuletzt auch dieser Umstand die Vorstellung des Gesetzgebers, wonach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG die Berücksichtigung von kollektivvertraglichen Entgelterhöhungen nur insoweit vorsieht, als sie schon im Bemessungszeitraum eintreten: Wären auch nachfolgende Kollektivvertragsänderungen während des laufenden Bezugs von Rehabilitationsgeld erfasst, würde die angesprochene Einschränkung im neu eingeführten § 108i Abs 1 Satz 1 ASVG ihren Zweck verfehlen. Es würde dann nämlich dennoch zu einer doppelten Anpassung der Bemessungsgrundlage – einerseits durch eine gebotene Neuberechnung auf Basis eines erhöhten Kollektivvertragslohns, andererseits durch Vervielfachung mit dem Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG) – kommen.
Das Rehabilitationsgeld gebührt gem § 143a Abs 2 ASVG im Ausmaß des Krankengeldes, das aus der 386 letzten eine Pflichtversicherung in der KV nach dem ASVG oder B-KUVG begründete Erwerbstätigkeit gebührt hätte. Es wird daher ein fiktives Krankengeld aus dem letzten Einkommen gebildet. Als solches zählt auch eine Urlaubsersatzleistung. Zumindest gebührt das Rehabilitationsgeld in der Höhe des „Einzelrichtsatzes“ der Ausgleichszulage (2024: € 1.217,96), solange die Rehabilitationsgeld beziehende Person ihren rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
§ 125 ASVG bestimmt die Bemessungsgrundlage des Kranken- und damit auch des Rehabilitationsgeldes. In der gegenständlichen E musste der OGH beurteilen, wie weit der Anwendungsfall des Abs 1 letzter Satz leg cit ist. Dieser lautet: „Lohn- und Gehaltserhöhungen auf Grund von Normen kollektiver Rechtsgestaltung sind zu berücksichtigen
.“
Der OGH hat klargestellt, dass dieser Satz nicht bedeutet, dass Lohn- und Gehaltserhöhungen aufgrund Normen kollektiver Rechtsgestaltung zu einer Valorisierung des laufenden Kranken- und Rehabilitationsgeldbezuges führen. Nur wenn die Lohn- und Gehaltserhöhungen in den für die Bemessung heranzuziehenden Zeitraum fallen, führen diese auch zu einer Erhöhung des Kranken- bzw Rehabilitationsgeldes. Argumentativ stützt sich der OGH entgegen Teile der jüngeren Lehre einerseits auf die Materialien zur 50. Novelle des ASVG und andererseits überzeugend auf die ab 1.1.2023 geltende Valorisierung des Rehabilitations- und Krankengeldes gem § 108i ASVG. Die Entscheidung bedeutet jedenfalls eine weitere rechtliche Klarstellung der Berechnung des Kranken- und Rehabilitationsgeldes.