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Absolvierung einer Prüfung als Entschuldigungsgrund für Versäumnis eines Kontrolltermins

NicolePinter

Das Arbeitsmarktservice (AMS) schrieb dem im Bezug von Arbeitslosengeld stehenden Revisionswerber gem § 49 AlVG einen Kontrollmeldetermin für den 30.3.2023 um 10:20 Uhr vor. Der Revisionswerber teilte dem AMS zunächst telefonisch mit, dass er an diesem Tag aufgrund einer Prüfung im Rahmen seiner beruflichen Ausbildung verhindert sei. Bei dem Telefonat sei ihm vom AMS mitgeteilt worden, dass er „seine Absage auch per E-Mail“ übermitteln solle bzw seine Absage per E-Mail „gültig“ sei. Der Aufforderung, seine Verhinderung auch mit E-Mail zu melden, sei er am 27.3.2023 nachgekommen.

Mit Bescheid vom 9.5.2023 sprach das AMS aus, dass der Revisionswerber im Zeitraum 30.3. bis 11.4.2023 gem § 49 AlVG kein Arbeitslosengeld erhalte. Nach dem am 30.3.2023 versäumten Kontrollmeldetermin habe der Revisionswerber erstmals wieder am 12.4.2023 beim AMS persönlich vorgesprochen.

Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig. Das BVwG stellte fest, dass eine Abstandnahme vom Kontrollmeldetermin bei dem Telefongespräch zwischen dem Revisionswerber und dem AMS am 27.3.2024 nicht erfolgt sei. Rechtsfolge der Versäumung des wirksam vorgeschriebenen Kontrolltermins sei nach § 49 Abs 2 AlVG der Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Abgesehen davon, dass das AMS vom vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin nicht Abstand genommen habe, sei die Rsp des VwGH (19.9.2007, 2006/08/0272) zu beachten, wonach sich auch Personen, deren Verhinderung auf einen triftigen Grund iSv § 49 Abs 2 AlVG beruhe, spätestens nach Verstreichen der auf den versäumten Termin folgenden Woche bei der regionalen Geschäftsstelle zu melden hätten. Eine solche Meldung habe der Revisionswerber nicht vorgenommen. Er verliere daher vom Tag der versäumten Kontrollmeldung bis zur Geltendmachung des Fortbezugs den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Der VwGH hat die Revision zugelassen und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der VwGH weist darauf hin, dass gem § 24 Abs 4 VwGVG das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen kann, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 EMRK noch Art 47 GRC entgegenstehen. Bei Leistungen aus der AlV handelt es sich jedoch um „civil rights“ iSd Art 6 EMRK. Nach stRsp des VwGH gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer – bei der Geltendmachung von „civil rights“ in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden – mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw Parteien zu verschaffen und insb darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl etwa VwGH 5.2.2024, Ra 2023/08/0081, mwN). Ist eine Verhandlung nach Art 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung – ob dieser also insb Einfluss auf die Feststellung des Sachverhaltes bzw die Beweiswürdigung haben hätte können – nicht durchzuführen (VwGH 12.10.2022, Ra 2020/08/0109 und 0110, mwN).

Im vorliegenden Fall lagen widersprechende prozessrelevante Behauptungen iS dieser Rsp vor. Nach dem Vorbringen des Revisionswerbers wurde ihm gegenüber von Mitarbeitern des AMS bei dem am 27.3.2023 geführten Telefongespräch zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund des von ihm angegebenen Verhinderungsgrundes – der Absolvierung einer Prüfung in seiner Ausbildung – nicht zum vorgesehenen Kontrollmeldetermin am 30.3.2023 erscheinen müsse, soweit er dies auch noch mit E-Mail bekannt gebe. Diesem Vorbringen kann nicht von vornherein die Prozessrelevanz abgesprochen werden. Die beweiswürdigenden Erwägungen des 380 BVwG, wonach den Angaben des Revisionswerbers nicht zu folgen sei, hätten daher iSd dargestellten Grundsätze die Durchführung einer Verhandlung erfordert. Aber auch unter der Annahme, dass das Vorbringen des Revisionswerbers nicht zugetroffen hätte, hätte das BVwG nicht ohne Weiteres davon ausgehen dürfen, dass ein Verlust des Arbeitslosengeldes nach § 49 Abs 2 AlVG eintritt. Insofern wäre nämlich im Beschwerdeverfahren auch eine Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, ob der Revisionswerber sich iSv § 49 Abs 2 AlVG aus einem triftigen Grund für den Kontrollmeldetermin entschuldigt hat (VwGH 19.9.2007, 2006/08/0272).

Der VwGH hat dazu festgehalten, dass dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht der Gesetzeszweck zugrunde liegt, dem arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Ausgehend davon hat es der VwGH etwa als nicht zweifelhaft beurteilt, dass ein Vorstellungstermin zum Zwecke der Erlangung eines Arbeitsplatzes bei einem Unternehmen einen triftigen Grund iSd § 49 Abs 2 AlVG bildet (VwGH 2.7.2008, 2007/08/0247, mwN). IdS kann auch der Absolvierung einer notwendigen Prüfung in einer (die Verfügbarkeit nicht ausschließenden) Ausbildung, die der Erlangung einer beruflichen Qualifikation und damit der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dient, grundsätzlich die Eignung als Entschuldigungsgrund für die Versäumnis eines Kontrollmeldetermins iSd § 49 Abs 2 AlVG nicht von vornherein abgesprochen werden. Insoweit fehlen im angefochtenen Erkenntnis jedoch Feststellungen zur Ausbildung des Revisionswerbers bzw zu der von ihm behaupteten Prüfung am 27.3.2023.

Gem § 49 Abs 1 AlVG besteht zwar die Verpflichtung, sich spätestens mit Ablauf der Kalenderwoche, die auf den versäumten Kontrolltermin folgt, persönlich erneut zu melden (VwGH 17.2.2020, Ra 2019/08/0175; VwGH 19.9.2007, 2006/08/0272). Der Revisionswerber wäre also bei Versäumen der Kontrollmeldung am 30.3.2023 verpflichtet gewesen, spätestens am letzten Tag der folgenden Kalenderwoche eine Meldung vorzunehmen, widrigenfalls ab dem Tag der insoweit versäumten Kontrollmeldung ein Anspruchsverlust eintritt. Da der Anspruchsverlust nach § 49 Abs 2 AlVG aber erst mit der Versäumung dieser Verpflichtung eintreten kann, kann – entgegen der offensichtlich vom BVwG vertretenen Ansicht – der gegenständlich ausgesprochene Anspruchsverlust ab 30.3.2023 nicht auf eine solche Pflichtverletzung gegründet werden.