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Kein Ausschluss der Arbeitslosigkeit bei Weiterführung eines geringfügigen Dienstverhältnisses nach Beendigung eines vollversicherten Dienstverhältnisses zu einem anderen Dienstgeber

BirgitSdoutz

Die vorliegende E des BVwG beschäftigt sich mit den Auswirkungen des VfGH-Erk vom 6.3.2023, G 296/2022, mit dem der Ausschluss mehrfach geringfügig Beschäftigter aus der AlV als verfassungswidrig beurteilt und die Wort- und Zeichenfolge „Abs 2“ in § 1 Abs 4 erster Satz AlVG aufgehoben wurde. Der nunmehrigen E des BVwG liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beschwerdeführerin bezog von 9.6. bis 15.7.2021 Arbeitslosengeld. Im Zeitraum vom 1.8.2022 bis 30.4.2024 befand sie sich in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis als Angestellte zum DG X, von 1.5.2024 bis 5.6.2024 bezog die Beschwerdeführerin aufgrund dieses Dienstverhältnisses eine Urlaubsersatzleistung. Sie begründete zudem wiederholt geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zur XXX (Abhaltung von Kursen für Personalverrechnung), zuletzt im Zeitraum von 1.12.2023 bis 6.6.2024. Dieses Dienstverhältnis wurde während seines Bestehens im Wesentlichen unverändert fortgeführt und hat keine maßgebende Änderung im Hinblick auf die Entgelthöhe oder den Arbeitsumfang erfahren. Die X und die XXX sind verschiedene DG. Nach Beendigung des vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses zum DG X stellte die Beschwerdeführerin am 2.5.2024 einen Antrag auf Arbeitslosengeld und stand seither der Arbeitsvermittlung zur Verfügung.

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 3.5.2024 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Arbeitslosengeld mangels Arbeitslosigkeit abgelehnt und begründend ausgeführt, dass „aufgrund einer Gesetzesänderung ab 01.04.2024“ das laufende geringfügige Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin im Überschneidungszeitraum mit der vollversicherten Beschäftigung „ab sofort“ in die AlV eingebunden sei. Das AMS stützte seine Entscheidung auf § 12 Abs 3 lit h AlVG, wonach jemand insb nicht als arbeitslos gilt, wenn er beim selben DG, zu dem er vor Eintritt der Arbeitslosigkeit in einem pflichtversicherten Dienstverhältnis stand, eine geringfügige Beschäftigung aufnimmt, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde führte die Beschwerdeführerin aus, dass ihr vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis am 30.4.2024 geendet habe und ihr eine Urlaubsersatzleistung bis 6.6.2024 (tatsächlich jedoch: bis 5.6.) gebühre. Die geringfügige Beschäftigung als Trainerin für Personalverrechnung sei am 6.3.2024 für die Abhaltung eines Kurses bis 23.6.2024 begründet worden. Weiters wies sie darauf hin, dass der VfGH nur die Wort- und Zeichenfolge „Abs 2“ in § 1 Abs 4 erster Satz AlVG als verfassungswidrig aufgehoben habe. Somit würden alle „Dienstnehmer:innen“, die aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielen, das die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs 2 ASVG übersteige, gem § 1 Abs 1 lit a AlVG arbeitslosenversichert sein. Weitergehende Regelungen seien von diesem Erkenntnis aber nicht betroffen. Soweit die belangte Behörde ihre Entscheidung damit begründe, dass zwischen arbeitslosenversicherter Beschäftigung und geringfügiger Beschäftigung im selben Unternehmen ein Monat liegen müsse, wurde von der Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihre Dienstverhältnisse bei verschiedenen Unternehmen bestanden hätten. Auch wenn es im Überschneidungszeitraum zu einer Vollversicherung ihres geringfügigen Dienstverhältnisses gekommen sei, habe sie weder beim selben DG noch eine neue geringfügige Beschäftigung aufgenommen. Eine Verknüpfung der Versicherungspflicht mit § 12 Abs 3 lit h AlVG sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Anwendung dieser Bestimmung auf ihr geringfügiges Dienstverhältnis sei daher rechtswidrig.

Das AMS legte die Beschwerde dem BVwG zur Entscheidung vor. Gegenständlich stelle sich die Rechtsfrage, ob aufgrund der Pflichtversicherung der geringfügigen Beschäftigung in der AlV im Zeitraum 1.12.2023 bis 5.6.2024 für den darüberhinausgehenden Zeitraum des geringfügigen Dienstverhältnisses ab 6.6.2024 die Bestimmungen des § 12 Abs 3 lit h AlVG anzuwenden seien und die Arbeitslosigkeit zu verneinen sei, zumal die geringfügige Beschäftigung direkt an die Vollversicherung der Beschäftigung bis 5.5.2024 anschließe. Aus Sicht des AMS liege im konkreten Fall Arbeitslosigkeit nicht vor und erfolge daher die Ablehnung des Antrags auf Arbeitslosengeld im Einklang mit den rechtlichen Bestimmungen. Das AMS stützte sich dabei auf die „Endgültige Durchführungsweisung des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft zu den Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 06.03.2023, G296/2022 wonach ab 1. April 2024 mehrfach geringfügig Beschäftigte von der Arbeitslosenversicherungspflicht umfasst werden“. Diese enthält zu § 12 Abs 3 lit h nachstehende Bestimmungen:

Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 und 3 AlVG ist Voraussetzung für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit, dass377keine weitere Beschäftigung ausgeübt wird und somit alle Beschäftigungen beendet wurden. In § 12 Abs. 3 wird diese Voraussetzung konkretisiert („insbesondere“). § 12 Abs. 1 umfasst grundsätzlich auch bestehende geringfügige Dienstverhältnisse, wobei für diese Erleichterungen nach § 12 Abs 3 lit h AlVG gelten (diese sind nur beim bisherigen Dienstgeber im ersten Monat nach Beendigung der Vollversicherung schädlich). § 12 Abs. 6 gilt somit nicht für bereits bestehende Dienstverhältnisse, die der Arbeitslosenversicherung unterliegen. Anzumerken ist weiters, dass aufgrund der Aufhebung der Wortfolge „Abs. 2“ nun parallel bestehende Dienstverhältnisse nach AlVG nicht mehr als geringfügig gelten, wenn alle Beitragsgrundlagen insgesamt die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Aufgrund dieser Systematik des § 12, also der Verknüpfung von Abs. 1 und Abs. 3 und der nunmehrigen Zusammenrechnung aller Beitragsgrundlagen für die Frage der Geringfügigkeit, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Abs. 1 die Beendigung sämtlicher Dienstverhältnisse, die der Arbeitslosenversicherung unterliegen, für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit verlangt. Folglich kommt auch § 12 Abs. 3 lit. h AlVG zur Anwendung. Erst nach einer Unterbrechung von einem Monat kann beim jeweiligen (ehemaligen) Arbeitgeber wiederum eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen werden. Als Beginn der Monatsfrist wird auf die Beendigung des der Vollversicherung unterlegenen gfg DV bzw. auf das Ende der Vollversicherung bei einem fortlaufenden gfg DV abgestellt.“ Im Anschluss werden in der Durchführungsweisung beispielhaft verschiedene Konstellationen und deren Auflösung iSd Durchführungsweisung dargestellt.

Das BVwG gab der Beschwerde statt und ließ eine ordentliche Revision nicht zu. Zunächst wies das BVwG darauf hin, dass die Durchführungsweisung als (nicht verlautbarte) Verwaltungsanweisung keine Rechtswirksamkeit nach außen entfaltet, sodass ihr kein normativer Charakter beizumessen sei. Dem BVwG zufolge lässt sich die Sichtweise des AMS systematisch dahingehend zusammenfassen, dass unter Zugrundelegung der Durchführungsweisung offenbar sämtliche Dienstverhältnisse einer Person, sofern diese während eines Zeitraumes insgesamt der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen, so betrachtet werden, als hätten diese zu einem einheitlichen DG bestanden, und es möchte in jenem Fall, dass die Arbeitslosenversicherungspflicht aufgrund des Wegfalls eines oder allenfalls mehrerer Dienstverhältnisse wieder untergeht, hieran auch dann die Rechtsfolgen des § 12 Abs 3 lit h knüpfen, wenn das bzw die fortbestehende(n) geringfügige(n) Dienstverhältnis(se) keine Änderung erfahren hat/haben und für sich (insgesamt) nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlägen bzw die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Diese Ansicht lässt sich nach Ansicht des BVwG jedoch nicht mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen:

Gem § 12 Abs 3 lit h AlVG gilt nicht als arbeitslos, wer beim selben DG eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreitet. Der hier genannte „selbe DG“ ist nach dem Wortlaut jener DG, zu dem das Dienstverhältnis bestanden hat, dessen Wegfall also gem § 12 Abs 1 Z 1 AlVG – unbeschadet der Bestimmung des § 12 Abs 3 lit h – Arbeitslosigkeit begründet. Die von der belangten Behörde durchgeführte Zusammenrechnung sämtlicher Dienstverhältnisse ist mit dem Gesetzeswortlaut, der ausdrücklich nur auf einen DG abstellt, evident unvereinbar. Der äußerste mögliche Wortsinn steckt die Grenze jeglicher Auslegung ab (VwGH 25.10.1990, 89/16/0029). Demnach ist es nach Ansicht des BVwG weder möglich, mehrere DG als einen DG zu betrachten, noch kann ein anderer DG derselbe sein. Wenngleich § 12 Abs 3 das Wort „insbesondere“ enthält, ist dem Gesetz kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass ausgerechnet die von der belangten Behörde ins Treffen geführten Konstellationen der Annahme von Arbeitslosigkeit entgegenstehen sollten. Dazu verweist das BVwG auf ähnliche systematische Überlegungen, die vom VwGH im Hinblick auf selbständig Erwerbstätige auch bereits verworfen wurden (VwGH 23.5.2012, 2011/08/0138). Zudem ist laut BVwG auch nicht nachvollziehbar, weshalb das Erkenntnis des VfGH, mit dem der Umfang der Versicherungspflicht gem § 1 Abs 4 AlVG geändert wurde, nunmehr zu einer anderen Auslegung des hiervon gänzlich untangierten § 12 Abs 3 li h AlVG führen sollte.

Weiters weist das BVwG darauf hin, dass das AMS auch die Rechtsprechungslinie des VwGH außer Acht gelassen hat, wonach die Anwendbarkeit der genannten Bestimmung voraussetzt, dass vor der geringfügigen Beschäftigung eine die Arbeitslosigkeit ausschließende vollversicherungspflichtige Beschäftigung beim selben DG vorgelegen ist (VwGH 16.2.2011, 2008/08/0028). Diese Voraussetzung steht im Zusammenhang mit dem weiteren Erfordernis, dass an die vorhergehende (vollversicherte) Beschäftigung die Aufnahme einer „neuen“ geringfügigen Beschäftigung anschließen muss. Das Dienstverhältnis darf also nicht bloß unverändert fortgeführt werden, sondern hat zumindest eine maßgebende Änderung (jedenfalls in Bezug auf die Entgelthöhe und den naheliegend damit einhergehenden Arbeitsumfang) zur Voraussetzung, um von der Aufnahme einer „neuen“ Beschäftigung ausgehen zu können (VwGH 13.10.2020, Ro 2016/08/0005). Dies war jedoch gemäß den getroffenen Feststellungen nicht der Fall, sodass auch aus diesem Grund laut BVwG nicht von einer Ausnahme vom Vorliegen von Arbeitslosigkeit ausgegangen werden durfte. Die in der Durchführungsweisung dargelegte Vorgehensweise erwies sich somit dem BVwG zufolge als rechtswidrig. Die geringfügige Beschäftigung der Beschwerdeführerin zur XXX stand daher der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegen. 378

Die Revision wurde gem Art 133 Abs 4 B-VG mangels Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zugelassen. Die hier zu beurteilende Rechtsfrage ist nach Ansicht des BVwG durch die zu § 12 Abs 3 lit h AlVG ergangene Judikatur bereits hinreichend geklärt.

Ein ähnlich gelagerter Fall wurde mittlerweile vom BVwG in vergleichbarer Weise entschieden (BVwG 30.8.2024, W209 2296780-1), auch hier wurde eine Revision nicht zugelassen.