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Berechnung der Abfertigung nach VBG: Dienstzeiten zu innereuropäischer Gebietskörperschaft anrechenbar

RichardHalwax

Die Kl war ab 14.9.1998 bei der Bekl als Vertragslehrerin beschäftigt; zum 31.10.2022 wurde das Dienstverhältnis aufgrund der Inanspruchnahme der Alterspension nach Vollendung des 60. Lebensjahres einverständlich aufgelöst.

Der Berechnung ihres Abfertigungsanspruchs wurden Dienstzeiten von 24 Jahren, einem Monat und 17 Tagen zugrunde gelegt, weshalb die Bekl der Kl nach § 84 Abs 4 VBG 1948 das Neunfache des ihr für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Monatsentgelts als Abfertigung auszahlte.

Die Höhe des Monatsentgelts errechnete sich aufgrund eines Vorrückungsstichtags, für den eine Tätigkeit der Kl als Auslandslektorin am Institut für deutsche Philologie der „staatlichen“ Universität von Santiago de Compostela (Spanien) aufgrund eines „Arbeitsverhältnisses zur staatlichen Verwaltung in Spanien“ von 1.10.1996 bis 30.9.1998 als Vordienstzeiten angerechnet worden waren. Für die Berechnung der Abfertigung wurden diese Zeiten von der Bekl jedoch nicht berücksichtigt, weil es sich bei ihrem DG in Spanien nicht um eine inländische Gebietskörperschaft gehandelt habe, sodass die Dienstzeiten in diesem Dienstverhältnis der Dauer des Dienstverhältnisses gem § 84 Abs 5 VBG 1948 nicht zuzurechnen seien.

Die Kl begehrte die restliche Abfertigung in Höhe der Differenz zwischen dem Neunfachen und dem Zwölffachen des ihr für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Monatsentgelts. Die Bekl bestritt. Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht wies den Antrag der Kl auf Stellung einer Anfrage an den EuGH nach Art 267 AEUV zurück, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung zur in der Berufung der einzig noch relevierten Frage der Lektorentätigkeit in Spanien auf. § 84 Abs 5 VBG sei unionsrechtskonform iSd Art 45 AEUV sowie Art 7 VO 492/2011 dahin auszulegen, dass auch Zeiten einer Tätigkeit für eine innereuropäische Gebietskörperschaft für den Abfertigungsanspruch zuzurechnen seien. Da § 84 Abs 5 VBG nicht auf die Tätigkeit bei einer einzigen Gebietskörperschaft als DG abstelle, sondern Dienstzeiten in Dienstverhältnissen zu (irgend-)einer inländischen Gebietskörperschaft zuzurechnen seien, verfange das Argument einer Treueprämie nicht. Aus der Feststellung, die Universität von Santiago de Compostela sei „staatlich“ und die Bekl sei in einem Arbeitsverhältnis „zur staatlichen Verwaltung in Spanien“ gestanden, lasse sich aber nicht ableiten, ob die Kl ein Dienstverhältnis zu einer spanischen Gebietskörperschaft eingegangen wäre, was im fortgesetzten Verfahren noch zu klären sei.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den OGH mangels Rsp zur Frage zu, ob für den Abfertigungsanspruch nach § 84 Abs 5 VBG 1948 auch auf Tätigkeiten bei einer innereuropäischen Gebietskörperschaft abzustellen sei. Der Rekurs der Bekl beantragte die Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Rekurs ist laut OGH aus dem vom Berufungsgericht bezeichneten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Nach § 84 Abs 1 Z 2 VBG 1948 ist § 84 Abs 1a bis 8 VBG 1948 auf Vertragslehrer wie die Kl anzuwenden, deren Dienstverhältnis vor dem 1.1.2003 begonnen hat. Den erfassten Vertragsbediensteten gebührt nach § 84 Abs 1a VBG 1948 beim Enden des Dienstverhältnisses eine Abfertigung, die nach § 84 Abs 4 VBG 1948 nach einer Dauer des Dienstverhältnisses von 20 Jahren das Neunfache und von 25 Jahren das Zwölffache des dem Vertragsbediensteten für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Monatsentgelts beträgt. Nach § 84 Abs 5 VBG 1948 sind Dienstzeiten in Dienstverhältnissen zu einer inländischen Gebietskörperschaft der Dauer des Dienstverhältnisses nach § 84 Abs 4 VBG 1948 zuzurechnen.

Die Frage der Vergleichbarkeit von Beschäftigungszeiten wie etwa die Frage, ob Vordienstzeiten in einem anderen Staat der Beschäftigung in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft gleichzuhalten sind, hat das nationale Gericht nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen (EuGH 12.3.1998, C-187/96, Kommission vs Griechenland, Rn 22).

Eine Gebietskörperschaft ist demnach eine juristische Person öffentlichen Rechts, die durch ein personales Element gekennzeichnet ist. Sie setzt sich also aus einer Mehrzahl von Personen eines bestimmten Gebiets zusammen, die der Körperschaft im Wege einer Pflichtmitgliedschaft angehören. Charakteristikum der Gebietskörperschaft ist darüber hinaus die Gebietshoheit und eine allgemeine sachliche, nicht bloß auf ein einzelnes Sachgebiet beschränkte Zuständigkeit. Gebietskörperschaften in Österreich sind der Bund, die Länder und die Gemeinden.

Die Kl hat nach den insofern unstrittigen Verfahrensergebnissen in Dienstverhältnissen zu einer inländischen Gebietskörperschaft knapp weniger als 25 Jahre zugebracht; nur unter Hinzurechnung der hier strittigen Dienstzeiten als Auslandslektorin am Institut für deutsche Philologie der – nach den Feststellungen – „staatlichen“ Universität von Santiago de Compostela von 1.10.1996 bis 30.9.1998 betrüge 371 die Dienstzeit der Kl iSd § 84 Abs 4 VBG 1948 mehr als 25 Jahre.

Nach Art 45 AEUV ist innerhalb der Union die AN-Freizügigkeit gewährleistet. Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der AN der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art 7 VO (EU) 492/2011 vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der AN innerhalb der Union sieht vor, dass ein AN, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insb im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden darf als die inländischen AN.

Der sowohl in Art 45 AEUV als auch in Art 7 VO (EU) 492/2011 niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet nicht nur offensichtliche (unmittelbare) Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen. Betrachtet man die hier gegenständlichen Regelungen im Lichte der dargelegten Unionsrechtslage, so liegt evidentermaßen keine unmittelbare Diskriminierung vor, weil sie österreichische und (unions-)ausländische AN unterschiedslos erfasst. Eine mittelbare Diskriminierung dahin, dass ausländische Wander-AN von der Regelung stärker betroffen wären als Inländer, ist den Feststellungen zwar nicht zu entnehmen, liegt jedoch nahe, weil ausländische öffentlich Bedienstete, die österreichische Vertragsbedienstete werden, regelmäßig weniger Dienstzeiten bei inländischen Gebietskörperschaften zurückgelegt haben werden als die – zudem größere Anzahl an – inländischen öffentlich Bediensteten mit reiner „Inlandskarriere“ (vgl EuGH 30.9.2003, C-224/01, Köbler, Rn 73).

Jedenfalls ist im Lichte der Rsp des EuGH die Regelung, nach der für entgeltrelevante Ansprüche im öffentlichen Dienst wie die hier in Rede stehende Abfertigung andere Dienstzeiten als solche bei inländischen Gebietskörperschaften nicht berücksichtigt werden, geeignet, AN eines Mitgliedstaats davon abzuhalten, ihre Freizügigkeit auszuüben, da bei ihrer Rückkehr in den öffentlichen Dienst ihres (Heimat-)Mitgliedstaats ihre gleichartige Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht honoriert würde (EuGH 30.9.2003, C-224/01, Köbler, Rn 74; EuGH 5.12.2013, C-514/12, SALK, Rn 30).

Zusammengefasst ist daher, wenn eine im Einklang mit unmittelbar anwendbarem Unionsrecht – wie hier Art 45 AEUV und Art 7 VO 492/2011 mit dem darin niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung – stehende Auslegung und Anwendung einer nationalen Regelung nicht möglich ist, diese unionsrechtswidrige nationale Regelung, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen. Die hier fragliche Regelung des § 84 Abs 5 VBG 1948 ist daher im Anwendungsbereich des Unionsrechtes dahin zu lesen, dass Dienstzeiten in Dienstverhältnissen zu einer Gebietskörperschaft eines anderen Mitgliedstaates der Dauer des Dienstverhältnisses nach § 84 Abs 4 VBG 1948 zuzurechnen sind.