160Letztmöglicher Zeitpunkt für Ausspruch der Kündigung maßgeblich für Berechnung der Kündigungsfrist
Letztmöglicher Zeitpunkt für Ausspruch der Kündigung maßgeblich für Berechnung der Kündigungsfrist
Die Kl war von 19.6.2007 bis 2.6.2022 als Handelsangestellte beschäftigt. Am 29.4.2022 wurde über das Vermögen des AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 2.6.2022 erklärte die Kl den vorzeitigen Austritt gem § 25 IO und beantragte Insolvenz-Entgelt für Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum vom 3.6. bis 31.12.2022. Die bekl IEF-Service GmbH lehnte die Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum vom 1.10. bis 31.12.2022 mit der Begründung ab, die Kl gehe von einer viermonatigen Kündigungsfrist zum Quartalsende aus, die erst nach Vollendung des 15. Dienstjahres zum Tragen gekommen wäre.
Der Austritt habe das Dienstverhältnis jedoch mit sofortiger Wirkung schon vorher beendet, sodass den Ansprüchen nur eine dreimonatige Kündigungsfrist zum 30.9.2023 zugrunde zu legen sei. Das Erstgericht wies das dagegen gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei einer vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses seien für die Dauer der Kündigungsfrist die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zugangs der Beendigungserklärung maßgeblich. Am 2.6.2022 habe für die Kl noch eine dreimonatige Kündigungsfrist gegolten. Der Umstand, dass der fiktive Kündigungstermin bereits in eine Zeit falle, in der eine längere Kündigungsfrist einzuhalten gewesen wäre, sei unerheblich. Der OGH gab der dagegen gerichteten Revision der Kl statt und sprach Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung bis zum 31.12.2022 zu.
Beendet ein AN das Arbeitsverhältnis nach § 25 IO, steht ihm – genauso wie bei einem vom arbeitgeberverschuldeten Austritt – nach § 29 Abs 1 AngG bzw § 1162b ABGB ein Schadenersatzanspruch zu. Das zeitliche Maß dieses Anspruchs wird durch die für den konkreten AN bestehende Kündigungsmöglichkeit des AG bestimmt. Die Insolvenzeröffnung wird bei dieser Betrachtung außer Acht gelassen. Dem AN gebührt somit eine Kündigungsentschädigung bis zum fiktiven Ende des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße AG-Kündigung. Er ist so zu stellen, als ob das Arbeitsverhältnis durch den AG ordnungsgemäß beendet worden wäre. Die Dauer der Kündigungsfrist richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Kündigung. Dabei kommt es nach der Rsp aber nicht auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung (hier der Beendigungserklärung nach § 25 IO) an, sondern auf den Zeitpunkt, „von dem an die Kündigungsfrist zu rechnen ist“, das ist der letztmögliche Kündigungszeitpunkt.
Relevanter Stichtag für die Bemessung der Kündigungsfrist ist nach Ansicht des OGH daher nicht der Tag des Ausspruches der Beendigungserklärung, sondern der Tag, an dem für den anvisierten Endtermin die Kündigung (unter Einhaltung der zum Zeitpunkt des Ausspruches geltenden Kündigungsfrist) letztmöglich ausgesprochen werden kann. Hat der AN an diesem Tag bereits das entsprechende Dienstjahr vollendet, dann muss die längere Frist eingehalten werden. Dadurch soll gewährleistet werden, dass keine Manipulation der Dauer der Kündigungsfrist durch früheren Ausspruch der Kündigung möglich ist.
Im hier vorliegenden Fall war als Kündigungstermin der 30.9.2022 anvisiert. Der letzte – die kürzere, also dreimonatige Kündigungsfrist wahrende – Stichtag des Ausspruchs wäre somit der 30.6.2022 gewesen. An diesem Tag hätte die Kl, die am 19.6.2007 ihr Dienstverhältnis begonnen hatte, aber bereits das 15. Dienstjahr vollendet. Der AG hätte die Kl am 30.6.2022 nur mehr unter Einhaltung einer viermonatigen Frist kündigen können. Daraus folgt, dass auch am 2.6.2022 eine Kündigung durch den AG zum Quartalsende 30.9.2022 nicht mehr fristwahrend erfolgen hätte können. Eine solche Kündigung wäre letztmals am 31.5.2022 zulässig gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt wäre auch die viermonatige Frist noch gewahrt worden.
Da das zeitliche Maß des Schadenersatzes nach § 25 Abs 2 IO durch die hypothetische Kündigungsmöglichkeit des AG bestimmt wird, kommt es nicht darauf an, dass das Dienstverhältnis durch die sofortige Wirkung des Austritts am 2.6.2022 beendet wurde und die Kl das 15. Dienstjahr letztlich nicht vollendet hat.
Nachdem keine zusätzlichen Kündigungstermine iSd § 20 Abs 3 AngG vereinbart waren (Anmerkung: dies wäre nach dem KollV für Handelsangestellte auf Grund des über fünfjährigen Bestehens des Arbeitsverhältnisses ohnehin nicht mehr beachtlich), hätte der AG die Kl am 2.6.2022 erst zum 31.12.2022 kündigen können. Die begehrte Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung wurden daher zugesprochen. 370