103Kollektivvertrag für die Dienstnehmer privater Autobusbetriebe: Kein Rückschluss von arbeitszeitrechtlicher Regelung zur Nachtarbeit auf Entlohnungsbestimmung für Nachtstunden
Kollektivvertrag für die Dienstnehmer privater Autobusbetriebe: Kein Rückschluss von arbeitszeitrechtlicher Regelung zur Nachtarbeit auf Entlohnungsbestimmung für Nachtstunden
Die Bekl führt gewerbsmäßig Personentransporte mit Autobussen durch und ist Mitglied des Fachverbandes der Autobus-, Luftfahrt- und Schifffahrtunternehmungen, Berufsgruppe Autobus der Wirtschaftskammer Österreich. Die Kl war von 5.9.2021 bis zu ihrem Pensionsantritt am 1.3.2023 bei der Bekl als Linienbusfahrerin im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist der KollV für DN in den privaten Autobusbetrieben (KollV) anwendbar. Ihr Bruttostundenlohn betrug € 13,57. Von 1.7. bis zum 31.12.2022 arbeitete sie an 122 Tagen und trat dabei ihren Dienst täglich um 4:42 Uhr an.
Die Kl begehrte € 504,26 sA. Ihr stehe gem Pkt 2. lit b der Lohnordnung des KollV pro Tag für jeweils 18 Minuten ein Nachtzuschlag von 100 % des Bruttostundenlohns zu. Die Bekl bestritt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Bekl nicht Folge.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erachtet. Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
Der 1. Teil des KollV „Allgemeine Bestimmungen“ enthält unter Pkt III „Arbeitszeit“ in 2. lit k folgende Bestimmung:
„Nachtarbeit für Lenker von Kraftfahrzeugen
Als Nachtzeit gilt die Zeit zwischen 0.00 Uhr und 4.00 Uhr.
Als Nachtarbeit gilt jede Tätigkeit, die in der Zeit zwischen 0.00 Uhr und 4.00 Uhr den Zeitraum von einer Stunde überschreitet.
Die Tagesarbeitszeit des Lenkers darf an Tagen, an denen er Nachtarbeit leistet, zehn Stunden überschreiten.
Gemäß § 14 Abs. 4 AZG gebührt aus arbeitsorganisatorischen Gründen für geleistete Nachtarbeit kein Ausgleich.“
Pkt XI „Lohnordnung“ verweist darauf, dass die Lohnordnung im II. Teil des KollV enthalten ist, der einen integrierenden Bestandteil dieses KollV bildet. In dieser Lohnordnung ist unter „2. Zulagen“ in lit b geregelt:
„Nachtstunden in der Zeit von 24 Uhr bis 5 Uhr sind im Gelegenheits- und Linienverkehr mit einem Zuschlag von 100 Prozent des Bundeskollektivvertrages zu entlohnen.“
Wesentliche Frage des Verfahrens ist, ob die im ersten Abschnitt enthaltene Bestimmung des Pkt III 2. lit k 2. der KollV zur Mindestdauer der Nachtarbeit bei Auslegung der Regelung über die Zulagen heranzuziehen ist.
Richtig haben die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass Pkt III schon nach der Überschrift Regelungen betreffend die Arbeitszeit enthält. Dabei ist 2. lit k auf Lenker von Kraftfahrzeugen eingeschränkt. Offenkundig im Hinblick auf § 14 AZG und der in Abs 4 dieser Bestimmung enthaltenen Befugnis zu abweichenden Regelungen durch KollV wird definiert, wann die Tätigkeit eines Lenkers als Nachtarbeit gilt, weiters wird der Umfang der zulässigen Tagesarbeitszeit und die Nichtgewährung eines Ausgleichs für geleistete Nachtarbeit geregelt. Es handelt sich daher um eine ausschließlich arbeitszeitrechtliche Regelung ohne Bezug auf eine entgeltrechtliche Komponente. Dass eine andere Bestimmung des gleichen Abschnitts in anderem Zusammenhang eine Mindestbezahlung vorsieht, ist für die hier zu beurteilende Frage ohne Relevanz.
Die in der Lohnordnung vorgesehene Zulage für Nachtstunden enthält keinen Verweis auf Pkt III 2. lit k 2. Richtig ist zwar, wie in der Revision ausgeführt, dass das Fehlen eines Verweises nicht notwendigerweise bedeutet, dass nicht auf Begriffsdefinitionen in anderen Abschnitten zurückgegriffen werden kann. Allerdings enthält die Lohnordnung eine völlig eigenständige Regelung. Sie bezieht sich auf einen 239 anderen Personenkreis (DN des „Gelegenheits- und Linienverkehrs“), einen anderen Zeitraum („24 Uhr bis 5 Uhr“) und enthält den in Pkt III 2. lit k nicht verwendeten Begriff „Nachtstunde“ (statt „Nachtarbeit“). Damit gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kollektivvertragsparteien die Zulagenregelung iSd arbeitszeitlichen Definition von „Nachtarbeit“ in Pkt III 2. lit k 2. verstanden haben.
Entgegen der Revision lässt sich für den Standpunkt der Bekl auch nichts aus der Verwendung des Begriffs „Nachtstunde“ gewinnen. Sie selbst geht offenbar davon aus, dass Arbeiten, die in der Zeit zwischen 24 Uhr und 5 Uhr geleistet werden, zur Gänze mit einem Zuschlag zu honorieren sind, sofern sie eine Stunde überschreiten. Das bedeutet, dass auch nach dem Standpunkt der Bekl nicht nur volle Stunden abgegolten werden. Auch die in Pkt V 2. enthaltene Regelung der Überstundenentlohnung verwendet den Begriff „Nachtüberstunden“, ohne dass sich daraus schließen lässt, dass nur volle Stunden als Überstunden abgegolten werden sollen.
Dass es ein Anliegen der RL 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2002 „zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben“ ist, im Hinblick auf die Nachteile für die Gesundheit der AN und deren Sicherheit sowie die Straßenverkehrssicherheit im Allgemeinen die Zeiten, in denen Nachtarbeit geleistet wird, einzuschränken (ErwGr 11 und 12) bietet keine Grundlage dafür, Zulagen für die Arbeitsleistung unter diesen erschwerten Bedingungen als unionsrechtswidrig anzusehen.
Die Notwendigkeit minutengenauer Abrechnungen ist jedenfalls kein Argument gegen die Gewährung eines Zuschlags auch bei Leistungen unter einer Stunde, diese sind letztlich auch bei Leistungen über einer Stunde und Abrechnungen entsprechend den oft nach Minuten getakteten Fahrplänen ohnehin unvermeidbar.
Die Bestimmung 2.b. der Lohnordnung ist daher eigenständig auszulegen. Da sie selbst keine Mindestdauer für eine Zulage vorsieht und es auch sonst keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Kollektivvertragsparteien eine Mindestdauer vorsehen wollten, stehen die Zuschläge nach Pkt 2.b. für Dienstleistungen im Gelegenheits- und Linienverkehr zwischen 24:00 Uhr und 5:00 Uhr unabhängig von einer Mindestdauer der in dieser Zeit erbrachten Dienstleistung zu.