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Keine Kostenerstattung für eine Leistung von einem Arzt ohne Berufssitz am Behandlungsort

StephaniePrinzinger

Nach der stRsp besteht ein weitgehender Gleichklang zwischen dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs und den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG. Der Gesetzgeber des ASVG ging davon aus, dass ausschließlich in zulässiger Weise erbrachte Leistungen von der KV abzugelten sind. Nicht nur Berufspflichtverletzungen, welche die ärztliche Berufsausübung selbst in Frage stellen, sondern auch solche, die diese im konkreten Fall von vornherein unzulässig machen, stehen einer Kostenerstattung entgegen.

SACHVERHALT

Der Kl suchte wegen seiner Knieverletzung einen niedergelassenen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie auf, der eine Arthroskopie (Meniskusnaht) empfahl. In Hinblick auf die zu lange Wartezeit bei Durchführung der Operation im Landesklinikum B bot er dem Kl an, den Eingriff zeitnah in einer Ordination, in welcher er aber keinen Berufssitz hat, durchzuführen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) lehnte mit Bescheid eine Erstattung der über den Betrag von € 60,30 (für die Narkose) hinausgehenden Kosten iHv € 742,36 mit der Begründung ab, dass der die Arthroskopie durchführende Arzt am Standort der Leistungserbringung keinen Ordinationssitz bei der Ärztekammer gemeldet hat. Dagegen richtet sich die Klage des Kl. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auch das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge.

Die außerordentliche Revision wurde vom OGH mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

1. Nach der vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen ständigen höchstgerichtlichen Rsp besteht ein weitgehender Gleichklang zwischen dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs und den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG (so ausdrücklich 10 ObS 63/13g; 10 ObS 109/16a; vgl auch Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 18 [Stand 1.1.2020, rdb.at] mwN). Der Gesetzgeber des ASVG ging bei der Honorierung ärztlicher Leistungen davon aus, dass ausschließlich in zulässiger Weise erbrachte Leistungen von der Krankenversicherung abzugelten sind (10 ObS 109/16a; zustimmend Wallner, Anm zu 10 ObS 109/16a, JAS 2017, 305 [309 f] unter Hinweis darauf, dass der Begriff der „ärztlichen Hilfe“ nach § 135 Abs 1 ASVG als eine der in § 133 ASVG vorgesehenen Pflichtleistungen aus der Krankenbehandlung ärztliche Leistung nach Maßgabe der im ÄrzteG vorgesehenen Voraussetzungen meint). Ausgehend davon hat der Senat bisher eine Kostenerstattung gemäß § 131 Abs 1 ASVG nicht nur im Fall einer den berufsrechtlichen Vorgaben widersprechenden Fachgebietsüberschreitung des behandelnden Arztes (10 ObS 340/98t) oder bei selbständig durch andere Personen als Ärzte durchgeführten Krankenbehandlungen abgelehnt (10 ObS 260/92 [Leistungen eines Zahntechnikers]; 10 ObS 2303/96s [psychotherapeutische Behandlung vor Inkrafttreten der 50. ASVG-Novelle am 1.1.1992, BGBl 1991/676, und der damit bewirkten Gleichstellung der klinisch psychologischen sowie der psychotherapeutischen Dienste mit der ärztlichen Hilfe]), sondern einen Kostenersatz auch im Fall eines Verstoßes gegen das Verbot der freiberuflichen Ausübung des ärztlichen Berufs ohne bestimmten Berufssitz („Wanderpraxis“) nach § 45 Abs 4 ÄrzteG unter Hinweis darauf verneint, dass die Erbringung ärztlicher Leistungen außerhalb von Ordinationen oder Krankenanstalten nur in Frage komme, wenn dies gesetzlich ausdrücklich gestattet sei. Dem Gesetzgeber sei zu unterstellen, dass er den Kostenersatzanspruch für die Leistung eines Wahlarztes daran gebunden hat, dass dieser nach dem ÄrzteG zulässigerweise als Wahlarzt tätig sein kann (10 ObS 109/16a = RS0131108).

2. Die E des Berufungsgerichts, wonach die Durchführung des operativen Eingriffs in einer fremden Ordination durch den behandelnden Arzt (weder als Erfüllungsgehilfe noch als selbständiger Vertreter des Ordinationsinhabers) und der damit verbundene Verstoß gegen die Berufssitzbestimmungen des § 45 Abs 2 und 3 ÄrzteG dem Ersatz der Opera255tionskosten des Klägers entgegensteht, steht mit diesen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einklang.

3. Der Kl vermag nicht darzulegen, worin der wertungsmäßige Unterschied zwischen der vorliegenden Sachverhaltskonstellation und dem der E 10 ObS 109/16a zugrunde liegenden Fall des Verstoßes gegen das Verbot der Wanderpraxis nach § 45 Abs 4 ÄrzteG liegen soll. Der von ihm relevierte Umstand, dass die hier in Rede stehende Behandlung von einem in der Ärzteliste eingetragenen Arzt vorgenommen worden sei, der grundsätzlich sehr wohl innerhalb seines Fachgebiets als Wahlarzt habe tätig werden dürfen, ist nicht entscheidend.

3.1. Der Senat hat in der Entscheidung 10 ObS 109/16a bereits die alleinige Intention hinter den Regelungen über die Kostenerstattung herausgestrichen, den fehlenden Vertrag mit dem Krankenversicherungsträger zu kompensieren. Von anderen Voraussetzungen für eine Leistung auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers wollen sie nicht befreien. Dazu gehören aber nach dem Gesagten auch die im Berufsrecht der Ärzte festgelegten Vorgaben für die zulässige Leistungserbringung. Nicht nur Berufspflichtverletzungen, die die ärztliche Berufsausübung selbst in Frage stellen, sondern auch solche, die diese im konkreten Fall von vornherein unzulässig machen, stehen damit einer Kostenerstattung entgegen (nicht aber sonstige Verstöße gegen das ärztliche Berufsrecht, wie etwa die Verletzung von Dokumentations- oder Auskunftspflichten; vgl Schrattbauer, Anm zu 10 ObS 109/16a, DRdA 2017/29, 288 [291]). Daraus ergibt sich die bereits angesprochene weitgehende Kongruenz zwischen dem sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruch und den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG.

3.2. Dies erscheint auch mit Blick darauf sachgerecht, dass die zum Schutz der Patienten erlassenen berufsrechtlichen Vorschriften nicht dadurch unterlaufen werden sollen, dass sie für die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers als unerheblich angesehen werden (zutreffend Wallner, JAS 2017, 310; vgl weiters Schrattbauer, DRdA 2017/29, 291, die mit Recht darauf verweist, dass es für die Frage der Kostenerstattung demgegenüber keine Rolle spielt, ob im Einzelfall tatsächlich Patienteninteressen unmittelbar gefährdet waren).

4. Soweit der Kläger sinngemäß moniert, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts lasse unberücksichtigt, dass bei Durchführung einer (orthopädischen) Operation außerhalb eines Krankenhauses oder Spitals unter Beiziehung eines Anästhesisten zwangsläufig einer der behandelnden Ärzte seine Leistung außerhalb seiner Ordination ausführen müsse, sodass von vornherein Kostenersatz nur für einen Teil der erbrachten ärztlichen Behandlungsleistungen gebühren würde, so nimmt diese Argumentation nicht darauf Bedacht, dass ein als Konsiliararzt nach § 49 Abs 2 Satz 1 ÄrzteG beigezogener Arzt im Rahmen seiner (wohnsitzärztlichen) Tätigkeit keiner eigenen, also von ihm selbst betriebenen Ordinationsstätte iSd § 45 Abs 2 ÄrzteG bedarf (s Wallner, Zulässiger Aktionsradius des Wohnsitzarztes, RdM 2012/135, 214 [220]; dens, JAS 2017, 312 f).

5. Ob es dem Kl zumutbar gewesen wäre, mit der Operation noch länger zuzuwarten, ob die Operation an den beiden eingetragenen Berufssitzen des behandelnden Arztes möglich gewesen wäre und ob die Erstkonsultation vor der Operation an einem dieser Berufssitze erfolgte, ist für die Beurteilung des auf Ersatz der Kosten der konkreten Operation gerichteten Anspruchs des Kl rechtlich unmaßgeblich. Auch sein Vorwurf eines rechtlichen Feststellungsmangels der bekämpften Entscheidung geht damit ins Leere.“

ERLÄUTERUNG

Der OGH hat sich in der gegenständlichen E mit der Rechtsfrage auseinandergesetzt, ob eine Kostenerstattung auch dann in Betracht kommt, wenn ein Arzt eine Operation in einer Ordination, in welcher er keinen Berufssitz bei der Ärztekammer gemeldet hat, durchführt. Im gegenständlichen Fall hat der betreffende Arzt zwei andere Berufssitze für die Erbringung seiner freiberuflichen Tätigkeit bei der Ärztekammer gemeldet.

Bei dem Zentrum, in dem die Operation durchgeführt wurde, handelt es sich um kein Spital und um keine Krankenanstalt, sondern um eine Ordination eines niedergelassenen Arztes, die als operative Einheit für Tageschirurgie zertifiziert ist. Die ÖGK erstattete nur den Betrag für die Narkose mit der Begründung, dass nur der Anästhesist seinen Ordinationssitz am Ort der Leistungserbringung gemeldet hat. Die Bekl zog weder die Person des Arztes noch die Krankenbehandlung im Rahmen seines Fachgebietes in Zweifel, sondern berief sich darauf, dass ein Arzt nur zwei Berufssitze haben dürfe. Der Kl brachte vor, dass es sich lediglich um standesrechtliche Vorschriften handle. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl keine Folge und begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Gesetzgeber zu unterstellen sei, dass ein Kostenerstattungsanspruch nur für Leistungen eines Wahlarztes in Betracht kommt, sofern dieser nach dem ÄrzteG zulässigerweise als Wahlarzt tätig werden könne.

Der OGH verweist in der gegenständlichen E zunächst auf seine stRsp, nach der ein weitgehender Gleichklang zwischen dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs und den berufsrechtlichen Vorgaben nach dem ÄrzteG besteht. Gem § 45 Abs 4 ÄrzteG ist die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes ohne bestimmten Berufssitz (Wanderpraxis) verboten. Jeder zur freiberuflichen Berufsausübung berechtigte Arzt für Allgemeinmedizin oder Facharzt darf im Bundesgebiet seinen Berufssitz, also die Ordinationsstätte, von der die Tätigkeit ausgeübt wird, frei wählen. Die Anzahl der möglichen Berufssitze ist aber auf zwei im Bundesgebiet beschränkt (§ 45 Abs 3 ÄrzteG).256

Der OGH verweist auch auf die E 10 ObS 109/16a vom 11.10.2016, in welcher es um den Kostenerstattungsanspruch für eine Operation geht, die von einem in einer Krankenanstalt angestellten Arzt in einer Ordinationsstätte eines Kollegen durchgeführt wurde. Bereits in dieser E setzte sich der OGH mit der Notwendigkeit des Berufssitzes für eine Kostenerstattung auseinander. Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach § 131 ASVG ist, dass ein als Wahlarzt tätiger Arzt diese Tätigkeit nach den berufsrechtlichen Vorschriften zulässigerweise ausüben kann. Einen Unterschied zu E 10 ObS 109/16a vermochte der Kl nicht dazulegen. Zur Ablehnung der Kostenerstattung kommt es bspw auch, wenn eine Fachgebietsüberschreitung des behandelnden Arztes vorliegt (OGH 9.2.1999, 10 ObS 340/98t). Der OGH sprach auch aus, dass „nicht nur Berufspflichtverletzungen, die die ärztliche Berufsausübung selbst in Frage stellen, sondern auch solche, die diese im konkreten Fall von vornherein unzulässig machen, […] einer Kostenerstattung“ entgegenstehen. Der OGH hielt weiters fest, dass „die zum Schutz der Patienten erlassenen berufsrechtlichen Vorschriften nicht dadurch unterlaufen werden sollen, dass sie für die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers als unerheblich angesehen werden (zutreffend Wallner, JAS 2017, 310; vgl weiters Schrattbauer, DRdA 2017/29, 291 […])“.

Gegen das Argument des Kl, dass bei Durchführung einer (orthopädischen) Operation außerhalb eines Krankenhauses unter Beiziehung eines Anästhesisten zwangsläufig einer der behandelnden Ärzte seine Leistung außerhalb seiner Ordination ausführen müsse, brachte der OGH vor, dass „ein als Konsiliararzt nach § 49 Abs 2 Satz 1 ÄrzteG beigezogener Arzt im Rahmen seiner (wohnsitzärztlichen) Tätigkeit keiner eigenen, also von ihm selbst betriebenen Ordinationsstätte iSd § 45 Abs 2 ÄrzteG bedarf (siehe Wallner, Zulässiger Aktionsradius des Wohnsitzarztes, RdM 2012/135, 214 [220] […])“.

Im Gmundner-Kommentar führt Wallner (in Neumayr/Resch/Wallner [Hrsg], GmundKomm2 § 49 ÄrzteG 1998) aus, dass § 49 Abs 2 ÄrzteG sowohl die konsiliarärztliche Tätigkeit mehrerer Ärzte im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvertrags als auch im Rahmen getrennter Behandlungsverträge ermögliche.

Ob ein selbstständiger Behandlungsvertrag zwischen dem Patienten und dem Konsiliararzt zustande kommt oder ob der Konsiliararzt nur aufgrund des Behandlungsvertrags zum behandelnden Arzt tätig wird, hat insofern Auswirkungen, als im ersteren Fall der Konsiliararzt einen eigenen Ordinationssitz benötigt, während bei zweiterem Fall lediglich wohnsitzärztliche Tätigkeiten vorliegen (Wallner in Neumayr/Resch/Wallner [Hrsg], GmundKomm2 § 49 ÄrzteG 1998 Rz 28-29 [Stand 1.1.2022, rdb.at]).

Schlussendlich hält der OGH noch fest, dass es für die Frage der Kostenerstattung unmaßgeblich ist, ob es dem Kl zumutbar gewesen wäre, mit der Operation weiter zuzuwarten.