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Verfassungskonformität der neuen Regelungen zum ORF-G nicht im Rahmen eines besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG feststellbar

FrankHußmann

Mit 1.1.2024 traten die neuen gesetzlichen Regelungen der §§ 7a, 50 Abs 10 und Abs 11 ORF-G in Kraft. Nach § 50 Abs 10 ORF-G werden die Abfertigungsanwartschaften von ORF-Mitarbeiter/innen beginnend mit 1.1.2029 sukzessive auf maximal 150 % des gem § 23 Abs 1 AngG gebührenden Betrags gekürzt; dies unabhängig davon, ob der Anspruch auf Vertrag oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung beruht. § 50 Abs 11 ORF-G ordnet an, dass beginnend mit 1.1.2024 die Ansprüche von ORF-Mitarbeiter/innen auf Wohnungs-, Familien- sowie Kinderzulage ab 1.1.2024 um 50 % gekürzt werden, ab 1.1.2026 fallen sie zur Gänze weg. Nach Abs 4 des mit „Transparenzpflicht“ überschriebenen § 7a des ORF-G ist im Fall von Personen, deren Brutto-Jahresgehalt einschließlich Zulagen den Betrag von € 170.000,- übersteigt, in einer eigenen Tabelle in einer Anlage zum Bericht dem konkreten, der Höhe nach aufsteigend geordneten Betrag jeweils der Name der betreffenden Person voranzustellen. Für diese Personen sind zusätzlich die durchschnittlichen monatlichen Bruttobezüge einschließlich von Sachbezügen eines Kalenderjahres aus Nebenbeschäftigungen bekanntzugeben.

Der Zentralbetriebsrat des ORF beantragte gem § 54 Abs 2 ASGG, dass festgestellt werde, dass auf die Arbeitsverhältnisse der von der kl Partei vertretenen AN die Bestimmungen der §§ 7a Abs 4 und § 50 Abs 10 und 11 ORF-G idF BGBl I 2023/112 nicht anzuwenden sind, da diese Regelungen verfassungswidrig seien. Zur Zulässigkeit des Antrags brachte der Antragsteller vor, dass ihm bekannt sei, dass die neuen gesetzlichen Regelungen vom Antragsgegner und den Gerichten umzusetzen seien. Der Feststellungsantrag diene daher ausschließlich dazu, anzuregen, dass der OGH ein Gesetzesprüfungsverfahren gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) beantragen möge. Der Antragsteller sei mangels einer gesetzlichen Regelung, die für das Verfahren vor dem VfGH eine Aktivlegitimation iSd § 54 Abs 2 ASGG einräumt, nicht befugt, einen Individualantrag gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG an den VfGH zu stellen. Individualanträge betroffener AN könnten an der verfassungsrechtlichen Judikatur scheitern, nach der derartige Anträge unzulässig seien, wenn ein gerichtliches Verfahren den Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den VfGH bieten („Umwegzumutbarkeit“). Die AN müssten jeweils individuelle Klagen bei den erstinstanzlich zuständigen Gerichten einbringen. Der vorliegende Antrag diene daher der Prozessökonomie. Ein unmittelbarer und aktueller Anlass zur Klagsführung liege darin, dass die vorzunehmenden Kürzungen der Zulagen bereits ab 1.1.2024 anzuwenden seien und die Bruttobezüge aus Nebenbeschäftigungen in dem bis zum 31.3.2024 vorzulegenden Bericht offenzulegen seien. Es bestehe ein Feststellungsinteresse gem § 228 ZPO, weil für die vom Antrag betroffenen AN die gerichtliche Feststellung von wesentlichem rechtlichen Interesse sei, dass die gesetzlich verfügten Eingriffe wegen ihrer Verfassungswidrigkeit auf ihr Dienstverhältnis zum Antragsgegner unanwendbar sind. 246

Der ORF als Antragsgegner nahm Stellung zu diesem Antrag, beantragte aber nicht dessen Abweisung. Er trat dem Vorbringen zur Antragslegitimation weder im Tatsächlichen noch in den rechtlichen Überlegungen entgegen und brachte ausdrücklich vor, keine Ausführungen zur prozessualen Zulässigkeit zu machen. Nicht in Abrede gestellt werde, dass die Gesichtspunkte und Argumente zur Verfassungswidrigkeit, die im Antrag aufbereitet sind, ein erhebliches Gewicht hätten. Es sei aber nicht Aufgabe des Antragsgegners, die vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzungen zu verteidigen, dem – wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe – die grundrechtliche Problematik der Regelungen bewusst sei. Dies sei hier auch nicht geboten, da das vorliegende Verfahren nur als „verfahrensrechtliches Vehikel“ dazu dienen solle, die verfassungsrechtliche Problematik an den VfGH heranzutragen. Die begehrte Feststellung, dass die im Antrag genannten Bestimmungen des ORF-G auf die Arbeitsverhältnisse der vom Antragsteller vertretenen AN nicht anzuwenden seien, könne unstrittig nicht getroffen werden, zumal selbst verfassungswidrige Gesetze einzuhalten seien, solange sie nicht vom VfGH aufgehoben werden. Dennoch bestehe aber auch aus Sicht des Antragsgegners nachhaltiges Interesse an der Klärung der aufgeworfenen Fragen. Solange diese nicht geklärt seien, müssten nämlich infolge der Gebundenheit an das ORF-G entsprechende Kürzungen der Entgeltbestandteile vorgenommen und im Gegenzug Rückstellungen gebildet werden, was der vom Gesetzgeber intendierten Ausgabenreduktion entgegenstehe.

Der OGH wies den Antrag ab und machte zunächst grundsätzliche Ausführungen zu den Voraussetzungen eines Feststellungsantrags gem § 54 Abs 2 ASGG: Gemäß dieser Vorschrift können kollektivvertragsfähige Körperschaften der AG und der AN im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der AN bzw der AG beim OGH einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei AG oder AN von Bedeutung ist. Gem § 54 Abs 4 ASGG hat der OGH über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.

Ein Feststellungsantrag gem § 54 Abs 2 ASGG muss zudem einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. Danach kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung besteht. Das Feststellungsinteresse ist dabei auf Grundlage des vom Antragsteller behaupteten Sachverhalts von Amts wegen zu prüfen. Das Fehlen des rechtlichen Interesses führt laut OGH zur Abweisung des Antrags. Nichts anderes gilt demnach auch für den Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG. Ein Rechtsverhältnis definiert der OGH dabei als die bestimmte, durch den vorgetragenen Sachverhalt gegebene und konkretisierte rechtliche Beziehung zwischen Personen oder zwischen einer Person und einem Gegenstand; weiters fallen darunter auch die einzelnen rechtlichen Folgen einer solchen Rechtsbeziehung. Die ohnehin geregelte objektive Rechtslage ist nach stRsp hingegen nicht feststellungsfähig. Das gilt im Besonderen für die Kontrolle einer Norm auf ihre Verfassungskonformität. Zwar ist eine Feststellungsklage, dass ein KollV auf das Arbeitsverhältnis eines AN anwendbar ist, zulässig, wenn dies bestritten wurde. Insofern wurde auch die Feststellungsfähigkeit der Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit von Rechtsnormen bejaht. In diesen Fällen ging es jedoch jeweils um die Frage der Anwendbarkeit von Rechtsnormen auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis, also die Frage, ob deren sachlicher, zeitlicher und personeller Anwendungsbereich im zu beurteilenden Fall eröffnet ist, was aufgrund einer Subsumtion respektive Auslegung im konkreten Fall zu lösen war. Davon ganz grundsätzlich zu unterscheiden ist aber laut OGH die hier begehrte Feststellung der generellen Nichtanwendung geltender Rechtsnormen aufgrund deren behaupteter Verfassungswidrigkeit.

Zu den Voraussetzungen einer Feststellungsklage gem § 54 Abs 2 ASGG stellte der OGH weiterhin fest, dass abstrakte Rechtsfragen nicht feststellungsfähig sind. Auch Feststellungsanträge nach § 54 Abs 2 ASGG zur Klärung abstrakter Rechtsfragen erfüllen nicht die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses. In diesem Zusammenhang qualifizierte der OGH auch die Frage, ob bestimmte gesetzliche Regelungen verfassungswidrig sind, als abstrakte Rechtsfrage. Laut OGH sind auch „bloße Rechtslagen“ nicht feststellungsfähig.

Für die Bejahung eines rechtlichen Interesses ist nach Ansicht des OGH letztlich ein konkreter, aktueller Anlass erforderlich, der zur Hintanhaltung einer tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Kl eine alsbaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht. Allein prozessuale Vorteile – wie etwa hier die möglichst frühzeitige Wahrnehmung der Möglichkeit, eine Antragstellung auf Aufhebung einer Rechtsvorschrift beim VfGH zu erreichen – genügen dafür nicht. Bei einer negativen Feststellungsklage wird das rechtliche Interesse nur dann bejaht, wenn der Bekl ernsthaft behauptet, ein solches Recht zu haben und dadurch eine Gefährdung der Rechtsstellung des Kl hervorgerufen wird. Zu der im vorliegenden Antrag begehrten Feststellung, die genannten Bestimmungen seien nicht auf die Arbeitsverhältnisse der betroffenen AN anzuwenden, verwies der Antragsgegner aber nur darauf, dass Gesetze einzuhalten seien, solange sie nicht vom VfGH als verfassungswidrig 247 aufgehoben worden sind. Diese Äußerung stellt aber laut OGH keine ein Feststellungsinteresse begründende Rechtsanmaßung („Berühmung“) eines individuellen Rechts dar, die für den Antragsteller Rechtsunsicherheit verursacht. Vielmehr verfolgt der Antragsgegner – übereinstimmend mit dem Antragsteller – nach Ansicht des OGH die Zielsetzung, das vorliegende Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG als „Vehikel“ zu benutzen, um den OGH zu veranlassen, die verfassungsrechtliche Problematik an den VfGH heranzutragen. Auch daraus wird laut OGH ersichtlich, dass der Antrag im Kern darauf hinausläuft, die Rechtsansicht des OGH zu der von beiden Parteien übereinstimmend vermuteten Verfassungswidrigkeit auszuloten und gegebenenfalls prozessuale Vorteile aus einem vom OGH veranlassten Gesetzesprüfungsverfahren zu erzielen.

Mangels Vorliegens eines feststellungsfähigen Rechts oder Rechtsverhältnisses wies der OGH den Feststellungsantrag demnach ab.