108NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz: Kein Leistungsanspruch bei Besuch einer Abendschule mangels Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft?
NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz: Kein Leistungsanspruch bei Besuch einer Abendschule mangels Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft?
Die Revisionswerberin bezog Leistungen aus der AlV (Notstandshilfe) und Geldleistungen nach dem Niederösterreichischen Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (NÖ SAG) und besuchte die Abendschule an einer Bundeshandelsschule. Der Unterricht fand Montag bis Freitag von 17:30 bis 21:30 Uhr statt. Die Revisionswerberin hatte vor dieser Ausbildung schon ein Hochschulstudium im Ausland absolviert. Der Magistrat der Stadt St. Pölten sprach mit Bescheid vom 15.4.2021 aus, dass die Geldleistung nach dem NÖ SAG mit Ablauf des 30.4.2021 eingestellt werde. Begründet wurde die Einstellung damit, dass die Revisionswerberin eine Abendschule besuche, diese Ausbildung nach dem 18. Lebensjahr begonnen worden sei und somit das primäre Ziel nicht die Aufnahme einer Beschäftigung, sondern der Abschluss der Ausbildung sei. In der dagegen eingebrachten Beschwerde führte die Revisionswerberin aus, dass sie die gesetzlichen Voraussetzungen zum Bezug von Sozialhilfe erfülle, da sie trotz des Besuchs der Abendschule der Vermittlung am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe und sich laufend für Stellen bewerbe. Die Revisionswerberin brachte ergänzend vor, dass sie Notstandshilfe beziehe und das Arbeitsmarktservice (AMS) sehr wohl davon ausgehe, dass sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe.
Das LVwG wies die Beschwerde ab. Die Bestimmung des § 9 NÖ SAG nehme auf die arbeitslosenversicherungsrechtlichen Bestimmungen Bezug. Im Rahmen der Prüfung des Einsatzes der Arbeitskraft seien daher die entsprechenden Bestimmungen des AlVG heranzuziehen. Die Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft für eine zumutbare Tätigkeit sei nur dann gegeben, wenn man der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Gem § 7 Abs 2 AlVG stehe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen könne und dürfe (§ 7 Abs 3 AlVG), arbeitsfähig (§ 8 AlVG), arbeitswillig (§ 9 AlVG) und arbeitslos (§ 12 AlVG) sei. Gem § 12 Abs 3 lit f AlVG sei jemand, der in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang – so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt – ausgebildet werde oder, ohne dass ein Dienstverhältnis vorliege, sich einer praktischen Ausbildung unterziehe, nicht arbeitslos. Das LVwG führte unter Bezugnahme auf die Rsp des VwGH (15.2.2006, 2004/08/0062) aus, dass die gegenständliche Ausbildung der Revisionswerberin als eine auf einen bestimmten Lehrabschluss abzielende Ausbildung in einer Schule zu werten sei, was den Tatbestand des § 12 Abs 3 lit f AlVG erfülle. Daraus folge, dass die Revisionswerberin für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht als arbeitslos gegolten habe. Da die Revisionswerberin bereits eine Ausbildung abgeschlossen habe, könne der Besuch der Abendschule als weitere Ausbildung nicht als Ausnahmetatbestand des § 9 Abs 7 Z 5 NÖ SAG gesehen werden. Schon auf Grund der Zulassung zur Ausbildung müsse von der fehlenden Verfügbarkeit der Revisionswerberin am Arbeitsmarkt ausgegangen werden. Erst wenn die Bindung an die Ausbildung beendet werde, könne eine Beschäftigung aufgenommen werden und Verfügbarkeit gegeben sein. Auf Grund der höchstgerichtlichen Rsp und der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen sei es nicht möglich, während der von der Revisionswerberin durchgeführten Ausbildung Leistungen der Sozialhilfe nach dem NÖ SAG zu empfangen.
Der VwGH befand die gegen diese E eingebrachte außerordentliche Revision als zulässig und hob das 245 angefochtene Erkenntnis des LVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
Der VwGH führte dazu aus:
Gem § 9 Abs 1 NÖ SAG sind arbeitsfähige Personen, die zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung bereit sind, verpflichtet, ihre Arbeitskraft für eine zumutbare Beschäftigung einzusetzen und haben sich um eine entsprechende Erwerbstätigkeit zu bemühen. (Nur) Die Arbeitsfähigkeit sowie die Zumutbarkeit einer Beschäftigung sind gem § 9 Abs 4 NÖ SAG unter sinngemäßer Anwendung der arbeitslosenversicherungsrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen. Die – vom LVwG ins Treffen geführte – fehlende Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft ist jedoch in § 9 Abs 5 und 6 NÖ SAG geregelt.
Im Revisionsfall geht es nicht um die Frage der Arbeitsfähigkeit oder der Zumutbarkeit einer Beschäftigung, sondern um die erforderliche Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft gem § 3 Abs 3 iVm § 9 Abs 5 NÖ SAG. Das LVwG hat die Bereitschaft der Revisionswerberin zum Einsatz ihrer Arbeitskraft verneint, dies trotz der Feststellungen, dass es ihr nicht nur möglich sei, neben dem Besuch der Abendschule eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben, sondern dass die Revisionswerberin beim AMS zum Einsatz ihrer Arbeitskraft auch vorgemerkt gewesen sei. Das LVwG übersieht, dass es die Tatbestandsvoraussetzung der Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft nach den Kriterien des § 9 Abs 5 und 6 NÖ SAG zu beurteilen hatte, die keinen generellen Verweis auf die arbeitslosenversicherungsrechtlichen Bestimmungen enthalten.
Da die Leistungen der Revisionswerberin unter Zugrundelegung einer unzutreffenden Rechtsansicht eingestellt wurden, ist das Erkenntnis des LVwG mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
Das LVwG hat infolge des Erkenntnisses des VwGH der Beschwerde Folge gegeben und den Bescheid, mit dem die Geldleistungen nach dem NÖ SAG eingestellt wurden, behoben.