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Anrechnung von Karenzzeiten auf dienstzeitabhängige Ansprüche: Stichtagsregelung ab 1.8.2019 weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig

GregorKaltschmid

Die Kl ist seit 2021 bei der Bekl beschäftigt. Sie befand sich aufgrund der Geburt ihrer Kinder in den Jahren 2014 und 2016 jeweils ein Jahr in Karenz. Sie möchte diese Karenzzeiten als Vordienstzeiten für ihr Besoldungsdienstalter als Basis ihrer besoldungsrechtlichen Einstufung berücksichtigt haben. § 15f MSchG idF vor BGBl I 2019/68 sah eine Berücksichtigung von Karenzzeiten bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen nur für die ersten zehn Monate der ersten Karenz der DN vor. Die nunmehr verbesserte Anrechnung, wonach Karenzzeiten für jedes Kind in vollem in Anspruch genommenen Ausmaß bis zur maximalen nach dem MSchG vorgesehenen Dauer (nach der auf vorliegenden Fall anzuwenden Fassung des MSchG bis zum Ablauf jeweils des zweiten Lebensjahres des Kindes) anzurechnen sind, gilt gem § 40 Abs 29 MSchG nur für Mütter (Adoptiv- oder Pflegemütter), deren Kinder ab dem 1.8.2019 geboren (adoptiert oder unentgeltlich in Pflege genommen worden) sind. Die Kl erachtet § 40 Abs 29 MSchG als geschlechts- und altersdiskriminierend sowie verfassungs- und unionsrechtswidrig.

Die Vorinstanzen wiesen das Zahlungs- und Feststellungsbegehren ab. Der OGH wies die außerordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück:

Der OGH verweist in seiner Entscheidungsbegründung darauf, dass bereits der VfGH mit Beschluss vom 12.6.2023 zu G 182/2023 die Behandlung des Normenkontrollantrags der Kl abgelehnt hat, weil vor dem Hintergrund seiner stRsp das Vorbringen des Antrags die behauptete Verfassungswidrigkeit des § 40 Abs 29 MSchG als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Schon zu VfGH vom 27.2.2023, G 318/2022, hatte der VfGH auf seine stRsp hingewiesen, dass es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, festzulegen, wann eine neue, den Normadressaten begünstigende Bestimmung in Kraft treten solle und für welche Fälle sie zu gelten habe. Dabei bleibe es ihm im Prinzip überlassen, den Stichtag festzulegen, ohne dass es für die Wahl des Stichtags einer Rechtfertigung bedürfe. In diesem Sinn weise jede Stichtagsregelung auch ein gewisses Maß an Beliebigkeit auf. Es müsste besondere Gründe geben, warum gerade ein bestimmter Stichtag unsachlich sei. Dass der Gesetzgeber bei der Festsetzung des Stichtags in § 40 Abs 29 MSchG die Grenzen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums überschritten hätte, sei nicht ersichtlich.

Auch der OGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung grundsätzlich nicht gegen das Gleichheitsgebot verstößt. Im Lichte der dargelegten Rsp hegt der erkennende Senat nun auch gegen die Verfassungskonformität der hier anzuwendenden Bestimmungen keine Zweifel und sieht keine Veranlassung, den VfGH neuerlich zu befassen.

Soweit die Revision nunmehr eine verfassungskonforme Auslegung iS ihres Rechtsstandpunktes wünscht, genügt der Hinweis, dass auch eine solche Auslegung ihre Grundlage im Gesetz selbst haben muss; der äußerst mögliche Wortsinn des Gesetzes steckt dabei die Grenze jeglicher Auslegung ab. Die völlig klare gesetzliche Regelung lässt eine Interpretation dahin, dass sie auch auf Frauen wie die Kl anzuwenden wäre, deren Kind(er) vor dem 1.8.2019 geboren (adoptiert oder in unentgeltliche Pflege genommen) wurde(n), keinesfalls zu.

Auch die in der Revision ins Treffen geführte Unionsrechtswidrigkeit ist nicht erkennbar:

Eine Differenzierung zwischen Männern und Frauen treffen die hier fraglichen gesetzlichen Regelungen nicht: Ua für Rechtsansprüche des AN, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, gilt § 15f Abs 1 MSchG auch für Väter. Inwiefern das Gesetz selbst eine unsachliche geschlechtsspezifische Differenzierung vornähme, legt die Revision auch nicht konkret dar.

Auch eine Altersdiskriminierung ist nicht erkennbar; Stichtagsregelungen waren bereits Gegenstand der Rsp des EuGH zur RL 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf:

Nach dem Urteil vom 14.2.2019, C-154/18, Horgan/Keegan, ist eine Regelung, wonach bei der Einstellung 244 neuer Lehrkräfte ab einem bestimmten Zeitpunkt eine ungünstigere Entgeltskala und Einstufung zur Anwendung kommen als die, die gemäß den vor dieser Maßnahme geltenden Vorschriften bei vor diesem Zeitpunkt eingestellten Lehrkräften zur Anwendung gekommen sind, keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSd Art 2 Abs 2 lit b der Richtlinie.

Dies ist zwanglos auf eine Konstellation wie die vorliegende zu übertragen, wonach die Besserstellung auf die Verwirklichung eines Tatbestands vor oder nach dem Stichtag als einziges Kriterium abstellt, womit an ein vom Alter unabhängiges, objektives und neutrales Element angeknüpft wird. So wie der parallele Bestand unterschiedlicher vertraglicher Systeme nicht bedeutet, dass ältere Regelungen, die für andere Gruppen von vornherein nicht gelten, in Zukunft einzementiert bleiben müssen und keiner verschlechternden Veränderung mehr unterliegen können, gilt dasselbe, wenn stichtagsbezogen ein neues Besoldungssystem geschaffen wird, das in einzelnen Punkten nicht nur Verschlechterungen, sondern auch Verbesserungen vorsieht. Eine Differenzierung der Anrechnung von Karenzzeiten als Vordienstzeiten nach Maßgabe unterschiedlicher Geburtsdaten stellt hier auch keine Diskriminierung aufgrund des Alters oder eines an das Alter anknüpfenden Ereignisses dar.

Auch wenn man den Anwendungsbereich des Unionsrechts als eröffnet ansieht, bedarf es angesichts dieser geklärten Unionsrechtslage keiner neuerlichen Befassung des EuGH.