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Sexuelle Belästigung durch „Seniorchef“ – wer haftet?

GREGORKALTSCHMID

Nach herrschender Rsp hat die juristische Person für die sexuelle Belästigung durch ihr Vertretungsorgan (zB den Geschäftsführer einer GmbH) gem § 6 Abs 1 Z 1 GlBG einzustehen. Sie haftet als AG für eine sexuelle Belästigung iSd § 6 Abs 1 Z 1 GlBG aber auch dann, wenn der Belästiger, ohne Organ zu sein, kraft seiner Befugnisse und seiner Stellung gegenüber den anderen DN als zur selbständigen Ausübung von Unternehmer- und insb AG-Funktionen berechtigt ist und die sexuelle oder geschlechtsbezogene Belästigung damit in einem inneren Zusammenhang steht.

Sachverhalt

Die Kl war bei der Bekl von 13.7.2015 bis 15.3.2016 als Teilzeitangestellte beschäftigt. Sie hat das Dienstverhältnis mit Schreiben vom 26.1.2016 gekündigt.

Bei der bekl Gesellschaft mbH handelt es sich um ein Familienunternehmen, das von F* im Jahr 1985 gegründet worden war. F* war bis 2014 handelsrechtlicher Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Seit 2015 ist A*, Sohn der Ehegatten F* und C*, alleiniger Geschäftsführer der Bekl.

Am Vorstellungsgespräch der Kl, das am 10.7.2015 stattfand, nahmen sowohl der handelsrechtliche Geschäftsführer A* als auch seine Eltern F* und C* teil. Der Kl wurde gesagt, dass es sich um ein Familienunternehmen handle, das die Eltern aufgebaut hätten. F* sei der langjährige Geschäftsführer gewesen. Sein Sohn A* solle nun in diese Tätigkeit hineinwachsen. F* habe weiterhin leitende Aufgaben und sei es gewohnt, eine Chefsekretärin zu haben. Diese Tätigkeit solle die Kl ausüben.

F* war auch bei den regelmäßigen Besprechungen mit den Mitarbeitern anwesend. Er maßregelte immer wieder Mitarbeiter und trat auch dabei als Geschäftsführer auf. Die Mitarbeiter der Bekl betrachteten ihn als „Seniorchef“. Der Kl machte F* klar, dass er jederzeit dafür sorgen könne, dass sie gekündigt werde. Für die Kl war F* auch „offizieller Geschäftsführer“.

Während des Arbeitsverhältnisses wurde die Kl von F* sexuell belästigt.

Verfahren und Entscheidung

Mit ihrer Kl begehrte die Kl (soweit für das Revisionsverfahren noch relevant) von der Bekl infolge einer – im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen – erlittenen sexuellen Belästigung durch F*, gestützt auf §§ 6 und 12 GlBG, Schadenersatz von € 10.000,-. Der „Seniorchef“ F* sei der Bekl als faktischer Geschäftsführer zuzurechnen.

Die Bekl bestritt und wandte ein, dass ihr das Verhalten von F* nicht zuzurechnen sei. F* sei zum Zeitpunkt der sexuellen Belästigungen nicht mehr Geschäftsführer der Bekl gewesen, sondern lediglich deren Gesellschafter. Bei Ausspruch der Kündigung am 27.1.2016 habe der Geschäftsführer der Bekl von den Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen seinen Vater nichts gewusst.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit € 10.000,- sA statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Als DG würden bei juristischen Personen nur die vertretungsbefugten Organe, also diejenigen, die die Verantwortung für das gesamte Unternehmen tragen, gelten. Diesen gleichgestellt seien jene Personen, die Kraft ihrer Befugnisse 382und ihrer Stellung gegenüber den anderen DN als zur selbständigen Geschäftsführung berufene Stellvertreter anzusehen seien. Dies sei hier nicht der Fall.

Gegen diese Entscheidung erhob die Kl eine außerordentliche Revision. Der OGH erachtete die Revision als zulässig und berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[…]

2. Gemäß § 6 Abs 1 Z 1 GlBG liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, wenn eine Person vom Arbeitgeber selbst sexuell belästigt wird. In diesem Fall hat die betroffene Person gegenüber dem Belästiger nach § 12 Abs 11 erster Satz GlBG Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens.

3. Nach herrschender Rechtsprechung hat die juristische Person für die sexuelle Belästigung durch ihr Vertretungsorgan (zB den Geschäftsführer einer GmbH) gemäß § 6 Abs 1 Z 1 GlBG einzustehen […]. Sie haftet als Arbeitgeber für eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 6 Abs 1 Z 1 GlBG aber auch dann, wenn der Belästiger, ohne Organ zu sein, kraft seiner Befugnisse und seiner Stellung gegenüber den anderen Dienstnehmern als zur selbständigen Ausübung von Unternehmer- und insbesondere Arbeitgeberfunktionen berechtigt ist (vgl 9 ObA 118/11k = DRdA 2013/7 [Mayr]; RS0029091) und die sexuelle oder geschlechtsbezogene Belästigung damit in einem inneren Zusammenhang steht (Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 [2021] § 6 E.5; 9 ObA 66/20a; RS0127723). Diese Rechtsprechung wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

4.1. Im Anlassfall sind die von der Rechtsprechung entwickelten Zurechnungskriterien erfüllt. Nach den Feststellungen wurde F* der Kl schon beim Vorstellungsgespräch im Beisein des handelsrechtlichen Geschäftsführers der Bekl als eine Person mit leitenden Aufgaben im Unternehmen präsentiert. Die Kl sollte als seine „Chefsekretärin“ fungieren. Damit war auch klargestellt, dass F* „der Chef“ oder zumindest „ein Chef“ bei der Bekl war. Dass es sich bei der Bezeichnung von F* als „Seniorchef“ nicht nur um einen bloßen Ehrentitel handelte, zeigte sich auch an den weiteren Feststellungen. F* war nahezu täglich im Unternehmen präsent. Er prüfte die ihm von der Buchhaltung vorgelegten Rechnungen, gab – allenfalls nach Rücksprache mit seinem Sohn – Geld und Rechnungen frei und überprüfte mit dem Salesteam die Lieferungen. Der in der Revisionsbeantwortung hervorgehobene Umstand, dass bei aufgetretenen Unregelmäßigkeiten eine weitere Kontrolle oder Rücksprache mit dem Sohn erfolgt wäre, nimmt der Rolle als „Seniorchef“ nicht deren Bedeutung und Außenwirkung. F* trat auch gegenüber Kunden als Geschäftsführer der Bekl auf.

4.2. F* trat auch nach innen gegenüber Mitarbeitern wie ein Chef und Arbeitgeber auf. Er nahm an den regelmäßig stattfindenden Mitarbeiterbesprechungen teil und maßregelte auch immer wieder Mitarbeiter. Er machte auch der Kl klar, dass er jederzeit dafür sorgen könne, dass sie gekündigt werde. Daran, dass er dies auch durchsetzen könne, bestand nach dem gelebten Arbeitsverhältnis kein Zweifel. Die Mitarbeiter der Bekl betrachteten F* als „Seniorchef“, ohne dass dies von seinem Sohn jemals in Frage gestellt wurde. Die Tätigkeiten des F*, mit denen er im Alltag der Beklagten auch Arbeitgeberfunktionen ausübte, entsprachen den Vorstellungen seines Sohnes, der erklärtermaßen in diese Rolle erst hineinwachsen sollte.

5. […] Der Revision der Klägerin ist somit Folge zu geben und dem Klagebegehren in Abänderung der klagsabweisenden Berufungsentscheidung stattzugeben.“

Erläuterung

Gem § 6 GlBG liegt eine verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, wenn eine Person

  • 1.

    vom/von der AG selbst sexuell belästigt wird,

  • 2.

    durch den/die AG dadurch diskriminiert wird, indem er/sie es schuldhaft unterlässt, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (Z 3) eine auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen,

  • 3.

    durch Dritte in Zusammenhang mit seinem/ihrem Arbeitsverhältnis belästigt wird oder

  • 4.

    durch Dritte außerhalb eines Arbeitsverhältnisses (§ 4) belästigt wird.

Im vorliegenden Verfahren musste sich die Kl bereits im Vorfeld des Verfahrens Gedanken machen, bei wem sie ihre Ansprüche aufgrund der sexuellen Belästigung geltend machen soll. Es wäre natürlich einfach gewesen, F* direkt in Anspruch zu nehmen und die Klage auf eine Diskriminierung gem § 6 Abs 1 Zi 3 GlBG zu stützen. Als Dritte iSd § 6 leg cit kommen alle von AG und belästigter AN verschiedenen Personen in Betracht. Es spielt keine Rolle, ob ein Über- oder Unterordnungsverhältnis besteht. Die Kl hätte also jedenfalls ihre Ansprüche auch gegenüber F* geltend machen können.

In der Praxis stellt sich jedoch oftmals das Problem, dass die dritte Person die geltend gemachten Ansprüche selbst bei erfolgreicher Prozessführung gar nicht befriedigen kann. Zumindest kann die belästigte Person im Vorfeld eines Prozesses nicht immer wissen, wie es um die Liquidität des potenziellen Gegners steht.

Nachdem bereits vor dem vorliegenden Verfahren sowohl Lehre als auch Judikatur von einer Haf383tung einer juristischen Person für das Verhalten nicht nur von vertretungsbefugten Organen, sondern auch für Personen, welche aufgrund ihrer Befugnisse Unternehmer- und insb AG-Funktionen ausüben, ausgingen, konnte die Kl ihre Ansprüche auch gegenüber der AG geltend machen.