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Beobachtungszeitraum für die Prüfung des Berufsschutzes beginnt mit dem Ende der ersten Ausbildung

MONIKAWEISSENSTEINER

Der 1990 geborene Kl erlernte von September 2005 bis Februar 2009 den Beruf Elektroanlagentechniker, in dem er dann noch drei Monate tätig war. Von September 2010 bis August 2013 absolvierte er die Ausbildung zum Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger und arbeitete 44 Versicherungsmonate in diesem Beruf.

Sein Antrag vom 12.7.2018 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension wurde mit Bescheid abgelehnt.

Im Sozialgerichtsverfahren wurde festgestellt, dass er auf Grund seiner massiven gesundheitlichen Einschränkungen weder als Elektroanlagentechniker noch als Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger weiterarbeiten kann. Dennoch wiesen die Instanzen sein Klagebegehren auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab. Da zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Stichtag weniger als 15 Jahre lägen, müsse zumindest in der Hälfte der Kalendermonate, jedenfalls aber für zwölf Pflichtversicherungsmonate eine berufsschutzerhaltende Tätigkeit ausgeübt worden sein. Im Beobachtungszeitraum vom Abschluss der ersten Berufsausbildung bis zum Stichtag, der 114 Monate umfasse, würden jedoch nicht die erforderlichen 57, sondern nur 47 qualifizierte Versicherungsmonate vorliegen, weshalb dem Kl kein Berufsschutz zukomme und er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Der OGH hält die Revision zur Klarstellung der Rechtslage für zulässig, aber nicht für berechtigt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens war die Frage, ob der Beobachtungszeitraum für die sogenannte „Hälfteregelung“ (§ 255 Abs 2 3. Satz ASVG) mit dem Abschluss der ersten Berufsausbildung beginnt (Standpunkt der Bekl) oder mit dem Abschluss einer kurz nach Eintritt ins Erwerbsleben absolvierten zweiten Berufsausbildung (Standpunkt des Kl). Diese Frage wird vom OGH wie folgt beantwortet:

Berufsschutz gem § 255 Abs 1 ASVG liegt in Fällen, in denen seit dem Ende der Ausbildung und dem Stichtag weniger als 15 Jahre liegen, dann vor, wenn zumindest in der Hälfte der Kalendermonate, jedenfalls aber zwölf Versicherungsmonate eine qualifizierte Berufstätigkeit ausgeübt wurde. Als „Ende der Ausbildung“ gelten etwa der Lehrabschluss, der Abschluss einer mittleren oder höheren Schulausbildung oder einer Hochschulausbildung, jedenfalls aber der Beginn einer Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellter (§ 255 Abs 2a ASVG). Zweck der Novellierung des § 255 ASVG durch das BudgetbegleitG 2011 war, künftig grundsätzlich nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufs zu schützen, ausnahmsweise aber auch jüngeren Versicherten, die nicht die Möglichkeit hatten, 90 qualifizierte Monate zu erwerben, die Gelegenheit zu bieten, Berufsschutz zu erlangen, wenn sie zumindest die Hälfte der Zeit in einer (oder mehreren) der erlernten qualifizierten Tätigkeiten gearbeitet haben. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nach Ansicht des OGH, dass die „Beobachtungsjahre“ (15 Kalenderjahre oder „Hälfteregelung“) vom Stichtag zurück bis zum Abschluss der ersten berufsschutzbegründenden Ausbildung, nach der die versicherte Person ins Berufsleben eintritt, zu rechnen sind. Die sogenannte Hälfteregelung stellt eine spezielle Regelung für junge Versicherte dar, bei denen zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Stichtag weniger als 15 Jahre liegen und denen daher der Erwerb der Mindestversicherungszeit einer qualifizierten Erwerbstätigkeit von vornherein nicht möglich war; nur in diesem Fall genügt ausnahmsweise das Vorliegen einer qualifizierten Tätigkeit in der Hälfte der Monate. Die Regelung ist 40 als Ausnahme von der Grundregelung zu sehen und daher vor diesem Hintergrund bei wertender Betrachtung einschränkend auszulegen.

Eine andere Auslegung stünde zudem im Widerspruch mit dem Gesetzeszweck einer Verschärfung der Bestimmungen zur Erlangung von Berufsschutz und sei darüber hinaus auch sachlich nicht zu rechtfertigen. Ließe man den Beobachtungszeitraum ab Abschluss der zweiten Berufsausbildung neu beginnen, wäre der Beobachtungszeitraum wesentlich verkürzt (im Fall des Kl von 114 Kalendermonaten auf 59 Kalendermonate). Dem Kl käme Berufsschutz schon dann zu, wenn er bis zum Stichtag, bezogen auf diesen verkürzten Beobachtungszeitraum zumindest in der Hälfte der Kalendermonate, zumindest aber zwölf Monate im zweiten Beruf gearbeitet hat. Demgegenüber müssten Versicherte, die – wie vom Gesetzgeber als Regelfall ins Auge gefasst – mit etwa 18 Jahren eine (einzige) Berufsausbildung abgeschlossen haben, bei einem kürzeren als 15-jährigen (aber „ungeteilten“) Beobachtungszeitraum bis zum jeweiligen Stichtag zumindest in der Hälfte der Kalendermonate (zumindest aber zwölf Monate) im erlernten Beruf tätig sein. Diese Auslegung würde einen Versicherten in der Situation des Kl deutlich und in sachlich nicht begründbarer Weise begünstigen. Bevorzugt wäre der Kl bei der gegenteiligen Auslegung auch gegenüber Versicherten, die nicht schon kurz nach Eintritt ins Erwerbsleben, sondern erst im fortgeschrittenen Alter – somit nach Vorliegen von mehr als 15 Versicherungsjahren – die zweite Ausbildung begonnen haben.

Die Vorinstanzen haben daher das Klagebegehren zu Recht abgewiesen.