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Rahmenfristerstreckung um neutrale Monate

FRANJOMARKOVIC

Die Verlängerung des Rahmenzeitraums um die in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag gelegenen neutralen Monate gem § 236 Abs 3 ASVG hat zur Konsequenz, dass maximal 120 neutrale Monate (die in die Rahmenfrist fallen) berücksichtigbar sind, also die Rahmenfristverlängerung grundsätzlich mit der Dauer der Rahmenfrist beschränkt ist. Allenfalls davorliegende weitere neutrale Monate können nicht mehr begünstigend (die Rahmenfrist erstreckend) wirken.

SACHVERHALT

Der Kl hat von September 1985 bis zum 1.6.2016 (Stichtag für die Invaliditätspension) insgesamt 105 Versicherungsmonate nach dem ASVG erworben (davon 64 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 41 Monate Ersatzzeiten). Im genannten Zeitraum liegen beim Kl (neben Zeiten, in denen keine Versicherungsmonate erworben wurden) 201 neutrale Monate infolge Bezugs einer Invaliditätspension.

In den Zeitraum 1.6.2006 bis 31.5.2016 (somit in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag) fallen 16 Versicherungsmonate und 77 neutrale Monate; die restlichen 124 neutralen Monate entfallen auf den Zeitraum Jänner 1996 bis April 2006.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies die gegen den abweisenden Bescheid der bekl Pensionsversicherungsanstalt gerichtete Klage auf Zuerkennung der Invaliditätspension mangels Erfüllung der Wartezeit ab. […]

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, eine neuerliche Erstreckung der bereits einmal um die neutralen Zeiten erstreckten Rahmenfrist um die in die bereits erstreckte Rahmenfrist fallenden neutralen Zeiten finde im Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG keine Stütze, entspreche der bisherigen Rsp des OGH.

Der Revision wurde nicht Folge gegeben.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.3.2 § 236 Abs 3 ASVG regelt die zeitlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von neutralen Monaten für die Verlängerung der Wartezeit (Sonntag, ASVG8 § 234 Rz 1). Es sollen jene neutralen Monate den Rahmenzeitraum für die Erfüllung der Wartezeit erstrecken, die in den Rahmenzeitraum fallen.

2. Nach § 236 Abs 1 Z 1 lit a iVm Abs 2 Z 1 ASVG ist demnach zunächst der Rahmenzeitraum nach § 236 Abs 2 ASVG unter Berücksichtigung allfälliger neutraler Monate zu ermitteln.32

Dabei sind grundsätzlich drei Varianten der Rahmenfristerstreckung denkbar.

– a) Eine Erstreckung der bereits erstreckten Rahmenfrist um alle jeweils erworbenen neutralen Monate unabhängig von deren zeitlichen Lagerung (wie der Kläger offenbar in erster Linie meint). Diese Auslegung kommt nicht in Betracht, weil sie mit dem Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG (,Fallen in die Zeiträume gemäß Abs 2 neutrale Monate [§ 234] ...‘) nicht vereinbar ist.

– b) Eine Verlängerung des Rahmenzeitraums um die in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag gelegenen neutralen Monate (wovon die Vorinstanzen ausgegangen sind).

– c) Eine neuerliche Erstreckung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um die in den Verlängerungszeitraum hineinfallenden neutralen Monate (welche Möglichkeit der Kläger offenbar ebenfalls für sich in Anspruch nehmen will).

Zu b) Eine Verlängerung des Rahmenzeitraums um die in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag gelegenen neutralen Monate hat zur Konsequenz, dass maximal 120 neutrale Monate (die in die Rahmenfrist fallen) berücksichtigbar sind, also die Rahmenfristverlängerung grundsätzlich mit der Dauer der Rahmenfrist beschränkt ist. Allenfalls davorliegende weitere neutrale Monate können nicht mehr begünstigend (die Rahmenfrist erstreckend) wirken, sodass unter Umständen nicht alle erworbenen Versicherungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit angerechnet werden können. Insofern bleibt die begünstigende Wirkung der Rahmenfristverlängerung um neutrale Monate zeitlich beschränkt. […]

Zu c) Anders verhält es sich, wenn man davon ausgehen wollte, vom Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG sei auch eine neuerliche Erstreckung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um die in den Verlängerungszeitraum fallenden neutralen Monate umfasst:

Beim Kläger erstreckt sich die um die 77 neutralen Monate verlängerte Rahmenfrist vom 1.6.2006 bis zum 1.1.2000 zurück. Auch in diesem Verlängerungszeitraum (,erster Verlängerungszeitraum‘) liegen […] 76 Monate des Bezugs einer Invaliditätspension (neutrale Monate) sowie ein weiterer Monat (Mai 2006), der kein Versicherungsmonat ist. Diese 76 neutralen Monate würden den ,ersten Verlängerungszeitraum‘ neuerlich verlängern, sodass sich ein ,zweiter Verlängerungszeitraum‘ ergäbe, der vom 1.1.2000 bis 1.9.1993 zurückreicht. In diesen zweiten Verlängerungszeitraum fallen […] wiederum 48 Monate des Bezugs der Invaliditätspension (ab Jänner 1996). Diese 48 neutralen Monate würden auch den ,zweiten Verlängerungszeitraum‘ verlängern und zwar von 1.9.1993 rückreichend bis 1.9.1989, in welchen ,dritten Verlängerungszeitraum‘ nach den Feststellungen 33 Versicherungsmonate fallen. Erst wenn man auf den auf diese Weise von 1.9.1989 bis 31.5.2016 – also auf insgesamt mehr als 26 Jahre – erstreckten Rahmenzeitraum abstellen wollte, wäre das Erfordernis von im Rahmenzeitraum liegenden 60 Versicherungsmonaten letztendlich erfüllt (16 + 23 + 33).

3.1 In der Entscheidung 10 ObS 198/04x, SSVNF 19/16 wurde (zusammengefasst) ausgeführt, dass eine derartige Auslegung der Bestimmung des § 236 Abs 3 ASVG nicht nur im Gesetzeswortlaut keine Stütze findet, sondern auch dem Zweck der Regelung des § 236 Abs 2 ASVG, nämlich der Sicherstellung eines gewissen zeitlichen Naheverhältnisses des Antragstellers zur Versichertengemeinschaft zuwiderlaufen würde (RIS-Justiz RS0084845). Nur dann, wenn bereits durch den Erwerb eines bestimmten Mindestmaßes an Versicherungszeiten (§ 236 Abs 4 ASVG) ein qualifiziertes Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde, soll sich der Umstand, dass diese nicht in dem in § 236 Abs 2 ASVG festgelegten Ausmaß in den dort bestimmten Rahmenzeitraum fallen, nicht nachteilig auswirken. Eine nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG, wenn auch in die Verlängerung des Rahmenzeitraums neutrale Zeiten fallen, kommt daher nicht in Betracht (OGH10 ObS 198/04x, SSV-NF 19/16; RIS-Justiz RS0119722). […]

3.2 Panhölzl in SV-Komm ([118. Lfg] § 236 ASVG Rz 39 ff) vertritt demgegenüber die Ansicht, die gesetzliche Formulierung schließe bei extensiverer Auslegung eine nochmalige Wartezeitverlängerung nicht aus. […]

3.3 Dem ist entgegenzuhalten, dass eine in diese Richtung gehende klar festellbare, dokumentierte Absicht des Gesetzgebers der 40. ASVG-Novelle BGBl 1984/484 (mit der die Dritteldeckung durch Rahmenfristen abgelöst wurde) weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus den Gesetzesmaterialien ableitbar ist. […]

3.4 Auch eine systematische Auslegung lässt keine sichere Schlussfolgerung darauf zu, dass § 236 Abs 3 ASVG die zeitlichen Voraussetzungen für einen neutralen Monat nicht auf eine einmalige Rahmenfristverlängerung beschränkt, sondern mittels mehrfacher Verlängerungen des Rahmenzeitraums neutralen Zeiten […] begünstigende Wirkung zuerkennt:

3.4.1 Nach § 236 Abs 4 Z 1 ASVG (,ewige Anwartschaft‘) müssen die notwendigen Versicherungsmonate nicht in einem bestimmten Zeitraum liegen, sondern sind unabhängig von ihrer zeitlichen Lagerung zu berücksichtigen. Dies setzt aber voraus, dass bereits durch den Erwerb eines bestimmten Mindestmaßes an Versicherungszeiten ein qualifiziertes Nahe-33verhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde. Nur wenn dieses qualifizierte Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde, soll sich der Umstand, dass diese nicht in dem in § 236 Abs 2 ASVG festgelegten Ausmaß in den dort bestimmten Rahmenzeitraum fallen, nicht nachteilig auswirken (siehe bereits 10 ObS 198/04x, SSV-NF 19/16). 3.4.2 Nach § 236 Abs 4 Z 3 ASVG wird die Wartezeit für in jungen Jahren invalid bzw berufsunfähig gewordene Versicherte auch dann als erfüllt angesehen, wenn der Versicherungsfall vor dem 27. Geburtstag eingetreten ist und der Versicherte bis zur Erreichung dieses Alters sechs Versicherungsmonate aufweist, gleichgültig wann der Pensionsantrag gestellt wird. § 236 Abs 4 Z 3 ASVG könnte demnach auch darauf hinweisen, der Gesetzgeber gehe in generalisierender Betrachtungsweise davon aus, dass nicht diesem begünstigten Personenkreis angehörende Versicherte (wie etwa der Kläger) in der Regel in der Lage sind, die für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungs- bzw Beitragsmonate zu erwerben (OLG Wien 9 Rs 43/08, SV-Slg 55.722).

4.1 Wie bereits die Vorinstanzen ausgeführt haben, kann der Revisionswerber für seinen Standpunkt auch aus der Entscheidung 10 ObS 143/15z nichts ableiten. Diese Entscheidung betrifft nicht die Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 2 ASVG durch neutrale Zeiten (§ 236 Abs 3 ASVG), sondern die Verlängerung des 15-jährigen Rahmenzeitraums nach § 255 Abs 2 ASVG (in dem mindestens 90 Pflichtversicherungsmonate einer qualifizierten Erwerbstätigkeit als Angestellter oder nach § 255 Abs 1 ASVG vorliegen müssen) durch Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a ASVG (Zeiten des Wochengeldbezugs), lit d und e (Zeiten des Präsenz- und Zivildienstes) und lit g (Kindererziehungszeiten). Nach dieser Entscheidung verlängern den 15-jährigen Rahmenzeitraum (in erster Linie) diejenigen Zeiten der angeführten Qualifikation, die innerhalb dieses Rahmenzeitraums gelegen sind. Liegen aber im ersten Verlängerungszeitraum wiederum Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG, verlängern diese nochmals den (bereits verlängerten) Rahmenzeitraum. Diese nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraums findet ihre Begründung darin, dass die Rahmenfristerstreckung um die vom Gesetzgeber als schützenswert angesehenen Gründe (Kindererziehung, Präsenz- oder Zivildienst etc) im Zusammenhang damit steht, dass in diesen speziellen Zeiten dem qualifizierten Beruf nicht nachgegangen werden konnte. Die Wertung des Gesetzgebers, weshalb die genannten Zeiten dennoch zu keinem Nachteil für die Versicherten beim Erwerb bzw Erhalt des Berufsschutzes führen sollen, trifft in gleicher Weise auf im ,Verlängerungszeitraum‘ gelegene Zeiten der Kindererziehung, des Präsenz- oder Zivildienstes etc und – kraft Analogie – auch auf Zeiten des Bezugs einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu.

4.2 Diese Aussage ist auf die Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 3 ASVG nicht übertragbar, weil § 236 Abs 3 ASVG eine zeitliche Beschränkung für die Berücksichtigung von neutralen Zeiten enthält und eine klare Absicht des Gesetzgebers der 40. ASVG-Novelle nicht erkennbar ist, dennoch die zuvor (unbeschränkt) begünstigende Wirkung der neutralen Zeiten aufrechtzuerhalten, indem nun eine mehrmalige Verlängerung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um in die Verlängerung des Rahmenzeitraums fallende neutrale Zeiten ermöglicht wird. […]

7. Zusammenfassend ist daran festzuhalten, dass eine nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 246 Abs 2 Z 1 ASVG, wenn auch in die Verlängerung des Rahmenzeitraums neutrale Zeiten fallen, (weiterhin) nicht in Betracht kommt. Sie findet im Gesetzeswortlaut des § 236 Abs 3 ASVG keine Stütze und ist auch im Wege der systematischen und historisch-teleologischen Auslegung nicht erzielbar. Wenn aber die Ausdrucksweise des Gesetzes in seinem wörtlichen (nächstliegenden) Verständnis keine offenbaren Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provoziert, weil sie mit vorhandenen Wertungen konsistent ist, ist es nicht Aufgabe der Gerichte, durch eine weite Interpretation rechtspolitische oder wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, Gesetzesänderungen vorzunehmen. Allenfalls als unbefriedigend erachtete Gesetzesbestimmungen zu ändern oder zu beseitigen ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung (RIS-Justiz RS0009099). Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich dem Gesetzgeber obläge, steht den Gerichten nicht zu (RIS-Justiz RS0008866 [T16]).“

ERLÄUTERUNG

Die Wartezeit für eine Leistung aus der PV ist erfüllt, wenn am Stichtag eine bestimmte Anzahl an Versicherungsmonaten vorliegt. Wenn der Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, sind für die Erfüllung der Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit 60 Versicherungsmonate notwendig, wobei diese innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag (Rahmenfrist) erworben werden müssen. Fallen in die Rahmenfrist neutrale Monate34(zB der Bezug einer Invaliditätspension), so verlängert sich die Rahmenfrist um diese Monate.

Obwohl die Rahmenfrist bereits um die neutralen Monate verlängert wurde, lagen beim Kl im konkreten Fall nicht ausreichend Versicherungsmonate vor; es lagen im verlängerten Rahmenzeitraum aber weitere neutrale Monate vor. Der OGH hatte zu klären, ob diese neutralen Monate zu einer weiteren Erstreckung der Rahmenfrist führen.

Grundsätzlich kommen drei Varianten der Rahmenfristerstreckung in Frage. Dass sämtliche neutralen Monate, unabhängig ihrer zeitlichen Lagerung, zu einer Erstreckung führen, schließt der OGH aus, weil diese Auslegung schon mit dem Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG nicht vereinbar ist. Auch für die zweite Variante – eine neuerliche Erstreckung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um die in den Verlängerungszeitraum hineinfallenden neutralen Monate – findet sich nach Ansicht des OGH weder im Gesetzeswortlaut noch im Wege der systematischen und historisch-teleologischen Auslegung eine Stütze. Dem Hinweis von Panhölzl, dass die gesetzliche Formulierung bei extensiver Auslegung eine nochmalige Wartezeitverlängerung nicht ausschließe, entgegnet der OGH, dass Gesetzeswortlaut und -materialien keinen sicheren Schluss auf eine entsprechende Absicht des Gesetzgebers zuließen und die Beseitigung oder Änderung unbefriedigend erachteter Gesetzesbestimmungen nicht Sache der Rsp, sondern der Gesetzgebung sei. Auch der Hinweis, dass die Erstreckung der Rahmenfrist in der Frage des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG bei Vorliegen von neutralen Monaten mehrmals möglich ist, konnte den OGH nicht überzeugen, weil diese Bestimmung, anders als § 236 Abs 3 ASVG, keine ausdrückliche zeitliche Beschränkung für die Berücksichtigung neutraler Zeiten enthält.

Der OGH hat sich schließlich für die dritte Variante entschieden. Eine Verlängerung des Rahmenzeitraums ist nur im Ausmaß der in diesem Zeitraum liegenden neutralen Monate möglich, wobei die Rahmenfristverlängerung mit der Dauer der Rahmenfrist beschränkt ist. Die Rahmenfrist kann somit um höchstens 120 Monate verlängert werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Rahmenfristerstreckung nach § 236 Abs 3 ASVG nur einmal möglich ist, eine weitere Verlängerung um neutrale Monate, die in den verlängerten Rahmenzeitraum fallen, kommt nicht in Betracht.