51

Keine Sozialwidrigkeit einer Kündigung bei Erreichen des Regelpensionsalters und Anspruch auf Höchstpension

 ANNALISAENGELHART (SALZBURG)
  1. Bei Erreichen des Regelpensionsalters und Anspruch auf Regelpension ist der Kündigungsschutz nicht schon generell und jedenfalls auszuschließen, doch ist wegen der vom Gesetzgeber tolerierten Einkommenseinbußen, die mit jeder Pensionierung verbunden sind, und der Vorhersehbarkeit der Kündigung bei Erreichung des Regelpensionsalters bei Prüfung der Interessenbeeinträchtigung ein strenger Maßstab anzulegen.

  2. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein vom Sozialrechtsgesetzgeber angenommener Grenzbetrag für die Regelpension, den der AN im Normalfall nicht mehr beeinflussen kann, trotz der sonst gebotenen subjektiven Betrachtungsweise eine Grenze der Sozialwidrigkeit bedeutet.

  3. Dass es dem Gekündigten dessen ungeachtet möglich ist, durch längere Arbeit eine höhere Gesamtpension zu erzielen, ändert daran nichts.

Der Kl ist seit 1.1.2004 beim Bekl als Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 13.5.2013 kündigte der Bekl das Arbeitsverhältnis zum 31.8.2014 auf. Der BR hatte der Kündigung widersprochen. Der Kl bezog zuletzt ein Gehalt, das unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen umgerechnet auf 12 Monate 4.205 EUR netto monatlich betrug. Ab 1.9.2014 hat er Anspruch auf eine ASVG-Regelpension, diese betrug ab 1.1.2015 monatlich 2.894 EUR brutto. Darüber hinaus hat er Anspruch auf eine betriebliche Pension von 368,22 EUR brutto 14-mal jährlich. Unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen ergibt sich umgerechnet auf 12 Monate ein Durchschnittseinkommen von monatlich 2.722 EUR netto. Bei einem Pensionsantritt zum 1.9.2015 würde sich dieser Betrag auf 2.947 EUR netto erhöhen. Bei einem Pensionsantritt zum 1.9.2016 auf 3.089,92 EUR netto. Die monatlichen Fixkosten des Kl liegen bei 1.499,61 EUR, die laufenden Kosten für Kleidung, Essen, Benzin etc bei 1.000 EUR monatlich. Der Kl hat Anspruch auf eine Abfertigung von 71.211,87 EUR netto. Aus der Mitarbeitervorsorgekasse wurden ihm 12.000 EUR ausbezahlt, da die Beiträge für den Rentenbezug zu gering waren. Es ist davon auszugehen, dass der Kl auch bei intensiver persönlicher Arbeitsplatzsuche mit hoher Wahrscheinlichkeit ab September 2014 innerhalb von 12 Monaten keinen seiner Qualifikation und bisherigen Tätigkeit vergleichbaren unselbständigen Arbeitsplatz finden kann. Es kann jedoch mit Wahrscheinlichkeit (ca 60 %) angenommen werden, dass er bei entsprechendem Einsatz ein monatliches Durchschnittseinkommen von zumindest ca 800 EUR netto 12-mal jährlich aus selbständiger Tätigkeit (Beiträge für verschiedene Medienunternehmen) erzielen kann. Der Dienstposten des Kl wurde nicht nachbesetzt. [...] Der Kl begehrt die Unwirksamerklärung der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung, diese sei sozialwidrig. [...] Der Bekl bestritt und brachte vor, die ASVG-Pension des Kl sei ab 1.9.2014 nur geringfügig unter der ASVG-Höchstpension. [...]

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...]

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Bekl gab das Berufungsgericht nicht Folge. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Klarstellung zulässig und auch berechtigt.

1. Bei einer Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist im ersten Schritt zu prüfen, ob dem AN durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die „normale“ Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (vgl RIS-Justiz RS0051727 [T8, T11, T13]). In die Untersuchung, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt werden, ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern vielmehr die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des AN, wie Einkommen, Vermögen, Sorgepflichten etc einzubeziehen (RIS-Justiz RS0051806; RS0051741). Es sind alle wirtschaftlichen und sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu gewichten (RIS-Justiz RS0110944).

Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist dann erfüllt, wenn die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne dass aber schon eine soziale Notlage oder Existenzgefährdung eintreten müsste (RIS-Justiz RS0051727 [T3]). Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss jeder AN im Laufe seines Arbeitslebens dagegen hinnehmen (RIS-Justiz RS0051727 [T2]).

2. Bei Erreichen des Regelpensionsalters und Anspruch auf Regelpension ist der Kündigungsschutz nicht schon generell und jedenfalls auszuschließen, doch ist wegen der vom Gesetzgeber tolerierten Einkommenseinbußen, die mit jeder Pensionierung verbunden sind, und der Vorhersehbarkeit der Kündigung bei Erreichung des Regelpensionsalters bei Prüfung der Interessenbeeinträchtigung ein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0119456). [...] Ein überdurchschnittliches Einkommen rechtfertigt in der Regel prozentuell höhere Einkommensverluste als ein an sich schon niedriges Einkommen. Wesentlich ist immer, ob der AN seine Lebenserhaltungskosten aus der Pension (bzw aus sonstigen berücksichtigungswürdigen Quellen) decken kann. Das wird bei AN, die ein Einkommen erzielen, das deutlich über der Höchstbemessungsgrundlage liegt, jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn sie die mögliche „Höchstpension“ beziehen. [...]

In der E 8 ObA 53/04h, in der im Wesentlichen diese Grundsätze entwickelt und in Auseinan-489dersetzung mit der einschlägigen Literatur und Judikatur dargestellt wurden, wurde eine derartige Interessenbeeinträchtigung trotz Erreichung des Regelpensionsalters bejaht, weil die Nettoeinkommenseinbuße der dortigen Kl rund 50 % betrug und die Pension nur ihre Fixkosten abdeckte.

In der E 9 ObA 54/12z wurde darauf verwiesen, dass eine Einkommenseinbuße von 30 % bei einem geringeren Einkommen für die Wesentlichkeit der Interessenbeeinträchtigung ausschlaggebend sein könne, dagegen dies bei einem höheren Einkommen noch nicht der Fall sein müsse. Trotz Einkommenseinbußen von 40 % verblieben dem dortigen Kl [...] nach Abzug der Ausgaben ca 900 EUR. Bei dieser finanziellen Situation sei der Kl aber nach den Grundsätzen der Rsp jedenfalls abgesichert und zur Aufrechterhaltung seiner Existenz auch nicht auf sein Arbeitseinkommen aus dem Dienstverhältnis angewiesen. [...]

3. Im vorliegenden Fall wurde der Kl zu einem Zeitpunkt gekündigt, zu dem er das Regelpensionsalter erreicht hatte und ein Anspruch auf Alterspension bestand. Die Möglichkeit, einen vergleichbaren Arbeitsplatz in absehbarer Zeit zu finden, besteht nicht.

Dem bei aufrechter Beschäftigung (umgerechnet auf 12 Monate) zu erzielenden monatlichen Nettoeinkommen von 4.205 EUR (inklusive Betriebspension) steht ein Pensionseinkommen von 2.722 EUR gegenüber [...]. Berücksichtigt man weiters den vom Berufungsgericht richtigerweise hinzugerechneten Zinsertrag aus der Abfertigung von 60 EUR bis 90 EUR monatlich und weiters den Zinsertrag aus der Auszahlung aus der Mitarbeitervorsorgekasse von ca 10 EUR bis 15 EUR, also durchschnittlich 90 EUR monatlich, ergibt sich ein monatlich zu berücksichtigender Betrag von 2.812 EUR. Der Einkommensverlust beträgt daher ca 33 %.

Ausgehend von den Fixkosten und den festgestellten laufenden Kosten von insgesamt 2.500 EUR verbleiben dem Kl monatlich 312 EUR.

Auch nach Wegfall des Aktivbezugs ist ihm daher die Abdeckung seiner Lebenserhaltungskosten grundsätzlich möglich, ohne dass eine Einbeziehung der Abfertigung oder eine Berücksichtigung der Möglichkeit, aus selbständiger Tätigkeit Nebeneinkünfte zu erzielen, erforderlich ist.

Zu Recht hat der Bekl auch darauf hingewiesen, dass die vom Kl insgesamt bezogene Pension (ASVG-Pension und Betriebspension) über der Höchstpension nach dem ASVG liegt. Diese betrug [...] 80 % der Höchstbemessungsgrundlage 2014 3.135,94 EUR brutto (Höchstbemessungsgrundlage auf Basis der „besten 26 Jahre“ 3.919,93 EUR) und 2015 3.226,50 EUR brutto (Höchstbemessungsgrundlage auf Basis der „besten 27 Jahren“: 4.033,14 EUR). Es muss jedoch – wie bereits ausgeführt – davon ausgegangen werden, dass ein vom Sozialrechtsgesetzgeber angenommener Grenzbetrag für die Regelpension, den der AN im Normalfall nicht mehr beeinflussen kann, trotz der sonst gebotenen subjektiven Betrachtungsweise [...] eine Grenze der Sozialwidrigkeit bedeutet.

Dass es dem Kl (aufgrund des Bezugs einer betrieblichen Pension) dessen ungeachtet möglich ist, durch längere Arbeit eine höhere Gesamtpension zu erzielen, ändert daran nichts.

Bei Betrachtung der Gesamtumstände ist daher hier nicht davon auszugehen, dass der Kl durch die Kündigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG in wesentlichen Interessen beeinträchtigt wäre. Daher erübrigt sich eine Prüfung der Betriebsbedingtheit der Kündigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG.

4. Der Kl hat sich auch noch auf eine Diskriminierung wegen des Alters berufen. Nach der Rsp des EuGH entspricht es einem legitimen Ziel, aus beschäftigungspolitischen Gründen AN mit Erreichung des gesetzlichen Pensionsalters zu kündigen, auch um jüngeren AN den Eintritt in das Berufsleben zu erleichtern oder eine ausgewogene Altersstruktur zu erreichen (EuGH 16.10.2007, C-411/05, Palacios de la Villa, Rn 77; EuGH 21.7.2011, C-159/10, C-160/10, Fuchs/Köhler, Rn 66). In der E vom 12.10.2010, C-45/09, Rosenbladt verwies der EuGH darauf, dass Altersklauseln wie in dem dort zu beurteilenden Tarifvertrag Ausdruck eines in Deutschland seit Jahren bestehenden politischen und sozialen Konsenses und auch in anderen Staaten anerkannt seien. Der Konsens beruhe vor allem auf dem Gedanken einer Arbeitsteilung zwischen den Generationen. Diese Klauseln verfolgten daher ein legitimes Ziel (Rn 43 f). Dem Umstand, dass die Branche, in der die (dortige) Kl tätig gewesen sei, durch gering vergütete Beschäftigungsverhältnisse und Teilzeitarbeit gekennzeichnet sei, weshalb die gesetzlichen Altersrenten nicht für den Lebensunterhalt der AN ausreiche, maß der EuGH keine besondere Bedeutung bei, da das deutsche Arbeitsrecht einer Person, die ein Alter erreicht hat, in dem sie ihre Rente beantragen kann, die Fortführung einer Berufstätigkeit nicht untersage und auch solche AN den Schutz gegen Diskriminierungen wegen des Alters genießen (Rn 71 ff).

Dementsprechend hat auch der OGH bereits ausgesprochen, dass keine Diskriminierung aufgrund des Alters vorliegt, wenn etwa ein Vertragsbediensteter nach Erreichung des 65. Lebensjahres gekündigt wird (RIS-Justiz RS0121536). Die Festlegung eines Pensionsalters, das auf einer sozialpolitischen Bewertung beruht, dient nicht nur dazu, das Arbeitseinkommen im erforderlichen Ausmaß zu ersetzen, wenn das Risiko „Alter“ dazu führt, dass dem AN die Arbeit nicht mehr zugemutet werden kann, sondern verfolgt zweifelsohne auch den Zweck, jungen Menschen, deren Existenz anderweitig noch nicht gesichert ist, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Dabei handelt es sich um ein auch mit der Rechtfertigungsbestimmung der RL in Deckung zu bringendes sozialpolitisches Ziel. Daraus, dass der AN nur eine Mindestpension zu erwarten habe, könne noch keine Unverhältnismäßigkeit abgeleitet werden (9 ObA 131/05p). Ausgehend von diesen, auch vom erkennenden Senat geteilten Grundsätzen stellt die Kündigung des Kl bei Erreichung des Regelpensionsalters auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters dar.

5. Der Revision des Bekl war daher Folge zu geben und die Klage in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen abzuweisen.490

ANMERKUNG
1.
Vorbemerkung

In der vorliegenden E hatte sich der OGH ein weiteres Mal mit der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung eines Angestellten zu beschäftigen, der das Regelpensionsalter erreicht hatte. Umgerechnet auf zwölf Monate erlitt der Kl im Vergleich zum Aktivbezug einen Einkommensverlust von € 1.483,– netto. Da sich bei einem Pensionsantritt ein Jahr später die Pension um € 225,– netto, bei einem solchen um noch ein Jahr später um weitere € 142,92 netto erhöht hätte, stellte sich die Frage, ob die Interessen des Kl durch die Kündigung wesentlich beeinträchtigt wurden. Weiters machte der Kl geltend, dass er durch die Kündigung aufgrund seines Alters diskriminiert worden sei.

2.
Allgemeiner Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG

§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG bestimmt, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt sein muss, um bei Gericht erfolgreich angefochten werden zu können. Zusätzlich muss der AN bereits mehr als sechs Monate im Betrieb beschäftigt sein. Als sozial ungerechtfertigt gilt eine Kündigung dann, wenn wesentliche Interessen beeinträchtigt sind, wobei eine Existenzbedrohung oder eine Notlage nicht gefordert werden. Eine finanzielle Schlechterstellung kann daher, wenn sie ein gewisses Ausmaß erreicht, eine wesentliche Beeinträchtigung der Interessen bewirken (AB 993 BlgNR 13. GP 4; OGH9 ObA 206/88Arb 10.755 = DRdA 1991, 33 [Schwarz]; Wolligger in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 144). Dies ist nach hA vor allem bei einer fühlbar ins Gewicht fallenden Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage anzunehmen, wobei jeder AN im Laufe seines Arbeitslebens mit gewissen Einkommensschwankungen rechnen muss (vgl statt vieler nur OGH9 ObA 55/92DRdA 1992, 460 [Mosler]; OGH 9 ObA 261/98tinfas 1999 A 26 = ARD 5001/13/99; Floretta, Zum Grundtatbestand der „Sozialwidrigkeit“ im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, wbl 1991, 14). Dementsprechend soll – wie der OGH zutreffend gefolgert hat – durch das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung jenen AN ein Kündigungsschutz gewährt werden, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind (OGH9 ObA 223/02pARD 5423/6/2003 = wbl 2003/274, 489; OGH8 ObA 53/04hDRdA 2005, 367 [Mayr] = ZAS 2006, 32 [Tomandl]= Arb 12.476; OGH9 ObA 8/05zÖJZ 2006/17, 116 = ASoK 2006, 42 [Stärker]). „Luxusaufwendungen“ zählen dabei nicht zum wesentlichen Lebensunterhalt (OGH9 ObA 8/05zÖJZ 2006/17, 116 = ASoK 2006, 42 [Stärker]; OGH9 ObA 297/93ARD 4542/17/94; Wolligger in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 165; krit Trost, Anmerkung zu OGH9 ObA 61/07xDRdA 2009, 245 ff; dies, Wesentliche Interessenbeeinträchtigung bei sogenannten „Reichen“, DRdA 2010, 405 ff).

Liegt eine wesentliche Beeinträchtigung vor, ist nach stRsp des OGH eine Interessenabwägung zwischen eben jenen Interessen des AN und den persönlichen und betrieblichen Kündigungsgründen des AG vorzunehmen (OGH9 ObA 279/88RdW 1989, 199 = wbl 1989, 217 = Arb 10.771; OGH9 ObA 55/92DRdA 1992, 460 [Mosler]; OGH9 ObA 233/93DRdA 1994, 252 [Trost]; OGH8 ObA 153/97aArb 11.621; OGH9 ObA 193/00yDRdA 2001, 181). Kann eine solche verneint werden, ist einer Anfechtung der Erfolg zu versagen und es bedarf keiner weiteren Prüfung der persönlichen und betrieblichen Kündigungsgründe (Gahleitner in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 35 § 105 Rz 93; OGH9 ObA 223/02pARD 5423/6/2003 = wbl 2003/274, 489).

3.
Sozialwidrigkeit bei Kündigung mit Anspruch auf Regelpension?

Der OGH vertritt mittlerweile in stRsp, dass der Anspruch auf eine Regelpension noch nicht per se die Interessenbeeinträchtigung ausschließe (OGH8 ObA 53/04hDRdA 2005, 367 [Mayr] = ZAS 2006, 32 [Tomandl] = Arb 12.476; OGH8 ObA 74/10fARD 6147/4/2011; OGH9 ObA 54/12zARD 6309/5/2013 = Arb 13.068), sondern es auch in diesen Fällen einer Prüfung bedürfe, ob der AN aufgrund des Wegfalls seines Einkommens mit der Pensionsleistung alleine oder in Verbindung mit sonstigen Einkünften seinen Lebensunterhalt decken könne (vgl auch Wolligger in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 178 f; Karl, Die sozial ungerechtfertigte Kündigung [1999] 47, 50 f mwN; krit Schrammel, Arbeitsrechtliche Gleichbehandlung bei sozialrechtlicher Differenzierung, in
Rebhahn
[Hrsg], Grundrechte statt Arbeitsrecht? [2013] 79 f). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass bereits der Gesetzgeber eine mit dem Übertritt in die Alterspension einhergehende Einkommenseinbuße toleriert, weshalb eine finanzielle Schlechterstellung an sich noch nicht zur Sozialwidrigkeit der Kündigung bei Anspruch auf Alterspension führt. Bezieht der AN die mögliche Höchstpension, kann davon ausgegangen werden, dass er seine Lebensunterhaltskosten decken kann, da eine vom Gesetzgeber höchstzulässige Pension zu Recht nicht als sozialwidrig angesehen werden kann (Wolligger in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 178; OGH8 ObA 53/04hDRdA 2005, 367 [Mayr] = ZAS 2006, 32 [Tomandl] = Arb 12.476).

Der OGH bleibt in dieser E seiner Linie treu, indem er ausspricht, dass aufgrund der Höchstpension, die der Kl zu erwarten habe, eine Sozialwidrigkeit nicht angenommen werden könne. Wie der OGH zutreffend hervorhebt, ändert der Umstand, dass sich die Gesamtpension erhöhen würde, wenn der Kl weiterarbeiten würde, nichts an der Beurteilung. Arbeitet ein AN nämlich trotz Anspruch auf eine Regelpension weiter, führt dies grundsätzlich immer zu einer Erhöhung seiner Pension. Dementsprechend würde es – bei Beachtung dieses Umstandes – stets zu einer Beeinträchtigung der wesentlichen Interessen kommen.491

4.
Vorliegen einer Altersdiskriminierung bei Kündigung mit Anspruch auf Regelpension?

Schließlich hatte der OGH noch eine mögliche Altersdiskriminierung des Kl zu prüfen. Anzumerken ist vorweg, dass Sozialwidrigkeits- und Diskriminierungsprüfung durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (Auer-Mayer, Altersdiskriminierung durch Kündigung von Arbeitnehmern bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension? – Anmerkung zu OGH9 ObA 106/15awbl 2017, 187).

Der EuGH hat sich mittlerweile schon in mehreren Entscheidungen ausgiebig zur Altersdiskriminierung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses geäußert. Sowohl dieser (EuGH Rs Palacios de la Villa [16.10.2007, C-411/05, ECLI:EU:C:2007:604]und Rosenbladt [12.10.2010, C-45/09, ECLI:EU:C:2010:601]) als auch der OGH (9 ObA 131/05pArb 12.636 = DRdA 2008/22, 264 [Ziehensack]; OGH8 ObA 68/13bARD 6383/9/2014; krit Wachter, Ist § 32 Abs 2 Z 7 VBG 1948 unionsrechtskonform? Zugleich Anmerkungen zu OGH 28.10.2013, 8 ObA 68/13b, in

Wachter
[Hrsg], Altersdiskriminierung. Jahrbuch 2014, 285 ff) haben zwar das Vorliegen einer Altersdiskriminierung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines bestimmten Alters bejaht, aber angenommen, dass diese gerechtfertigt sei (siehe Art 6 Abs 1 RL 2000/78 bzw § 20 Abs 3 GlBG). § 20 Abs 3 GlBG bestimmt in diesem Zusammenhang in Umsetzung der RL 2000/78, dass keine Diskriminierung aufgrund des Alters vorliegt, wenn die Ungleichbehandlung objektiv und angemessen ist sowie durch ein legitimes Ziel aus dem Bereich Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder beruflicher Bildung gerechtfertigt werden kann. Der EuGH hat ua in der Rs Palacios de la Villa ausgesprochen, dass eine Klausel in einem Tarifvertrag, die die Zwangsversetzung in den Ruhestand mit 65 Jahren anordnet, gültig sei. In diesem Fall wurde mit der Regelung die Förderung von Vollbeschäftigung durch Begünstigung des Zugangs zum Arbeitsmarkt bezweckt, die laut EuGH ein legitimes Ziel darstelle. Außerdem könne die Maßnahme nicht als übermäßige Beeinträchtigung der AN gewertet werden, da nicht nur auf das Erreichen eines bestimmten Alters abgestellt werde, sondern das Vorliegen einer Altersrente, die einen finanziellen Ausgleich darstellen solle, gefordert wurde. In der Rs Rosenbladt hat der Gerichtshof wiederholt, dass eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen als legitimes Ziel anzuerkennen sei und somit eine Klausel, die eine automatische Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten vorsehe, die eine Altersrente beantragen können, um den Zugang zur Beschäftigung zu fördern, eine Diskriminierung durchaus rechtfertigen könne. Schließlich müsse es sich aber auch um eine angemessene und erforderliche Maßnahme handeln, wobei der EuGH (Rs Palacios de la Villa und Rosenbladt) stets den weiten sozialpolitischen Ermessensspielraum hervorgehoben und den Anspruch auf eine gesetzliche Alterspension – nicht aber deren Höhe – als entscheidendes Kriterium für die Verhältnismäßigkeit angesehen hat (siehe auch bei Tinhofer, Die Beendigung des Dienstverhältnisses von älteren Arbeitnehmern. Verschärft der OGH seine Judikatur zur Altersdiskriminierung?ZAS 2014, 136). Der OGH hat bereits in einer früheren E überzeugend dargelegt, dass auch Maßnahmen des einzelnen AG – wie eine Kündigung – erfasst sind und damit an den Zielen gemessen werden können. Rein individuelle Beweggründe, wie die Kostenreduzierung oder eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit werden den Voraussetzungen eines legitimen Ziels hingegen nicht gerecht (OGH9 ObA 106/15aEvBl 2017, 318 [Felten] = DRdA 2017/21, 209 [Dvorak] unter Berufung auf Eichinger [Keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei Auflösungsvereinbarung mit pensionsberechtigter 61-jähriger Arbeitnehmerin. Entscheidungsanmerkung zu OGH9 ObA 63/11xASoK 2011, 450] und Schrammel [Arbeitsrechtliche Gleichbehandlung bei sozialrechtlicher Differenzierung, in
Rebhahn
[Hrsg], Grundrechte statt Arbeitsrecht? 89]; siehe auch bei Auer-Mayer, wbl 2017, 188).

Im vorliegenden Fall hat sich der OGH nur auf die Vorjudikatur gestützt und im Einzelfall nicht geprüft, ob die Kündigung auch einem rechtfertigenden Ziel dienen soll. Ganz generell hat der OGH ausgesprochen, dass die Festlegung des Pensionsalters ua dazu diene, jungen Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Daraus hat er – wie es scheint – abgeleitet, dass auch die Kündigung des AN in diesem Fall grundsätzlich ebenso dieses sozialpolitische Ziel verfolge und dementsprechend gerechtfertigt wie auch verhältnismäßig sei. Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme bzw Kündigung könne – nach EuGH – nämlich bei Vorliegen einer Pensionsleistung grundsätzlich bejaht werden. Auer-Mayer (wbl 2017, 189) bringt schließlich vor, dass gegen eine Rechtfertigung im Falle der Regelpension schließlich das sozialpolitische Ziel der „Anhebung des Pensionsalters“ sprechen könnte. Ihrer Ansicht nach schließen sich die Ziele „Generationenwechsel“ und eben „Anhebung des Pensionsalters“ jedoch nicht grundsätzlich aus. § 20 Abs 3 GlBG bestätige diese Annahme, der einerseits die Förderung der beruflichen Eingliederung von Jugendlichen und andererseits die Beschäftigung älterer AN als Ziel festschreibe. Bei Erreichen des Regelpensionsalters trete letzteres Ziel hinter jenes der Jugendförderung zurück, dies impliziere aber nicht, dass der Staat das Ziel der Beschäftigung älterer AN nicht vorantreibe (Auer-Mayer, wbl 2017, 189).

5.
Schlussbemerkung

Sowohl der Begründung als auch dem Ergebnis der vorliegenden E ist zuzustimmen. Eine Kündigung bei Erreichen des Regelpensionsalters mit Anspruch auf Höchstpension kann nicht sozialwidrig iSd § 105 Abs 3 Z 2 ASVG sein. Da vor allem auch Luxusaufwendungen nicht unter den wesentlichen Lebensunterhalt fallen, muss es einem AN mit Höchstpension möglich sein, seinen Lebensunterhalt zu decken – dies ist hier492der Fall. Zu einem anderen Ergebnis kann man bei hohem Einkommen uU nur dann kommen, wenn eine Verpflichtung zu hohen Unterhaltszahlungen besteht, da diese aufgrund der tatsächlichen Schmälerung des Einkommens auch bei sehr hohem Einkommen zu berücksichtigen sind. Dabei ist es nicht von Belang, ob diese rein aus moralischer Überzeugung oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung geleistet werden, solange noch von Sorgfaltspflichten ieS gesprochen werden kann (Trost in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 105 Rz 248; Wolligger in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 172; OGH9 ObA 146/93DRdA 1994, 332 [Eypeltauer]). Auch Kreditverpflichtungen können bei der Prüfung, ob wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt sind, zu berücksichtigen sein (siehe bei Wolligger in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 173; Gahleitner in
Gahleitner/Mosler
[Hrsg] Arbeitsverfassungsrecht 35 § 105 Rz 105). Dem vorliegenden Fall lassen sich aber keine solche Verpflichtungen des AN entnehmen, weshalb der OGH zutreffend schon die wesentliche Interessenbeeinträchtigung verneint hat. In weiterer Folge musste er daher weder eine Interessenabwägung vornehmen noch die Kündigungsgründe auf Seiten des AG beachten. Schließlich hat der OGH – mE zu Recht – auch das Vorliegen einer Altersdiskriminierung verneint. Der OGH hat dazu auf die stRsp des EuGH verwiesen, der als Rechtfertigungsgrund einer Diskriminierung wegen des Alters die „Förderung der beruflichen Eingliederung von jungen AN“ als legitimes Ziel anerkennt. Bei Vorliegen eines Anspruchs auf Regelpension – die Höhe nicht beachtend – sieht er letzten Endes auch die Verhältnismäßigkeit einer dementsprechenden Maßnahme als gegeben an. Da auch Maßnahmen des einzelnen AG in diesem Zusammenhang als rechtfertigend und damit zulässig angesehen werden können, ist im vorliegenden Fall die Kündigung mit Erreichen des Regelpensionsalters nicht diskriminierend.