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Kündigung bei Erreichen des Frühpensionsalters ist altersdiskriminierend

LUDWIGDVOŘÁK (WIEN)
  1. Die Kündigung von AN bei Erreichen des Antrittsalters für die Korridorpension kann nicht nach § 20 Abs 3 GlBG durch das Ziel gerechtfertigt werden, den Eintritt Jüngerer in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, weil dies im Widerspruch zum Ziel des Gesetzgebers steht, das Pensionsantrittsalter anzuheben und den Zugang zu vorzeitigen Pensionsformen zu erschweren.

  2. Bei wirtschaftlich notwendigen Kündigungen ist die soziale Auswahl ein legitimes Ziel, das eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters rechtfertigen kann, doch entspricht eine Kündigungspolitik, die als einziges Kriterium den Anspruch auf Korridorpension oder vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer heranzieht, nicht der sozialen Gestaltungspflicht.

  3. Beruft sich der AG darauf, dass es seiner grundsätzlichen Beschäftigungspolitik entspricht, ältere AN mit Pensionsanspruch zu kündigen, ist selbst dann, wenn im Einzelfall kein anderer AN in einer sozial besseren Position gewesen wäre, davon auszugehen, dass eine Altersdiskriminierung vorliegt.

Der [...] 1948 geborene Kl war beim Bekl seit 1.9.1994 als Messtechniker im Fernsehdienst beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangt der [...] ORF-KollV 1996 A zur Anwendung. Der Kl bezog zuletzt ein Gehalt von 4.884,40 € brutto zuzüglich Zulagen, sohin 3.612,61 € netto.

Der Bekl [...] sprach [...] mit Schreiben vom 28.3.2012 die Kündigung zum 31.8.2012 aus. Der Kl hätte ab 1.9.2012 Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. [...]

Der Kl begehrt mit der vorliegenden Klage, die [...] zum 31.8.2012 ausgesprochene Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt [...]. Darüber hinaus liege auch eine Beendigungsdiskriminierung aufgrund des Alters vor. Der Bekl kündige grundsätzlich sämtliche DN mit Erreichen eines gesetzlichen Pensionsanspruchs. Für die Kündigung des Kl sei damit ausschließlich sein Alter ausschlaggebend gewesen. [...] Ein Rechtfertigungsgrund für die Altersdiskriminierung liege nicht vor. [...] Die Rechtfertigungsprüfung scheitere auch an der verhältnismäßigen Anwendung.

Der Bekl bestreitet [...], die Kündigung sei [...] jedenfalls betrieblich gerechtfertigt. Der Bekl habe in den Jahren 2008 und 2009 einen massiven Verlust erlitten. [...]

Eine Altersdiskriminierung liege nicht vor, weil der Kl sogar älter sei als Mitarbeiter, die schon wegen der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Korridorpension gekündigt würden. Jüngere und ältere DN würden gleich behandelt werden, sofern sie Anspruch auf eine Pension hätten. [...] Es sei daher nicht unsachlich, zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts Altersgrenzen für die Beschäftigung der Mitarbeiter festzulegen. Derartige Maßnahmen lägen im öffentlichen Interesse, weil sie dem Erhalt des öffentlichen Rundfunks dienten. Weiters würden Arbeitsplätze für jüngere AN geschaffen werden. Selbst bei Vorliegen einer Altersdiskriminierung sei diese jedenfalls iSd einschlägigen RL gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab der Klage statt und erklärte die Kündigung des Kl vom 31.8.2012 für unwirksam. Es liege im Fall des Kl eine unmittelbare Altersdis-209kriminierung vor, die nicht nach § 20 Abs 3 GlBG gerechtfertigt sei.

Der dagegen erhobenen Berufung des Bekl gab das Berufungsgericht Folge, hob das angefochtene Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. [...]

Den Rekurs an den OGH ließ das Berufungsgericht zu, weil Rsp zur Frage fehle, ob individuelle Maßnahmen des AG im Rahmen seiner Personalpolitik nach § 20 Abs 3 GlBG gerechtfertigt werden können. [...]

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Kl ist zulässig und auch berechtigt.

1. Vom Bekl werden AN grundsätzlich mit Erreichung des Korridorpensionsalters gekündigt, sofern ein Pensionsanspruch besteht. [...] Zu prüfen ist zunächst, ob darin eine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegt. [...]

In der E vom 12.10.2010, C-499/08 (Ingeniorføreningen), beurteilte der EuGH ein Gesetz, das AN eine Entlassungsabfindung vorenthielt, weil sie zum Zeitpunkt ihrer Entlassung eine Altersrente beziehen konnten, als unmittelbar diskriminierend. [...] Eine unmittelbare Diskriminierung könne auch dann vorliegen, wenn eine Ungleichbehandlung auf ein Kriterium gestützt werde, das zwar auf den ersten Blick als neutral erscheine, aber in Wirklichkeit mit dem vom Unionsgesetzgeber verbotenen Differenzierungsgrund untrennbar verbunden sei (Rn 33 f).

Auch im konkreten Fall stellt der Bekl zwar im Rahmen seiner Kündigungspolitik auf eine „soziale Absicherung“ ab, versteht darunter aber, wie sich aus seinem Vorbringen ergibt, eine Absicherung durch bestimmte Formen der Alterspension, die zumindest ein Lebensalter von 62 Jahren voraussetzen. Es ist daher auch im vorliegenden Fall von einer unmittelbaren Altersdiskriminierung auszugehen; dies vorbehaltlich der Frage, ob hier ein Ausnahmetatbestand erfüllt ist.

2. § 20 GlBG regelt nun „Ausnahmebestimmungen“, in denen ungeachtet der Erfüllung des Tatbestands des § 19 GlBG eine Diskriminierung aufgrund des Alters nicht anzunehmen ist, wenn nach Abs 3 leg cit die Ungleichbehandlung objektiv und angemessen ist und durch ein legitimes Ziel, insb rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. § 20 Abs 3 GlBG entspricht im Wesentlichen Art 6 Abs 1 der RL [...].

Der Kl sieht in § 20 Abs 3 GlBG keine richtlinienkonforme Umsetzung, weil die RL zwar den Mitgliedstaaten bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen einen weiten Spielraum einräume, der aber Privaten nicht in diesem Ausmaß zustehe. [...]

Zu einer Anrufung des EuGH, wie vom Kl angeregt, besteht allerdings [...] keine Veranlassung. In der Rs C-388/07 (Age Concern England)[...] beantwortete [der EuGH] die gestellte Vorlagefrage, dass Art 6 Abs 1 der RL dahin auszulegen ist, dass er eine nationale Regelung, die keine genaue Aufzählung der Ziele enthält, die eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierung aus Gründen des Alters rechtfertigen könnten, nicht entgegensteht. [...]

Aus dieser E des EuGH lässt sich ableiten, dass bei der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmen-RL die Mitgliedstaaten die Ausnahmen vom Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Alters nicht näher konkretisieren und auch kein Verzeichnis der erlaubten Ungleichbehandlungen aufnehmen müssen. Die beinahe wortgleiche Wiedergabe der Ausnahmebestimmungen des Art 6 Abs 1 RL durch § 20 Abs 3 GlBG erscheint daher im Hinblick auf diese Rsp des EuGH als unbedenklich. [...]

3. [...] Eine Diskriminierung ist [...] nur dann zu verneinen, wenn die Gründe für die Ungleichbehandlung objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel gerechtfertigt werden können, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind [...].

Dies schließt aber nicht aus, dass auch Maßnahmen eines einzelnen AG an diesen Zielen gemessen werden können, sofern sie diesen in nachvollziehbarer Weise dienen. [...]

4. Nach der Rsp des EuGH entspricht es einem legitimen Ziel, aus beschäftigungspolitischen Gründen AN mit Erreichung des gesetzlichen Pensionsalters zu kündigen, auch um jüngeren AN den Eintritt in das Berufsleben zu erleichtern oder eine ausgewogene Altersstruktur zu erreichen. [...] Diese Klauseln verfolgten daher ein legitimes Ziel [...].

Dementsprechend hat auch der OGH bereits ausgesprochen, dass keine Diskriminierung aufgrund des Alters vorliegt, wenn etwa ein Vertragsbediensteter nach Erreichung des 65. Lebensjahres gekündigt wird (RIS-Justiz RS0121536). [...]

5. Zugleich hat der EuGH auch darauf verwiesen, dass die Mitgliedstaaten das in der RL aufgestellte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters nicht aushöhlen dürfen. [...]

Umgelegt auf die österreichischen Regelungen ergibt sich, dass, auch wenn in bestimmten Fällen vor Erreichung der Regelaltersgrenze die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Alterspension besteht, damit in der Regel nur der Schutz der wohlerworbenen Rechte von AN [...] bezweckt wird, nicht jedoch als sozialpolitisches Ziel ein Abbau älterer AN zugunsten jüngerer. Dies ergibt sich schon aus den mit diesen jeweiligen Pensionsformen verbundenen Abschlägen gegenüber einer Pension bei Erreichung des Regelpensionsalters [...] und den damit verbundenen gesetzlichen Bemühungen der Eindämmung von Pensionen vor Erreichung des Regelpensionsalters [...] (ErlRV 1685 BlgNR XXIV. GP 7).

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine Regelung oder eine Maßnahme eines einzelnen AG, die die Kündigung eines AN vor Erreichung des Regelpensionsalters vorsieht, schon deshalb sozial gerechtfertigt ist, weil der AN Anspruch auf eine Korridorpension oder eine Pen-210sion bei langer Versicherungsdauer hat. Vielmehr läuft ein solcher „erzwungener“ Pensionsantritt dem seit vielen Jahren verfolgten sozialpolitischen Ziel der Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters zuwider.

6. Zu prüfen ist daher, ob die Kündigung des Kl allenfalls durch ein anderes sozialpolitisches Ziel gerechtfertigt ist.

In der auch vom Berufungsgericht zitierten E des OGH zu 9 ObA 113/12a wurde ausgeführt, dass aus § 105 Abs 3c ArbVG abgeleitet werden kann, dass es ein Ziel der österreichischen Rechtsordnung ist, dass dann, wenn die Kündigung von AN aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich ist, jene gekündigt werden sollen, für die dies die geringste soziale Härte darstellt. Dieses Ziel steht auch mit der Beschäftigungspolitik und dem Arbeitsmarkt im Zusammenhang, werden doch jene AN stärker geschützt, die auf den Erhalt des Arbeitsplatzes typischerweise mehr angewiesen sind. [...] Grundsätzlich kann dieses Ziel auch für den vorliegenden Fall als legitim angesehen werden. [...]

7. Voraussetzung dafür, eine Altersdiskriminierung zu verneinen, ist aber auch, dass das Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich ist. Das ist für den vorliegenden Fall zu verneinen.

Bereits in der E 9 ObA 113/12a wurde darauf verwiesen, dass zu prüfen ist, inwieweit die Kündigung älterer AN Teil eines konkreten Gesamtkonzepts des AG ist, aus dem sich gerade das Erfordernis der Kündigung des Kl ableiten lässt.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es der sozialen Gestaltungspflicht im Rahmen von Kündigungen entspricht, wenn das einzige Kriterium zur Auswahl der Kündigung dasjenige ist, nur Personen zu kündigen, die einen Pensionsanspruch haben, wobei nicht auf das Regelpensionsalter abgestellt wird, sondern auf einen Anspruch auf Korridorpension oder auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer, also nur ein mit Abschlägen verbundener Pensionsanspruch. [...]

Dessen ungeachtet erschöpft sich das Konzept zum Personalabbau selbst nach dem Vorbringen des Bekl darin, dass gezielt alte, weil teure AN bei Pensionsanspruch abgebaut werden. Das entspricht aber nicht einem Gesamtkonzept, das die Interessen aller, auch älterer AN ausgewogen berücksichtigt. Beispielsweise wäre in die Überlegungen einzubeziehen, inwieweit jüngere AN auf die Arbeitsstelle angewiesen sind, etwa im Hinblick darauf, ob sie im Fall einer Kündigung nicht ohnehin rasch eine gleichwertige Arbeitsstelle finden könnten. [...]

Der Kl wurde daher aufgrund einer generellen altersdiskriminierenden Maßnahme gekündigt, nicht aufgrund der schlechteren sozialen Situation anderer.

Diese Vorgangsweise kann auch nicht mit dem Erhalt des Ö als öffentlich-rechtliche Anstalt gerechtfertigt werden, da auch in diesem Fall das gewählte Mittel, die ausschließliche Kündigung älterer AN zur Senkung der Personalkosten, nicht als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Ziels angesehen werden kann.

Da somit im vorliegenden Fall kein Ausnahmetatbestand nach § 20 Abs 3 GlBG vorliegt, war dem Rekurs des Kl Folge zu geben und die klagestattgebende erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

ANMERKUNG
1.
Unionsrechtliches Neuland bei der Altersdiskriminierung

Die vorliegende E dreht sich um die Frage, ob eine Kündigung bei Erreichen der Voraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension altersdiskriminierend ist bzw § 20 Abs 3 GlBG gerechtfertigt werden kann. Nach dieser Ausnahmebestimmung, die nahezu wortgleich aus Art 6 der RL 2000/78/EG übernommen wurde, können selbst unmittelbare Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters durch ein legitimes Ziel aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt gerechtfertigt werden, sofern die angewendeten Mittel angemessen und erforderlich sind.

Der dieser E zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich in mehreren Facetten von jenen Fällen, die bislang vom EuGH zur Frage der altersbedingten Beendigung von Arbeitsverhältnissen entschieden wurden (EuGH 16.10.2007, C-411/05, Palacios de la Villa; EuGH 5.3.2009, C-388/07, Age Concern; EuGH 12.10.2010, C-45/09, Rosenbladt; EuGH 18.11.2010, C-250/09 und C-268/09, Georgiev; EuGH 21.7.2011, C-159/10 und C-160/10, Fuchs und Köhler; EuGH 13.9.2011, C-447/09, Prigge; EuGH 5.7.2012, C-141/11, Hörnfeldt; EuGH 6.11.2012, C-286/12, Kommission gegen Ungarn): Hatte der EuGH bislang gesetzliche und kollektivvertragliche Altersgrenzen zu beurteilen, war in diesem Fall die nach dem GlBG wegen Altersdiskriminierung angefochtene individuelle AG-Kündigung zu prüfen; dabei stellte sich die in der Lehre umstrittene Frage (Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG [2009] § 20 Rz 24; Eichinger, Keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei Auflösungsvereinbarung mit pensionsberechtigter 61-jähriger ANin, ASoK 2011, 450 [460]; Wachter, Österreichische Judikatur zur Altersdiskriminierung im Jahr 2011, in

Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2012 [2013] 29 [37 f]), ob die Ausnahmebestimmung des § 20 Abs 3 GlBG eine unionsrechtskonforme Umsetzung der RL 2000/78/EG darstellt, und ob und unter welchen Umständen Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters nicht nur vom nationalen Gesetzgeber und von Kollektivvertragsparteien, sondern auch vom individuellen AG gerechtfertigt werden können; vor allem aber unterschied sich der vorliegende Fall von bisher beim EuGH anhängigen Fällen dadurch, dass die Beendigung nicht zum Regelpensionsalter – was der OGH trotz vereinzelter Kritik in der Lehre (Wachter, Ist § 32 Abs 2 Z 7 VBG 1948 unionsrechtskonform? in
Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2014 [2015]) unter Hinweis auf die EuGH-Rsp als unionsrechtlich unbedenklich angesehen hat (OGH9 ObA 131/05pDRdA 2008, 264 [Ziehensack] = SZ 2006/158 = DRdA 2010, 24 [Reissner]; OGH8 ObA 68/13bZAS-Judikatur 2014, 28 = ARD 6383/9/2014) –, sondern211bereits bei Erreichen der Voraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension erfolgte.

Unter Hinweis auf die das dänische Abfindungsrecht behandelnde Rs Ingeniorforeningen i Danmark (EuGH 12.10.2010, C-499/08) haben Rebhahn (Altersdiskriminierung in der Judikatur des EuGH, wbl 2011, 173 [185]) und Stadler (Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, RdW 2010, 687 [691]) darauf hingewiesen, dass ein solcher Fall unionsrechtlich tatsächlich anders zu beurteilen sein könnte, als einer, der das Regelpensionsalter betrifft.

2.
Die Entscheidung 9 ObA 113/12a

In einer, zu einem ähnlichen Grundsachverhalt beim gleichen AG ergangenen E aus dem Jahr 2013 (OGH9 ObA 113/12aZAS 2014,131 [Tinhofer]) hatte der Gerichtshof an diesen Fragen aber noch keinen erkennbaren Anstoß genommen. Eine Bestimmung des ORF-KollV, die den Entfall der Kündigungskommission für pensionsberechtigte AN ab 60 Jahren vorsehe, sei vor dem Hintergrund der in § 31 Abs 13 ORF-G vorgesehenen Abbaus von Kapazitäten zu beurteilen und an sich unbedenklich. Das Höchstgericht erkannte in § 105 Abs 3c ArbVG das vom Gesetzgeber vorgegebene Prinzip, dass bei notwendigen Kündigungen jene AN ausgewählt werden sollen, für die eine Kündigung die geringste soziale Härte bedeute. Ein Abstellen auf den Pensionsanspruch verfolge ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Überraschend lapidar und ohne jede konkrete Begründung behauptete der OGH unter Verweis auf die E vom 7.8.2003, 8 ObA 48/03x, zudem auch die Angemessenheit und Erforderlichkeit der gewählten Mittel. Allerdings forderte der OGH ein Gesamtkonzept des AG für die gesetzlich geforderte Kapazitätsreduktion und das daraus resultierende Erfordernis der Kündigung des AN. An der E wurde kritisiert, dass sie die Anfechtung wegen Altersdiskriminierung an die Prüfung der sozialen Gestaltungspflicht nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG annähere (Tinhofer, Die Beendigung des Dienstverhältnisses von älteren Arbeitnehmern, ZAS 2011, 131 [138]; Wachter, Die Zwangspensionierungspraxis des ORF – eine verbotene Altersdiskriminierung? in

Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2014, 247 [262]).

Die Prüfung der sozialen Gestaltung ist aber wohl als zwangsläufige Konsequenz anzusehen, wenn die Sozialauswahl bei notwendigen Kündigungen als legitimes Ziel der Sozialpolitik anerkannt wird (krit dazu Bach, „Zwangspensionierungen“, Versorgungsauftrag und Altersdiskriminierung, in

Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2014, 265 [276]). Überraschenderweise fand dafür die unterbliebene Differenzierung zwischen vorzeitiger und regulärer Alterspension keine besondere Beachtung, obwohl die aktuellere EuGH-Judikatur dazu berechtigten Anlass bot: Jedenfalls iZm Abfertigungsansprüchen und Übergangsgeldern hat der EuGH in der Rs Dansk Jurist in der Ablehnung eines „Freistellungsgehalts“ ab dem frühestmöglichen Bezug einer Altersrente eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung erkannt, weil AN gezwungen werden, eine „niedrigere Altersrente anzunehmen, [als] die, die sie beanspruchen könnten, wenn sie bis in ein höheres Alter berufstätig blieben“ (EuGH 26.9.2013, C-546/11, Dansk Jurist, Rz 68). Und während in der Rs Ingeniorforeningen i Danmark die Verweigerung der Abfertigung bei Erreichen eines vorzeitigen Pensionsanspruchs als altersdiskriminierend angesehen wurde, hob der EuGH in der Rs Ingeniorforeningen/Landin explizit hervor, dass die Ungleichbehandlung in diesem Fall gerechtfertigt sei, weil die Abfertigung erst ab dem Regelpensionsalter verweigert werde (EuGH 26.2.2015, C-515/13, Ingeniorforeningen/Landin, Rz 37 f).

Keine nähere Beachtung fand auch der Umstand, dass selbst bei Vorliegen eines an sich legitimen Ziels der EuGH die fehlende Kohärenz (EuGH 12.1.2010, C-341/08, Petersen, Rz 53; EuGH 13.9.2011, C-447/09, Prigge, Rz 64; EuGH 6.11.2012, C-286/12, Kommission gegen Ungarn, Rz 73 ff [79]) bzw die Unangemessenheit der ergriffenen Maßnahmen (EuGH Rs Dansk Jurist, Rz 72; EuGH Rs Ingeniorforeningen i Danmark, Rz 47) vom EuGH zumeist auf Ebene der Erforderlichkeit und Eignung von Maßnahmen geprüft hat, die der OGH in jener E zwar behauptet, aber faktisch nicht behandelt hatte. Der Verweis auf die E vom 7.8.2003, 8 ObA 48/03x, trägt insofern nichts zur Klärung bei, als der OGH eine Diskriminierung damit verneint, dass die Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit dem Zugang Jüngerer zum Arbeitsmarkt diene – ein Argument, das der OGH in der aktuellen E mit gutem Grund verwirft (vgl 3.1.).

3.
Weiterentwicklung der Judikatur

Der OGH hat die nun vorliegende E erfreulicherweise zum Anlass genommen, einige Klarstellungen und Korrekturen vorzunehmen und sich eingehender mit einigen der genannten Punkte auseinanderzusetzen.

3.1.
Kohärenz von Zielen und Maßnahmen

Der OGH hat in der vorliegenden E zunächst treffend herausgearbeitet, warum sich der AG nicht auf die Einstellungsförderung Jüngerer als legitimes Ziel (EuGH 18.11.2010, C-250/09 und C-268/09, Georgiev, Rz 45 und 52) berufen könne: Der Gesetzgeber verfolge unmissverständlich das sozialpolitische Ziel, das Pensionsantrittsalter zu erhöhen und eben nicht, mit vorzeitigen Alterspensionen den Arbeitsmarktzugang für Junge zu fördern. Der OGH greift damit den Gedanken des Fehlens „innerer Kohärenz“ auf (EuGH 18.6.2009, C-88/08, Hütter, Rz 46 f) und kommt damit der Verpflichtung des nationalen Gerichts nach, zu klären, ob die vom AG genannten Gründe den Tatsachen entsprechen (EuGH Rs Georgiev, Rz 48). Aus der Argumentation leuchtet zudem hervor, dass es Sache des Gesetzgebers bzw der Kollektivvertragsparteien, nicht aber des einzelnen AG, ist, sozialpolitische Ziele festzulegen.212

3.2.
Soziale Gestaltung und Verhältnismäßigkeit

Der OGH betont, dass die aus § 31 Abs 13 ORF-G abzuleitenden Sparerfordernisse für sich kein legitimes Ziel zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen darstellen. Legitimes Ziel sei vielmehr das Bestreben, bei unternehmerisch erforderlichen Einsparungen eine sozial ausgewogene Auswahl zu treffen. Auffallend ist, dass sich der OGH in der E nicht näher auf die Frage einlässt, wann Personalabbau als wirtschaftlich notwendig anzusehen ist und ob und nach welchen Kriterien das zu prüfen ist (Bach in

Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2014, 265 [277]).

Für die konkrete Falllösung wirkt sich diese grundsätzliche Frage aber deshalb nicht aus, weil der OGH im Unterschied zu seiner vorangegangenen E nicht auf eine nähere Prüfung von Erforderlichkeit und Eignung der getroffenen Maßnahmen verzichtet: Ein ausschließliches Abstellen auf einen Pensionsanspruch stelle keine Prüfung der sozialen Betroffenheit der einzelnen AN dar und ist daher diskriminierend. Der OGH spricht explizit an, dass in einem ausgewogenen Gesamtkonzept die Überlegung einzubeziehen wäre, inwieweit jüngere AN in Hinblick auf ihre Chancen am Arbeitsmarkt auf die Arbeitsstelle angewiesen sind. Er deutet damit an, dass der AG tatsächlich in jedem Einzelfall einen umfassenden Sozialvergleich vorzunehmen hat und erschwert damit einschlägige Kündigungspolitiken erheblich.

3.3.
Kündigungskonzept ist altersdiskriminierend

Das Höchstgericht geht nämlich noch weiter: Selbst wenn es im konkreten Fall keinen sozial besser gestellten AN ohne Pensionsanspruch geben sollte, hat der AG schon durch seine Berufung auf eine allgemeine Kündigungspolitik ab Pensionsanspruch zu erkennen gegeben, dass eine altersdiskriminierende Maßnahme und nicht die konkrete soziale Situation das auschlaggebende Kündigungsmotiv gewesen sei, weshalb auch andere vorgebrachte, an sich legitime Ziele die Kündigung nicht rechtfertigen können. Das ist insofern bemerkenswert, als diese Argumentation AG künftig zumindest erschwert, eine diskriminierende Kündigungspolitik nachträglich mit vorgeschobenen Argumenten zu legitimieren.

4.
Kein Vorabentscheidungsersuchen

Der OGH hat es gleichzeitig nicht für erforderlich gehalten, die in diesem Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

4.1.
Richtlinienkonforme Umsetzung und Rechtfertigung durch einzelne AG

Zweifel an der ordnungsgemäßen Umsetzung der RL durch die nicht konkretisierte Übernahme der Ausnahmebestimmung des Art 6 Abs 1 der RL 2000/78/EG in § 20 Abs 3 GlBG (Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 20 Rz 24) sind nach mE berechtigter Auffassung des OGH durch das Urteil des EuGH in der Rs Age Concern (Rz 52) ausgeräumt. Er teilt auch die überwiegende Meinung der Lehre (Eichinger, ASoK 2011, 450 [460]; Windisch-Graetz, Das Alter im Arbeitsrecht, in

WiR – Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht
[Hrsg], Alter und Recht [2012] 197 [208]; Schrammel, Altersdiskriminierung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen in FS Posch [2011] 707; aA Wachter, Österreichische Judikatur zur Altersdiskriminierung im Jahr 2011, in
Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2012, 29 [37 f]), dass nicht nur in Gesetz und KollV geregelte Altersgrenzen, sondern auch Kündigungsmaßnahmen einzelner AG nach § 20 Abs 3 GlBG gerechtfertigt werden können. Für letzteres fehlt es allerdings bisher an einschlägiger EuGH-Judikatur und weist Eichinger neben den vom OGH angeführten Anhaltspunkten für eine mögliche Zulässigkeit, vor allem auch auf den Umstand hin, dass bisher „noch ungeklärt ist, inwiefern die [...] innerstaatlich in § 20 Abs 3 GlBG angeführten legitimen Ziele bei der Beurteilung von individuellen Arbeitgebermaßnahmen zum Tragen kommen können“. Eine Vorlage an den EuGH hätte in dieser Frage Klarheit schaffen können.

Gerade für die Kündigungspolitiken einzelner AG bleibt zudem offen, ob und wie das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe für eine Kündigung als Vorfrage zur sozialen Gestaltung von Kündigungen zu prüfen ist. Unter diesem Aspekt und der unter Pkt 3.3. skizzierten enormen praktischen Bedeutung der verfolgten Strategie bei der Auswahl der zu Kündigenden, ist Risak jedenfalls zuzustimmen, dass gerade bei Maßnahmen einzelner AG ein Mindestmaß an Transparenz über die verfolgte Betriebspolitik geboten ist (Risak, Die Begründung des Dienstverhältnisses und sonstige Gleichbehandlungsfragen bei älteren Arbeitnehmer_innen, ZAS 2014, 124 [128]). IZm der Ausnahmebestimmung von Art 6 Abs 1 der RL 2000/78/EG (und damit auch § 20 Abs 3 GlBG) hat Obwexer die Ansicht vertreten, dass der vom EuGH anerkannte weite Prüfmaßstab, dass zur Erreichung legitimer Ziele ergriffene Maßnahmen „nicht unvernünftig“ sein dürfen (EuGH 5.7.2012, C-141/11, Hörnfeldt, Rz 32), nach In-Kraft-Treten der Grundrechtecharta (GRC) den Erfordernissen von Art 52 GRC nicht genügt und eine genauen Einzelfallprüfung erfordert (Obwexer, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Verbot der Altersdiskriminierung, in

Wachter
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2013 [2014] 13 [20]). Der OGH hat dieser Forderung im konkreten Fall, durch seine intensive Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Rechtfertigungszielen und der Eignung der ergriffenen Maßnahmen, allerdings ohnehin entsprochen.

4.2.
Unterschiedliche Behandlung von Kündigungen bei vorzeitiger und regulärer Alterspension

Durchaus vorlagewürdig wäre aber auch die Frage gewesen, ob und wie zwischen Beendigungsmaßnahmen bei vorzeitiger und regulärer Alterspension zu differenzieren ist. Auch wenn die unter Pkt 2.213angeführte EuGH-Judikatur zum Abfertigungsrecht in Richtung einer Differenzierung zwischen vorzeitigem und regulärem Pensionsantrittsalter weist, steht eine ausdrückliche E zur Bedeutung dieses Kriteriums bei Kündigungen durch den EuGH weiter aus. Nur am Rande ist anzumerken, dass die wesentliche argumentative Säule für die Zulässigkeit der Beendigung ab Erreichen des Regelpensionsalters die Annahme eines gesellschaftlichen Konsenses ist, dass die ältere Generation der jüngeren ab Erreichen des Regelpensionsalters Platz am Arbeitsmarkt machen soll (EuGH 12.10.2010, C-45/09, Rosenbladt, Rz 43 ff bzw EuGH Rs Hörnfeldt, Rz 27 ff). Diesem grundsätzlich zu folgenden Argument wird aber umso mehr die Grundlage entzogen, je weniger die Pensionshöhe den Lebensstandard sichert (Tinhofer, Der soziale Kündigungsschutz, ZAS 2008, 52 [56]) und je mehr Maßnahmen (wie zB der Pensionsbonus) Anreize zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, über das gesetzliche Antrittsalter hinaus, setzen.

5.
Resümee

Der OGH hat mit der vorliegenden E einige wichtige Klarstellungen gegenüber der weniger geglückt erscheinenden einschlägigen E 9 ObA 113/12a (ZAS 2014,131 [Tinhofer])vorgenommen und es ist dieser E im Ergebnis zuzustimmen. Eine Kündigungspolitik, ältere und teurere AN bei Erreichen der Anspruchsvoraussetzungen einer vorzeitigen Alterspension generell zu kündigen, wurde zurecht als altersdiskriminierend verworfen.

Der OGH folgt dabei in weiten Teilen praktisch den in der üL vermuteten unionsrechtlichen Geboten zur Differenzierung zwischen vorzeitigem und regulärem Pensionsantrittsalter und zur Zulässigkeit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach § 20 Abs 3 GlBG, ohne den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahren mit diesen Fragen zu befassen.