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Zulässige Endtermine bei vorzeitiger Auflösung nach § 15a BAG richten sich nach Gesamtdauer der Lehrzeit (und nicht nach Dauer des aktuellen Lehrverhältnisses nach Wechsel des Lehrberechtigten)

SUSANNEGITTENBERGER

Unter dem Begriff „Lehrzeit“ in § 15a Abs 1 BAG ist die auf den Lehrling bezogene Ausbildungsdauer zu verstehen, die von einem Wechsel des Lehrberechtigten nicht berührt wird. Es kommt daher bei der Prüfung der Frage, zu welchem Termin die außerordentliche Auflösung möglich ist, nicht auf die im Lehrvertrag individuell vereinbarte Dauer des Lehrverhältnisses, sondern auf die für den Lehrberuf generell festgelegte Lehrzeit gem § 6 Abs 1 und 2 BAG iVm § 7 Abs 1 lit b BAG an.

SACHVERHALT

Die Kl begann bei der ersten Lehrberechtigten am 1.9.2011 die dreijährige Lehre zur Floristin und setzte die Lehre am 10.9.2012 bei der Bekl, der zweiten Lehrberechtigten, fort. Mit Schreiben vom244 27.5.2013 teilte die Bekl der Kl „die Absicht einer außerordentlichen Auflösung des […] Lehrverhältnisses und die Aufnahme eines Mediationsverfahrens gemäß § 15a Abs 3 BAG“ mit; als Lehrzeitbeginn wurde in diesem Schreiben der 10.9.2012 angegeben. Nach einem Mediationsversuch erklärte der Mediator das Mediationsverfahren für beendet, der Kl wurden dieses Ergebnis und die außerordentliche Auflösung mit 9.9.2013 mitgeteilt und sie wurde mit diesem Tag auch von der Bekl abgemeldet.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Dem Begehren der Kl auf beendigungsabhängige Ansprüche wurde von den Vorinstanzen stattgegeben und die Ansicht der Bekl, dass es für die fristgerechte Auflösung iSd § 15a BAG nicht auf die für den Lehrberuf generell festgelegte Lehrzeit, sondern auf das individuell vereinbarte Lehrverhältnis ankomme, abgelehnt. Der OGH sah zu dieser Beurteilung keinen Korrekturbedarf und wies die außerordentliche Revision der Bekl zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Hervorzuheben ist […], dass der Gesetzgeber des BAG zwischen der festgesetzten Lehrzeit und dem Lehrverhältnis unterscheidet (§§ 6 ff bzw §§ 12 ff BAG).

Die Dauer der Lehrzeit ist durch Verordnung festzusetzen (§ 7 Abs 1 lit b BAG) und beträgt in der Regel drei Jahre. Sie darf innerhalb eines Zeitraumes von zwei bis höchstens vier Jahren nur in ganzen oder halben Jahren festgesetzt werden (§ 6 Abs 1 erster Satz BAG). Davon abweichend kann es bei gleichzeitiger Ausbildung in zwei Lehrberufen (§ 6 Abs 2 BAG), bei verwandten Lehrberufen (§ 6 Abs 3 bis 5 BAG) oder aufgrund einer Verordnung (§ 6 Abs 6 BAG) zu einer kürzeren Lehrzeit kommen. […]

Die Dauer des Lehrverhältnisses richtet sich nach der Dauer der festgesetzten Lehrzeit (s § 13 Abs 1 erster Satz BAG). Das Lehrverhältnis endet daher grundsätzlich mit ihrem Ablauf (§ 14 Abs 1 BAG). Die Vereinbarung einer anderen Dauer – zB infolge Anrechnung einer in demselben Lehrberuf absolvierten Lehrzeit – unterliegt den in § 13 Abs 1 lit a bis d BAG enthaltenen Beschränkungen.

Der Gesetzgeber versteht folglich unter ‚Lehrzeit‘ die auf den Lehrling bezogene Ausbildungsdauer, die von einem Wechsel des Lehrberechtigten nicht berührt wird.

Spricht der mit Novelle BGBl I 2008/82eingeführte § 15a BAG daher vom Ablauf eines bestimmten Monats der ‚Lehrzeit‘, kann auch hier nur die vom jeweiligen Lehrling im konkreten Lehrberuf absolvierte Lehrzeit, nicht aber die Dauer des jeweiligen Lehrverhältnisses bei einem bestimmten Lehrberechtigten gemeint sein […].

Dieses Verständnis wird auch durch die Materialien gestützt, die von einer Auflösung am Ende des ersten bzw zweiten ‚Lehrjahres‘ ausgehen (505 BlgNR 23. GP 7). Der Lehrling befindet sich aber nach dem üblichen Sprachgebrauch auch dann im zweiten Lehrjahr, wenn es zwischenzeitig zu einem Wechsel der Lehrberechtigten gekommen ist. […]

Da das am 1.9.2011 begonnene Lehrverhältnis der Klägerin daher nach § 15a Abs 1 BAG nur zum 31.8.2012 oder zum 31.8.2013 als dem Ende des 12. bzw 24. Monats ihrer Lehrzeit gelöst werden konnte, war die Beklagte zur Auflösung des Lehrverhältnisses zum 9.9.2013 nicht berechtigt.“

ERLÄUTERUNG

Der OGH beschäftigte sich hier mit der Auslegung des Begriffes „Lehrzeit“ in § 15a Abs 1 BAG. Nach dieser Bestimmung können sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis zum Ablauf des letzten Tages des zwölften Monats der Lehrzeit und bei Lehrberufen mit einer festgelegten Dauer der Lehrzeit von drei, dreieinhalb oder vier Jahren überdies zum Ablauf des letzten Tages des 24. Monats der Lehrzeit unter Einhaltung einer Frist von einem Monat außerordentlich auflösen.

Strittig im vorliegenden Fall war, ob sich der Begriff „Lehrzeit“ ausschließlich auf Beginn (10.9.2012) und Dauer des Lehrverhältnisses der Kl bei der zweiten Lehrberechtigten bezieht (individuell-konkrete Dauer des Lehrverhältnisses) oder ob Beginn (1.9.2011) und Dauer des ersten Lehrverhältnisses (generell-abstrakte Dauer der Lehrzeit) mit einzubeziehen sind. Davon war abhängig, mit welchem Zeitpunkt das Lehrverhältnis der Kl aufgelöst werden konnte: 31.8.2013 (Ende des zweiten Lehrjahres nach generell-abstrakter Berechnung) oder 9.9.2013 (Ende des ersten Lehrjahres nach individuell-konkreter Berechnung).

Das Berufungsgericht argumentierte ua, dass sich aus den Materialien und dem Gesetzeswortlaut selbst klar ergebe, dass bei Anwendung der Bestimmung des § 15a Abs 1 BAG von der für den jeweiligen Lehrberuf generell festgelegten Lehrzeit auszugehen sei. Für jeden Lehrberuf gebe es ein erstes Lehrjahr nur einmal, bei Fortsetzung der Ausbildung bei einem zweiten Lehrberechtigten könne schon begrifflich nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Lehrling damit wieder im ersten Lehrjahr befinde.

Der OGH folgte dieser Argumentation und hob die Unterscheidung der Begriffe „Lehrzeit“ und „Lehrverhältnis“ hervor – die Dauer der Lehrzeit wird grundsätzlich durch VO festgesetzt (§ 7 Abs 1 lit b BAG) und die Dauer des Lehrverhältnisses richtet sich grundsätzlich nach der festgesetzten Lehrzeit (§ 13 Abs 1 BAG). Unter „Lehrzeit“ ist also die auf den Lehrling bezogene Ausbildungsdauer (in der Regel drei Jahre) im betreffenden Lehrberuf zu verstehen; sie wird von einem Wechsel des Lehrberechtigten nicht berührt.245

Für die Berechnung des letzten Tages des zwölften bzw 24. Monats der „Lehrzeit“ nach § 15a Abs 1 BAG bedeutet dies, dass die vom jeweiligen Lehrling im betreffenden Lehrberuf bereits zurückgelegte Lehrzeit, unabhängig von einem Wechsel des Lehrberechtigten, zu berücksichtigen ist, um den möglichen Zeitpunkt der außerordentlichen Auflösung zu bestimmen. Im vorliegenden Fall hätte daher das am 1.9.2011 begonnene Lehrverhältnis der Kl nur zum 31.8.2012, als dem Ende des zwölften Monats ihrer Lehrzeit, oder zum 31.8.2013, als dem Ende des 24. Monats ihrer Lehrzeit, gelöst werden können; die schon im dritten Lehrjahr liegende außerordentliche Auflösung durch die Bekl zum 9.9.2013 war als mit diesem Endpunkt gesetzlich nicht vorgesehen rechtsunwirksam.