67Beurteilung einer Diskriminierung aufgrund von Behinderung wegen krankenstandsbedingter Kündigung
Beurteilung einer Diskriminierung aufgrund von Behinderung wegen krankenstandsbedingter Kündigung
Der Kl war bei der Bekl im Rahmen eines unbefristeten Dienstverhältnisses tätig. Er befand sich ab 17.8.2022 aufgrund eines Arbeitsunfalls in Krankenstand. Mit Schreiben vom 29.9.2022 kündigte die Bekl das Dienstverhältnis zum 15.12.2022. Aufgrund der beim Unfall erlittenen Verletzung wurde der Kl am 19.1.2023 operiert. Bei der Nachkontrolle zeigten sich weiterhin bestehende Beschwerden.
Der Kl begehrt, die Kündigung für unwirksam zu erklären. Sie sei iSd § 7b BEinstG diskriminierend, weil sie wegen seines Arbeitsunfalls und der damit einhergehenden, nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung iSd § 3 BEinstG ausgesprochen worden sei. Seine Arbeitsunfähigkeit dauere nach wie vor an.
Die Bekl bestreitet und bringt vor, für die Kündigung seien weit überdurchschnittliche Krankenstände und im Verhalten bzw in der Person des Kl gelegene Gründe maßgeblich gewesen. Der Kl habe in einem Gespräch mit seinem Teamkoordinator klar und deutlich angegeben, dass er nicht abschätzen könne, wann er seinen Dienst wieder antreten könne. Dies habe erkennen lassen, dass er seiner Tätigkeit in absehbarer Zeit nicht werde nachkommen können. Aus diesem Grund sei ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es mangle an einem Krankheitsbild, das den Tatbestand des § 3 BEinstG erfülle. Es liege daher weder eine mittelbare noch eine unmittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung vor.
Das Berufungsgericht bejahte indes das Vorliegen eines Begründungsmangels und damit eine primäre Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Urteils. Weiters könne mangels Feststellungen zu den Kündigungsmotiven der Bekl nicht beantwortet werden, ob eine unmittelbare Diskriminierung wegen Behinderung iSd § 7c Abs 1 BEinstG vorliege. Für eine solche könne es ausreichen, wenn der AG eine Behinderung nur vermute.
Auch das Vorliegen einer mittelbaren Beendigungsdiskriminierung könne noch nicht beurteilt werden. Das Fehlen näherer Kenntnis der Bekl über das Krankheitsbild des Kl schließe die Möglichkeit des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung nicht aus. Es sei Sache des Kl, den Zusammenhang zwischen dem zum Anlass zur Kündigung genommenen Krankenstand und einer Behinderung iSd § 3 BEinstG darzutun. Der Bekl sei die allfällige Entkräftung eines solchen Zusammenhangs, also die Dartuung der Kündigung wegen „schlichter“ Krankenstände, aufgetragen. Dabei seien – entgegen der OGH-E 9 ObA 36/23v vom 28.6.2023 – auch Umstände mitzuberücksichtigen, die sich erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens herausstellten. Es sei daher zu erheben und festzustellen, ob beim Kl zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine die Teilhabe am Arbeitsleben erschwerende Funktionsbeeinträchtigung bestanden habe und ob eine solche auch noch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung gegeben gewesen sei. Erst dann werde beurteilbar sein, ob der Krankenstand des Kl im Zusammenhang mit einer Behinderung iSd § 3 BEinstG stehe.
Der Rekurs an den OGH gegen diesen Aufhebungsbeschluss wurde vom Berufungsgericht zugelassen, mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung von diesem aber für nicht zulässig erklärt worden und zurückgewiesen. 168
Der OGH hielt zunächst grundlegend fest, dass eine Kündigung, wenn das Dienstverhältnis vom DG wegen einer Behinderung des DN gekündigt worden ist, bei Gericht angefochten werden kann und eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen ist, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Eine unmittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass zur Beurteilung, ob eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, Feststellungen zum Kündigungsmotiv der Bekl fehlen. Dabei könne eine Diskriminierung schon dann zu bejahen sein, wenn der AG eine Behinderung nur vermutet.
Eine mittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich.
Entscheidend ist also die Maßgeblichkeit dieser scheinbar „neutralen“ Kriterien, aber nicht, ob sich der Entscheidungsträger der typischen Verknüpfung mit dem verpönten Kriterium bewusst ist. Der Umstand, dass der AG nicht in Kenntnis über die beim AN bestehende Behinderung gewesen sein mag, schließt daher die Möglichkeit einer mittelbaren Diskriminierung nicht schon an sich aus.
Die Bekl selbst geht davon aus, dass der Kl wegen übermäßiger Krankenstände gekündigt wurde. Mangels Vorbringens zu anderen Krankenständen bezieht sie sich damit offenbar nur auf den aus dem Arbeitsunfall resultierenden Krankenstand.
Eine Kündigung ausschließlich wegen „Fehlzeiten“ wurde in der Rsp als nicht unmittelbar diskriminierend angesehen. Eine mittelbare Diskriminierung könnte aber etwa vorliegen, wenn AN mit Behinderung im Vergleich zu solchen ohne Behinderung ohne gerechtfertigtes Ziel und ohne angemessene und erforderliche Mittel in besonderer Weise durch Krankenstände als dem Anschein nach neutrales Kriterium benachteiligt würden. Läuft eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten eines AN darauf hinaus, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit Zeiten allgemeiner „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden, so kann dies eine mittelbare Diskriminierung eines AN bewirken. Ein behinderter AN hat nämlich aufgrund seiner Behinderung typischerweise ein zusätzliches Risiko von mit seiner Krankheit zusammenhängenden Krankenständen und ist auf diese Weise einem höheren Risiko im Zusammenhang mit der Beendigung seines Dienstverhältnisses ausgesetzt als ein nicht Behinderter. Das Auswahlkriterium einer hohen Fehlzeitenquote innerhalb eines Jahres kann also offenkundig AN mit Behinderung benachteiligen, wenn die Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit der Behinderung zusammenhängt, und so zu einer mittelbar auf der Behinderung beruhenden Ungleichbehandlung führen (EuGH 11.9.2019, C-397/18, Nobel Plastiques Ibérica SA).
Von dieser Rechtsauffassung ist auch das Berufungsgericht ausgegangen und hat dem Erstgericht dementsprechend Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Krankenstände, auf die sich die Bekl stützt, auf eine Behinderung zurückzuführen sind, aufgetragen. Diese Entscheidung steht daher in Einklang mit der Rsp des OGH. Der vermeintliche Widerspruch zur OGH-E 9 ObA 36/23v vom 28.6.2023 liegt nicht vor. In dem dort im Rahmen einer außerordentlichen Revision zu beurteilenden Sachverhalt lag – auch unter Berücksichtigung des postoperativen Heilungsverlaufs – zum Zeitpunkt der angeblich diskriminierenden Handlung keine Behinderung vor. Die Frage, ob diese erst im Verfahren „hervorkommt“, war dagegen nicht zu beurteilen.
Soweit die Bekl darauf verweist, dass das Vorliegen der Behinderung vom Kl zu beweisen sei und es zu seinen Lasten gehe, wenn eine solche nicht sicher festgestellt werden könne, so übergeht sie dabei, dass zum Vorliegen einer als Behinderung einzustufenden Beeinträchtigung bereits zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gerade keine Feststellungen getroffen wurden.
Es ist nicht Ziel des Schutzes von Behinderten, arbeitsunfähige AN in Arbeitsverhältnissen zu halten. Dass beim Kl, der zum Zeitpunkt der Kündigung einen etwa sechswöchigen Krankenstand aufgrund eines Arbeitsunfalls aufwies, von einer derartigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen wäre, behauptet auch die Bekl nicht. Insoweit war auch auf die Argumente, dass „das Arbeitsverhältnis zu behinderten Arbeitnehmern bei langen Krankenständen bis zur Pensionierung nicht aufgelöst werden könnte“, nicht weiter einzugehen. 169