64Anspruch des Betriebsrates auf Mitteilung der von der Arbeitgeberin genutzten E-Mail-Adressen der ArbeitnehmerInnen
Anspruch des Betriebsrates auf Mitteilung der von der Arbeitgeberin genutzten E-Mail-Adressen der ArbeitnehmerInnen
Die bekl AG betreibt einen Essens-Zustelldienst mit Fahrradboten. Sie kommuniziert mit ihren AN primär per E-Mail oder Telefon, daneben erfolgt die Kommunikation zur Abwicklung der Zustellvorgänge über die App eines Drittanbieters. Die bekl AG stellt ihren AN keine dienstlichen E-Mail-Adressen zur Verfügung, sondern verpflichtet sie, ihr als Kontaktdaten eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse bekannt zu geben und diese aktuell zu halten. Im Betrieb der bekl AG gibt es keinen Ort, an dem sich alle AN regelmäßig aufhalten und so an diesem Ort angeschlagene Informationen regelmäßig sämtlichen AN zukommen würden. Ein beträchtlicher, konkret nicht feststellbarer Teil der AN beginnt und beendet den Dienst vom Wohnort oder einem sonstigen, nicht dem Betrieb der Bekl zugehörenden Ort. Etwa 40 bis 60 % der AN, die als Fahrradboten tätig sind, beginnen den Dienst von einer als „Hub“ bezeichneten Arbeitsstätte der bekl AG. Dabei handelt es sich um eine Garage, die auch Lagerplätze für Betriebsmittel, Spinde und einen Aufenthaltsraum umfasst. Es wäre dem klagenden BR möglich, im Aufenthaltsraum Aushänge zu machen. Es steht nicht fest, wie viele AN regelmäßig diesen 164 Aufenthaltsraum frequentieren. Im Unternehmen der Bekl besteht eine hohe Fluktuation, so kann es in einem Monat bis zu 100 Neueinstellungen oder bis zu 100 Austritte geben.
Der kl BR begehrt, die bekl AG zu verpflichten, ihm sämtliche E-Mail-Adressen und Telefonnummern der von ihm vertretenen AN sowie einen E-Mail-Verteiler zur Verfügung zu stellen, in dem die E-Mail-Adressen der von ihm vertretenen AN enthalten und für diesen ersichtlich, hilfsweise: nur enthalten, seien.
Weiters begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der bekl AG, ihm jeweils binnen 14 Tagen ab Kenntnis Aktualisierungen der E-Mail-Adressen und Telefonnummern der AN sowie die E-Mail-Adressen und Telefonnummern neu eintretender AN zu übermitteln und in den E-Mail-Verteiler aufzunehmen.
Der BR brachte vor, aufgrund der dezentralen Arbeitsweise sei er auf die auch von der bekl AG genutzten Kommunikationsmöglichkeiten angewiesen, um mit den AN in Kontakt zu treten. Aushänge am Schwarzen Brett würden dazu nicht ausreichen. Ebenfalls ungenügend sei das Angebot der Bekl, selbst E-Mails des BR an die AN zu übermitteln; vielmehr sei eine unmittelbare Kontaktmöglichkeit des BR mit den AN erforderlich. Zur Erfüllung seiner Aufgaben müsse er die AN sowohl gemeinsam als auch einzeln – etwa im Zusammenhang mit Kündigungen oder Versetzungen – per E-Mail erreichen können. Die Telefonnummern seien notwendig, um etwa bei Beendigungen des Arbeitsverhältnisses zeitnah mit den AN Kontakt aufzunehmen. Der Zugang zu E-Mail-Adressen und Telefonnummern falle unter die nach § 72 ArbVG dem BR vom Betriebsinhaber zur Verfügung zu stellenden Sacherfordernisse. Der Anspruch auf Übermittlung der Kontaktdaten lasse sich auch aus der Gesamtheit der Betriebsverfassung sowie aus den Mitwirkungsrechten der Belegschaftsorgane gem §§ 89 ff ArbVG ableiten. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stehe der Datenweitergabe an den BR nicht entgegen, sie sei nach Art 6 Abs 1 lit c und f DSGVO erlaubt.
Die bekl AG wandte ein, § 72 ArbVG trete hinter die speziellere Norm des § 91 Abs 2 ArbVG zurück, der eine Datenübermittlung an den BR nur mit Einwilligung der betroffenen AN gestatte. Sie habe dem klagenden BR angeboten, ihm einen wöchentlich aktualisierten E-Mail-Verteiler der AN zur Verfügung zu stellen, in dem die E-Mail-Adressen nicht ersichtlich seien. Das sei vom kl BR nicht akzeptiert worden.
Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht hingegen verpflichtete die bekl AG zur Übermittlung der E-Mail-Adressen und Telefonnummern der AN, zu deren Aktualisierung sowie zur Übermittlung der E-Mail-Adressen und Telefonnummern neu eintretender AN; dem Begehren des BR auf Zur-Verfügung-Stellung eines E-Mail-Verteilers sowie dessen Aktualisierung wurde nicht stattgegeben. Der OGH schließt sich dem Berufungsgericht zum Teil an:
Nach § 72 ArbVG sind dem BR zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben neben Räumlichkeiten, Kanzlei- und Geschäftserfordernissen auch sonstige Sacherfordernisse in einem der Größe des Betriebs und den Bedürfnissen des BR angemessenen Ausmaß vom Betriebsinhaber unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Der Begriff der Kanzlei- und Geschäftserfordernisse ist insofern dynamisch zu interpretieren, als er dem jeweiligen Stand der technologischen Entwicklung anzupassen ist. Im Rahmen des § 72 ArbVG hat der Betriebsinhaber dem BR eine angemessene Ausstattung mit Büromaterial, Telefonanschluss, Fachliteratur, PC und Internetanschluss sowie bei großen Betrieben mit einer Schreibkraft zur Verfügung zu stellen.
Entscheidend ist der Zweck der Bestimmung, der darin besteht, dem BR die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben zu ermöglichen. Ausgehend von diesem Zweck folgt aus § 72 ArbVG auch die Verpflichtung, dem BR dann, wenn im Betrieb ein bestimmtes internes Kommunikationsnetz errichtet ist, Zugang zu diesem, konkret die Möglichkeit der Verständigung der anderen AN im Weg dieses Kommunikationsnetzes, einzuräumen (vgl OGH 20.10.2004, 8 ObA 92/04v). Zu beurteilen war in dieser im Jahr 2004 getroffenen E die Einräumung der Möglichkeit, im Rahmen eines Firmenintranets E-Mails „an alle“ zu versenden. Der OGH bejahte die Verpflichtung des Betriebsinhabers, dem BR diese Möglichkeit zu eröffnen, unter Hinweis auf den § 72 ArbVG innewohnenden Zweck.
Dieser Zweck, nämlich die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben, ist den Regelungen über die Belegschaftsvertretung insgesamt immanent. Denn dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, eine Belegschaftsvertretung als ein mit weitgehenden (Mitwirkungs-)Befugnissen (§§ 89 ff ArbVG) ausgestattetes Organ der Arbeitnehmerschaft einzurichten, ohne ihr eine effiziente, den betrieblichen Gepflogenheiten entsprechende Kontaktaufnahme mit den von ihr vertretenen AN zu ermöglichen. Das wäre aber der Fall, wollte man dem BR verwehren, die der bekl AG bekannten und von dieser zur laufenden Kommunikation mit den AN genutzten E-Mail-Adressen in Erfahrung zu bringen. Der Anspruch auf die Mitteilung der der AG bekannten E-Mail-Adressen der AN ergibt sich in einem Sachverhalt wie dem vorliegend festgestellten – in dem es sich bei den E-Mail-Adressen um eines der von der AG selbst primär genutzten Mittel der Kommunikation mit den AN handelt – bereits aus dem Zweck der Einrichtung des BR als Belegschaftsorgan und seiner Ausstattung mit umfangreichen (Einzel-)Befugnissen.
Die Übermittlung der der AG bekannten E-Mail-Adressen der AN an den BR ist in der vorliegenden Fallkonstellation nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO auch 165 datenschutzrechtlich zulässig: Das berechtigte Interesse der Belegschaftsvertretung an der Mitteilung der E-Mail-Adressen der AN ergibt sich aus dem Bedürfnis, in einer effizienten, den gegenwärtigen technischen Entwicklungen entsprechenden und betriebsüblichen Form mit den vertretenen AN zu kommunizieren und dadurch die Befugnisse des BR zweckdienlich ausüben zu können. Darin liegt gleichzeitig ein legitimes Interesse der Belegschaft als Gesamtheit. Dass die E-Mail-Adressen zur Verwirklichung dieses Ziels erforderlich sind, ergibt sich schon daraus, dass es sich um eines der auch von der bekl AG selbst primär genutzten Kommunikationsmittel handelt.
Ein relevanter Eingriff in die Privatsphäre dadurch, dass AN auf jener E-Mail-Adresse, die sie ihrem AG zur Kommunikation im Zuge des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung stellen, auch von der Belegschaftsvertretung, also ebenfalls im beruflichen Kontext, kontaktiert werden können, ist nicht ersichtlich. Überwiegende Interessen der betroffenen AN stehen der begehrten Bekanntgabe der E-Mail-Adressen bei einem Sachverhalt wie dem hier festgestellten daher nicht entgegen.
Das Recht zur Bekanntgabe umfasst notwendig auch die E-Mail-Adressen der neu eintretenden AN sowie die Mitteilung der der bekl AG bekannt gegebenen Aktualisierungen.
Hingegen ist nach dem OGH ein berechtigtes Interesse der Belegschaftsvertretung daran, neben einer Kontaktaufnahmemöglichkeit per E-Mail zusätzlich über die privaten Telefonnummern der AN zu verfügen, nur gering ausgeprägt. Bei regelmäßiger Nutzung der E-Mail-Adresse – wenn es sich dabei, wie im vorliegenden Fall, um eines der primären Kommunikationsmittel zwischen AG und AN handelt – ist die Telefonnummer des AN auch für eine zeitnahe Kontaktaufnahme durch die Belegschaftsvertretung nicht erforderlich und ein Recht des BR auf Bekanntgabe der Telefonnummern der von ihm vertretenen AN daher nicht ableitbar.