60. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht
60. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht
Anlässlich der 60. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht haben sich vom 9. bis zum 11. April 2025 mit 570 Teilnehmer:innen noch mehr Vertreter:innen der Wissenschaft und Praxis im Ferry Porsche Congress Center in Zell am See eingefunden als bereits im Vorjahr. Der Präsident der Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler, erinnerte in seinen Eröffnungsworten am 10. April anlässlich des Jubiläums an die Entstehung der Tagung und hob Zell am See als Veranstaltungsort hervor, bevor er das Wort an die Stadträtin Verena Bebic übergab, welche sich für die Treue hinsichtlich des Veranstaltungsortes bedankte und eine erfolgreiche Tagung wünschte. RAin Hon.-Prof.in Dr.in Sieglinde Gahleitner erinnerte die Teilnehmer:innen zudem noch an das anlässlich des Jubiläums organisierte Clubbing mit DJ Labour MC (alias Dr. Johannes Kopf) und forderte das Publikum auf, am Abend „die Welt ins Reine“ zu tanzen.
Bereits am Vortag wurde die Tagung aber – wie es inzwischen Tradition ist – am späten Nachmittag mit dem Nachwuchsforum eingeleitet. Dabei haben auch dieses Jahr wieder drei ausgewählte Jungwissenschafterinnen die Chance genutzt, ihre arbeits- und sozialrechtlichen Dissertationsprojekte vor einem Fachpublikum zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Mit den teilweise thematisch zu den Hauptvorträgen passenden Nachwuchsvorträgen zu „Virtuelle Arbeitnehmer:innen: Rechtsfragen grenzüberschreitender virtueller Arbeit“ (von Proj.-Ass.in Mag.a Hannah Lutz, Universität Wien), zu „Medizinische Rehabilitation und Ökonomiegebot“ (von Univ.-Ass.in Mag.a Leonie Obermeyr, Universität Salzburg)
und zu „Recht auf Beschäftigung im eSport?“ (von Univ.-Ass.in Sarah Rath, LL.M., Wirtschaftsuniversität Wien) haben die drei Rednerinnen die Tagung bereits auf hohem Niveau eröffnet.
Den ersten Hauptvortrag am Donnerstag, der traditionellerweise mit insgesamt drei Referaten dem Arbeitsrecht gewidmet ist und von RAin Hon.-Prof.in Dr.in Sieglinde Gahleitner moderiert wurde, bestritt Univ.-Prof. Mag. Dr. Elias Felten (Universität Salzburg) zum Thema „Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien“. Zugrunde gelegt wurde der Untersuchung zunächst, dass die Kollektivvertragsparteien über Gestaltungsmacht verfügen. Von Interesse seien daher das „woher“ und das „wieweit“. In Deutschland sei das BAG diesbezüglich wegen der mittelbaren Bindung der Tarifparteien an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz von einer feingliedrigen Sachlichkeitsprüfung tarifvertraglicher Regelungen ausgegangen, während das BVerfG kürzlich aufgrund der Koalitionsfreiheit lediglich eine Willkürkontrolle zuließ. Dieses Urteil sei auch für Österreich von Interesse, da die herrschende Auffassung eher jener des BAG entspreche. In Österreich sei die Gestaltungsmacht ausgehend von der Judikatur abhängig davon, ob im KollV geregelte Differenzierungen am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz oder an den europäischen Diskriminierungsverboten zu prüfen sind, zumindest theoretisch unterschiedlich begrenzt. Auch das Schrifttum gehe von einer Begrenzung aus. Anders als in Deutschland sei die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien nämlich keine verfassungsunmittelbare, grundrechtlich geschützte, sondern lediglich eine vom Gesetzgeber abgeleitete. Daraus ergebe sich ua, dass die Kollektivvertragsparteien denselben Bindungen unterliegen würden wie der Gesetzgeber. Daher sei die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien in Österreich einer engmaschigen gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Diese Auffassung gilt es heute nach Felten zu hinterfragen, da Art 11 EMRK und Art 120a B-VG in Kombination seiner Ansicht nach dafür sprechen würden, dass die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien in Österreich aufgrund von Art 120a B-VG inzwischen – wie in Deutschland – auf einer eigenen, verfassungsunmittelbaren Normsetzungskompetenz fußt, da diese Norm auch die von den Kollektivvertragsparteien abgeschlossenen Kollektivverträge verfassungsrechtlich absichere.
In der anschließenden Diskussion wurde von Univ.-Prof. Dr. Christoph Kietaibl zunächst hervorgehoben, dass selbst bei unmittelbarer Grundrechtsbindung die verfassungsrechtliche Kontrolle keine allzu granulare sei. Zu beachten sei auch, dass sich Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbote im Wesen unterscheiden würden. Ersterer fordere inhaltlich weniger als Diskriminierungsverbote, was eine Differenzierung erkläre. Von em. o. Univ.-Prof. Dr. Franz Marhold wurde diesbezüglich noch ergänzt, dass der KollV, wenn er unionsrechtlich als Umsetzungsinstrument Anwendung finde, demselben Maßstab unterliegen müsse wie ein Gesetz. Von ihm sowie von Univ.-Prof. Dr. Reinhard Resch wurde darüber hinaus betont, dass es beachtliche Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich gebe, über welche man nicht hinwegsehen dürfe. Diese Unterschiede negierte in der Folge auch Felten nicht, er betonte aber nochmals, dass er durchaus eine Gemeinsamkeit darin 208 sehe, dass die Kollektivvertragsautonomie inzwischen auch in Österreich eine verfassungsunmittelbare sei. Anklang fand der Vortrag zudem bei Interessenvertreter:innen, die sich in Bezug auf ihre Handlungsspielräume bestätigt fühlten. Im Ergebnis hat Felten mit seiner Analyse jedenfalls eine neue Diskussion angestoßen – es bleibt abzuwarten, wie sich die Meinungen in der Literatur entwickeln werden.
Im zweiten Vortrag beschäftigte sich Hon.-Prof. RA Mag. Dr. Christoph Wolf (Universität Wien) mit der Aus- und Fortbildung im Arbeitsverhältnis. Dieser baute seinen Vortrag auf kreative Weise wie im „Theater“ in Prolog, vier Aufzüge und einen Epilog auf. Im Prolog betonte er zunächst die Relevanz von Bildungsmaßnahmen in der heutigen Zeit. Diese seien inzwischen bei vielen Tätigkeiten als Teil der Tätigkeit anzusehen. Im ersten Aufzug widmete sich Wolf den Bildungsmaßnahmen als Verpflichtung und als Recht. Bildungsmaßnahmen seien unter Berufung auf den OGH als allgemeiner Bestandteil der arbeitsrechtlichen Pflichten anzusehen, wenn diese notwendig sind, um die ordnungsgemäße Ausübung einer Tätigkeit sicherzustellen. Korrespondierend zu dieser Verpflichtung bestünde ausgehend von der Rsp zum Recht auf Beschäftigung zumindest eingeschränkt auch ein Recht auf Bildungsmaßnahmen. Der zweite Aufzug beschäftigte sich dann mit Art 13 RL 2019/1152. Dieser vermittle zwar keinen Anspruch auf Bildung, stelle aber sicher, dass es zu keiner Überwälzung auf die AN kommt, wenn eine normative Verpflichtung der AG besteht, die AN zu bilden. Der dritte Aufzug war schließlich der Umsetzung in Österreich gewidmet. Nach Wolf wurden Sinn und Zweck der Regelung durchaus in § 11b AVRAG übernommen. Nach § 11b AVRAG seien Bildungsmaßnahmen, die aufgrund von Normen oder Arbeitsvertrag geboten sind, um AN die Ausübung der von ihnen vertraglich geschuldeten Tätigkeit zu ermöglichen, von AG zu übernehmen. Bevor Wolf im Epilog mit einer Zusammenfassung seiner Thesen den Vortrag schloss, untersuchte er im vierten Aufzug noch das Verhältnis von § 11b und § 2d AVRAG. § 11b habe § 2d AVRAG nicht derogiert. Dieser verfüge noch über einen Anwendungsbereich für Bildungsmaßnahmen, die keine Voraussetzung für die Ausübung der aktuellen Tätigkeit sind. Für diese könne noch eine Rückersatzverpflichtung vereinbart werden.
Das Verhältnis zwischen § 11b und § 2d AVRAG nahm in der Folge auch die Hauptrolle in der Diskussion ein. Speziell von AG-Seite wurde hervorgehoben, dass es wichtig sei, § 2d AVRAG aufrechtzuerhalten, da dieser AG motiviere, Bildungsmaßnahmen zu finanzieren. Darüber hinaus leitete Mag. Dr. Wolfgang Kozak aus den Thesen des Vortrags ab, dass § 11b AVRAG wohl auch zur Anwendung kommen müsse, wenn eine Bildungsmaßnahme zwar nicht die aktuell ausgeübte Tätigkeit, aber eine vom Unternehmenskonzept vorgesehene Tätigkeit betreffe. Univ.-Prof. Dr. Christoph Kietaibl wies zudem darauf hin, dass sich die Inhalte von § 11b AVRAG bisher bereits aus der Rsp des OGH ergeben hätten. Wolf betonte in seinen Abschlussworten nochmals, dass sich § 11b AVRAG auf das aktuelle Arbeitsverhältnis beziehe – im Vordergrund stünde der Erhalt des vereinbarten Berufsbildes.
Den arbeitsrechtlichen Tagungstag beendete sodann Univ.-Ass.in MMag.a Dr.in Birgit Schrattbauer (Universität Salzburg) mit ihrem Vortrag zur Arbeitskräfteüberlassung im Spannungsfeld zwischen Unionsrecht und nationalem Arbeitsrecht. Dieses Spannungsfeld ergebe sich primär daraus, dass der Unionsgesetzgeber und der nationale Gesetzgeber der Arbeitskräfteüberlassung mit differenzierten Lösungsansätzen begegnen würden. Schrattbauer ging in der Folge auf drei Spannungsfelder ein: Das erste ergebe sich aus dem Verhältnis zwischen § 4 Abs 2 AÜG und den Vorgaben der Entsende-RL, die in der Rs Martin Meat konkretisiert wurden. Nach Schrattbauer sei eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 4 Abs 2 AÜG nicht erforderlich, da die Abgrenzungskriterien aus der Rs Martin Meat und § 4 Abs 2 AÜG unterschiedliche Ziele verfolgen würden. Auch eine Inländerdiskriminierung sei nicht gegeben, da § 4 Abs 2 AÜG mittelbar über § 10 Abs 1 AÜG auch bei grenzüberschreitenden Werkvertragsentsendungen zur Anwendung komme, sofern es um den „harten Kern“ der Arbeitsbedingungen gehe. Das zweite Spannungsfeld bestehe sodann zwischen dem Ausnahmensystem des Art 5 Leiharbeits-RL und dem Entgeltsystem des § 10 AÜG. Die Ausnahme nach Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL greife aufgrund der Ausgestaltung von § 10 AÜG nicht. In Betracht komme daher nur Art 5 Abs 2 Leiharbeits-RL, der eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsanspruch aber nur beim Entgelt und nur für unbefristete AN ermöglicht. Diese Beschränkung gebe es in Österreich nicht. Darüber hinaus würden in Österreich auch geeignete Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung der Ausnahme fehlen. Im Speziellen würden flankierende Maßnahmen zur Absicherung der Bezahlung in Stehzeiten erforderlich sein. Als letztes Spannungsfeld identifizierte Schrattbauer die Indifferenz des AÜG mit Blick auf Dauerüberlassungen. Diese würden dem vorübergehenden Charakter ebenso widersprechen wie die nach der Leiharbeits-RL verbotenen Kettenüberlassungen. Zwischen Kettenüberlassungen und Dauerüberlassungen zu differenzieren sei nicht überzeugend. Auch aus der Rs ALB Fils Kliniken GmbH könne aufgrund der äußerst speziellen Sachverhaltskonstellation keine Zulässigkeit von Dauerüberlassungen abgeleitet werden. In Österreich biete aktuell nur § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG eine Möglichkeit, Dauerüberlassungen zu unterbinden, da § 15 AÜG bislang als totes Recht bezeichnet werden könne. Nach Schrattbauer führe diese Norm allein aber nicht zur Unionsrechtskonformität der Rechtslage.
In der darauffolgenden Diskussion wurde von Mag. Ludwig Dvořák ua hinterfragt, ob aus § 15 AÜG nicht 209 doch etwas gewonnen werden könnte, wenn man diesen als Verpflichtung auslegen und die Prozentgrenze unangewendet lassen würde. Dieser Überlegung konnte sich Schrattbauer nicht anschließen, da eine solche Auslegung in ihren Augen die Grenze der unionsrechtskonformen Auslegung überschreiten würde. Sehr kritisch diskutiert wurden zudem die Thesen zur Dauerüberlassung. Von Univ.-Prof. Dr. Christoph Kietaibl wurde aufgeworfen, ob die E des EuGH nicht dahingehend zu verstehen sei, dass die RL auf Dauerüberlassungen überhaupt nicht zur Anwendung komme. Ins Treffen geführt wurde in diesem Zusammenhang von Univ.-Ass. Conrad Greiner, LL.M. zudem die Ähnlichkeiten aufweisende Befristungs-RL, die langen Befristungen nicht entgegenstehen würde. Schrattbauer trat diesen Überlegungen entgegen. Bezüglich ersteren Einwands verwies sie zudem auf ein noch anhängiges Vorabentscheidungsverfahren (C-380/24), welches Klarheit bringen dürfte. Bezüglich der Befristungs-RL betonte Schrattbauer, dass Befristungen ein anderes Prekaritätsrisiko hätten und Parallelen daher nur mit Vorsicht zu ziehen seien.
Das diesjährige Seminar, welches – der Tradition entsprechend – am Donnerstagabend stattfand, wurde von Univ.-Ass.in Mag.a Dr.in Christina Schnittler (Universität Wien) geleitet. Thematisch stand dabei das Gleichbehandlungsrecht im Zentrum. Schnittler präsentierte ausgewählte Entscheidungen des EuGH sowie des OGH zu verschiedenen Diskriminierungen und stellte diese geschickt zur Diskussion. Nach einer kurzen Wiederholung der wesentlichen Rechtsgrundlagen startete sie mit der E des OGH vom 28.9.2021, 9 ObA 45/21i, in der es im Wesentlichen um die Abgrenzung zwischen Behinderung und Krankheit mit Blick auf Krankenstände ging. Direkt im Anschluss folgte noch die E des EuGH in der Rs HR Rail, in der zur Frage stand, ob Versetzungen eine angemessene Vorkehrung iSd Gleichbehandlungsrahmen-RL sein könnten. Beide Entscheidungen wurden von den Seminarteilnehmer:innen durchaus kritisch gesehen. Mit Blick auf die E des OGH wurde im Speziellen die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung diskutiert. Angesprochen wurden aber auch praktische Schwierigkeiten: Ua wurde davor gewarnt, dass bei langen Krankenständen über Behinderungen kein Kündigungsschutz begründet werden solle, da Behinderungen in der Praxis schnell festgestellt werden würden und ansonsten keine Kündigungen wegen langer Krankenstände mehr möglich wären. Im Ergebnis vertraten sowohl Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Susanne Auer-Mayer als auch Schnittler, dass eine mittelbare Diskriminierung auch bezüglich behinderungsbedingter Krankenstände vorliegen könne, selbst wenn die Behinderung im Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr vorliege, insofern noch eine zeitliche Nähe bestehe. Hinsichtlich der EuGH-E wurden vor allem Entgeltfragen sowie die Auswirkungen auf den betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsschutz diskutiert. Schnittler konkludierte diesbezüglich, dass der Versetzungsschutz wohl dennoch anwendbar und dementsprechend einzuhalten wäre. Nach diesen Entscheidungen zur Behinderung widmete sich Schnittler den Diskriminierungsmerkmalen der Religion und Weltanschauung, indem sie zunächst die Judikaturlinie des EuGH zur Religion – von der Rs Achbita bis zur Rs Commune d’Ans – darlegte. Kritisch gesehen wurde mit Blick auf diese Rechtsprechungslinie in der Diskussion zum einen, dass Neutralitätsvorschriften nur eine mittelbare und keine unmittelbare Diskriminierung darstellen und zum anderen, dass der EuGH auf Mehrfachdiskriminierungen zu wenig eingehe. Schnittler ging in ihren Bemerkungen auf die verschiedenen Äußerungen ein, schloss sich aber hinsichtlich der mittelbaren Diskriminierung dem EuGH an. In Wahrheit gebe es nämlich keine Vergleichsgruppe, wenn ein Neutralitätsgebot alle betreffe. Als letzte E des Seminars präsentierte Schnittler schließlich eine OGH-E zur Weltanschauung – konkret die E vom 20.10.2022, 9 ObA 59/22z, in der fraglich war, ob eine Parteiangehörigkeit eine Weltanschauung sei. Auch dieses Judikat stieß auf einen regen Diskussionsbedarf. Ins Spiel gebracht wurde von richterlicher Seite zunächst, dass es in dieser E de facto weniger um Weltanschauung ging als um Lagerdenken. Von RAin Hon.-Prof.in Dr.in Sieglinde Gahleitner befürwortet wurde anschließend etwa eine stärkere Ausrichtung an den Grundrechten. Im Ergebnis solle man nämlich nicht aufgrund der Ausübung von Grundrechten im Arbeitsleben diskriminiert werden. Das müsse auch für politische Beteiligung gelten. Mit Blick auf die von Schnittler ins Spiel gebrachten Umwelt- und Klimaaktivisten wurde darüber hinaus hinterfragt, ob diese den Begriff der Weltanschauung trotz wissenschaftlicher Basierung der Anschauung erfüllen können. Diesbezüglich wurde von Projektassistent (post doc) Mag. Dr. Thomas Dullinger und Schnittler vertreten, dass es hier auf den wissenschaftlichen Kern nicht ankommen dürfe und eine Weltanschauung durchaus vorliegen könne. Mit dieser Diskussion fand das Seminar einen erfolgreichen Abschluss.
Am Freitag stand – der langjährigen Tradition entsprechend – mit zwei Vorträgen das Sozialrecht im Vordergrund. Den Einstieg in den Sozialrechtstag, der von em. o. Univ.-Prof. Dr. Franz Marhold moderiert wurde, lieferte Univ.-Prof.in MMag.a Dr.in Michaela Windisch-Graetz (Universität Wien) mit ihrem Vortrag zum Thema „Heilmittel: Versorgungsanspruch und Ökonomiegebot“. Den Fokus legte Windisch-Graetz auf hochpreisige innovative Arzneimittel und ging in der Folge auf deren Preisfestlegung ein. Primäres Instrument sei der Erstattungskodex, der diesbezüglich ein eigenes Verfahren vorsehe. Im Bereich der hochpreisigen innovativen Arzneimittel würden in der Praxis aber insb Preismodelle eine wichtige Rolle spielen. Bei Preismodellen handle es sich um privatrechtliche Vereinbarungen mit dem Ziel, die Preise für Arzneimittel noch mehr zu senken. Der effektive Preis sei aufgrund von Geheimhaltungsklauseln dabei 210 regelmäßig nicht bekannt. Preismodelle würden zwar unionsweit praktiziert werden, seien aber als unionsrechtswidrig einzustufen, da sie nicht mit der RL 89/105 vereinbar wären. Besonders problematisch seien Preismodelle mit Blick auf Parallelimporteure. Dem Grunde nach würden parallel importierte Arzneimittel zwar gleichbehandelt wie direkt importierte – ihr Boxenstatus im Erstattungskodex folge dem Status des direkt importierten Arzneimittels. Den parallel importierten Arzneimitteln würde dieser Boxenstatus aber verweigert, wenn diese nicht auch den billigeren Preismodell-Preis akzeptieren würden. Da dieser Preis geheim sei, sei die Warenverkehrsfreiheit der Parallelimporteure verletzt. Dem könnte man nach Ansicht von Windisch-Graetz aber mit dem geplanten EKO-Light-Verfahren entgegentreten. Als letzten Punkt thematisierte Windisch-Graetz dann noch die MedGeF-Vereinbarungen (Vereinbarungen zwischen dem Dachverband und Krankenanstalten über die gemeinsame Finanzierung von Nahtstellen-Medikamenten) in Hinblick auf deren Zulässigkeit. Sie konkludierte diesbezüglich, dass MedGeF-Vereinbarungen mit Blick auf nicht erstattungsfähige Arzneimittel zulässig seien, sofern mit den Ländern zuvor eine Ausnahme vereinbart wurde (§ 148 Z 10 iVm Z 3 zweiter Satz ASVG).
In der anschließenden Diskussion wurden vor allem die Preismodelle und die MedGeF-Vereinbarungen thematisiert. Von Seiten des Dachverbandes wurde zunächst noch einmal die Relevanz von Preismodellen für die Praxis betont. Diese seien mitunter der Grund, warum Österreich betreffend den Zugang zu hochpreisigen, aber innovativen Medikamenten im Vergleich sehr weit vorne sei. Hinterfragt wurde von Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Susanne Auer-Mayer zudem die Unionsrechtswidrigkeit der Preismodelle, bevor sich Hon.-Prof. Dr. Christoph Klein zur Bedeutung der MedGeF-Vereinbarungen äußerte. Er erklärte, dass diese Vereinbarungen aufgrund der gespaltenen Finanzierung im Gesundheitsbereich erforderlich seien. Sie würden eine „Notwehr gegen den Föderalismus“ darstellen, die bis zur Finanzierung des Gesundheitsbereichs aus einer Hand notwendig wäre. In den Abschlussworten betonte Windisch-Graetz nochmals, dass das EKO-Verfahren und die Preismodelle nicht zusammenpassen würden, zumal die Preismodelle implizieren würden, dass im EKO-Verfahren etwas falsch gelaufen sei. Das System funktioniere aber gut und das sei sehr vorteilhaft.
Im zweiten sozialrechtlichen und zugleich letzten Tagungsvortrag ging Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr.h.c. Gert-Peter Reissner (Universität Graz) abschließend dem Thema „Atypische Beschäftigung und Sozialversicherungsrecht – dargestellt am Beispiel des Sports“ nach. Er widmete sich seinem Thema anhand von zwei Entscheidungen des VwGH, die sehr aufsehenerregend waren – die Skispringer-Entscheidung (Ro 2019/08/0003) und die Motocross-Entscheidung (Ra 2018/08/0028). Die Sachverhalte und Begründungen dieser Entscheidungen analysierte Reissner mit dem Ziel, im Anschluss zu einer Optimierung der Leitsätze des VwGH beizutragen, in einem ersten Schritt sehr genau. Anschließend betonte Reissner ua zunächst, dass die aus § 4 Abs 6 ASVG abzuleitende Prüfungsreihenfolge einzuhalten sei. Bei der Prüfung sei es darüber hinaus sinnvoll, auf Rechtsfiguren des Arbeits- und Zivilrechts und deren Auslegung zurückzugreifen. Im Rahmen einer Prüfung von § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG sei sodann unter „persönlicher Abhängigkeit“ die „Einordnung in ein fremdes unternehmerisches Konzept“ zu verstehen. Diese sei anhand verschiedener Kriterien zu prüfen, wobei die Frage der Weisung eigens zu behandeln sei. Das Erfordernis der persönlichen Arbeitspflicht soll nach Reissner umgedreht werden: Eine Einordnung liege nicht mehr vor, „wenn jemand überhaupt nicht oder allenfalls in Spuren persönlich arbeitspflichtig ist“. Ein Betrieb iSd ArbVG sei für die Einordnung nicht relevant. Bedeutsam sei hingegen die wirtschaftliche Abhängigkeit in Form einer Betriebsmittelabhängigkeit. Im Rahmen einer Prüfung von § 4 Abs 1 Z 14 iVm Abs 4 ASVG sei sodann „im Rahmen seines Geschäftsbetriebs“ nur dahingehend zu verstehen, dass Beschäftigungen im privaten Bereich auszuschließen seien. Bezüglich der eigenen Betriebsmittel sei auf eine eigene betriebliche Infrastruktur abzustellen. Dabei würden in Summe auch geringwertige Wirtschaftsgüter von Relevanz sein.
In der darauffolgenden Diskussion wurde ua von em. o. Univ.-Prof. Dr. Walter Schrammel am Beispiel der Tagung und der Organisation der Vorträge in den Raum gestellt, dass die Judikatur des VwGH doch kritikwürdiger zu sehen sei. Von Seiten des VwGH wurde zudem zu erkennen gegeben, dass die Voraussetzung betreffend die eigenen Betriebsmittel noch nicht ausjudiziert sei. Darüber hinaus wurde auch klargestellt, dass es auf die Eingliederung in den Betrieb nur ankomme, wenn Weisungen nicht feststellbar seien. In den Raum geworfen wurde von Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Brameshuber zudem, ob es notwendig sei, die Einkommensteuergrenze im GSVG abzuschaffen. Dem schloss sich Reissner nicht an. Seiner Ansicht nach seien die Versicherungsgrenzen wohlüberlegt und sinnvoll. Mit Blick auf kleine, selbständige Tätigkeiten würde die Versicherungspflicht ansonsten ausufern.
Ihr Ende fand die diesjährige Jubiläumstagung nach der letzten Diskussion mit den Schlussworten des Präsidenten Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler. Dieser dankte den diesjährigen Referent:innen und Teilnehmer:innen, weiters den Verlagen für die Unterstützung und dem Tagungsteam für die Organisation. Er kündigte für das nächste Jahr die 61. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht an, welche vom 8. bis zum 10. April 2026 – wie üblich – im Ferry Porsche Congress Center Zell am See stattfinden wird.211