87Unterschiedliches Pensionsalter: Eintragung des Geschlechts im zentralen Personenstandsregister nicht konstitutiv – Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Geschlechtsänderung zulässig
Unterschiedliches Pensionsalter: Eintragung des Geschlechts im zentralen Personenstandsregister nicht konstitutiv – Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Geschlechtsänderung zulässig
Die kl Partei wurde 1962 als Mann geboren. Mit Wirksamkeit vom 14.3.2023 wurde ihr Geschlechtseintrag im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) aufgrund eines Erk des VwG Wien von „männlich“ auf „weiblich“ geändert. In den letzten 30 Jahren vor dem Stichtag liegen mehr als 180 Beitragsmonate.
Mit Bescheid vom 7.7.2023 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der kl Partei vom 27.3.2023 auf Gewährung einer Alterspension ab. Ungeachtet der Änderung der Eintragung im ZPR sei nicht von einer Geschlechtsänderung auszugehen, weil die kl Partei sich keiner Psychotherapie, Hormontherapie oder operativen Geschlechtskorrektur unterzogen habe und auch sonst keine äußeren Zeichen der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht zeige.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage machte die kl Partei geltend, dass die Eintragungen der Personenstandsdaten im ZPR vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO böten und sie daher mit Wirksamkeit der Änderung der Eintragung ihres Geschlechts im ZPR (rechtlich) als Frau zu behandeln sei. Ein Gegenbeweis sei nicht zulässig. Die Eintragung sei zu Recht erfolgt, weil sie sich seit mehreren Jahren als Frau bzw dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühle und sich das auch in Zukunft nicht ändern werde. Die von der Bekl vermisste äußere Angleichung des Erscheinungsbildes oder entsprechende Therapien seien auch nicht ausschlaggebend dafür, welchem Geschlecht man sich faktisch zugehörig fühle. Maßgeblich dafür sei vielmehr die psychische Komponente des Zugehörigkeitsempfindens zum anderen Geschlecht. Die Bekl hielt dem entgegen, dass Eintragungen im ZPR nur deklarative Wirkung hätten, sodass der Beweis des Gegenteils zulässig sei.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Zwar wirke die Eintragung des Geschlechts im ZPR nur deklarativ. Das Personenstandsrecht sei allerdings Anknüpfungspunkt für eine Reihe von Regelungen in anderen Rechtsbereichen. Darauf aufbauend liefere das ZPR vollen Beweis darüber, dass für die kl Partei mit Wirksamkeit der Eintragung der Änderung ihres Geschlechts jene Rechte gelten, die mit dem weiblichen Geschlecht verbunden seien. Daher bestehe der Anspruch auf Alterspension zu Recht, weil die bei der Antragstellung rechtlich als Frau geltende kl Partei zum Stichtag das 60. Lebensjahr bereits überschritten habe und die Wartezeit erfüllt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung 193 an das Erstgericht zurück. Die Gerichte seien zwar an das Erk des VwGH über die Änderung der Eintragung des Geschlechts im ZPR gebunden; der Bekl stehe gem § 40 Abs 3 Personenstandsgesetz (PStG) iVm § 292 Abs 2 ZPO jedoch der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Änderung des Geschlechts offen; sie habe dazu auch umfangreiches Vorbringen erstattet, warum sie die im ZPR dokumentierte Geschlechtsänderung für nicht zutreffend halte. Da das Erstgericht aufgrund seiner nicht gebilligten Rechtsansicht zu diesem Thema weder Beweise aufgenommen noch Feststellungen getroffen habe, sei die Sache nicht entscheidungsreif.
Der Rekurs der kl Partei war nicht zulässig. Der OGH hat sich bereits zuvor ausführlich mit den Auswirkungen einer Änderung der Eintragung des Geschlechts im ZPR auf die Alterspension befasst. Davon wurden für den Anlassfall folgende Aussagen hervorgehoben:
Zunächst wurde betont, dass das PStG 2013 nichts darüber aussagt, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht einer Person geändert hat. Für die Frage, welchem Geschlecht eine Person zuzuordnen ist, ist mangels gesetzlicher Regelung die Verwaltungspraxis maßgeblich (OGH 21.6.2022, 10 ObS 29/22w; OGH 21.4.2009, 10 ObS 29/09a). Weiters wurde klargestellt, dass es sich bei Verfahren nach dem PStG 2013 nach der Rsp des VwGH weitgehend um Verfahren handelt, die aufgrund von Urkunden erfolgen, jedenfalls aber (nur) der Beurkundung dienen und nicht etwa über den Personenstand konstitutiv absprechen. Einem Eintrag im ZPR kommt daher keine konstitutive Wirkung zu (10 ObS 29/22w; vgl auch VfGH 26.6.2014, B 212/2014 ua). Schließlich wurde auf § 40 Abs 3 PStG 2013 verwiesen, wonach die Eintragung zu den allgemeinen und besonderen Personenstandsdaten vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO begründet. Somit ist im eigentlichen Anwendungsbereich des § 292 Abs 1 ZPO, also ua in sozialgerichtlichen Verfahren, dem Entscheidungsorgan bei einer öffentlichen Urkunde die freie Würdigung dessen verwehrt, was darin von der Behörde verfügt oder von der Behörde oder Urkundsperson bezeugt wird. Erst dann, wenn der Prozessgegner den Beweis dafür erbringt, dass der bezeugte Vorgang oder die bezeugte Tatsache sich nicht oder nicht in der bezeugten Form ereignet haben oder, dass der Beurkundungsvorgang unrichtig war, kommt die freie richterliche Beweiswürdigung in diesem Umfang zum Zug (OGH10 ObS 29/22w Rz 27 mwN; vgl § 292 Abs 2 ZPO). Daraus folgt: Gelingt dieser Beweis nicht oder wird er – wie dort – gar nicht angetreten, ist der Versicherte ab der Änderung der Eintragung seines Geschlechts im ZPR, dh ex nunc, solange rechtlich als diesem Geschlecht zugehörig zu behandeln, als diese Eintragung besteht. Die Frage, welches Regelpensionsalter (§ 253 ASVG) anwendbar ist, richtet sich daher nach dem Geschlecht zum Stichtag (OGH10 ObS 29/22w Rz 27 mwN).
Nach der stRsp gilt für Erk der Verwaltungsgerichte, dass das Ausmaß der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Erkenntnisses grundsätzlich durch den Spruch bestimmt wird. Nach dem Spruch des Erk des VwG Wien wird aber nur die Änderung des Geschlechtseintrags der kl Partei im ZPR von „männlich“ auf „weiblich“ verfügt und nicht über die Änderung des Geschlechts an sich abgesprochen. Der im Spruch verfügten Eintragung können demgemäß auch keine Rechtskraftwirkungen zukommen. Fragen der Bindungswirkung stellen sich daher von vornherein nicht. Was den Beweis des Gegenteils anlangt, bezweifelt die kl Partei mit Blick auf § 40 Abs 3 PStG 2013 konsequenterweise nicht, dass die Eintragung im ZPR eine öffentliche Urkunde darstellt, die vollen Beweis dessen begründet, was darin amtlich verfügt oder erklärt oder von der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wird. Daraus folgt jedenfalls für Verfahren, in denen die ZPO anwendbar ist, dass dem Gegner der Beweis des Gegenteils nach § 292 Abs 2 ZPO offen steht. Das bedeutet, dass die Bekl zwar nicht den Beweis, dass die Änderung des Eintrags des Geschlechts auf „weiblich“ nicht erfolgt ist, sehr wohl aber den Nachweis der Unrichtigkeit der damit bezeugten Tatsache, also der (tatsächlichen) Änderung des Geschlechts, führen kann.
Zusammenfassend entspricht die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht des Berufungsgerichts den Grundsätzen der Rsp zu vergleichbaren Fällen. Somit hat der Rekurs keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. 194