86Kein gesonderter feststellender Abspruch über Zuständigkeit des Mitgliedstaats für Leistungsgewährung nach der VO 883/2004 – Ablehnung der Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ist eine Leistungssache
Kein gesonderter feststellender Abspruch über Zuständigkeit des Mitgliedstaats für Leistungsgewährung nach der VO 883/2004 – Ablehnung der Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ist eine Leistungssache
Der Mitbeteiligte erstattete bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (weiters revisionswerbende Partei) eine Unfallmeldung hinsichtlich eines am 2.11.2019 erlittenen Arbeitsunfalls, da sich der Unfall im Zuge landwirtschaftlicher Nachbarschaftshilfe ereignet habe und Österreich der zuständige Mitgliedstaat für diesen Arbeitsunfall sei.
Mit Bescheid vom 17.11.2022 sprach die revisionswerbende Partei aus, dass der Antrag abgelehnt werde und der Unfall „nicht in die Zuständigkeit der österreichischen Sozialversicherung“ falle. Begründend wird ausgeführt, dass der Mitbeteiligte in Österreich selbständig, in Deutschland unselbständig erwerbstätig sei und sich daher gem Art 13 Abs 3 der VO (EG) 883/2004 die Zuständigkeit Deutschlands ergebe. In der Rechtsmittelbelehrung wurde festgehalten, dass gegen diesen Bescheid gem § 414 ASVG iVm § 7 Abs 4 Z 1 VwGVG binnen vier Wochen Beschwerde an das BVwG erhoben werden kann.
Das BVwG gab der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid ersatzlos. Die Revision erklärte es für nicht zulässig. Gegen dieses Erkenntnis richtete sich die außerordentliche Revision. Diese ist zulässig und aufgrund dessen ist aufzugreifen, dass das BVwG eine Zuständigkeit zur meritorischen Entscheidung in Anspruch genommen hat, die ihm nicht zugekommen ist.
Der VwGH stellt dazu fest:
Die Prüfung und Entscheidung, die Rechtsvorschriften welchen Mitgliedstaates nach den Koordinierungsvorschriften (VO 883/2004 bzw VO 987/2009) 192 zur Anwendung gelangen, obliegt den nationalen Versicherungsträgern (bzw nachprüfend den Gerichten). Ergibt die Prüfung, dass Österreich in diesem Sinn nicht der für die Leistung zuständige Mitgliedstaat ist, führt dies zur Nichtgewährung der Versicherungsleistung durch den österreichischen Träger. Ein von der Entscheidung über den Anspruch gesonderter feststellender Abspruch des Versicherungsträgers darüber, welcher Mitgliedstaat nach der VO 883/2004 zur Gewährung der konkreten Leistung zuständig ist, ist weder im ASVG noch unionsrechtlich vorgesehen und auch nicht zulässig. Der Erlassung eines solchen Feststellungsbescheides durch den Versicherungsträger steht entgegen, dass ein Leistungsbescheid ergehen kann (vgl zur Unzulässigkeit von Feststellungsbescheiden in solchen Fällen etwa VwGH 10.10.2016, Ra 2014/17/0014, mwN). Ein Antrag auf eine Leistung, die nach den Koordinierungsvorschriften nicht vom österreichischen Träger zu gewähren ist, ist auch nicht zurückzuweisen, sondern – wegen Fehlens einer anspruchsbegründeten Voraussetzung – abzuweisen.
Bei einem Bescheid, mit dem aus dem Grund fehlender Zuständigkeit Österreichs nach der VO 883/2004 die Gewährung der Versicherungsleistung abgelehnt wird, handelt es sich um eine Entscheidung über den Bestand des Anspruchs auf eine Versicherungsleistung und somit um eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG. Dass in diesem Sinn auch eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vorliegt und die Bekämpfung der Entscheidung des Versicherungsträgers daher durch Klage an das Arbeits- und Sozialgericht nach den Bestimmungen des ASGG zu erfolgen hat, hat auch der OGH seiner Rsp implizit – wenngleich bisher nicht dem ASVG, sondern zum Kinderbetreuungs- und Pflegegeld – zugrunde gelegt (vgl zum Kinderbetreuungsgeld zB OGH 24.3.2015, 10 ObS 117/14z, zum Pflegegeld OGH 13.9.2016, 10 ObS 83/16b).
Die revisionswerbende Partei hat aufgrund des Antrags des Mitbeteiligten mit ihrem Bescheid vom 18.11.2022 die Gewährung von Leistungen aus der UV an den Mitbeteiligten „abgelehnt“. Damit wurde keine Entscheidung in der Sache verweigert, sondern über den Anspruch des Mitbeteiligten meritorisch entschieden. Es liegt daher eine Leistungssache gem § 354 Z 1 ASVG bzw eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor, welche nicht vor dem BVwG bekämpft werden kann. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.