85Kinderbetreuungsgeld und Verlängerung des Dienstverhältnisses: Absicht ausschlaggebend für die Beurteilung als Scheingeschäft
Kinderbetreuungsgeld und Verlängerung des Dienstverhältnisses: Absicht ausschlaggebend für die Beurteilung als Scheingeschäft
1. Der angedeutete Umstand, die Verlängerung des Dienstverhältnisses sei erfolgt, um der Kl den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld zu ermöglichen, betrifft das Motiv für die Vereinbarung. Auch in diesem Fall bliebe die Verlängerung des Dienstverhältnisses tatsächlich gewollt.
2. Es mag sein, dass von vornherein klar war, dass während der vereinbarten Verlängerung weder die Arbeitsleistung zu erbringen noch ein Entgelt zu leisten sein werde. Das Ruhen der Hauptleistungspflichten sagt für sich aber nichts über das Bestehen eines Dienstverhältnisses aus.
Die Kl hat, anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 1.9.2023, einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 1.9.2023 bis 30.8.2024 beantragt. Im Verfahren ist strittig, ob die Kl in den letzten 182 Tagen vor der Geburt erwerbstätig iSd § 24 Abs 2 KBGG war. Die Kl war ab 1.8.2022 unselbständig beschäftigt, laut Dienstvertrag bis 31.1.2023 befristet. Mangels gegenteiliger Mitteilung der DG sollte das Dienstverhältnis nach Ende der Befristung in ein unbefristetes übergehen. Im Jänner 2023 gab die Kl bekannt, schwanger zu sein. Die DG wollte sich von der Kl trennen und beabsichtigte daher, die Befristung auslaufen zu lassen. Die Kl hatte ihrerseits den Eindruck, aufgrund ihrer Schwangerschaft anders behandelt zu werden. In Gesprächen zwischen dem BR und der Kl teilte diese mit, weiterhin beschäftigt bleiben, aber, wenn möglich, in eine andere Abteilung versetzt werden zu wollen. Auf dieser Grundlage verhandelte der BR mit der DG. Diese bot in der Folge eine einvernehmliche Auflösung an, welche die Kl annahm. Zusammengefasst wurde darin vereinbart, dass das Dienstverhältnis bis zum Ende des Mutterschutzes aufrechterhalten bleibt, die Kl mit sofortiger Wirkung unter Fortzahlung ihrer vollen Bezüge vom Dienst freigestellt wird, der noch nicht eingebuchte Resturlaub mit der Endabrechnung ausgezahlt wird und die bereits davor vereinbarte Erhöhung des Bezuges ab 1.2.2023 durchgeführt wird. Von 9.7. bis 29.10.2023 bezog die Kl Wochengeld und erhielt im Anschluss ihre Urlaubsersatzleistung von der DG. Die Bekl wies den Antrag der Kl auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens ab.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld von 1.9.2023 bis 30.8.2024 statt. Das Berufungsgericht wies die Klage dagegen ab. Es bejahte den von der Bekl gerügten Stoffsammlungsmangel, weil das Erstgericht den BR nicht einvernommen habe. Es ergebe sich aber schon aus dem bisher festgestellten Sachverhalt, dass ein Scheingeschäft vorliege, weil die Intention der Vertragsparteien nicht darauf gerichtet gewesen sei, einen Dienstvertrag mit Leistungsaustausch bis zum Ende der Befristung zu begründen. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu. Der OGH erklärte die dagegen erhobene außerordentliche Revision als zulässig und iSd hilfsweise gestellten Zurückverweisungsantrags berechtigt.
„[22] 3.1. Bei einem Scheingeschäft wollen die Parteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, die mit dem Rechtsgeschäft verbundenen Rechtsfolgen in Wahrheit aber nicht oder nicht so, wie vertraglich niedergelegt, eintreten lassen (RS0018149; 1 Ob 8/24v Rz 8 ua). Es setzt also einen gemeinsamen dolus voraus, der schon im Zeitpunkt des Zustandekommens des Scheinvertrags gegeben sein muss (RS0018107; RS0018121). Ein solches Scheingeschäft ist nach § 916 Abs 1 ABGB nichtig, weil es von den Parteien (so) nicht gewollt war und auch keine der Parteien auf die Wirksamkeit der Erklärungen vertraute (RS0018103; RS0018136 [T1, T3]; 9 Ob 22/22h Rz 10 ua). 190
[23] 3.2. Auf die Ungültigkeit von Scheingeschäften kann sich auch ein Dritter berufen (RS0018051; RS0018158 […]). Da solche Geschäfte häufig zur Täuschung von Behörden geschlossen werden (vgl RS0018107), gilt das auch für sie. Sofern § 539a ASVG zur Anwendung gelangt, ist ihnen nach dessen Abs 4 nur verwehrt, sich iSd § 916 Abs 2 ABGB auf das Scheingeschäft zu berufen; für sie ist stets das verdeckte Geschäft maßgeblich (10 ObS 207/03v […]).
[24] 3.3. Die Beweislast für das Vorliegen einer Scheinvereinbarung trifft immer denjenigen, der sich darauf beruft (RS0018103 [T1]; RS0018084 [insb T1]). Die Frage, ob ein Scheinvertrag vorliegt oder nicht, fällt in das Gebiet der Tatsachenfeststellung (RS0043610 […]); nur die Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen ist rechtliche Beurteilung (RS0043610 [T3] […]). Entscheidend ist dabei die Absicht (RS0018129 […]) und nicht die Motive der Beteiligten (vgl 4 Ob 8/04m; RS0018136 [T2]); diese lassen im Rahmen der Auslegung der Willenserklärungen der Parteien jedoch Rückschlüsse darauf zu, diese seien bloß fingiert (vgl 1 Ob 123/98i; 3 Ob 134/11v ErwGr 3.2.).
[25] 4. Unter Anwendung dieser Grundsätze lässt sich aus der derzeitigen Sachverhaltsgrundlage nicht ableiten, dass das Erklärte einverständlich nicht gelten solle.
[26] 4.1. Nach den bisherigen Feststellungen wollte die Klägerin weiterhin, wenn auch in einer anderen Abteilung, beschäftigt bleiben. Dass sie das Angebot zu einer Beendigung des (nach § 10a Abs 1 MSchG verlängerten) Dienstverhältnisses mit Ende des Beschäftigungsverbots annahm, bedeutet nicht, dass sie nicht die Absicht hatte, es wenigstens bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zu verlängern. Der vom Berufungsgericht angenommene einverständlich erweckte äußere Schein ergibt sich bisher somit nicht.
[27] 4.2. Die vom Berufungsgericht für seine Ansicht ins Treffen geführten Argumente überzeugen auch sonst nicht:
[28] 4.2.1. Wenn es auf das Motiv der Dienstgeberin verweist, vermengt es die Beweggründe mit der maßgeblichen Absicht. Nur weil ein Dienstgeber bemüht ist, den weiteren beruflichen Werdegang einer schwangeren Mitarbeiterin nicht negativ zu beeinträchtigen, und deshalb ein Dienstverhältnis über das gesetzliche Mindestmaß hinaus bis zum Ende des Beschäftigungsverbots verlängert, heißt das nicht, dass er in Wahrheit gar kein Dienstverhältnis begründen wollte (vgl 3 Ob 134/11v [„Absicherung“]).
[29] Das Motiv für die Vereinbarung betrifft auch der vom Berufungsgericht angedeutete, aber nicht feststehende Umstand, die Verlängerung des Dienstverhältnisses sei erfolgt, um der Klägerin den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld zu ermöglichen. Auch in diesem Fall bliebe die Verlängerung des Dienstverhältnisses tatsächlich gewollt; sie wäre sogar erforderlich, um die angestrebte Rechtsfolge zu erzielen.
[30] 4.2.2. Ebenso wenig spricht der Wortlaut der Auflösungsvereinbarung für ein Scheingeschäft. […]
[31] 4.2.3. Es mag auch sein, dass von vornherein klar war, dass während der vereinbarten Verlängerung weder die Arbeitsleistung zu erbringen noch ein Entgelt zu leisten sein werde. Das Ruhen der Hauptleistungspflichten sagt für sich aber nichts über das Bestehen eines Dienstverhältnisses aus. Abgesehen vom hier vorliegenden Beschäftigungsverbot nach dem MSchG bleibt ein Dienstverhältnis nämlich in vielen Fällen, etwa bei den diversen Varianten der „Aussetzung“ (vgl RS0028497), während des Präsenz- oder Zivildienstes (§ 4 APSG) oder einer über die Zeit der Entgeltfortzahlung hinausgehenden Arbeitsunfähigkeit weiter aufrecht, obwohl Arbeits- und Entgeltpflicht vorübergehend sistiert sind. Dass die Auflösungsvereinbarung insofern mit keinen „Nachteilen“ für die Dienstgeberin (und auch die Klägerin) verbunden war, liefert daher keinen Anhaltspunkt für die Annahme eines bloß fingierten Dienstverhältnisses.
[32] 5. Auch wenn bislang keine Anzeichen für das von der Beklagten behauptete Scheingeschäft bestehen, ist eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich, weil die Beklagte in der Revisionsbeantwortung die unterlassene Wahrnehmung des vom Berufungsgericht erkannten Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens […] als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt […]. […]“
Der vorliegende Beschluss des OGH bietet anhand eines konkreten Sachverhaltes wertvolle Hinweise für die Beurteilung einer Vereinbarung als Scheingeschäft. Besonders erhellend sind die Erläuterungen zur Unterscheidung von Absicht und Motiv, sowie zum Bestehen eines Dienstverhältnisses auch ohne Leistungsaustausch.
Die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Dienstverhältnis beendet wurde, war im vorliegenden Fall deswegen relevant, weil § 24 Abs 1 Z 2 KBGG für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld ua voraussetzt, dass in den letzten 182 Tagen unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine durchgehende Erwerbstätigkeit vorliegt. Eine vorübergehende Unterbrechung einer solchen Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG ist zwar nach § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG der Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Wenn jedoch das Dienstverhältnis schon vor der Geburt beendet wird, wird es nicht bloß „vorübergehend unterbrochen“, weshalb dann die Voraussetzung des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG nicht erfüllt ist. Es war daher zu beurteilen, ob die einvernehmliche Lösung der Kl und ihrer DG, mit der das Dienstverhältnis bis zum Ende des Beschäftigungsverbotes verlängert wurde, im vorliegenden Fall bloß zum Schein vereinbart wurde. Die Bekl war der Ansicht, die Vertragsparteien hätten von Anfang an nicht die Absicht gehabt, die typischen Rechte und Pflichten des Arbeitsvertrages zu begründen, sondern hätten durch den äußeren Schein der Vereinbarung bezweckt, 191 dass die Kl in den Genuss des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes komme. Dieses Motiv wurde vom Erstgericht nicht festgestellt. Das OLG Wien folgte der Bekl im Wesentlichen und urteilte, dass die Willenserklärungen der Vertragsparteien nicht darauf gerichtet waren, den typischen mit Arbeitsverhältnissen verbundenen Leistungsaustausch – Arbeitsleistung gegen Entgelt – zu begründen. Darin erblickte es – in ausdrücklichem Widerspruch zur vorherigen E des OLG Wien (27.6.2023, 9 Rs 32/23a) – ein Scheingeschäft. Vom OGH wurde nun klargestellt, dass diese Rechtsansicht verfehlt ist.
Zuerst ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung eines Scheingeschäfts zwar maßgeblich in den Bereich der Tatsachenfeststellung fällt, nämlich dahingehend, welche Willenserklärungen und mit welcher Absicht diese abgegeben wurden (RS0043610). Die Auslegung der Willenserklärung, also die Beurteilung, ob die festgestellten Willenserklärungen nur fingiert und somit als Scheingeschäft zu qualifizieren sind, ist jedoch rechtliche Beurteilung (RS0043610 [T3]; OGH 24.11.1998, 1 Ob 123/98i). Bei dieser Beurteilung weicht der OGH im vorliegenden Fall in mehreren Punkten von der Beurteilung des Berufungsgerichts ab:
Zum einen wird darauf hingewiesen, dass die – teils festgestellten, teils vom Berufungsgericht nur angedeuteten – Motive für die Vereinbarung nicht mit der maßgeblichen Absicht vermengt werden dürfen. Die Absicht betrifft die Frage, ob die Vertragsparteien tatsächlich ein Dienstverhältnis begründen bzw verlängern wollten. Aus welchen Beweggründen (= Motiven) heraus sie dies wollten – etwa um den weiteren beruflichen Werdegang einer Mitarbeiterin nicht negativ zu beeinträchtigen oder um den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld zu ermöglichen –, ist nicht ausschlaggebend. Die Unterscheidung zwischen Absicht und Motiv ist für die Prüfung eines Scheingeschäfts essenziell, denn bei der Auslegung der Willenserklärung ist nur die Absicht der Parteien (RS0018129) und nicht deren Motive (RS0018136 [T2]) entscheidend. Die Motive können nur im Rahmen der Auslegung der Willenserklärungen Rückschlüsse darauf zulassen, ob das Erklärte auch tatsächlich beabsichtigt ist (vgl zB OGH 24.8.2011, 3 Ob 134/11v ErwGr 3.2.). Ein Dienstverhältnis bleibt somit ein Dienstverhältnis, auch wenn es mit dem Motiv verlängert wird, Zugang zu (Familien-)Leistungen zu erlangen – dies unter der Voraussetzung, dass die Verlängerung des Dienstverhältnisses tatsächlich gewollt ist.
Zum anderen stellt der OGH klar, dass das Ruhen der Hauptleistungspflichten für sich nichts über das Bestehen eines Dienstverhältnisses aussagt. Ein Dienstverhältnis bleibt nicht nur während eines Beschäftigungsverbotes nach MSchG, sondern auch in vielen anderen Fällen (zB Karenzierung, Präsenz- oder Zivildienst, Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung) weiter aufrecht, obwohl Arbeits- und Entgeltpflicht vorübergehend sistiert sind. Es liegt somit kein bloß zum Schein verlängertes Dienstverhältnis vor, nur weil die Vertragsparteien wissen und wollen, dass während des Verlängerungszeitraumes, der sich mit dem Beschäftigungsverbot deckt, kein Leistungsaustausch stattfinden wird.