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Verlust des Anspruchs auf Folgeprovisionen bei berechtigter Entlassung – zulässige Kollektivvertragsregelung

CHRISTOPH RADLINGMAYR

Der Kl war von 1.8.1988 bis 29.11.2017 bei der Bekl zuletzt als Direktor beschäftigt. Dem Dienstverhältnis liegt der Kollektivvertrag für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen (KollV) zugrunde. Der Kl entschied sich für das Provisionsmodul, wonach die Erstprovision und die Folgeprovisionen jeweils 50 : 50 aufgeteilt werden. Seine Provisionen wurden in Form eines monatlichen Akontos ausgezahlt, die tatsächliche Abrechnung erfolgte jeweils im Jänner oder Februar des Folgejahres. Die letzte Provisionsakontierung erfolgte im Dezember 2017, ein Teil dieses Betrags wurde mit der Endabrechnung von Jänner 2018 wieder in Abzug gebracht. 160

Die Bekl erstellt jährlich einen Vertriebsplan, in dem sämtliche Definitionen zu Bezugsmodellen, Bonifikationen, Wettbewerben und Kapazitäten für den Betrieb der Bekl enthalten waren. Im Vertriebsplan 2017 wurden die Bonifikationsbedingungen für 2017 festgelegt, nach denen ua Anspruch auf eine Bonifikation Vermittler/innen haben sollten, die über ein aufrechtes Dienstverhältnis zum 31.12.2017 verfügten. Zusätzlich wurde festgehalten, dass die Grundsätze der Auslegung von Bonifikationsausschreibungen oder ihrer Berechnung nicht auf dem Rechtsweg angefochten werden können und sich die Bekl den Bonifikationsausschluss teilnehmender Vermittler/innen bei Verstößen gegen die Wertungsrichtlinien vorbehält.

Das Dienstverhältnis zwischen den Parteien endete durch Entlassung. Diese wurde vom Kl gerichtlich angefochten. Das Klagebegehren wurde rechtskräftig abgewiesen.

Mit Urteil des Bezirksgerichts * vom 4.9.2019 wurde der Kl wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB und des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Zusätzlich wurde er zu einer Ersatzleistung an die privatbeteiligte Bekl in Höhe von € 314,80 verurteilt. Hinsichtlich der weiteren Ansprüche wurde die Bekl auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Der Kl begehrt, die Bekl schuldig zu erkennen, ihm eine Provisionsabrechnung hinsichtlich der bis 30.11.2017 von ihm vermittelten und aufrechten Versicherungsverträge zu legen, dies für den Zeitraum 1.1. bis 31.12.2018 und 1.1. bis 31.12.2019 und über die Direktorenbonifikation, genannt * für 2017, sowie den sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Guthabensbetrag zu zahlen. Weiters begehrt er festzustellen, dass die Bekl verpflichtet sei, für sämtliche vom Kl bis zum 30.11.2017 vermittelten und aufrechten Versicherungsverträge auch weiterhin die erwirtschafteten Provisionen an den Kl auszubezahlen.

Er bringt vor, die Folgeprovisionen seien unabhängig vom Ausgang des Entlassungsanfechtungsverfahrens zu zahlen. Es bestehe ein Rechnungslegungsanspruch gem Art XLII EGZPO. Weiters habe er ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass die Bekl dazu verpflichtet sei, solange die Verträge aufrecht seien, entsprechende Provisionen zu zahlen. § 6 Abs 6 des KollV sei sittenwidrig und nichtig nach § 879 ABGB.

§ 6 des KollV lautet (auszugsweise):

„Provisionszahlung nach Auflösung des Dienstverhältnisses

(1) Die vereinbarte Folgeprovision bleibt dem Angestellten unter der Bedingung einer ununterbrochenen Dauer eines diesem Kollektivvertrag unterliegenden Dienstverhältnisses bei dem gleichen Dienstgeber durch mindestens 3 Jahre gemäß den folgenden Bestimmungen gewahrt, längstens jedoch bis zum Ablauf der ursprünglich vereinbarten Dauer der von ihm selbständig vermittelten Versicherungsverträge nach Maßgabe des Prämieneinganges; dabei werden nach Beendigung des Dienstverhältnisses eingetretene Prämienzuwächse nicht berücksichtigt.

(5) Es besteht kein Anspruch auf Folgeprovision oder auf Teile einer solchen, wenn der Angestellte etwas unternimmt, was eine Beeinträchtigung oder Schmälerung des Geschäftsbestandes oder der geschäftlichen Interessen oder des Ansehens des Dienstgebers zur Folge haben könnte.

(6) Ebenso besteht kein Anspruch auf Folgeprovision oder auf Teile einer solchen, wenn der Angestellte vom Dienstgeber vorzeitig entlassen wird (§ 27 AngG).“

Die Bekl bestreitet und bringt vor, die vom Kl geltend gemachten Ansprüche seien entlassungsabhängig. § 6 Abs 6 KollV schließe Folgeprovisionen für den Fall der gerechtfertigten Entlassung aus.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, der OGH gab der Revision in Bezug auf die Direktorenbonifikation Folge und verwies an das Erstgericht zurück. Die Abweisung des Begehrens auf die Folgeprovisionen wurde bestätigt.

Für Vermittlungsprovisionen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Konnex zwischen der erbrachten Arbeitsleistung und dem Erwerb des Anspruchs auf Provision unberührt lässt (RS0027962). Im Zweifel steht dem Angestellten eine Provision für alle Geschäfte zu, die durch seine Tätigkeit während der Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen der Kundschaft und dem AG zustande gekommen sind.

Gemäß der dispositiven Natur der Abs 3 und 4 des § 10 AngG können für den Provisionsverdienst vom Gesetz abweichende Regelungen zum Provisionserwerb und zur Provisionsfälligkeit getroffen werden. Dabei ist allerdings die Sittenwidrigkeitsgrenze des § 879 ABGB zu beachten (Preiss in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 10 AngG Rz 47).

Eine inhaltliche Regelung für Folge-(Nach-)Provisionen haben die Kollektivvertragsparteien in § 6 KollV vorgenommen. Der OGH hat sich bislang mit dem Entfall von Nachprovisionen überwiegend im Zusammenhang mit vertraglichen Vereinbarungen auseinandergesetzt. Dieser Rsp lässt sich entnehmen, dass ein Vorausverzicht auf sämtliche Nachfolgeprovisionen insb dann als sittenwidrig erachtet wurde, wenn dadurch die Kündigungsmöglichkeiten des AN unverhältnismäßig beschränkt oder dem AG die Möglichkeit gegeben wurde, bei einseitiger grundloser Beendigung des Vertragsverhältnisses deren Entfall herbeizuführen. Allerdings wurde auch herausgestrichen, 161 dass es sich um schon verdiente Provisionen handelt und durch einen Entfall des Provisionsanspruchs der AG den Vorteil aus den abgeschlossenen Geschäften erhält, ohne dafür eine Vergütung leisten zu müssen.

Der KollV sieht (nur) in Fällen, in denen der AN eine konkurrenzierende Tätigkeit ausübt bzw die geschäftlichen Interessen des AG schädigt sowie im Fall der gerechtfertigten Entlassung eine Minderung bzw einen Entfall der Nachprovision vor.

Dabei ist der Entfall des Anspruchs des AN nicht (nur) von einer einseitigen Erklärung des AG abhängig, sondern setzt ein die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machendes Verhalten des AN voraus. Damit unterscheidet sich dieser Fall von dem der Kündigung oder unzulässigen vorzeitigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den AG.

Richtig ist zwar, dass § 6 Abs 6 KollV vom Wortlaut her nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des AN beschränkt ist. Allerdings wurde das Arbeitsverhältnis des Kl aufgrund eines Sachverhalts beendet, der auch zu einer strafgerichtlichen Verurteilung des Kl wegen Betrugs zu Lasten der Bekl geführt hat. Selbst bei einer teleologischen Reduktion von § 6 Abs 6 KollV auf Entlassungen aufgrund schuldhaften Verhaltens des AN wäre für den Kl daher nichts zu gewinnen. Auf die Höhe eines dabei entstandenen Schadens kann es dabei nicht ankommen, da es sich beim Entfall von Folgeprovisionen nicht um einen „Schadenersatzanspruch“ des AG handelt, sondern um eine Folge des vertragswidrigen Verhaltens des AN.

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass § 6 des KollV eine differenzierte Regelung enthält, die überhaupt erst einen für die AN günstigen zwingenden Anspruch auf Nachprovision schafft und umgekehrt auch für Fälle vorwerfbaren Verhaltens des AN eine Minderung bzw einen Entfall dieser Provisionen vorsieht. Diese die Interessen sowohl der AN als auch der AG berücksichtigende, von den Parteien des KollV vereinbarte Regel ist nicht als unsachlich anzusehen. Gegen die Gültigkeit der kollektivvertraglichen Regelung bestehen daher keine Bedenken. Entsprechend dem KollV steht aber dem Kl kein Anspruch auf Nachprovisionen zu, weil er gerechtfertigt entlassen wurde.

Weiters begehrt der Kl auch eine Rechnungslegung bezogen auf die Direktorenbonifikation.

Nach den Feststellungen besteht der Anspruch auf eine Bonifikation bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen dann, wenn der AN über ein aufrechtes Dienstverhältnis zum 31.12.2017 verfügt. Entgegen den Vorinstanzen reicht allein diese Stichtagsregelung jedoch nicht aus, den Kl von einer Bonifikation auszuschließen.

Gem § 16 AngG gebührt einem Angestellten eine periodische Remuneration, auch wenn das Dienstverhältnis vor Fälligkeit des Anspruchs gelöst wird, in dem Betrag, der dem Verhältnis zwischen der Dienstperiode, für die die Entlohnung gewährt wird, und der zurückgelegten Dienstzeit entspricht. Unter „Remuneration“ wird allgemein eine aus besonderem Anlass gewährte Zuwendung verstanden, die in Anerkennung der dem AN geleisteten Dienste zum Zwecke der Belohnung (arbeitsleistungsbezogene Zuwendungen), Betriebsbindung und/oder Mehrausgabenabgeltung gegeben wird (Marhold/Auer-Mayer in Auer-Mayer/Burgstaller/Preyer [Hrsg], AngG § 16 Rz 9).

§ 16 AngG umfasst beispielsweise Bilanzremunerationen eines Versicherungsangestellten im Innendienst (OGH 26.11.1997, 9 ObA 2264/96y), Jahresprämien (OGH 6.7.1998, 8 ObA 167/98m) oder Prämien für das Erreichen eines für ein ganzes Geschäftsjahr vorgegebenen Ziels (OGH 23.10.2000, 8 ObA 127/00k).

Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die über viele Jahre regelmäßig den Mitarbeitern der Bekl gewährte Direktorenbonifikation als Abgeltung für besondere Vermittlungsleistungen, deren Voraussetzungen im jährlichen Vertriebsplan im Wesentlichen immer gleichartig definiert wurden, gestaltet ist. Insofern handelt es sich um eine Zusage einer regelmäßigen Leistung, die § 16 AngG unterliegt.

Die zwingende Bestimmung des § 16 AngG kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Entstehung des nicht mit einer spezifischen Leistung des AN verknüpften, sondern für die gesamte Arbeitsleistung im Kalenderjahr oder Arbeitsjahr gebührenden Remunerationsanspruchs an das Erreichen eines bestimmten Stichtages gebunden wird (RS0028850).

Stichtagsregelungen sind daher unbeachtlich (vgl OGH 26.11.2013, 9 ObA 82/13v mwN; Marhold/Auer-Mayer in Auer-Mayer/Burgstaller/Preyer [Hrsg], AngG § 16 Rz 51 ff; Heilegger, Unzulässigkeit von Stichtagsregelungen, infas 2007, 31). Das von den Vorinstanzen herangezogene Argument, dass dem Kl keine (auch nur anteilige) Bonifikation zusteht, weil er zum 31.12.2017 nicht mehr bei der Bekl beschäftigt war, kommt daher keine Bedeutung zu.

Ausgehend von der vom OGH nicht geteilten Rechtsansicht wurde nicht geprüft, ob der Kl die Voraussetzungen für eine Direktorenbonifikation überhaupt erfüllt hat. Der Revision war daher teilweise Folge zu geben. 162