78Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: Anrechnung von Kindererziehungszeiten
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: Anrechnung von Kindererziehungszeiten
Die 1963 geborene Kl erwarb zwischen 1.11.1980 und 31[wohl 30].4.1984 30 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit und anschließend fünf Ersatzmonate. Am 23.7.1984 wurde der erste Sohn in Österreich geboren; im Mai 1985 zog sie mit ihrem Sohn zu ihrem Ehemann nach Belgien, wo am 15.3.1986 der zweite Sohn geboren wurde. In Belgien war die Kl nie erwerbstätig. Obwohl in Belgien grundsätzlich Zeiten der Kindererziehung berücksichtigt werden können, wurden solche bei der Kl nicht berücksichtigt. Von 1993 bis 2013 war sie in Deutschland als Grenzgängerin beschäftigt und erwarb 240 Beitragsmonate. Seit April 2013 lebt sie wieder in Österreich und erwarb weitere 120 Beitragsmonate.
Bei ihrem Antrag auf Feststellung der Versicherungszeiten wurden von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) insgesamt 162 österreichische Versicherungsmonate festgestellt. Mit ihrer Klage begehrte die Kl die Feststellung von Mai 1985 bis März 1990 als Ersatzzeiten für Kindererziehung.
Das Erstgericht gab der Klage statt, weil die Voraussetzungen des Art 44 Abs 2 DVO (Durchführungsverordnung) 987/2009 erfüllt seien, weil Belgien im konkreten Fall die Kindererziehungszeiten nicht berücksichtigt habe. Das Berufungsgericht wies die Klage dagegen ab. Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Kl.
Der OGH unterbricht das Verfahren und legt dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Zur Auslegung von Art 44 Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz wird gefragt, ob dieser dahin auszulegen sei, dass der zuständige Mitgliedstaat (hier Belgien) Kindererziehungszeiten generell nicht berücksichtigt oder nur im konkreten Fall nicht (Anm: etwa wegen Nicht-Erfüllung von Anspruchsvoraussetzungen).
Die zweite Frage betrifft Art 21 AEUV. Nach der Judikatur des EuGH regelt Art 44 der VO 987/2009 die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im Ausland nicht abschließend. Eine Pflicht zur Anrechnung 181 kann sich auch aus Art 21 AEUV bzw dem in bestimmten dazu ergangenen Urteilen entwickelten Kriterium der hinreichenden Verbindung ergeben – beispielsweise, wenn Versicherungszeiten nur in einem Staat vorliegen oder sowohl vor als auch nach der Wohnsitzverlegung dort Zeiten erworben wurden. Hier stellt sich die Frage, ob die hinreichende Verbindung zu Österreich besteht, obwohl die Kl nach der Zeit der Kindererziehung (in Belgien) in einem dritten Mitgliedstaat (Deutschland) rund 20 Jahre gearbeitet hat und erst dann nach Österreich zurückgekehrt ist und auch wieder Versicherungszeiten erworben hat.
In einer zweiten Entscheidung vom selben Tag (OGH 11.2.2025, 10 ObS 118/24m) wird auch ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet. Die dortige Kl (Jahrgang 1962) stellte einen Antrag auf Alterspension, der von der PVA wegen Nicht-Erfüllung der Wartezeit abgelehnt wurde. Die Kl hatte von 1977 bis 1988 122 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit sowie vier Ersatzmonate in Österreicherworben erworben. Im März 1988 verzog sie nach Italien, heiratete und lebt seither dort. Im Mai 1989 und im April 1994 wurden ihre Söhne geboren. Sie ging in Italien nie einer Beschäftigung nach, die Zeiten der Kindererziehung wurden nicht angerechnet. Die Unterinstanzen wiesen die Klage ab. Hier stellt sich die Frage, ob eine hinreichende Verbindung zu Österreich auch besteht, obwohl die Kl nach der Zeit der Kindererziehung keine weiteren Versicherungsmonate in Österreich erworben hat.