70Bestimmung des kollektivvertaglichen Mindestlohns von Arbeitnehmern, deren Arbeitgeber ihren Sitz im Ausland haben
Bestimmung des kollektivvertaglichen Mindestlohns von Arbeitnehmern, deren Arbeitgeber ihren Sitz im Ausland haben
Der Kl war in Österreich als AN einer AG mit Sitz im Ausland beschäftigt, deren Tätigkeit in Österreich die Entwicklung und den Vertrieb eines Schulungsprogramms zum Online-(Devisen-)Handel („Traden“) umfasste.
Der Kl hatte Entgeltansprüche in Höhe von 17.158,48 € eingeklagt. Das Erst- und das Berufungsgericht hatten zu klären, welches kollektivvertragliche Entgelt gem § 3 Abs 2 LSD-BG, am Arbeitsort vergleichbaren AN von vergleichbaren AG gebührt. Das Berufungsgericht war auf Grund der erstgerichtlichen Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der KollV für AN von Unternehmen im Bereich Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik anzuwenden sei.
Dagegen erhob die Bekl außerordentliche Revision, die jedoch vom OGH mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen worden war.
Gem § 3 Abs 2 LSD-BG hat ein AN mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich, dessen AG seinen Sitz nicht in Österreich hat und nicht Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft in Österreich ist, zwingend Anspruch auf jenes gesetzliche, durch Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren AN von vergleichbaren AG gebührt. Die Bekl mit Sitz in Deutschland bestreitet nicht, dass der „gewöhnliche Arbeitsort“ des Kl in Österreich lag.
Die genannte Bestimmung soll verhindern, dass kollektivvertragliche Entgeltregelungen im Zuge der Ausübung der Dienstleistungsfreiheit unterlaufen werden. Ohne die Regelung wären für AG, die keine Niederlassung in Österreich haben und deshalb den österreichischen Kollektivverträgen nicht unterworfen sind, bei einer ständigen Beschäftigung von AN in Österreich nur die auf Gesetz beruhenden österreichischen Arbeitsbedingungen verbindlich, nicht jedoch die kollektivvertraglichen Regelungen.
Um eine Gleichstellung mit vergleichbaren AN zu erreichen, deren (inländische) AG kraft mitgliedschaftsbezogener Kollektivvertragsangehörigkeit einem KollV in Österreich unterliegen, ist daher jener KollV anzuwenden, dem der ausländische AG in Österreich unterliegen würde. Im Gegensatz zu reinen Inlandssachverhalten, bei denen sich die für die Beurteilung des fachlichen Geltungsbereichs eines KollV gem § 8 Z 1 ArbVG maßgebliche Mitgliedschaft des AG zu einer bestimmten Fachgruppe der Wirtschaftskammer nach der tatsächlichen Zuordnung durch die Wirtschaftskammer richtet und nicht der Beurteilung durch das Gericht unterliegt, ist die fiktive Fachgruppenmitgliedschaft des ausländischen AG im Rahmen der Prüfung nach § 3 Abs 2 LSD-BG als Vorfrage zu klären.
Sind vergleichbare Inlands-AG für vergleichbare AN kollektivvertragsfrei und wäre daher auch bei Sitz des (ausländischen) AG in Österreich kein kollektivvertragliches Entgelt zu entrichten, so begründet auch § 3 Abs 2 LSD-BG keinen derartigen Anspruch des AN.
Die Mitgliedschaft zu einer Fachgruppe der Wirtschaftskammer wird durch die Fachorganisationsordnung bestimmt (§ 43 Abs 5 WKG) und richtet sich nach der für den Betrieb erforderlichen Berechtigung. Ein Unternehmen wird mit der Erteilung einer Gewerbeberechtigung ipso iure Mitglied der dieser Berechtigung entsprechenden Fachgruppe der Wirtschaftskammerorganisation (OGH 25.1.2006, 9 ObA 139/05i) und seine Mitgliedschaft endet immer erst mit dem Wegfall der letzten sie begründenden Berechtigung. 173
Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass für die Beurteilung nach § 3 Abs 2 LSD-BG zu prüfen ist, welche Gewerbeberechtigung der ausländische DG hätte, wenn er das Gewerbe in Österreich rechtmäßig ausüben würde.
Abgesehen davon, dass dem OGH zur Auslegung des Gewerberechts keine Leitfunktion zukommt, kann die Frage, welchem Gewerbe ein ausländischer AG im Inland unterliegen würde, nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, sodass sie – abseits korrekturbedürftiger Fehlbeurteilungen – regelmäßig nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO ist.
Das Berufungsgericht legte die erstgerichtlichen Feststellungen dahin aus, dass die Tätigkeit der Bekl die Entwicklung und den Vertrieb eines Schulungsprogramms zum Online (Devisen-)Handel („Traden“) umfasse. Auf Grundlage dieses vertretbaren Verständnisses der Feststellungen folgerte es, die Tätigkeit der Bekl würde in Österreich eine Anmeldung des (freien) Gewerbes „Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik“ gem § 153 GewO voraussetzen. Dieses Gewerbe sei der Fachgruppe der Wirtschaftskammer „Unternehmensberatung und Informationstechnologie“ zuzuordnen, sodass der KollV für AN von Unternehmen im Bereich Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik anzuwenden sei.
Die außerordentliche Revision zeigt keinen aufzugreifenden Korrekturbedarf auf.
Nach dem Berufsbild Informationstechnologie des Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (Ausgabe 2024) unterliegt insb auch der Bereich der „System- und Softwareanbietung“ dem Gewerbe nach § 153 GewO. Dazu zählen ua die Entwicklung und der Verkauf von Software-Produkten. Ausgehend davon bedarf weder die Einordnung der Tätigkeit der Bekl unter § 153 GewO noch die fingierte Fachverbandszugehörigkeit zur Wirtschaftskammergruppe „Unternehmensberatung und Informationstechnologie“ einer Korrektur durch den OGH.