69Kollektivvertrag für Bedienstete der österreichischen Seilbahnen: Lehrzeit bei Kündigungsfrist nicht einzubeziehen
Kollektivvertrag für Bedienstete der österreichischen Seilbahnen: Lehrzeit bei Kündigungsfrist nicht einzubeziehen
Der Kl war bei der A* GmbH & Co KG von 1.8.2017 bis 31.7.2021 als Lehrling und ab 1.8.2021 als Arbeiter beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der KollV für Bedienstete der österreichischen Seilbahnen anzuwenden. Über das Vermögen der AG wurde mit Beschluss vom 14.7.2023 das Konkursverfahren eröffnet. Am 19.7.2023 wurde die Schließung des Unternehmens bewilligt. Das Dienstverhältnis endete am 25.7.2023 durch Austritt des Kl gem § 25 IO. Der Kl meldete seine Forderungen sowohl im Insolvenzverfahren als auch bei der bekl IEF-Service GmbH an. Die Bekl lehnte das beantragte Insolvenz-Entgelt für Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum von 14.8. bis 25.10.2023 ab. Das Dienstverhältnis habe weniger als zwei Jahre gedauert. Unter Bedachtnahme auf den Kündigungstermin zum Ende einer Kalenderwoche und eine zweiwöchige Kündigungsfrist hätte das Dienstverhältnis gem KollV bei ordnungsgemäßer Kündigung mit 13.8.2023 geendet. Nach Ansicht des Kl sei die Dauer des Lehrverhältnisses und des Dienstverhältnisses zusammenzurechnen, sodass insgesamt mehr als fünf Dienstjahre zurückgelegt worden seien. Nach § 14 KollV betrage die Kündigungsfrist ab dem vollendeten fünften Dienstjahr bis zum vollendeten zehnten Dienstjahr drei Monate jeweils zum Monatsletzten. Der Kl habe daher Anspruch auf unbedingte Kündigungsentschädigung bis 25.10.2023 sowie auf unbedingte Urlaubsersatzleistung für 5,21 Werktage. Die bekl IEF-Service GmbH bestritt und brachte vor, dass die Lehrzeit bei der Berechnung der kollektivvertraglichen Kündigungsfrist nicht anzurechnen sei. Die Kündigung hätte nach § 14 KollV unter Wahrung einer Frist von zwei Wochen zum Ende der Kalenderwoche ausgesprochen werden können. Die für den Zeitraum nach dem 13.8.2023 begehrten Leistungen stünden daher nicht zu.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Der KollV differenziere sprachlich zwischen Dienstzeit und Lehrzeit bzw Bediensteten und Lehrlingen; § 14 stelle nur auf die Dienstzeit und nicht auf eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit ab. Die dagegen gerichtete Revision des Kl wurde zurückgewiesen.
Gem § 1 Abs 2 IESG sind aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche (§ 1 Abs 3 IESG) aus dem Arbeitsverhältnis gesichert, auch wenn sie gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sind. Dazu zählen insb Ansprüche auf laufendes Entgelt sowie Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Z 1 leg cit).
Tritt ein AN in Folge einer Unternehmensschließung nach § 25 IO aus, so steht ihm ein Schadenersatzanspruch wie bei einem vom AG verschuldeten Austritt nach § 29 Abs 1 AngG bzw § 1162b ABGB zu. Das zeitliche Maß dieses Anspruches wird durch die für den konkreten AN – unter Außerachtlassung der Insolvenzeröffnung – bestehende Kündigungsmöglichkeit des AG bestimmt. Dem AN gebührt demnach Kündigungsentschädigung bis zum fiktiven Ende des Arbeitsverhältnisses durch AG-Kündigung. Er ist also so zu stellen, als wäre das Arbeitsverhältnis durch den AG ordnungsgemäß beendet worden. Die Dauer der Kündigungsfrist richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Kündigung. Das Recht auf eine längere Kündigungsfrist aufgrund einer längeren 171 Dienstzeit wird erst durch deren Ablauf erworben. Es muss bereits in jenem Zeitpunkt vorhanden sein, in dem spätestens gekündigt werden konnte.
Im vorliegenden Fall ist strittig, welche Dienstzeiten für die Konkretisierung der Kündigungsbestimmungen des anzuwendenden KollV zu berücksichtigen sind.
§ 14 KollV („Kündigung“) lautet:
„1. Das Dienstverhältnis kann während der ersten vier Wochen ohne Einhaltung der Kündigungsfrist beiderseits zum Ende eines Arbeitstages gelöst werden.
1a. Vor dem Hintergrund der besonderen Eigenschaften des österreichischen Seilbahngewerbes wird von den Kollektivvertragspartnern übereinstimmend und ausdrücklich festgehalten, dass es sich beim Seilbahngewerbe um eine Saisonbranche im Sinne von § 1159 (2) ABGB handelt, in welcher Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) überwiegen. Abweichend von § 1159 (2) ABGB gelten für Kündigungen folgende Kündigungsfristen und Kündigungstermine:
2. Bis zum vollendeten zweiten Dienstjahr kann das Dienstverhältnis, sofern keine anderen gesetzlichen Bestimmungen entgegenstehen, unter Einhaltung einer zweiwöchigen Kündigungsfrist durch vorhergehende Kündigung zum Ende einer Kalenderwoche aufgelöst werden.
3. Nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr ist eine Kündigung jeweils zum Monatsletzten unter Einhaltung folgender Kündigungsfristen möglich:
bis zum vollendeten 5. Dienstjahr 2 Monate
bis zum vollendeten 10. Dienstjahr 3 Monate
über 10 Dienstjahre 5 Monate
4. […]
5. […]
6. […]
7. Hinsichtlich der Weiterverwendung eines ausgelernten Lehrlings gilt § 18 Berufsausbildungsgesetz. Wird die Lehrabschlussprüfung mit Auszeichnung oder gutem Erfolg abgeschlossen, so beträgt diese Frist sechs Monate. Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem ausgelernten Lehrling nicht über die Zeit der Weiterverwendung hinaus fortsetzen, hat er es mit vorhergehender sechswöchiger Kündigungsfrist zum Ende der Weiterverwendungszeit zu kündigen.“
Der normative Teil eines KollV ist nach den Grundsätzen der §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Maßgeblich sind insb die eigentümliche Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und die Absicht des Normgebers. Nach der Judikatur kann den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechend praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, die einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen soll.
§ 18 BAG regelt die sogenannte Behaltepflicht. Er sieht die Verpflichtung des Lehrberechtigten, mit dem Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit einen Dienstvertrag von mindestens drei Monaten abzuschließen, vor. Nach stRsp setzt die Weiterbeschäftigung eines Lehrlings nach Ende der Lehrzeit das bestehende Arbeitsverhältnis aber nicht fort, sondern begründet ein neues Arbeitsverhältnis. Die Zeiten eines Lehrverhältnisses und eines unmittelbar anschließenden Arbeitsverhältnisses bilden daher keine Einheit und sind grundsätzlich getrennt zu behandeln. Wird in einem KollV auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses abgestellt, muss die jeweilige Anspruchsgrundlage daraufhin geprüft werden, ob eine Spezialnorm die Anrechenbarkeit der Lehrzeit vorschreibt oder sich die Anrechenbarkeit dieser Zeit aus dem Zweck der betreffenden Bestimmung ergibt.
§ 1 Z 2 lit a und b des hier gegenständlichen KollV legt fest, dass sich der KollV auf „die Bediensteten und Lehrlinge“ von näher definierten Seilbahnunternehmen bezieht, schließt also „Lehrlinge“ schon grundsätzlich nicht in den Begriff „Bedienstete“ ein oder unterstellt sie nicht diesem als Oberbegriff. Kündigungen werden in § 14 des KollV geregelt. Nach seinem Wortlaut beschäftigt sich § 14 nur mit „Dienstzeiten“ und „Dienstnehmern“, wobei lediglich in Z 7 ausdrückliche Regelungen für ausgelernte Lehrlinge getroffen werden. Der KollV differenziert wiederholt zwischen Regelungen für DN und solchen für Lehrlinge und knüpft daran unterschiedliche Rechtsfolgen. So regelt § 18 Z 7 des KollV die Frage, in welche der regulären Lohngruppen und -stufen ein Lehrling nach Ende der Lehrzeit und bestandener Lehrabschlussprüfung einzureihen ist. Die Bestimmung berücksichtigt die mit dem Lehrabschluss einhergehende berufsspezifische Qualifikation, ohne eine Einrechnung der absolvierten Lehrzeit in die Dienstzeit anzuordnen. Hingegen wird zu den Sonderzahlungen in § 21 des KollV normiert, dass diese Bediensteten und Lehrlingen zustehen, wobei in Ansehung zeitabhängiger Ansprüche hier generell auf Zeiten der „Beschäftigung im Betrieb“ abgestellt wird. Auch § 29 des KollV betreffend Jubiläumsgelder nennt Bedienstete und Lehrlinge als Anspruchsberechtigte und definiert als Berechnungsgrundlage – anders als in § 14 KollV – ausdrücklich „die beim Seilbahnunternehmen verbrachte Dienstzeit/Lehrzeit“.
Aus Sicht des OGH legt das Berufungsgericht anschaulich dar, dass in § 14 des KollV – von Bestimmungen in anderen Kollektivverträgen abweichend – nicht auf die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb im Allgemeinen abgestellt wird; während an anderen Stellen jedoch, wo die Kollektivvertragsparteien Dienst- und Lehrzeiten gleichermaßen berücksichtigt haben wollten, dies ausdrücklich normiert wurde. Zutreffend hat daher bereits das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass sich in § 14 des KollV keine Grundlage findet, aus der die vom Kl angestrebte Zusammenrechnung von Lehr- und Dienstzeiten bei der Ermittlung der anzuwendenden Kündigungsbestimmungen abzuleiten wäre. Wenn § 14 Z 7 des KollV – im Umkehrschluss – besagt, dass bei Unterbleiben einer Kündigung „das Arbeitsverhältnis 172 mit dem ausgelernten Lehrling […] über die Zeit der Weiterverwendung hinaus fortgesetzt“ wird, so bezieht sich dies nur auf ein einheitliches Arbeitsverhältnis ab Beendigung der Lehre, nämlich ein einheitliches Arbeitsverhältnis „mit dem ausgelernten Lehrling“. Weiters überzeugt auch der Hinweis des Berufungsgerichts, wonach § 14 Z 7 des KollV die Rechtsstellung des ausgelernten Lehrlings nach der Weiterverwendung iSd § 18 BAG verschlechtern würde, wenn man dem Standpunkt des Kl folgen würde und die Lehrzeit ohnehin als Dienstzeit anrechenbar wäre. Die Revision übersieht nämlich, dass die Lehrzeit regelmäßig die Dauer von zwei Jahren übersteigt, sodass ebenso regelmäßig nicht die Kündigungsfrist nach § 14 Z 2 des KollV, sondern die zweimonatige Kündigungsfrist nach § 14 Z 3 KollV in Betracht kommen wird. Einem ausgelernten weiterverwendeten Lehrling gegenüber gälte aber stattdessen nur eine sechswöchige Kündigungsfrist nach § 14 Z 7 KollV. Warum den Kollektivvertragsparteien in dieser Konstellation eine regelmäßige Schlechterstellung von ausgelernten Lehrlingen unterstellt werden könnte, sei laut OGH nicht ersichtlich.
Zusammengefasst ist § 14 des KollV in Ansehung der Berechnung der Kündigungsfrist unter Zugrundelegung der absolvierten „Dienstjahre“ dahin auszulegen, dass die geforderten Dienstzeiten die Lehrlingszeiten nicht einschließen.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.