22Keine Berücksichtigung kollektivvertraglicher Lohnerhöhungen beim Rehabilitationsgeld während des laufenden Bezugs
Keine Berücksichtigung kollektivvertraglicher Lohnerhöhungen beim Rehabilitationsgeld während des laufenden Bezugs
Eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung ist beim Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) gem § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Bemessungszeitraum – nicht jedoch während des laufenden Bezugs – eintritt.
Würden auch Kollektivvertragsänderungen während des laufenden Bezugs von Rehabilitationsgeld zur Neuberechnung der Bemessungsgrundlage führen, dann würde die Einschränkung in § 108i Abs 1 Satz 1 ASVG ihren Zweck verfehlen. Es käme nämlich zu einer doppelten Anpassung der Bemessungsgrundlage – einerseits durch eine gebotene Neuberechnung auf Basis eines erhöhten Kollektivvertragslohns, andererseits durch Vervielfachung mit dem Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG).
[1] Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 26.8.2020 wurde festgestellt, dass beim Kl ab 1.8.2020 vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliegt und ab 1.8.2020 für die Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der KV besteht.
[2] Zuvor war der Kl von 26.8.2019 bis 13.3.2020 bei der P* GmbH beschäftigt gewesen. Auf dieses Dienstverhältnis war der KollV für Arbeitskräfteüberlasser anzuwenden. Der Kl war als Elektriker in ein Unternehmen überlassen worden, auf das der KollV für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe zur Anwendung gelangte.
[3] Mit Bescheid vom 5.5.2023 wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Kl auf Zuerkennung eines höheren Rehabilitationsgeldes [...] ab.
[4] In seiner dagegen erhobenen Klage macht der Kl im Wesentlichen geltend, bei der [...] Berechnung des Rehabilitationsgeldes seien zu Unrecht die Lohnerhöhungen aufgrund der Änderungen des KollV der Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe zum 1.1.2021, 1.1.2022 und 1.1.2023 nicht berücksichtigt worden. Nach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG wären diese jedoch zu berücksichtigen gewesen, und zwar zusätzlich oder kumulativ zu der ab 1.1.2023 vorgesehenen Valorisierung nach § 108i ASVG. [...]
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Zuerkennung eines höheren Rehabilitationsgeldes [...] ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.
[...]
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage der Anwendung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG auf die Bemessungsgrundlage des Rehabilitationsgeldes noch keine höchstgerichtliche Rsp vorliege. [...]
[11] Die Revision ist [...] zulässig, jedoch nicht berechtigt. [...]
[14] 2.1. Das mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz (SRÄG) 2012 ( BGBl I 2013/3 ) geschaffene Rehabilitationsgeld, das die weggefallene befristete Invaliditätspension ersetzt (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20), ist dem Krankengeldbezug nachgebildet und funktional als dessen Fortsetzung anzusehen (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18). Während die Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension eine Leistung mit Pensionscharakter ist, liegt beim Rehabilitationsgeld – entsprechend der Systematik des Krankengeldes – der Fokus auf der Einkommensersatzfunktion (10 ObS 107/17h; 10 ObS 136/20b ua). Der durch die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit erlittene Entgeltverlust soll zumindest teilweise ersetzt werden und eine finanzielle Absicherung des Versicherten während der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gewährleistet sein (vgl 10 ObS 98/16h; 10 ObS 136/20b Rz 12, je mwN).
[15] 2.2. Dass das Rehabilitationsgeld als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert ist, zeigt sich auch in den Regelungen über seine Bemessung in § 143a ASVG (10 ObS 129/21z Rz 17; 10 ObS 159/21m Rz 10). § 143a Abs 2 ASVG verweist zum Ausmaß des Rehabilitationsgeldes auf § 141 Abs 1 und 2 ASVG, worin die Gewährung von Krankengeld im Ausmaß von 50 % bzw 60 % der Bemessungsgrundlage für einen Kalendertag geregelt ist.
[16] 2.3. Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ergibt sich aus § 125 ASVG. Nach § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG ist Bemessungsgrundlage für das Krankengeld der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst (Bruttoentgelt), der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2 ASVG) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging. Nach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG sind Lohn- und Gehaltserhöhungen aufgrund Normen kollektiver Rechtsgestaltung zu berücksichtigen.
[17] 2.4. Dieser letzte Satz wurde im Rahmen der 50. ASVG-Novelle ( BGBl I 1991/676 ) in den Abs 1 des § 125 ASVG aufgenommen. Auch der zuvor angeführte erste Halbsatz der Bestimmung geht in seiner heutigen Fassung auf diese Novelle zurück.
[...]
[18] Zu diesen Gesetzesänderungen findet sich in den Materialien zur 50. ASVG-Novelle der Hinweis, gem § 125 Abs 1 ASVG hänge die Höhe des Krankengeldes von der Höhe des beitragspflichtigen Entgelts ab, das im Beitragszeitraum vor der Erkrankung bezogen wurde. Eine während der Zeit der Entgeltfortzahlung aufgrund des Angestelltengesetzes oder des Entgeltfortzahlungsgesetzes eingetretene Lohnerhöhung wirke sich auf die Höhe des Krankengeldes nicht aus, obwohl vom höheren Entgelt Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden seien. Um diese als ungerecht empfundene Rechtslage zu beseitigen, solle § 125 Abs 1 ASVG dahingehend novelliert werden, dass die Bemessungsgrundlage auf das Ende jenes Beitragszeitraums abstelle, in dem das letzte „volle“ (also nicht 218 durch die Krankheit geschmälerte) Entgelt gezahlt werde (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 29).
[19] 2.5. Vor dem Hintergrund des ausdrücklich angeführten gesetzgeberischen Motivs, auch noch nach der Erkrankung erfolgte Entgelterhöhungen bis zum Beginn des Krankengeldbezugs in die Bemessungsgrundlage einfließen zu lassen, wurde in der Literatur zum neu eingeführten letzten Satz des § 125 Abs 1 ASVG die Ansicht vertreten, dass sich eine während der Zeit der arbeitsrechtlichen Lohn- und Gehaltsfortzahlung eingetretene kollektivvertragliche Erhöhung des Arbeitsverdienstes in Zukunft positiv auf die Höhe des Krankengeldes auswirken wird (so ausdrücklich Ivansits, 50. Novelle zum ASVG, DRdA 1992, 74 [75]; idS weiters Geppert ua, Änderungen im Sozialversicherungsrecht, SozSi 1992, 3 [16]).
[20] In der E 10 ObS 151/93 legte der Senat dieser Novellierung – wenngleich nur obiter – erkennbar dasselbe Verständnis zugrunde. Dass sich demgegenüber auch erst während des Krankengeldbezugs eintretende kollektivvertragliche Entgelterhöhungen auf die Leistungshöhe auswirken sollen, ist den Entscheidungsgründen dieses Urteils [...] nicht zu entnehmen (unklar dazu Schober in Sonntag, ASVG15 § 125 Rz 3).
[21] 2.6. Demgegenüber vertritt Burger (Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 123/17m, DRdA 2019/4) [...], aus § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG folge die viel zu wenig beachtete Valorisierung der Bemessungsgrundlage des Kranken- und Rehabilitationsgeldes. Die Bemessungsgrundlage der Geldleistung sei also nicht eingefroren; sie solle sich, so der Wortlaut des Gesetzes, dynamisch mitentwickeln, wobei die wohl von Amts wegen vorzunehmende Anpassung der Leistung insb für BezieherInnen von Rehabilitationsgeld, dessen maximale Bezugsdauer nicht eingeschränkt sei, von Bedeutung sei.
[22] In diesem Sinn ist womöglich auch Windisch-Graetz (in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 125 ASVG Rz 4) zu verstehen [...].
[23] 2.7. Diesem Normverständnis eines Teils der jüngeren Lehre [...] ist aus folgenden Erwägungen nicht beizutreten:
[24] Wie sich aus der [...] Genese der Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ergibt, bezog sich diese im Zeitpunkt ihrer Implementierung alleine auf das Krankengeld. Das Rehabilitationsgeld wurde erst etwa zwei Jahrzehnte später [...] geschaffen.
[25] Schon angesichts der begrenzten Dauer des Krankengeldanspruchs von im Allgemeinen maximal 52 Wochen (§ 139 ASVG) liegt nun aber die Annahme nicht nahe, dass es dem Gesetzgeber bei der Statuierung der in Rede stehenden Gesetzespassage gerade um die nachträgliche Anpassung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes an die laufende Entwicklung der kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter im Bezugszeitraum ging. Teleologische Erwägungen lassen eine periodische Anpassung des typischerweise nicht länger als ein Jahr bezogenen Krankengeldes an kollektivvertragliche Änderungen des Arbeitsverdienstes nämlich nicht geboten erscheinen. [...]
[27] Für den Fall, dass mit der betreffenden Regelung tatsächlich das gesetzgeberische Motiv verfolgt worden wäre, die zu gewährende Krankengeldleistung iS einer „dynamischen Mitentwicklung“ laufend entsprechend den im Bezugszeitraum erfolgten Entgelterhöhungen durch KollV anzupassen, sodass eine Kollektivvertragsänderung nach Ende des Bemessungszeitraums – unabhängig vom Aufrechtbestehen eines Dienstverhältnisses – zu einer Neuberechnung der Bemessungsgrundlage führen muss, wäre zu erwarten gewesen, dass eine solche rechtspolitische Zielsetzung in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich Niederschlag gefunden hätte.
[28] Auch die Materialien zum SRÄG 2012, mit dem, wie erwähnt, das Rehabilitationsgeld geschaffen wurde, geben keinen Hinweis darauf, dass diese nach ihrer Zweckrichtung zwar nur vorübergehend zu gewährende (vgl 10 ObS 142/15b; 10 ObS 102/20b Rz 10), allerdings – anders als das Krankengeld – in ihrer Bezugsdauer nicht von vornherein begrenzte Sozialleistung (s 10 ObS 129/21z Rz 16) einer Anpassung an die Entwicklung der kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter bedarf (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 1 ff). Weder erfolgte im Rahmen dieser Novelle eine Änderung der Bestimmung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG, noch bringen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage ein geändertes Verständnis dieser Regelung zum Ausdruck, wonach sich daraus [...] das Gebot einer laufenden Anpassung der Bemessungsgrundlage ableiten ließe.
[29] Die Frage einer periodischen Anpassung des – mitunter über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg zu gewährenden – Rehabilitationsgeldes wurde vom Gesetzgeber auch erkennbar bedacht, aber aus Gründen der Existenzsicherung offenbar (nur) dann als notwendig erachtet, wenn das Rehabilitationsgeld lediglich die Höhe des Richtsatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG erreicht (§ 143a Abs 2 ASVG; s dazu bereits 10 ObS 107/17h).
[30] Dies steht der Annahme entgegen, dass die (formal unveränderte) Regelung des § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nach Einführung des Rehabilitationsgeldes unter anderen als den bisherigen Zweck- und Wertungsgesichtspunkten zu sehen ist [...].
[31] Erst im Jahr 2022 sah sich der Gesetzgeber angesichts der Prognose einer anhaltenden Teuerungswelle dazu veranlasst, im Rahmen des Teuerungs-Entlastungspakets III ( BGBl I 2022/174 ) eine – erstmalig mit 1.1.2023 vorzunehmende – jährliche gesetzliche Valorisierung ua des Rehabilitationsgeldes einzuführen; und zwar dergestalt, dass mit Wirksamkeit ab 1.1. eines jeden Jahres die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld für jene Personen, die zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf eine solche Leistung haben, mit dem Anpassungsfaktor zu vervielfachen ist, sofern der Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt (§ 108i Abs 1 Satz 1 ASVG).
[32] Durch die Einschränkung der Valorisierung auf jene Bemessungsgrundlagen, deren Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt, sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1663 BlgNR 27. GP 2) eine unerwünschte Doppelvalorisierung vermieden werden. 219
[33] [Auch dieser Umstand verdeutlicht] die Vorstellung des Gesetzgebers, wonach § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG die Berücksichtigung von kollektivvertraglichen Entgelterhöhungen nur insoweit vorsieht, als sie schon im Bemessungszeitraum eintreten: Wären auch nachfolgende Kollektivvertragsänderungen während des laufenden Bezugs von Rehabilitationsgeld erfasst, würde die angesprochene Einschränkung im neu eingeführten § 108i Abs 1 Satz 1 ASVG ihren Zweck verfehlen. Es würde dann nämlich dennoch zu einer doppelten Anpassung der Bemessungsgrundlage – einerseits durch eine gebotene Neuberechnung auf Basis eines erhöhten Kollektivvertragslohns, andererseits durch Vervielfachung mit dem Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG) – kommen.
[34] 3. Zusammenfassend wird festgehalten:
[35] Eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung ist beim Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) gem § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Bemessungszeitraum – nicht jedoch während des laufenden Bezugs – eintritt.
[...]
Kranken- und Rehabilitationsgeld sind Leistungen der KV und dienen dem Ersatz von Einkommensausfällen aufgrund einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit (Einkommensersatzfunktion, vgl etwa Felten in Tomandl/Felten [Hrsg], SV-System Kap 2.2.4.2. [34. Lfg] zum Krankengeld und Kap 2.2.6.2. [39. Lfg] zum Rehabilitationsgeld). Die Wichtigkeit der Valorisierung von Versicherungsleistungen ist im Sozialversicherungsrecht nicht zu unterschätzen, stellt sie doch den Ausgleich von Einkommensausfällen als eine tragende Funktion erst sicher. Der Erhalt der realen Kaufkraft ist hierfür von großer Bedeutung.
Der Kern der vorliegenden E betrifft genau diese Thematik. Die Besonderheit der Fallkonstellation lag im mehrjährigen Bezug von Rehabilitationsgeld in einer Phase mit hoher Inflation. Im zu beurteilenden Zeitraum (2020 bis 2023) führten ua Ereignisse wie die COVID-Pandemie, globale Lieferkettenprobleme sowie der russische Überfall auf die Ukraine zu enormen Preissteigerungen. Ohne entsprechende Anpassung ist dadurch bei der nicht indexierten, also nominell stets in der ursprünglich gewährten Höhe ausbezahlten, Geldleistung ein spürbarer Verlust der realen Kaufkraft eingetreten. Aus diesem Grund strebte der Kl eine nachträgliche Anpassung der Bemessungsgrundlage (§ 125 Abs 1 ASVG) in Form der Berücksichtigung der jährlichen kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen an.
In § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG ist nun auch grundsätzlich vorgesehen, dass solche kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen in der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen sind. Von zentraler Bedeutung in der vorliegenden E war daher die rechtliche Frage, ob sich aus dieser Bestimmung auch ableiten lässt, dass Änderungen des KollV sogar noch während des Leistungsbezugs zu berücksichtigen seien – was im Ergebnis auf eine regelmäßige Valorisierung hinausliefe. Mit überzeugender Begründung kam der OGH jedoch – wie bereits zuvor Erst- und Berufungsgericht – zum Ergebnis, dass aus § 125 Abs 1 ASVG keine regelmäßige Valorisierung des Kranken- bzw Rehabilitationsgeldes während des Bezugszeitraums abgeleitet werden könne. Kollektivvertragliche Entgelterhöhungen sind daher bloß bei der Bildung der Bemessungsgrundlage gem § 125 Abs 1 ASVG zu berücksichtigen. Dem ist zuzustimmen – was im Folgenden näher erläutert werden soll.
Zu beachten ist, dass seit dem 1.1.2023 gem § 108i ASVG auch bei mehrjährigem durchgehenden Rehabilitationsgeldbezug eine jährliche Valorisierung erfolgt. Dem Verlust der realen Kaufkraft wirkt diesfalls nun also bereits § 108i ASVG entgegen.
Der Erhalt der Kaufkraft wird iZm der Einkommensersatzfunktion des Kranken- bzw Rehabilitationsgeldes mit zwei Maßnahmen abgesichert. Einerseits sind bereits bei der Bildung der Bemessungsgrundlage die Parameter bzw der Beitragszeitraum gesetzlich so zu bestimmen, dass möglichst ein aktuelles Einkommen als Referenzwert dient (und nicht ein bereits länger zurückliegendes und daher niedrigeres). Andererseits ist die gebildete Bemessungsgrundlage laufend anzupassen, sodass die bezogene Leistung – wie sonst das Einkommen auch – als Gegensteuerung zum sonst drohenden Kaufkraftverlust regelmäßig erhöht wird.
§ 125 Abs 1 ASVG stellt für die Bildung der Bemessungsgrundlage deshalb dynamisch – um auf Lohnentwicklungen wie auch auf die Inflation Rücksicht zu nehmen – auf einen Zeitraum ab, der möglichst das aktuelle Einkommen abbilden soll. Konkret kommt es auf den Beitragszeitraum vor dem Ende der letzten vollen Entgeltfortzahlung (nach AngG bzw Entgeltfortzahlungsgesetz [EFZG]) an (vgl jüngst OGH 8.10.2024, 10 ObS 25/24k, wonach dies kein voller Beitragszeitraum sein muss, sondern bereits ein voller Entgeltanspruch an mindestens einem Tag ausreicht).
§ 125 Abs 1 letzter Satz ASVG normiert seit der 50. ASVG-Novelle, BGBl 1991/676 , grundsätzlich die Berücksichtigung kollektivvertraglicher Lohnund Gehaltserhöhungen. Aus den Materialien ergibt sich hierzu zunächst, dass der Gesetzgeber die Bemessungsgrundlage am letzten vollen Entgelt vor der Krankheit ausrichten wollte, was kollektivvertragliche Erhöhungen während der letzten vollen Entgeltfortzahlung einschließt (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 29). Dies wird auch in stRsp vertreten (vgl etwa OGH 20.12.2016, 10 ObS 98/16h Rz 2.4.). 220
Der Wortlaut der Bestimmung würde wohl weitergehend auch die Berücksichtigung kollektivvertraglicher Erhöhungen noch während des Leistungsbezugs tragen. Dies wurde zB von F. J. Burger gezeigt, der mit ausführlicher Begründung in einer Entscheidungsbesprechung aus 2019 zur Berücksichtigung von Folgeprovisionen – also vor Normierung der Valorisierung gem § 108i ASVG – vertreten hat, dass sich gem § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG die Bemessungsgrundlage „dynamisch mitentwickeln
“ solle und nicht „eingefroren
“ sei (Folgeprovisionen und Krankengeld bzw Rehabilitationsgeld, DRdA 2019, 50 [52]). Demnach habe der Krankenversicherungsträger die Bemessungsgrundlage anzupassen.
Allerdings finden sich in den Materialien zu § 125 ASVG keine näheren Ausführungen bezüglich einer allfälligen Valorisierung der Bemessungsgrundlage während des Leistungsbezugs (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 29). Die praktische Relevanz einer solchen Anpassung wäre beim Krankengeld aufgrund dessen eingeschränkter Bezugsdauer von idR maximal 52 Wochen (§ 139 ASVG) auch gering. Naheliegend ist daher, dass der Gesetzgeber es nicht für erforderlich hielt, eine laufende Valorisierung während des Leistungsbezugs zu normieren.
Freilich knüpft nun seit dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3 , das Rehabilitationsgeld gem § 143a ASVG als eine dem Krankengeld ähnlich konzipierte Leistung an dieses an. Seine Bemessungsgrundlage orientiert sich an der Höhe des Krankengeldes, im Ergebnis also an § 125 Abs 1 ASVG (vgl OGH10 ObS 159/21m SSV-NF 35/69). Rehabilitationsgeld wird im Unterschied aber idR unbefristet gewährt und muss nach – zumindest jährlicher (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20) – Überprüfung bei Wegfall der Leistungsvoraussetzungen entzogen werden. Diese formale Ausgestaltung als unbefristete Leistung bedeutet jedoch nicht, dass es auch als Dauerleistung konzeptioniert ist. Es wird dem Normzweck entsprechend nämlich bloß vorübergehend gewährt, und zwar zur finanziellen Absicherung des Versicherten während der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit (Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 143a ASVG Rz 14 [Stand 1.3.2020, rdb.at]). Eine durchgehende mehrjährige Gewährung ist indes – wie der vorliegende Fall zeigt – nicht auszuschließen. Dann fällt der Verlust der Kaufkraft durch die Nichtanpassung des nominellen Werts uU durchaus ins Gewicht.
In den Materialien zu § 143a ASVG findet sich jedoch – wie zum Krankengeld – kein Hinweis auf eine regelmäßige Valorisierung der Bemessungsgrundlage (vgl ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 16 ff). Wollte der Gesetzgeber § 125 Abs 1 ASVG dieses Verständnis zugrunde legen, hätte er wohl darauf hingewiesen.
Auf den Umstand, dass Rehabilitationsgeld über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu gewähren sein könnte, nimmt aber § 143a Abs 2 ASVG durchaus Rücksicht, wonach es jedenfalls in Höhe des Richtsatzes gem § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG gebührt. Solange also das Rehabilitationsgeld über dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Einzelpersonen lag, kam es (bis zu § 108i ASVG) zu keiner jährlichen Anpassung der Leistungshöhe (OGH 14.11.2017, 10 ObS 107/17h; RIS-Justiz RS0131769). Aufgrund der Konzeption als eine bloß vorübergehende Leistung begegnete die (vor § 108i ASVG) fehlende jährliche Valorisierung auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (ASG Wien 24 Cgs 135/15s SVSlg 65.471).
Der Kl hat sich im Verfahren auf die E OGH 10 ObS 151/93 (SZ 66/135 = DRdA 1994, 398 [Mazal]) berufen, in der der OGH scheinbar pauschal Änderungen der Bemessungsgrundlage während des Bezugs von Krankengeld (lange vor § 108i ASVG) bejaht hat. Sie wurde deshalb auch teilweise im Schrifttum herangezogen, um die Anpassung des Krankengeldes bei kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen während des Bezugszeitraums zu begründen (so zB Schober in Sonntag [Hrsg], ASVG15 [2024] § 125 Rz 3). In der vorliegenden E hat der OGH ihre Relevanz zwar mit bloß einem Satz verneint (Rz 20), allerdings ließen sich durchaus einzelne Aussagen – isoliert betrachtet – für den Standpunkt des Kl instrumentalisieren. So wird in den Entscheidungsgründen die Möglichkeit angesprochen, Leistungen der KV bei bereits eingetretenen Versicherungsfällen zu ändern, konkret seien auch Leistungserhöhungen „während eines bereits laufenden Bezugs einer Geldleistung
“ durchzuführen.
Die zentrale Frage betraf aber eine andere Problemstellung, nämlich die Rückwirkung von Gesetzen bzw deren Anwendung auf bereits verwirklichte Sachverhalte. Noch im Jahr 1991 trat beim Kl der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein, woraufhin er bis ins Jahr 1992 Entgeltfortzahlung und daran anschließend Krankengelt erhielt. Fraglich war, ob die Höhe des Krankengeldes aufgrund des mit 1.1.1992 novellierten § 125 Abs 1 ASVG (50. ASVG-Novelle) neu zu berechnen sei. Im Ergebnis richtete sich die Höhe des Krankengeldes ab dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung nach der Neufassung des § 125 Abs 1 ASVG. Und als Zusatzargument verwies der OGH auf § 141 Abs 3 ASVG, wonach der KV Leistungserhöhungen auch während des Bezugszeitraumes und nachträgliche Änderungen der Bemessungsgrundlage nicht fremd wären.
Allerdings sind kollektivvertragliche Lohnerhöhungen nicht pauschal mit den Fällen des § 141 Abs 3 ASVG vergleichbar. Diese Bestimmung enthält eine Satzungsermächtigung, wonach das Krankengeld bei mitversicherten Angehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland erhöht werden kann. Verlegen zB Angehörige den gewöhnlichen Aufenthalt ins Inland, kann der Versicherte ein erhöhtes Krankengeld geltend machen. Umgekehrt fällt zB bei Tod des Angehörigen diese Voraussetzung wieder weg und die Leistung ist während des Bezugs zu verringern (vgl Hauptverband, SozSi 1957, 472 [473]). Dabei ändert sich allerdings nicht die Bemessungsgrundlage, sondern wird das 221 Eintreten oder der Wegfall einer Voraussetzung im Rahmen des Prozentsatzes (iSd § 141 Abs 1 und Abs 2 ASVG) entsprechend berücksichtigt. Mit einer kollektivvertraglichen Entgelterhöhung, die zur Neuberechnung der Bemessungsgrundlage führen soll, ist das jedenfalls nicht vergleichbar. Folglich ist – wie der OGH in Rz 20 ausgeführt hat – aus 10 ObS 151/93 nichts für eine regelmäßige Valorisierung der Bemessungsgrundlage gem § 125 Abs 1 ASVG zu gewinnen.
Gerade bei Leistungen, die als Einkommensersatz dienen, ist – wie bereits erwähnt – der Erhalt der realen Kaufkraft von wesentlichem Interesse. Das ASVG enthält daher in den §§ 108 ff die maßgeblichen Bestimmungen für die jährliche Valorisierung von sozialversicherungsrechtlichen Geldleistungen, wobei die Durchführung in den §§ 108a ff ASVG geregelt ist. Insb finden sich hier die Regelungen zur Anpassung der Renten aus der UV (§ 108g ASVG) sowie der Pensionen (§ 108h ASVG).
Da jedoch in Zeiten niedriger Inflation das Fehlen einer jährlichen Valorisierung bei vorübergehend zu gewährenden Leistungen wie Kranken- oder Rehabilitationsgeld nicht ins Gewicht gefallen ist, hat den Gesetzgeber erst 2022 die anhaltende „Teuerungswelle“ veranlasst, mit dem „Teuerungs-Entlastungspaket III“, BGBl I 2022/174 , den § 108i ASVG zu erlassen. Die Bestimmung ergänzt das Anpassungssystem seit 1.1.2023 um die jährliche Valorisierung von Kranken-, Rehabilitationsund Wiedereingliederungsgeld (vgl ErläutRV 1663 BlgNR 27. GP 1), mit dem Ziel der Anpassung dieser Leistungen an die Inflation (AB 1678 BlgNR 27. GP 1). Für das Krankengeld wurde eine Satzungsermächtigung im Gesetz verankert. Maßgeblich für die Valorisierung ist der an den Verbraucherpreisen orientierte Anpassungsfaktor gem § 108f ASVG (vgl ErläutRV 1663 BlgNR 27. GP 5 f), der durch Verordnung des BMSGPK festzulegen ist (vgl zuletzt BGBl II 2024/291 ). Um ihn ist die Bemessungsgrundlage zu „vervielfachen
“, sofern der „Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr liegt
“ (§ 108i Abs 1 ASVG).
Ausdrücklich weisen die Materialien zu § 108i ASVG darauf hin, dass eine Doppelvalorisierung durch aufgrund des Jahreswechsels bereits erhöhte Entgelte zu vermeiden sei, weshalb nur Bemessungsgrundlagen mit einem Bemessungszeitraum im vorangegangenen Jahr valorisiert werden (ErläutRV 1663 BlgNR 27. GP 1). Dadurch zeigt sich, dass der Gesetzgeber bei § 108i ASVG kollektivvertragliche Erhöhungen bereits mitbedacht hat. Im Gegenschluss können sie nicht parallel über § 125 Abs 1 ASVG zu berücksichtigen sein, denn dies würde geradewegs zur ausdrücklich zu vermeidenden Doppelvalorisierung führen.
Die wesentliche Frage, ob aus § 125 Abs 1 ASVG eine dynamische Entwicklung der Bemessungsgrundlage abgeleitet werden kann, sodass auch kollektivvertragliche Lohnerhöhungen während des Leistungsbezugs zu berücksichtigen sind, ist zu verneinen. Das hat der OGH in der vorliegenden E mit überzeugender Begründung klargestellt. Seit der Erlassung des § 108i ASVG ist diese Frage ohnedies aus dem Zusammenhang von § 125 Abs 1 ASVG und § 108i ASVG abzuleiten. Demnach werden kollektivvertragliche Lohnerhöhungen bei der Bildung der Bemessungsgrundlage berücksichtigt, wobei § 125 Abs 1 ASVG auf den Beitragszeitraum vor dem Ende der letzten vollen Entgeltfortzahlung abstellt. Während des Leistungsbezugs kommt hingegen grundsätzlich die jährliche Valorisierung gem § 108i ASVG zur Anwendung. Auf kollektivvertragliche Erhöhungen ist dann keine Rücksicht mehr zu nehmen. Dies ist konsequent, denn sowohl Anpassungen in einem KollV als auch § 108i ASVG verfolgen den Zweck, inflationsbedingte reale Kaufkraftverluste abzufedern (vgl § 108f Abs 3 ASVG). Eine parallele Anwendung würde daher zu einer Doppelvalorisierung führen.
Abschließend ist daher festzuhalten, dass selbst bei einem mehrjährigen durchgehenden Bezug des Rehabilitationsgeldes in Zeiten hoher Inflation einem Kaufkraftverlust bereits durch § 108i ASVG entgegengewirkt ist. Die praktische Auswirkung der im vorliegenden Fall negativ entschiedenen Frage – Neuberechnung der Bemessungsgrundlage gem § 125 Abs 1 ASVG bei kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen – für künftige Fälle wird aus diesem Grund wohl gering sein. 222