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Zur Mehrfachversicherung: Kein Ruhen des ASVG-Krankengeldes bei Bezug von GSVG-Übergangsgeld

ALEXANDER PASZ (WIEN)
  1. Der Zweck des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG gebietet es nicht, die Regelung analog auf das nach den Bestimmungen eines anderen Versicherungssystems gewährte Übergangsgeld anzuwenden, weil es durch den Bezug von Krankengeld aus der einen und von Übergangsgeld aus der anderen Erwerbstätigkeit nicht zu der von der Bekl gesehenen „Überversorgung“ kommt.

  2. Im Gegenteil führt der Ausgleich des jeweiligen Einkommensverlusts, hier aus der selbständigen und der unselbständigen Tätigkeit des Kl, insgesamt zu einer am zuvor erzielten (Gesamt-)Einkommen orientierten Bedarfsdeckung.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob im Fall der Mehrfachversicherung ein Anspruch auf Übergangsgeld nach § 164 GSVG zum Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld nach § 138 ASVG führt.

Der Kl war seit Jahren parallel unselbständig und selbständig erwerbstätig und dadurch sowohl nach dem ASVG als auch nach dem GSVG pflichtversichert. Er befand sich von 16.3.2020 bis 23.4.2021 im Krankenstand und erhielt von der bekl Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) in dieser Zeit Krankengeld, das im Zeitraum von 1.12.2020 bis 23.4.2021 insgesamt 11.155,15 € betrug.

Zusätzlich erhielt er zwischen 1.12.2020 und 31.12.2021 von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) Übergangsgeld nach § 136 GSVG von 1.550,16 € im Dezember 2020 und monatlich 1.578,36 € im Jahr 2021.

Mit Schreiben vom 17.6.2021 ersuchte die Bekl die SVS, 11.155,15 € vom Übergangsgeld einzubehalten, weil der Kl infolge dessen Bezugs zu Unrecht Krankengeld bezogen habe. Die SVS sprach mit Bescheid vom 14.7.2021 aus, eine offene Forderung der Bekl „an Beiträgen zur Sozialversicherung“ in Höhe von 6.824,99 € auf das von ihr zu erbringende Übergangsgeld aufzurechnen.

Mit Bescheid vom 25.3.2022 sprach die Bekl aus, dass der Kl in der Zeit von 1.10.2020 bis 24.10.2020 und von 1.12.2020 bis 23.4.2021 zu Unrecht Krankengeld von 12.916,03 € bezogen habe und verpflichtete den Kl, den unter Berücksichtigung des schon „einbehaltenen/zurückgezahlten Betrags von 1.760,88 EUR durch die ÖGK und 5.024,12 EUR durch die SVS“ noch offenen Betrag von 6.131,03 € zurückzuzahlen.

Mit seiner Klage begehrt der Kl neben der Feststellung, dass der Anspruch auf Rückforderung eines Krankengeldes von 6.131,03 € nicht zu Recht bestehe, die Bekl schuldig zu erkennen, ihm die einbehaltenen Beträge von 1.760,88 € und 5.024,12 € zurückzuzahlen sowie die weitere Aufrechnung durch die SVS zu unterlassen. Die von der Bekl herangezogene Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG erfasse nur Übergangsgeld nach §§ 199 oder 306 ASVG, nicht jedoch das ihm gewährte Übergangsgeld nach § 164 GSVG. Die Bestimmung könne auch nicht auf Leistungsansprüche eines anderen Sozialversicherungssystems analog angewandt werden. Abgesehen davon sei auch keiner der Tatbestände des § 107 Abs 1 ASVG verwirklicht.

Die Bekl hielt dem – soweit hier relevant – entgegen, dass Ruhensbestimmungen und damit auch § 143 Abs 1 Z 4 ASVG unerwünschte Doppelbezüge verhindern sollten. Das sei beim Übergangsgeld nach GSVG und dem Krankengeld nach ASVG der Fall, weil beide Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts einerseits während der Dauer von Rehabilitationsmaßnahmen und andererseits während einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit dienten und daher funktionsgleiche Leistungen seien. Dass § 143 Abs 1 Z 4 ASVG nicht auf das Übergangsgeld nach § 164 GSVG, sondern nur auf Übergangsgeld nach §§ 199 und 306 ASVG verweise, stelle eine planwidrige Gesetzeslücke dar, die durch Analogie zu schließen sei. Entgegen der Ansicht des Kl seien auch die Rückforderungstatbestände des § 107 Abs 1 dritter bis fünfter Fall ASVG erfüllt.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Anspruch auf Rückforderung des von 1.12.2020 bis 23.4.2021 bezogenen Krankengeldes von 6.131,03 € nicht zu Recht bestehe (1.) und erkannte die Bekl schuldig, dem Kl das durch Aufrechnung einbehaltene Krankengeld für diesen Zeitraum von 5.024,12 € zurückzuzahlen (2.). Das Begehren, die Bekl überdies schuldig zu erkennen, dem Kl auch das einbehaltene Krankengeld für die Zeit von 1.10.2020 bis 24.10.2020 von 1.760,88 € zurückzuzahlen, wies das Erstgericht ab (3.), weil der Kl in diesem Zeitraum Entgeltfortzahlungen erhalten habe. Das Begehren, die Bekl schuldig zu erkennen, die weitere Aufrechnung durch die SVS zu unterlassen, wies das Erstgericht zurück (4.).

Aus Anlass der von der Bekl (nur) gegen die Spruchpunkte 1. und 2. des Ersturteils erhobenen Berufung hob das Berufungsgericht den Zuspruch von 5.024,12 € (2.) als nichtig auf und wies die Klage insoweit wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren (1.) bestätigte es. Dazu führte es aus, dass angesichts der Vielzahl an Ruhens-, Anrechnungs- und Anfallsbestimmungen des ASVG in Bezug auf Krankengeld, Übergangsgeld und andere Leistungen wenig dafür spreche, dass eine Detailregelung wie § 143 Abs 1 Z 4 ASVG planwidrig unvollständig sei und über ihren Wortlaut hinaus ausgedehnt werden müsse. Dazu komme, dass es sich bei den Versicherungen nach dem ASVG und GSVG um in sich geschlossene Systeme handle, die unterschiedlich finanziert würden und entsprechende Regelungen (nur) für die jeweilige Risikogemeinschaften träfen. Ein Vergleich der Lage eines nach dem GSVG Versicherten mit einem nach dem ASVG Versicherten sei daher nur unter besonderen Umständen zulässig, die hier nicht 208 vorlägen. Das vom Kl aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit bezogene Übergangsgeld bringe daher den Anspruch auf Krankengeld aus seiner unselbständigen Tätigkeit nicht zum Ruhen, was auch dem in § 143 Abs 4, § 143a Abs 3 ASVG zum Ausdruck kommenden Konzept der getrennten Betrachtung von Ansprüchen entspreche.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, ob der Anspruch auf Übergangsgeld gem § 164 GSVG den Anspruch auf Krankengeld nach ASVG zum Ruhen bringe, noch keine Rsp des OGH vorliege.

In ihrer erkennbar gegen den bestätigenden Teil des Berufungsurteils gerichteten Revision begehrt die Bekl, die Klage zur Gänze abzuweisen. Hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag. [...]

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

1. Gem § 143 Abs 1 Z 4 ASVG ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange dem Versicherten ein Übergangsgeld (§§ 199 oder 306) gewährt wird.

2. Die Bekl zieht nicht in Zweifel, dass der Wortlaut des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG eindeutig ist: Von seinem Klammerverweis ist ausschließlich Übergangsgeld nach § 199 und § 306 ASVG, nicht aber das vom Kl bezogene Übergangsgeld nach § 164 GSVG erfasst. Wie bisher vertritt sie vielmehr den Standpunkt, die Bestimmung sei planwidrig unvollständig und analog auch auf das vom Kl bezogene Übergangsgeld nach § 164 GSVG anzuwenden.

3. Jede Analogie setzt eine nicht gewollte Gesetzeslücke voraus [...]. Eine solche ist nur anzunehmen, wenn Wertungen und Zweck der Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber hätte einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen [...]. Das bloße rechtspolitische Bedürfnis nach einer Regelung oder das subjektiv Erwünschte rechtfertigt dagegen keine Analogie [...]. Ordnet der Gesetzgeber für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht an, fehlt es an einer Gesetzeslücke und damit auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung [...].

3.1. Da Ausnahmebestimmungen im Allgemeinen nicht ausdehnend auszulegen sind [...], vertritt der OGH in stRsp die Ansicht, dass sich bei Bestimmungen, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruchs anordnen, eine ausdehnende Auslegung im Allgemeinen verbietet ([...] 10 ObS 135/17a ErwGr 6.2. ua).

3.2. Angesichts dieser Grundsätze überzeugt die Ansicht der Bekl nicht.

4. Die Regelung des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG geht auf die mit 1.1.1977 in Kraft getretene 32. Novelle zum ASVG ( BGBl 1976/704 ) zurück und ist seither unverändert.

Die Gesetzesmaterialien führen dazu nur aus, dass Anspruch auf Übergangsgeld besteht „auch bei der Gewährung medizinischer Maßnahmen [der Rehabilitation], weil in dieser Zeit der Anspruch auf Krankengeld ruht (§ 143 Abs 1 Z 4 ASVG in der Fassung des Entwurfs)“ (ErläutRV 181 BlgNR 14. GP 43). Eine klar für die Ansicht der Bekl sprechende Absicht des Gesetzgebers, die eine Grundlage für eine ausdehnende Auslegung sein könnte (vgl 10 ObS 102/20b Rz 22), lässt sich daraus nicht ableiten. Die Bekl behauptet das auch nicht.

5. Auch teleologische Erwägungen sprechen nicht für die Annahme, § 143 Abs 1 Z 4 ASVG sei lückenhaft und daher ergänzungsbedürftig.

5.1. Nach stRsp besteht das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen darin, Leistungen nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist, wozu es insb dann kommt, wenn eine andere funktionsgleiche Leistung bezogen wird ([...] 10 ObS 129/17v ErwGr 3. ua). Die Kumulierung der Leistungen kann dabei sowohl dazu dienen, als unzureichend angesehene Leistungen aus einem Bereich durch Leistungen aus einem anderen Bereich auf ein insgesamt ausreichendes Ausmaß aufzustocken. Sie kann aber auch zu einem Bezug führen, der weit über dem Niveau liegt, den die SV dem Empfänger von ihrem Grundgedanken her verschaffen soll (10 ObS 135/17a ErwGr 1.1. [...]). In diesen Fällen dienen Ruhensregelungen der Vermeidung einer sozialversicherungsrechtlich unerwünschten „Überversorgung“ durch einen Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung (10 ObS 39/13b vom 25.6.2013 ErwGr 3.2. [...]).

5.2. Der Bekl ist zuzustimmen, dass das Krankengeld den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust (teilweise) ausgleichen und den Unterhalt des Versicherten während seiner Arbeitsunfähigkeit sicherstellen soll, also Lohnersatzfunktion hat [...]. Ebenso soll das Übergangsgeld nicht nur ein Anreiz zur Rehabilitation sein, sondern auch als Ausgleich für den Mangel eines Erwerbseinkommens den Unterhalt des Rehabilitanden und seiner Angehörigen sichern [...]. Das gilt nicht nur für Übergangsgeld nach ASVG, sondern auch für Übergangsgeld nach § 164 [...]. Insofern decken sich also der Zweck des Krankengeldes und jener des Übergangsgeldes.

5.3. Auf den abstrakten Zweck der Leistungen kommt es im Anlassfall aber nicht an, weil hier Leistungen aus verschiedenen Sozialversicherungssystemen vorliegen und nicht wie im Regelfall aus einer Erwerbstätigkeit bzw einem Versicherungsverhältnis. Zur Mehrfachversicherung nach dem ASVG entspricht es der Rsp des OGH, dass kein (Doppel-)Bezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung vorliegt, wenn das Krankengeld aus einem, die weitere Leistung dagegen aus einem anderen Versicherungsverhältnis herrührt. In dieser Konstellation ersetzen die Leistungen nämlich nicht den Ausfall desselben, sondern nur den Ausfall des jeweiligen (Teil-)Einkommens [...]. Das gilt nicht nur bei Leistungen aus verschiedenen Versicherungsverhältnissen, sondern (argumentum a minori ad maius) umso mehr, wenn Leistungen aus verschiedenen Versicherungssystemen zusammentreffen, die – wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat – in sich geschlossene Systeme sind und spezifische Regelungen (lediglich) für die jeweilige Risikogemeinschaft treffen [...]. Ein aus der Pflichtversicherung in einem Sozialversicherungssystem resultierender Leistungsanspruch ist für sich allein, dh ohne dahingehende gesetzliche Anordnung, 209 auch kein Grund, Leistungsansprüche aus der auf einer weiteren Erwerbstätigkeit beruhenden (mit Beiträgen verbundenen) Pflichtversicherung in einem anderen Sozialversicherungssystem zu verwehren. Denn Personen, die in die Versicherungspflicht eines Versicherungssystems einbezogen sind, müssen bei Erfüllen der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich Leistungsansprüche zustehen, auch wenn diese nicht notwendigerweise der Beitragsleistung äquivalent sein müssen [...].

5.4. Der Zweck des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG gebietet es somit nicht, die Regelung analog auf das nach den Bestimmungen eines anderen Versicherungssystems gewährte Übergangsgeld anzuwenden, weil es durch den Bezug von Krankengeld aus der einen und von Übergangsgeld aus der anderen Erwerbstätigkeit nicht zu der von der Bekl gesehenen „Überversorgung“ kommt. Im Gegenteil führt der Ausgleich des jeweiligen Einkommensverlusts, hier aus der selbständigen und der unselbständigen Tätigkeit des Kl, insgesamt zu einer am zuvor erzielten (Gesamt-)Einkommen orientierten Bedarfsdeckung. Die in der Literatur vertretene andere Ansicht (vgl Taudes in Ivansits/Wehringer, Handbuch Rehabilitation Rz 1.626 Bsp 1.) gibt mangels dafür angeführter Begründung keinen Anlass für eine andere Sichtweise.

6. Ebenso wenig vermögen die von der Bekl ins Treffen geführten (weiteren) Argumente zu überzeugen.

6.1. Soweit sie sich auf die zeitliche Abfolge des Inkrafttretens der Bestimmungen des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG (1.1.1977) und des § 164 GSVG (1.1.1979; BGBl 1978/560 ) beruft, ist nicht ersichtlich, inwiefern dies hier entscheidend sein soll. Sie behauptet (zu Recht) nicht, dass sich die Einführung der – wie der Gesetzgeber selbst ausführt – Bestimmung im „Parallelrecht“ zu § 306 ASVG (vgl ErläutRV 1512 BlgNR 24. GP 11) auf die § 143 Abs 1 Z 4 ASVG zugrunde liegende ratio legis ausgewirkt habe.

6.2. Nur weil das Krankengeld gegenüber dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 143 Abs 1 Z 3 ASVG) und dem Wochengeldanspruch (§ 165 Abs 1 ASVG) zurücktritt, bedeutet das noch nicht, dass es ohne Weiteres auch gegenüber jeder anderen Leistung subsidiär ist.

7. Zusammenfassend hat das Berufungsgericht daher eine analoge Anwendung des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG auf das Übergangsgeld nach § 164 GSVG mangels einer planwidrigen Unvollständigkeit zutreffend verneint, sodass der Revision nicht Folge zu geben ist. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Gegenstand der E ist das Ruhen des Krankengeldes nach dem ASVG bei Bezug von Übergangsgeld nach dem GSVG. Der Kl war jahrelang sowohl selbständig als auch unselbständig erwerbstätig und war in beiden Systemen sozialversichert. Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in seiner unselbständigen Tätigkeit erhielt er Krankengeld.

Für einen Teil des Zeitraums des Krankengeldes erhielt der Kl aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit Übergangsgeld. Das Krankengeld wurde dem Kl von der ÖGK gewährt. Diese war im gegenständlichen Verfahren auch die Streitgegnerin. Das Ruhen des Krankengeldes sah die ÖGK in einer analogen Anwendung der Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG. Diese Bestimmung sieht ein Ruhen bei Bezug von Übergangsgeld nach dem ASVG, jedoch nicht nach dem GSVG, vor. Der OGH gab der ordentlichen Revision der ÖGK nicht Folge und entschied, dass das Berufungsgericht eine analoge Anwendung der Ruhensbestimmung im ASVG für das Krankengeld auf das Übergangsgeld nach dem GSVG zutreffend verneint hat.

2.
Das Wesen der Mehrfachversicherung

Mehrfachversicherung liegt vor, wenn eine Person gleichzeitig aus mehreren Tätigkeiten ein sozialversicherungspflichtiges Einkommen bezieht. Das kann der Fall sein, wenn jemand sowohl unselbständig als auch selbständig erwerbstätig ist oder mehrere (un)selbständige Beschäftigungen hat. Die Pflichtversicherung besteht in jedem Versicherungsverhältnis gesondert. Unselbständige sind nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Selbständige nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG), Landwirte nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) pflichtversichert. In der Vergangenheit wurden verschiedene automatisierte Rückerstattungs- bzw Differenzvorschreibungsprozesse (bspw §§ 70 f ASVG, § 35a GSVG etc) eingeführt, um wirtschaftliche Härten hinsichtlich der Beitragshöhe abzufedern und dafür zu sorgen, dass die Beitragspflicht und damit die Leistungsansprüche nur bis zur Höchstbeitragsgrundlage bestehen. Bei Eintritt eines Versicherungsfalls in der SV können sowohl mehrere Leistungsansprüche (zB Krankengeld) als auch nur ein Leistungsanspruch (zB Pension) entstehen. Wenn eine Person Anspruch auf mehrere Sozialversicherungsleistungen hat, kann eine Leistung in weiterer Folge ruhen, wenn der Bedarf bereits durch die andere Leistung abgedeckt ist. Ruhen bedeutet, dass trotz eines bestehenden Leistungsanspruchs keine Leistungspflicht des Versicherungsträgers besteht (Drs in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 143 ASVG Rz 1 [Stand 1.3.2020, rdb.at]). Ziel der meisten Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für diesen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung liegen (RIS-Justiz, RS0083756).

3.
Analyse der beiden Sozialversicherungsleistungen
3.1.
Krankengeld

Das Krankengeld ist die zentrale Geldleistung der gesetzlichen KV. Es gebührt im Versicherungsfall 210 der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Die Funktion des Krankengeldes ist der Ausgleich für den durch Krankheit bedingten Einkommensausfall (Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 138 ASVG Rz 2 [Stand 1.3.2020, rdb.at]). Die Höhe des Krankengeldes beträgt grundsätzlich 60 % des versicherten Einkommens. Im Bereich der Unselbständigen führt § 143 ASVG zahlreiche Tatbestände an, die ein Ruhen des Krankengeldes zur Folge haben. Kernpunkt dieser Anwendungsfälle ist, dass die Bestreitung des Lebensunterhalts durch andere Geldleistungen sichergestellt wird und daher die Einkommensersatzfunktion des Krankengeldes nicht benötigt wird. Damit soll eine Doppelversorgung des Versicherten vermieden werden. Der klassische Anwendungsfall ist § 143 Abs 1 Z 3 ASVG, der Bezug einer Entgeltfortzahlung durch den DG. Historisch gesehen waren diese Überlegungen bereits seit Anbeginn des Krankengeldes, auch in früheren Sozialversicherungsgesetzen, maßgebend (vgl Naderhirn, Ruhen des halben Krankengeldanspruchs wegen halber Entgeltfortzahlung im Zeitpunkt der Aussteuerung – dennoch Anspruch auf volles Sonderkrankengeld bei Wegfall des Ruhensgrundes, JAS 2022, 397).

3.2.
Übergangsgeld

Das Übergangsgeld gebührt Versicherten für die Dauer medizinischer oder beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen in der SV. Es wird entweder vom Pensionsversicherungsträger oder vom Unfallversicherungsträger erbracht. Die Rehabilitationsmaßnahmen nach der PV werden bei selbständig Erwerbstätigen einerseits aufgrund eines Antrags auf Erwerbsunfähigkeitspension (Grundsatz: Rehabilitation vor Pension) oder einem eigenen Antrag auf Rehabilitation gewährt (vgl Taudes in Ivansits/Wehringer [Hrsg], Handbuch Rehabilitation Rz 1.618). Im Bereich der Unselbständigen kann das Übergangsgeld bei einem Antrag auf Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension Personen, die vom SRÄG 2012 erfasst sind (dh bei einem Geburtsdatum nach dem 31.12.1963), nicht mehr zugesprochen werden. Eine berufliche Rehabilitation führt in diesen Fällen zu einem Umschulungsgeld nach § 39b AlVG, das nicht mit dem Übergangsgeld zu verwechseln ist (vgl Ivansits in Ivansits/Wehringer [Hrsg], Handbuch Rehabilitation Rz 1.139 ff). Das Übergangsgeld nach dem ASVG tritt in der Praxis grundsätzlich nur mehr bei einer stationären, medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ab der 27. Woche der Arbeitsunfähigkeit oder bei einer freiwilligen beruflichen Rehabilitation auf.

Der Zweck des Übergangsgeldes ist die Sicherung des Lebensunterhalts des Versicherten und seiner Angehörigen während der Rehabilitationsmaßnahmen (Seidenberger/Sagasser in Neumann [Hrsg], GSVG für Steuerberater3 § 164 Rz 1). Es gebührt gem § 164 Abs 2 GSVG im Ausmaß der Erwerbsunfähigkeitspension. Diese bestimmt sich für Versicherte, die nach dem 1.1.1955 geboren sind, nach dem APG. Maßgebend für eine Pension nach dem APG ist das individuelle Pensionskonto, auf das gem § 12 APG jährlich Teilgutschriften im Ausmaß des Kontoprozentsatzes 1,78 % der Beitragsgrundlage nach dem jeweiligen Sozialversicherungsgesetz – ASVG, GSVG oder BSVG – gutgeschrieben werden. Die Pensionshöhe ergibt sich nach § 5 Abs 1 APG aus der bis zum Stichtag gem § 223 Abs 2 ASVG ermittelten Gesamtgutschrift nach § 11 Z 5 APG, geteilt durch 14. Die Pension beinhaltet dementsprechend Beitragszeiten nach allen pensionsversicherten Berufsgruppen, daher inklusive der Zeiten als Unselbständiger und Selbständiger.

Bei einer Inanspruchnahme vor Vollendung des 60. Lebensjahres kann es gem § 6 Abs 2 APG bei der Pensionsberechnung zu einer Zurechnung von Versicherungsmonaten kommen. Hintergrund ist, dass auch jüngere Erwerbsunfähige eine Pension erhalten sollen, mit der der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Die Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit soll mit der Zurechnung zumindest eine Ersatzrate von 60 % des Lebenseinkommens aufweisen (Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 6 APG Rz 23 [Stand 1.7.2022, rdb.at]). Das Übergangsgeld gebührt im Unterschied zur Pension jedoch nur zwölfmal im Jahr.

4.
Doppelversorgung durch Kranken- und Übergangsgeld?

Die Bestimmung des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG sieht explizit vor, dass ein Krankengeld nach dem ASVG ruht, solange dem Versicherten ein Übergangsgeld nach § 199 ASVG oder § 306 ASVG gewährt wird. Nach diesem eindeutigen Wortlaut ist die Rechtsfolge des Ruhens nur bei Bezug von Übergangsgeld nach dem ASVG gegeben. Ein Übergangsgeld nach einem anderen Sozialversicherungsgesetz ist rein vom Wortlaut nicht mitumfasst. Das Ruhen des Krankengeldes wäre im gegenständlichen Fall somit nur im Wege der Rechtsanalogie möglich. Eine Analogie setzt das Vorliegen einer Gesetzeslücke voraus. Eine solche liegt vor, wenn ein Sachbereich zwar geregelt ist, jedoch eine bestimmte Frage unbeantwortet bleibt, die innerhalb dieser Regelung eigentlich geklärt sein müsste. In einem solchen Fall bedarf das Gesetz einer Ergänzung, sofern diese mit der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers und der inneren Systematik des Gesetzes übereinstimmt, ohne eine bewusst gewollte Einschränkung zu umgehen (vgl RIS-Justiz RS0008866). Die in Rede stehende Bestimmung ist mit 1.1.1977 im Zuge der 32. Novelle zum ASVG mit BGBl 1976/704 in Kraft getreten. Seitdem wurde sie nicht geändert. Das Übergangsgeld nach GSVG wurde mit 1.1.1979 mit BGBl 1978/560 – also zeitlich nach der Ruhensbestimmung des Krankengeldes nach dem ASVG – eingeführt. Der OGH gibt in der E an, dass die Einführung der Regelung des Übergangsgeldes im GSVG nichts an der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers für § 143 Abs 1 Z 4 ASVG geändert hat. Dies ist meiner Meinung nach durchaus diskussionswürdig.

Das Krankengeld ersetzt den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Einkommensverlust des krankenversicherten Einkommens, während das Über 211 gangsgeld den Unterhalt des Versicherten (und seiner Angehörigen) absichert. Der Zweck des Krankengeldes und jener des Übergangsgeldes decken sich also, wie auch der OGH anführt. Zur im Raum stehenden Doppelversorgung führt der OGH ein Beispiel aus der Mehrfachversicherung an. Es liege kein Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung vor, wenn die Leistungen nur den Ausfall des jeweiligen Teileinkommens ersetzen. Umso mehr gelte dies, wenn beide Leistungen aus unterschiedlichen Sozialversicherungssystemen stammen und daher verschiedene Risikogemeinschaften treffen. Nachdem sich das Übergangsgeld aus der fiktiven Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit errechnet, liegt der Fall des Ersatzes beider Teileinkommen jedoch mE bereits vor. Es werden beim Übergangsgeld auch Versicherungsmonate aus einer unselbständigen Tätigkeit (die auch dem Krankengeld zugrunde liegen) in die Berechnung einbezogen. Das Übergangsgeld deckt somit bereits die beiden Teileinkommen aus unselbständiger als auch aus selbständiger Erwerbstätigkeit ab. Im Endeffekt führt dies gerade zur Überversorgung des Versicherten, die der OGH in der E in Rz 25 verneint. Die in der Berechnungssystematik der Erwerbsunfähigkeitspension festgelegte Zurechnungsregel für Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres führt auch den ganzheitlichen Einkommensersatz des Übergangsgeldes vor Augen.

5.
Fazit

Der OGH entschied mit der vorliegenden E, dass es zu keiner analogen Anwendung des § 143 Abs 1 Z 4 ASVG auf das Übergangsgeld nach § 164 GSVG mangels planwidriger Lücke kommt. In der Argumentation fehlt mE der Aspekt, dass sich das Übergangsgeld nach dem sozialversicherungsrechtlichen Gesamteinkommen berechnet und daher auch dasjenige Teileinkommen, das bereits mit dem Krankengeld ersetzt wird, inkludiert. Daher ist die Verneinung der Analogie nicht vollständig nachvollziehbar.