Arbeitskräfteüberlassung im Spannungsfeld zwischen Unionsrecht und nationalem Arbeitsrecht

BIRGIT SCHRATTBAUER (SALZBURG)

Dass Arbeitskräfteüberlassung (AÜ) nach wie vor sehr kontroversiell diskutiert wird, hängt vor allem mit der je nach Perspektive sehr unterschiedlichen sozialpolitischen Bewertung dieser besonderen Beschäftigungsform zusammen; je nach Sichtweise wird ihr unverzichtbarer Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen in den Vordergrund gestellt oder aber ihr Potential zur Unterwanderung arbeits- und sozialrechtlicher Schutzstandards. Beide Effekte sind nicht zu leugnen; die rechtlichen Regulierungen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene versuchen, in diesem Sinne die Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen und sowohl berechtigten Flexibilisierungsinteressen der Wirtschaft Rechnung zu tragen als auch allfälligen negativen Auswirkungen dieser Beschäftigungsform auf AN und Arbeitsmarkt entgegenzusteuern. Das titelgebende „Spannungsfeld“ ist somit eigentlich ein mehrdimensionales – es baut sich zum einen zwischen den größtenteils gegenläufigen Interessen der beteiligten Unternehmen und der betroffenen AN auf und wird zum anderen überlagert durch die verschiedenen Problemlösungsansätze des nationalen und des Unionsgesetzgebers, die sich nicht überall ganz mühelos in Einklang bringen lassen. Der folgende Beitrag setzt sich mit drei aktuellen Problembereichen dieses Spannungsfeldes auseinander: Dem Verhältnis zwischen AÜ und Werkvertrag, der Frage der Richtlinienkompatibilität des Entgeltsystems des österreichischen AÜG sowie dem Problem der Indifferenz des österreichischen Gesetzgebers gegenüber Dauerüberlassungen.

  1. Einleitung

    1. Daten und Fakten: Arbeitskräfteüberlassung in Österreich

    2. Rechtlicher Rahmen

      1. Nationales Recht

      2. Unionsrecht

  2. Ausgewählte Spannungsfelder zwischen österreichischem Recht der Arbeitskräfteüberlassung und Unionsrecht

    1. Verhältnis Arbeitskräfteüberlassung – Werkvertrag

      1. Ein Fall zur Illustration: OGH 8 ObA 63/20b

      2. Vereinbarkeit des § 4 Abs 2 AÜG mit dem Überlassungsbegriff der Entsende-RL?

    2. Entgeltsystem des österreichischen AÜG

      1. Entgeltkonzept des § 10 Abs 1 AÜG

      2. Unionsrechtskonformität des § 10 Abs 1 AÜG?

      3. Entgeltbegriff des AÜG

    3. Dauerüberlassungen

      1. Unterschiedliche Bewertung von Kettenüberlassungen und durchgehenden Dauerüberlassungen?

      2. Möglichkeiten zur Begrenzung der Überlassungsdauer nach österreichischem Recht

  3. Zusammenfassung und Fazit

1
Einleitung
1.1
Daten und Fakten: Arbeitskräfteüberlassung in Österreich

Nach der aktuellen Statistik zur AÜ in Österreich1 haben im letzten Beobachtungszeitraum von 1.7.2023 bis 30.6.2024 knapp 1.300 inländische Überlassungsunternehmen mehr als 166.500 Personen im Rahmen von fast 410.000 Überlassungsepisoden an Dritte überlassen. Die typische Leiharbeitskraft in Österreich ist männlich (76 %), Arbeiter (79 %) und entweder in Handwerk und Gewerbe oder in der Industrie tätig (je ca 181 38 %); mehr als die Hälfte aller von inländischen Überlasser:innen beschäftigten Leih-AN (55 %) hat keine österreichische Staatsbürgerschaft. Bei den zusätzlichen 8.730 im selben Zeitraum aus dem Ausland nach Österreich überlassenen Arbeitskräften ist der Überhang an Männern (92 %) und an Arbeitern (85 %) noch einmal deutlich stärker ausgeprägt.

Es überwiegen ganz klar sehr kurze Einsätze: Über 60 % aller im Beobachtungszeitraum abgeschlossener inländischer Überlassungen dauerten kürzer als einen Monat; etwa 15.400 Überlassungen (5 %) wurden dagegen erst nach einer Überlassungsdauer zwischen einem und drei Jahren beendet, ca 2.500 (1 %) überhaupt erst nach mehr als dreijähriger Überlassung. Unklar ist, wie viele der über 75.000 nicht beendeten Überlassungen vielleicht auch bereits eine sehr lange Überlassungsdauer aufweisen. Das starke Auseinanderklaffen zwischen Durchschnitt und Median der Überlassungsdauer (86 versus 13 Tage) deutet jedenfalls darauf hin, dass anteilsmäßig wenige, dafür aber sehr lange Überlassungen den Durchschnitt stark nach oben ziehen.

1.2
Rechtlicher Rahmen
1.2.1
Nationales Recht

Die einschlägigen nationalen Regelungen finden sich für Österreich zum Großteil im AÜG 1988, das erklärtermaßen nicht nur auf den Schutz der Leih- AN und der Stammbelegschaften in den Beschäftigerbetrieben, sondern auch auf die Vermeidung arbeitsmarktpolitisch nachteiliger Entwicklungen abzielt.2 AÜ ist seit 1988 zudem ein konzessionspflichtiges Gewerbe.3 Weitere Regelungen finden sich punktuell auch in anderen Gesetzen, wie etwa im LSD-BG zu grenzüberschreitenden Überlassungen4 oder im ArbVG5 zu Mitwirkungsbefugnissen der Belegschaft. Zu erwähnen sind zudem die beiden Kollektivverträge, denen gewerbliche Überlasser unterliegen: Der für überlassene Arbeiter:innen geltende Arbeitskräfteüberlassungs-KollV (KVAÜ) stellt ganz spezifisch auf die Besonderheiten einer Tätigkeit als Leiharbeitskraft ab; dagegen enthält der KollV für Angestellte im Gewerbe und Handwerk und in der Dienstleistung nur einige wenige Sonderbestimmungen für das Überlassungsgewerbe, aber kein vergleichbar elaboriertes Regelungssystem wie der KVAÜ.

1.2.2
Unionsrecht

Das Unionsrecht überlagert die nationalen Regelungen zur AÜ aus zwei verschiedenen Richtungen kommend:

Ein erstes Einfallstor ergibt sich aus den Grundfreiheiten. Die Rsp des EuGH, wonach sich grenzüberschreitend tätige Überlasser:innen zwar grundsätzlich auf die Dienstleistungsfreiheit berufen können, diese besondere Beschäftigungsform jedoch aufgrund ihrer potenziellen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Interessen der AN der Empfangsstaaten weitergehenden Einschränkungen unterworfen werden darf,6 hat insofern Niederschlag in der Entsende-RL gefunden, als die Empfangsstaaten ihr Arbeitsrecht hier – anders als bei Werkvertragsentsendungen – zur Gänze auf die entsandten AN erstrecken dürfen.7

Regelungsbedarf hat der Unionsgesetzgeber zum anderen aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Leiharbeitskräfte gesehen. Zentraler Sekundärrechtsakt in diesem Zusammenhang ist bekanntlich die 2008 erlassene Leiharbeits-RL; ihr zentrales Anliegen ist es, über Vorgaben primär zur Gleichbehandlung,8 aber auch zur Förderung der Chancen der Leiharbeitskräfte auf eine Direktanstellung im Beschäftigerbetrieb9 einen unionsweit einheitlichen Mindestschutz zur Bewältigung der besonderen Risiken dieser atypischen Beschäftigungsform zu gewährleisten.

In welchen Bereichen kommt es nun zu Spannungen zwischen diesen unionsrechtlichen Regelungen zur Leiharbeit und jenen des österreichischen AÜG?

2
Ausgewählte Spannungsfelder zwischen österreichischem Recht der Arbeitskräfteüberlassung und Unionsrecht
2.1
Verhältnis Arbeitskräfteüberlassung – Werkvertrag

Kaum ein anderes Thema im Kontext der AÜ ist in Österreich so intensiv diskutiert worden wie das Verhältnis zwischen AÜ und Werkvertrag, zuletzt mit klar unionsrechtlicher „Schlagseite“. Das Verhältnis zwischen § 4 Abs 2 AÜG und der Entsende-RL hat sowohl den VwGH10 als auch den OGH11 schon mehrfach beschäftigt. Am besten veranschaulichen lässt sich die der Diskussion zugrundeliegende Problematik anhand einer einschlägigen E des OGH aus dem Jahr 2020.

2.1.1
Ein Fall zur Illustration: OGH 8 ObA 63/20b

Der OGH-E 8 ObA 63/20b vom 23.10.2023 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Brauerei beschließt, für bestimmte Hilfstätigkeiten im Rahmen ihres Produktionsablaufs künftig primär Fremdpersonal heranzuziehen. Konkret geht es 182 um die nach kurzer Einschulung von jedermann ausübbare Tätigkeit der Sichtkontrolle der wiederbefüllbaren Mehrwegflaschen der Brauerei vor der Abfüllung, um beschädigte Flaschen auszusortieren bzw defekte Metallverschlüsse zu reparieren. Die Brauerei greift dafür nun nicht, was naheliegend wäre, auf überlassene AN zurück, sondern schließt einen „Rahmen-Werkvertrag“ über „Bügelflaschenreparatur“ mit einem Unternehmen ab, das zu diesem Zweck bei der Gewerbebehörde ein freies Gewerbe anmeldet, das exakt die gewünschte Hilfstätigkeit umschreibt.12 Die Flaschenkontrolle findet unmittelbar in der Brauerei statt, die betriebliche Eingliederung der AN und ihre Bindung an Weisungen der Brauerei werden jedoch vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen. Das beeinflusst den faktischen Ablauf der Tätigkeit nur insofern, als die Lagerleiter der Brauerei neue Flaschen nicht direkt bei den AN, sondern telefonisch bei der (nicht vor Ort anwesenden) Projektverantwortlichen des beauftragten Unternehmens anfordern, die die Bestellung dann ihrerseits telefonisch an die Arbeiter:innen weitergibt. Als Werklohn ist unter Zugrundelegung einer definierten Jahresmindestmenge an zu kontrollierenden Flaschen ein bestimmter Centpreis pro Flasche vereinbart.

Zweck der umständlichen Vorgangsweise ist ganz offenkundig eine „Kostenoptimierung“ durch Reduktion der Lohnansprüche der eingesetzten AN: Während sich die Entlohnung überlassener AN gem § 10 Abs 1 AÜG nach dem Mindestlohn des Brauerei-KollV richten müsste, da dieser das Grund entgelt nach dem Überlasser-KollV übersteigt, zahlt das beauftragte Unternehmen, das selbst dem KollV für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger unterliegt, den deutlich niedrigeren Mindestlohn nach eben diesem KollV.

Das AÜG begegnet solchen Werkvertragskonstruktionen, die das Potential zur Aushebelung seiner Schutzbestimmungen in sich tragen, mit der vergleichsweise strengen Regelung des § 4 Abs 2 AÜG, wonach trotz Abschlusses eines gültigen Werkvertrags AÜ vorliegt, wenn entweder kein unterscheidbares, dem Werkunternehmer zurechenbares Werk vorliegt (Z 1), die Arbeit nicht

vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers erbracht wird (Z 2), die Arbeitskräfte organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstellt sind (Z 3) oder der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet (Z 4). In diesen vier Konstellationen geht der Gesetzgeber also davon aus, dass es den Vertragsparteien nicht auf die Erstellung eines Werkes, sondern auf die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften ankommt.13 Wortlaut, Gesetzesmaterialien14 und Schutzzweck der Norm stützen die Sichtweise des OGH,15 wonach bereits das Vorliegen eines der vier Tatbestände zur Annahme von AÜ führt und nicht, wie von beachtlichen Teilen der Lehre vertreten,16 auf eine Gesamtbetrachtung abzustellen ist. Im „Bügelflaschenfall“ führt diese Auslegung zur Anwendung des § 10 Abs 1 AÜG, sodass sich die Lohnansprüche der eingesetzten AN nach dem Brauerei-KollV richten und der Zweck der Werkvertragskonstruktion letztlich vereitelt wird.

Aus unionsrechtlicher Sicht wurde nun aber gegen die restriktive Interpretation des § 4 Abs 2 AÜG eingewendet, dass sie der EuGH-Judikatur zum Überlassungsbegriff der Entsende-RL widerspreche.17

2.1.2
Vereinbarkeit des § 4 Abs 2 AÜG mit dem Überlassungsbegriff der Entsende-RL?

Zentrales Merkmal einer AÜ im Unterschied zu einer Werkvertragsentsendung ist laut EuGH, dass der Wechsel des AN in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des entsendenden Unternehmens ist und der AN seine Aufgaben unter Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnimmt.18 Dafür wiederum ist, wie der EuGH in der Rs Martin Meat konkretisiert hat, in einer Gesamtbetrachtung insb zu prüfen, ob die Vergütung auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt, wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, wer die konkrete Zahl der benötigten AN festlegt und von wem diese die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeit erhalten. Irrelevant sei dagegen, ob der Dienstleistungserbringer in den Räumlichkeiten des Dienstleistungsempfängers tätig wird und ob er dessen Werkzeug und Maschinen verwendet. Auch allgemeine Anweisungen des Dienstleistungsempfängers an die entsandten Arbeitskräfte sind laut EuGH kein Indiz für eine grenzüberschreitende Überlassung, sofern es der Dienstleistungserbringer ist, der die genauen und individuellen Anweisungen erteilt.19

Hätte die Brauerei den Rahmen-Werkvertrag im „Bügelflaschenfall“ also zB an ein ungarisches Unternehmen vergeben, wäre der Vorgang nach diesen Kriterien, wie auch der OGH eingesteht, wohl als Werkvertragsentsendung und nicht als grenzüberschreitende AÜ einzuordnen gewesen. Dessen ungeachtet kommt der OGH dennoch zum Ergebnis, dass auch in diesem Fall das Entgelt nach § 10 AÜG gebührt hätte, sodass er auch nicht weiter auf die Frage nach einer Inländerdiskriminierung eingeht, die zu diskutieren wäre, wenn § 4 183 Abs 2 AÜG nur bei einem rein inländischen Sachverhalt durchgreifen würde.

Ist der OGH damit im Recht? Und wie lässt sich das mit der Judikatur des VwGH in Einklang bringen, der die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und AÜ in grenzüberschreitenden Fällen seit der Martin Meat-E konsequent nach den Kriterien des EuGH vornimmt?20

Der vordergründige Widerspruch zwischen der Judikatur des VwGH und jener des OGH lässt sich auflösen, wenn man die unterschiedlichen Zielsetzungen des Einordnungsvorgangs im Rahmen der Entsende-RL und des § 4 Abs 2 AÜG in den Blick nimmt. Unionsrechtlich ist eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Werkvertragsentsendungen und grenzüberschreitenden Überlassungen deshalb erforderlich, weil diese Einordnung unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich zieht: Während bei Werkvertragsentsendungen aus anderen Mitgliedstaaten eine Erstreckung des nationalen Arbeitsrechts in den ersten zwölf (bzw 18) Monaten nur in Bezug auf den in Art 3 Abs 1 definierten „harten Kern“ der Arbeitsbedingungen vorgesehen ist,21 darf der Empfangsstaat bei grenzüberschreitender AÜ, wie bereits eingangs erwähnt, unabhängig von deren Dauer sein gesamtes Arbeitsrecht zur Anwendung bringen22 – eine Möglichkeit, die der österreichische Gesetzgeber auch nutzt.23 Die unionsrechtliche Abgrenzung dient also dem Zweck festzustellen, in welchem Umfang das Recht des Empfangsstaats auf die entsandten AN ausgedehnt werden darf. § 4 Abs 2 AÜG verfolgt dagegen das Ziel, Umgehungen des AÜG durch gezielte Vertragsgestaltung zu verhindern und die für AÜ geltenden Regelungen auch auf bestimmte atypische Werkverträge anzuwenden. Es geht also nicht um eine Abgrenzung zwischen Werkvertrag und AÜ, sondern um die Anwendung der Überlassungsregelungen trotz Vorliegens eines Werkvertrags.

Insofern wundert es nicht, dass der EuGH auf § 4 Abs 2 AÜG in der Rs Martin Meat nicht weiter eingeht – diese Regelung spielt für die unionsrechtliche Unterscheidung zwischen Werkvertragsentsendung und AÜ schlicht keine Rolle. Die Abgrenzung ist vielmehr allein nach den vom EuGH entwickelten Merkmalen vorzunehmen, und auch wenn es gute Gründe gibt, diese Kriterien inhaltlich zu kritisieren,24 ist die Vorgangsweise in der Sache letztlich überzeugend: Mit der RL soll der für grenzüberschreitende Entsendungen typische Konflikt zwischen Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit einerseits und Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs sowie eines angemessenen ANSchutzes andererseits unionsweit einheitlich gelöst werden. Dieses Ziel wäre nicht erreichbar, wenn jeder Mitgliedstaat nach eigenen Kriterien über die Abgrenzung und somit über den Umfang der Anwendbarkeit seines Arbeitsrechts entscheiden könnte. Die Entsende-RL will jedoch nicht inhaltlich Einfluss auf die nationalen Arbeitsrechtssysteme nehmen (was im Bereich der Entlohnung auch kompetenzüberschreitend wäre),25 es geht vielmehr darum, das Ausmaß ihrer Erstreckbarkeit auf grenzüberschreitend entsandte AN in verbindlicher und primärrechtskonformer Weise festzulegen.

Ist eine grenzüberschreitende Entsendung nach Österreich also unionsrechtlich als Werkvertragsentsendung einzuordnen, so richten sich die Ansprüche der entsandten Arbeitskräfte – unabhängig von der Bewertung des Falles nach § 4 Abs 2 AÜG26 – nach den für Werkvertragsentsendungen geltenden Bestimmungen des LSD-BG. Die Regelungen zu grenzüberschreitenden Überlassungen in § 6 LSDBG kommen also nicht zur Anwendung, sehr wohl aber § 3 Abs 3 LSD-BG, wonach den nach Österreich entsandten AN für die Dauer der Entsendung zumindest jenes gesetzliche bzw kollektivvertragliche Entgelt zusteht, das am Arbeitsort vergleichbaren AN von vergleichbaren AG gebührt. Vergleichsmaßstab ist eine innerstaatliche Entsendung – und hier kann nun mittelbar sehr wohl auch § 4 Abs 2 AÜG ins Spiel kommen: Gebührt wegen des Vorliegens einer der darin genannten Tatbestände in einer rein innerstaatlichen Konstellation das Entgelt nach den Regelungen des AÜG, so gilt das über § 3 Abs 3 LSD-BG auch bei einer Entsendung aus einem anderen Mitgliedstaat.27 Somit liegt, wie der OGH zu Recht festhält, jedenfalls im Bereich der Entlohnung auch keine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmen vor.

Gleiche Bedingungen für in- und ausländische Unternehmen werden insofern freilich nur hinsichtlich 184 jener Arbeitsbedingungen hergestellt, die bei Werkvertragsentsendungen auf die grenzüberschreitend eingesetzten AN zu erstrecken sind. Arbeitsbedingungen außerhalb des „harten Kerns“ iSd Art 3 Abs 1 Entsende-RL können auch nicht über den Umweg über § 4 Abs 2 AÜG zur Anwendung gelangen. Die in diesem schmalen Bereich verbleibende Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmen sollte im Lichte des legitimen Ziels des § 4 Abs 2 AÜG aber wohl jedenfalls sachlich rechtfertigbar sein.28

Offen ist, ob das auch der VwGH so sieht. Die seit der „Judikaturwende“ ergangenen einschlägigen Entscheidungen des VwGH betrafen bisher primär Straferkenntnisse wegen der Verletzung von Melde- und Bereithaltepflichten. In einem, soweit überblickt bisher einzigen Fall stand der Vorwurf der Unterentlohnung iSd § 29 LSD-BG im Raum,29 und auch hier musste sich der VwGH nicht näher mit der Frage des zustehenden Entgelts auseinandersetzen, da das Straferkenntnis schon mangels ausreichender Sachverhaltsfeststellungen aufzuheben war. Die Bewährungsprobe, ob der VwGH die These der mittelbaren Relevanz des § 4 Abs 2 AÜG auch in grenzüberschreitenden Konstellationen teilen wird, steht somit noch aus.

2.2
Entgeltsystem des österreichischen AÜG

Das Entgeltsystem des § 10 AÜG führt zu einem zweiten Spannungsfeld, das sich nun aber im Verhältnis zur Leiharbeits-RL eröffnet.

2.2.1
Entgeltkonzept des § 10 Abs 1 AÜG

Der österreichische Gesetzgeber hat sich bei Erlassung des AÜG für ein Konzept reduzierter Gleichstellung entschieden, das dennoch den besonderen Entgeltrisken überlassener AN Rechnung tragen soll: Der Anspruch auf den faktisch in den Überlasser- KollV festgelegten Grundlohn, der weder in Stehzeiten noch während einer Überlassung unterschritten werden darf, schützt vor unzumutbaren Einkommensschwankungen. Für die Dauer einer Überlassung bemisst sich das Entgelt im Günstigkeitsfall aber nach dem kollektivvertraglichen Mindestlohn des Beschäftigerbetriebs. Da in der Leiharbeits-RL als Maßstab für die Gleichstellung allerdings die fiktive Direkteinstellung im Beschäftigerbetrieb herangezogen wird,30 sind seit der AÜG-Novelle 201231 für den Überlassungslohn nun grundsätzlich auch betriebliche Entgeltregelungen des Beschäftigerbetriebs zu berücksichtigen, dies aber nur dann, wenn nicht sowohl Überlasser als auch Beschäftiger gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Mindestentgeltregelungen unterliegen. Aufgrund der hohen Kollektivvertragsabdeckung von etwa 98 % ist das in Österreich freilich nicht die Ausnahme, sondern die Regel – echtes Equal Pay für überlassene Arbeitskräfte kommt somit weiterhin nur höchst selten vor.

2.2.2
Unionsrechtskonformität des § 10 Abs 1 AÜG?

Strittig ist, ob diese sehr eigenwillige Regelung den Vorgaben der Leiharbeits-RL entspricht. Diese eröffnet durchaus großzügige Spielräume für Abweichungen vom zunächst in Art 5 Abs 1 maximal weit formulierten Gleichbehandlungsgrundsatz. Obwohl der OGH die Unionsrechtskonformität des § 10 AÜG bisher stets verteidigt hat,32 lässt sich die Regelung bei genauerer Betrachtung nicht so recht in das Ausnahmensystem der Leiharbeits-RL einordnen

Um eine Tariföffnungsklausel iSd Art 5 Abs 3 handelt es sich jedenfalls entgegen den Gesetzesmaterialien33 nicht: Der Gesetzgeber überlässt die Entscheidung über Ob und Wie einer Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz nicht den Kollektivvertragsparteien, sondern legt beides im Bereich des Entgelts schon unmittelbar im Gesetz fest. Auch kommt es für die gesetzliche Absenkung des Gleichstellungsanspruchs nicht darauf an, ob iSd Art 5 Abs 3 kollektivvertragliche Maßnahmen zur Wahrung des Gesamtschutzes der Leih-AN getroffen wurden. Den Kollektivvertragsparteien steht es natürlich schon nach allgemeinen Grundsätzen offen, die Rechtsstellung überlassener AN im Verhältnis zum gesetzlichen Standard zu verbessern; so verhindert etwa das System der Referenzlohnzuschläge des KVAÜ34 ein zu starkes Gefälle zwischen dem Überlassungsentgelt und den Ist-Löhnen der Stammbelegschaften für in Hochlohnbranchen überlassene Arbeiter:innen. Die Etablierung eines solchen Ausgleichssystems ist aber keine notwendige Voraussetzung für die gesetzliche Absenkung des finanziellen Gleichstellungsanspruchs – sie greift ebenso für überlassene Angestellte, deren KollV keine vergleichbaren Maßnahmen vorsieht.

Noch eher scheint Art 5 Abs 2 Leiharbeits-RL zu passen, der den Mitgliedstaaten eine Abweichung vom Equal-Pay-Gebot – nicht aber vom Gleichbehandlungsgrundsatz in anderen Bereichen – für Leih-AN mit unbefristetem Arbeitsvertrag erlaubt, wenn diese auch in Stehzeiten bezahlt werden. Nun betrifft der Ausschluss betrieblicher Regelungen in § 10 Abs 1 AÜG tatsächlich nur das Entgelt, und in § 11 Abs 2 Z 1 AÜG wird unabdingbar die Bezahlung in Stehzeiten angeordnet. § 10 AÜG 185 beschränkt den faktischen Ausschluss betrieblicher Entgeltregelungen vom Gleichstellungsanspruch allerdings nicht auf Leiharbeitskräfte mit unbefristetem Vertrag, sodass auch hier eine Diskrepanz zu den unionsrechtlichen Vorgaben bleibt.

Könnte man das Entgeltsystem des § 10 AÜG aber vielleicht mit dem Argument rechtfertigen, es stelle mehr oder weniger eine Kombination der beiden unionsrechtlichen Ausnahmeoptionen dar, die unter dem Strich ein vergleichbares Schutzniveau für überlassene AN gewährleistet? In diese Richtung geht – mit umgekehrten Vorzeichen – das deutsche Bundesarbeitsgericht in Reaktion auf die E des EuGH in der Rs TimePartner,35 in der dieser zur Auslegung des Erfordernisses der „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ in Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL Stellung bezogen hat.

Deutschland hat zwar den Gleichbehandlungsgrundsatz der RL vollumfänglich ins Gesetz übernommen,36 lässt aber im Folgenden Abweichungen durch Tarifvertrag – nicht nur im Bereich des Entgelts – in sehr weit gehender Weise zu. Vom gesetzlichen Equal-Pay-Gebot darf durch Tarifvertrag zwar nur in den ersten neun Monaten der Überlassung37 und nur bis zu einer per Verordnung festgelegten Untergrenze abgegangen werden.38 Dennoch scheint in Deutschland Lohndumping durch AÜ ein ungleich größeres Thema zu sein als in Österreich: Das Entgelt der Kl in dem der EuGH-E in der Rs TimePartner zugrunde liegenden Sachverhalt betrug gleich ein Drittel weniger als das der Stammbelegschaft; der durchschnittliche Pay Gap liegt nach aktueller Statistik der Bundesagentur für Arbeit zwischen 24 % für Hilfskräfte und immerhin noch 11 % für Tätigkeiten auf Expertenniveau.39 Und auch von der umfassenden Entgeltgleichstellung nach neunmonatiger Überlassung profitieren laut Ulber40 wegen der auch in Deutschland im Regelfall erheblich kürzeren Überlassungsdauer nur ca 15 % der Leiharbeitskräfte. Die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags scheint für Leiharbeitskräfte in Deutschland paradoxerweise ausschließlich zu einer Verschlechterung ihrer Rechtsstellung zu führen, sodass die Frage berechtigt erscheint, ob hier noch von einer „Achtung des Gesamtschutzes der Leih-AN“ die Rede sein kann.

Der EuGH lässt in der Rs TimePartner keine Zweifel offen, dass es sich dabei um mehr handelt als einen bloßen Programmsatz.41 Für eine tarifvertragliche Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz müsse nämlich „dieser Tarifvertrag, um den Gesamtschutz der betroffenen Leiharbeitnehmer zu achten, diesen umgekehrt Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen“.42 Obwohl genau das in den deutschen Tarifverträgen nicht gewährleistet scheint, beurteilt das BAG in seiner Abschlussentscheidung43 das deutsche System nun aber erstaunlicherweise als richtlinienkonform, und begründet das im Wesentlichen damit, dass durch den unabdingbaren Entgeltanspruch in Stehzeiten schon auf gesetzlicher Ebene für einen ausreichenden Gesamtschutz der Leih-AN gesorgt sei.

In ähnlicher Weise ließe sich auch zugunsten des österreichischen Entgeltsystems argumentieren, der Gesetzgeber habe jedenfalls unter dem Strich ein adäquates Gesamtschutzkonzept etabliert.

Die These von der Zulässigkeit einer „Gesamtschau des Gesamtschutzes“, wie es Krause treffend formuliert hat,44 ist allerdings mit den Ausführungen des EuGH kaum in Einklang zu bringen.45 Dieser spricht in seinem Urteil mehrfach von der Erforderlichkeit gesamtschutzwahrender Ausgleichsmaßnahmen in eben jenem Tarifvertrag, der auch die Absenkung des Gleichstellungsanspruchs verfügt;46 in dieselbe Kerbe schlägt er auch jüngst in seiner E in der Rs Randstad.47 Dass es sich laut EuGH „nicht ausschließen“ lässt, dass bei der Beurteilung des Gesamtschutzes auch eine allfällige Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung in Stehzeiten „berücksichtigt werden kann“,48 deckt wohl kaum die offenbar vom BAG vertretene Ansicht, dass ein entsprechender Anspruch schon für sich genommen tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in jeglicher Hinsicht und in jeglichem Ausmaß rechtfertigt.

Dagegen spricht auch die Systematik des Art 5 Leiharbeits-RL.49 Eine generelle Kompensation der Absenkung des Gleichstellungsanspruchs durch einen unabdingbaren Anspruch auf bezahlte Stehzeiten ist nur für unbefristet Beschäftigte und nur in Bezug auf das Entgelt vorgesehen. Alternativ können die Mitgliedstaaten die Ausgestaltung des Leiharbeitsrechts auch an die Sozialpartner übertragen, denen dann ein deutlich größerer 186 Gestaltungsspielraum offensteht, der auch befristet beschäftigte Leih-AN sowie sämtliche der Gleichstellung unterliegende Arbeitsbedingungen umfasst. Im Gegenzug muss sich die von den Tarifparteien gestaltete Rechtsstellung überlassener Arbeitskräfte aber arbeitsplatzbezogen daran messen lassen, ob allfällige Abstriche bei der Gleichstellung durch angemessene Ausgleichsvorteile „neutralisiert“ werden.50 Auch für das österreichische AÜG entscheidend erscheint der Hinweis Krauses, dass es letztlich um die Frage der Verantwortlichkeit für die Einhaltung des Schutzkonzepts der Leiharbeits-RL geht: Diese wird bei Rückgriff auf die Tariföffnungsklausel an die Sozialpartner übertragen, bei einem Abgehen (nur) vom Equal-Pay-Gebot für unbefristet Beschäftigte unter zwingender Anordnung bezahlter Stehzeiten obliegt sie dagegen dem nationalen Gesetzgeber.51

Und genau in diesem Zusammenhang ist letztlich auch die Tatsache von Bedeutung, dass bezahlte Stehzeiten in Österreich zwar gesetzlich vorgesehen sind, praktisch aber kaum eine Rolle spielen, wie die Ergebnisse einer 2017 veröffentlichten sozialwissenschaftlichen Studie zur AÜ in Österreich belegen:52 Kommt es nach Beendigung einer Überlassung nicht zu einem nahtlosen Wechsel in den nächsten Beschäftigerbetrieb, so wird das Arbeitsverhältnis idR beendet, und zwar vorzugsweise durch einvernehmliche Auflösung oder durch Beendigung in der Probezeit; nur 4 % der befragten Leiharbeitskräfte berichten von bezahlten Stehzeiten nach Ende einer Überlassung. Das liegt vermutlich primär daran, dass das AÜG zwar (auch erstmalige) Befristungen an einen Sachgrund bindet,53 ansonsten aber keine wirksamen Maßnahmen gegen eine Synchronisation von Arbeitsvertrags- und Überlassungsdauer ergreift und Beendigungen des Arbeitsvertrags zeitgleich mit dem Überlassungsende in Österreich problemlos möglich sind.

Selbst wenn man nun davon ausgeht, dass die Inanspruchnahme der Ausnahmeoption des Art 5 Abs 2 nur die rechtliche Verpflichtung zur Bezahlung in Stehzeiten voraussetzt,54 ist deren faktische Bedeutungslosigkeit nicht rechtlich irrelevant: Art 5 Abs 5 Leiharbeits-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung ua einer missbräuchlichen Anwendung der Ausnahmen des Art 5. Neben der fehlenden Differenzierung zwischen Leiharbeitskräften mit befristetem und unbefristetem Arbeitsvertrag liegt ein weiteres Umsetzungsdefizit somit darin, dass das AÜG zwar vom umfassenden Equal-Pay- Gebot der RL abweicht, aber keine effektiven Maßnahmen zur Verhinderung von Umgehungen der dafür erforderlichen Vergütung in Stehzeiten ergreift.55

2.2.3
Entgeltbegriff des AÜG

Aus unionsrechtlichen Gründen nicht haltbar war schließlich die früher vom OGH vertretene Ansicht, dass sich der Entgeltbegriff des § 10 AÜG, abweichend vom weiten allgemeinen Entgeltbegriff des österreichischen Arbeitsrechts,56 nur auf periodisch, in der Regel monatlich fällig werdende Entgeltansprüche beziehe und eine weitergehende, auch a-periodische Entgeltansprüche umfassende Gleichstellung nur ausnahmsweise bei besonders langen Überlassungen geboten sei.57 Für diese einschränkende Auslegung bietet schon das nationale Recht keine hinreichenden Anhaltspunkte,58 sie ist aber auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Leiharbeits-RL nicht vereinbar:

Zwar lässt die Leiharbeits-RL gem Art 3 Abs 2 das nationale Recht in Bezug auf die Definition ua des „Arbeitsentgelts“ unberührt, was bei unbefangener Betrachtung nahelegt, dass die Mitgliedstaaten autonom festlegen können, was unter den Entgeltbegriff fällt und was nicht. Eine Einengung des Entgeltbegriffs nur für überlassene AN würde aber dem Gleichbehandlungsgrundsatz der RL seine praktische Wirksamkeit nehmen59 und somit gegen den Grundsatz des effet utile verstoßen.

Der EuGH geht freilich zuletzt noch einen Schritt weiter: Er greift in der Rs Randstad zu einer Auslegungstechnik, die er zuvor bereits im Zusammenhang mit dem AN-Begriff der Leiharbeits-RL angewendet hat,60 und legt den Entgeltbegriff – da Art 3 Abs 2 Leiharbeits-RL nicht als Verzicht des Unionsgesetzgebers auf die eigenständige Festlegung des Begriffsinhalts für die RL zu werten sei – unter Rückgriff auf den weiten Entgeltbegriff des Art 157 Abs 2 AEUV für die RL autonom aus.61 Dieser „Kunstgriff“ des EuGH, trotz ausdrücklich den Mitgliedstaaten überlassener Begriffsdefinition dennoch zu einer autonomen Begriffsauslegung zu gelangen, ist methodisch höchst fragwürdig; das ändert aber nichts am Ergebnis, dass eine Ausgrenzung nicht regelmäßig anfallender Entgeltbestandteile aus dem Entgeltbegriff des AÜG als nicht richtlinienkonform anzusehen ist.

Die Unvereinbarkeit mit Unionsrecht hat mittlerweile aber ohnehin auch der OGH erkannt und in ausdrücklicher Abkehr von seiner bisherigen 187 Judikatur der Klage einer Leih-AN auf eine im Beschäftiger-KollV vorgesehene Corona-Prämie in Form einer Einmalzahlung stattgegeben.62 Damit sollten alle Zweifel ausgeräumt sein, dass überlassene Arbeitskräfte auch an jenen unabdingbaren Entgeltansprüchen des Beschäftiger-KollV partizipieren, die nur in größeren oder unregelmäßigen Zeitabständen oder auch nur einmalig zustehen, wie zB Gewinnbeteiligungen, Jubiläumsgelder oder verschiedenste Formen einer kollektivvertraglichen Einmalzahlung.

2.3
Dauerüberlassungen

Ein bislang nur in der Literatur diskutiertes Problem betrifft schließlich die Frage der Unionsrechtskonformität des österreichischen Rechts in puncto Dauerüberlassungen. Das AÜG sieht bekanntlich keine Begrenzung der Überlassungsdauer vor; mit der zwingenden Einbeziehung der Leih-AN in bestimmte Betriebspensionsregelungen des Beschäftigerbetriebs63 nach Überschreiten einer vierjährigen Überlassungsdauer gibt der Gesetzgeber im Gegenteil sogar implizit zu verstehen, dass er grundsätzlich auch mehrjährige Überlassungen als legitim ansieht.

Aus unionsrechtlicher Perspektive ist diese Akzeptanz langandauernder Überlassungen insofern problematisch, als die Leiharbeits-RL mehrfach auf den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit abstellt. Der EuGH leitet daraus ab, dass das Arbeitsverhältnis mit dem entleihenden Unternehmen seiner Natur nach vorübergehend ist;64 das bedeute zwar kein Verbot des Einsatzes überlassener Arbeitskräfte auf dauerhaft vorhandenen Arbeitsplätzen, es müsse jedoch die Überlassung des einzelnen AN von vorübergehender Dauer sein.65 Praktische Relevanz kommt diesem Gebot in Hinblick auf Art 5 Abs 5 Leiharbeits-RL zu, worin die Mitgliedstaaten zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung einer Umgehung von Richtlinienbestimmungen insb durch aufeinanderfolgende Überlassungen verpflichtet werden. Die RL schreibt zwar keine bestimmten Maßnahmen vor, sondern lässt den Mitgliedstaaten einen großen Gestaltungsspielraum; nicht mit der RL vereinbar ist es allerdings laut EuGH, überhaupt keine Maßnahmen zur Wahrung des vorübergehenden Charakters der Leiharbeit zu ergreifen.66 Es stellt sich die Frage, ob nicht genau das dem österreichischen Gesetzgeber vorzuwerfen ist.

2.3.1
Unterschiedliche Bewertung von Kettenüberlassungen und durchgehenden Dauerüberlassungen?

Die in der Literatur vertretene Ansicht, dass sich die Judikatur des EuGH nur auf die Unzulässigkeit von Kettenüberlassungen, nicht aber auch von durchgehenden Dauerüberlassungen beziehen soll,67 kann bei näherer Betrachtung nicht überzeugen. Zwar betrafen die beiden einschlägigen Entscheidungen in den Rs JH/KG und Daimler jeweils einen Sachverhalt, in dem dieselbe Leiharbeitskraft mehrmals hintereinander befristet an denselben Beschäftiger überlassen wurde. Insofern überrascht es nicht, dass der EuGH immer wieder auf das Problem von Kettenüberlassungen abstellt. Er hält jedoch in beiden Entscheidungen wörtlich fest, dass die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass „Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird“.68 Das legt schon für sich genommen nahe, eine unbefristete Dauerüberlassung nicht anders zu bewerten als eine Kettenüberlassung. Würde man Dauerüberlassungen als zulässig ansehen, wäre zudem völlig unerklärlich, worauf dann das Verbot der Umgehung von Richtlinienbestimmungen durch aufeinanderfolgende Überlassungen abzielen soll, ist doch keine andere Richtlinienbestimmung ersichtlich, die durch Kettenüberlassungen umgangen werden könnte.69 Es kann nur darum gehen zu verhindern, dass durch eine Kettenüberlassung eine grundsätzlich verbotene Dauerüberlassung ermöglicht wird.

Die Unterbindung von Dauerüberlassungen ist im Lichte der Zielsetzungen der Leiharbeits-RL auch sachlich konsequent. Zu Unrecht wird manchmal angenommen, bei durchgehender Dauerüberlassung sei die Leiharbeitskraft ohnehin keinen besonderen Prekaritätsrisken ausgesetzt und bedürfe des Schutzes der RL nicht. Dabei wird nicht nur übersehen, dass nach österreichischem Recht die Gleichstellungsdefizite (insb das Entgelt betreffend) auch bei langem Einsatz im Beschäftigerbetrieb nicht geringer werden oder gar verschwinden.70 Das hohe Prekaritätsrisiko dieser Beschäftigungsform ergibt sich aber vor allem aus der mit ihr verbundenen strukturellen Beschäftigungsunsicherheit, die primär mit dem Versagen der Kündigungsschutzregelungen im Dreiecksverhältnis der AÜ erklärbar ist. Empirisch messbare Folge ist eine im Vergleich zu Standardbeschäftigten stark verminderte Erwerbsintegration und ein deutlich erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko überlassener Arbeitskräfte.71 Die Beschäftigungsunsicher- 188 heit betrifft nicht nur kurzzeitig eingesetzte Leih- AN; auch langfristig überlassenen Arbeitskräften droht die jederzeitige Rückstellung und damit in der Regel das abrupte Ende des Arbeitsverhältnisses – mit negativen Auswirkungen ua auf Lebens-, Familien- und Finanzplanung. Weitere empirisch nachgewiesene Nachteile betreffen zB die geringere Einbindung überlassener AN in betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen72 und schlechte berufliche Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten.73 Vor allem jedoch unterwandert die ungehinderte Möglichkeit einer Dauerüberlassung die Chancen überlassener AN auf eine Übernahme durch den Beschäftiger – ein Ziel, das nicht nur den Wünschen des überwiegenden Teils der Leiharbeitskräfte entspricht,74 sondern das auch die Leiharbeits- RL, wie der EuGH unter Hinweis auf Art 6 Abs 1 und 2 hervorhebt,75 ganz offensichtlich verfolgt. Der unbegrenzte Dauerverleih führt nicht anders als eine Aneinanderreihung zeitlich begrenzter Einsätze zum selben Beschäftiger letztlich zur Dauerprekarität76 und steht somit den Zielen der RL diametral entgegen.77

Die unionsrechtliche Zulässigkeit von Dauerüberlassungen ergibt sich entgegen zT anderslautender Meinung78 auch nicht aus der EuGH-E in der Rs ALB Fils Kliniken GmbH. Der EuGH war hier mit der Frage befasst, ob eine Personalgestellung nach § 4 Abs 3 des deutschen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst in den Anwendungsbereich der Leiharbeits-RL fällt. Diese Regelung ermöglicht es öffentlich Bediensteten im Falle einer Ausgliederung ihres Tätigkeitsbereichs, dem Übergang ihres Beschäftigungsverhältnisses auf den privaten Rechtsträger zu widersprechen, woraufhin ihr Arbeitsvertrag zum öffentlichen DG aufrecht bleibt, sie aber in Folge ihre Arbeitsleistung im Wege einer Personalgestellung beim privaten Rechtsträger zu erbringen haben. Sinn der Regelung ist die Verhinderung einer Kündigung als Folge des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses. Der EuGH sieht den Anwendungsbereich der Leiharbeits-RL hier zu Recht nicht eröffnet: Zum einen handelt es sich beim öffentlichen Rechtsträger nicht um ein Leiharbeitsunternehmen iSd RL, das seine Arbeitsverhältnisse schon mit der Absicht der Überlassung der AN an Dritte abschließt.79 Vor allem aber besteht in dieser ganz speziellen Konstellation insofern kein besonderes Schutzbedürfnis der betroffenen AN, als sie es selbst in der Hand haben, ob es zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum bisherigen AG und damit zur Überlassung oder aber zur Direkteinstellung beim privaten Rechtsträger kommt.80 Für andere Formen einer Dauerüberlassung insb durch gewerbliche Überlasser ist aus der Entscheidung nichts zu gewinnen.81

Klarheit über die Zulässigkeit durchgehender Dauerüberlassungen könnte in absehbarer Zeit der EuGH selbst liefern, da in einem kürzlich eingereichten Vorabentscheidungsersuchen82 explizit nach der Unionsrechtskonformität unbefristeter Dauerüberlassungen gefragt wird. Auch das vorlegende Gericht hegt Zweifel an deren Vereinbarkeit mit der RL und geht erkennbar davon aus, dass hier wohl dieselben Maßstäbe anzulegen sind, wie sie der EuGH für Kettenüberlassungen formuliert hat. Schließt sich der EuGH dem an, so ist für das österreichische AÜG gesetzgeberischer Handlungsbedarf kaum mehr zu leugnen.

2.3.2
Möglichkeiten zur Begrenzung der Überlassungsdauer nach österreichischem Recht

Neben der in § 15 AÜG eingeräumten, tatsächlich aber noch nie genutzten Möglichkeit zur Beschränkung der Überlassungsdauer in Branchen mit mehr als 10 %-igem Leih-AN-Anteil durch Verordnung bietet derzeit allenfalls der Betriebsvereinbarungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG betreffend Grundsätze der betrieblichen Beschäftigung überlassener AN einen Hebel für Maßnahmen gegen Dauerüberlassungen – und selbst dies nur dann, wenn man die in der Literatur nicht unumstrittene Ansicht des OGH teilt, dass er auch Inhalte wie Höchstquoten oder Kontrahierungsgebote nach Überschreiten einer bestimmten Überlassungsdauer deckt.83 Eine nähere Untersuchung der systematischen und teleologischen Argumente, die schon rein innerstaatlich die Sichtweise des OGH stützen, ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich. Im gegebenen Zusammenhang ist aber festzuhalten, dass jedenfalls die Pflicht zur Umsetzung der Leiharbeits-RL ganz entschieden für diese weite Interpretation des Betriebsvereinbarungstatbestandes spricht:

Zweifel an der Unionsrechtskonformität einer auch Kontrahierungsgebote bzw Höchstquoten umfassenden Auslegung wurden ursprünglich vor allem in Bezug auf Art 4 Abs 1 Leiharbeits-RL geäußert,84 wonach Verbote oder Einschränkungen von Leiharbeit 189 nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können. Der EuGH hat Art 4 aber dahingehend ausgelegt, dass er nur eine prozedurale Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Überprüfung bestehender nationaler Beschränkungen der Leiharbeit schafft, jedoch nicht die nationalen Gerichte dazu verpflichtet, gegen Art 4 verstoßende nationale Bestimmungen unangewendet zu lassen.85 Doch auch GA Szpunar, der Art 4 in seinen Schlussanträgen zur Rs AKT durchaus iSe materiellrechtlichen Regelung verstanden hat, sieht nationale Beschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit auf vorübergehende Aufgaben bzw nationale Verbote länger andauernder Überlassungen als mit der RL kompatibel an und weist zutreffend darauf hin, dass Leiharbeit seitens des Unionsgesetzgebers offenkundig „nicht als ein Ersatz für feste Formen der Arbeit betrachtet wird“ und die RL deutlich erkennen lässt, „dass die direkte Beschäftigung ein gegenüber der Leiharbeit bevorzugtes Beschäftigungsverhältnis darstellt“.86

Sowohl Höchstquoten als auch Kontrahierungsgebote nach längerer Überlassung zielen letztlich darauf ab, den Einsatz überlassener AN auf ein Segment zu beschränken, in dem tatsächlich berechtigte Flexibilitätsinteressen des AG bestehen, und sie dienen zudem der Förderung von Direkteinstellungen überlassener Arbeitskräfte im Beschäftigerbetrieb: Das ist bei einem Kontrahierungsgebot offensichtlich, aber auch eine Höchstquote zwingt den Betriebsinhaber letztlich dazu, sich genau zu überlegen, in welchen Bereichen der Einsatz überlassener AN tatsächlich die im Vergleich zur Direkteinstellung sinnvollere Maßnahme ist, und sie bietet einen Anreiz, bereits länger im Betrieb tätigen und weiterhin benötigten Leiharbeitskräften bei drohendem Erreichen der Quote ein Übernahmeangebot zu unterbreiten, um Leiharbeitsplätze für einen zukünftigen kurzfristigen Personalbedarf freizuhalten. Insofern bewegen sich diese Maßnahmen nicht nur im Schnittbereich aller drei in § 2 AÜG explizit genannter nationaler Zielsetzungen, sie sind zudem die einzigen praktisch relevanten Möglichkeiten im österreichischen Recht, mit denen sich Direkteinstellungen fördern lassen und Dauerüberlassungen entgegengewirkt werden kann. Insofern erscheint die weite Auslegung des Betriebsvereinbarungstatbestandes nicht nur unionsrechtlich zulässig, sondern sogar unionsrechtlich geboten.

Da die Begrenzung der Überlassungsdauer im Wege einer einschlägigen BV freilich nur in Betrieben mit BR in Betracht kommt, und eine solche selbst dort nicht zwingend abgeschlossen werden muss, wird diese Regelung allein jedoch nicht ausreichen, um dem Gebot der RL zur Wahrung des vorübergehenden Charakters der Leiharbeit in ausreichendem Ausmaß Rechnung zu tragen.

3
Zusammenfassung und Fazit

Wo sind nun also zusammenfassend tatsächlich unauflösbare Spannungen zwischen dem nationalen Recht der AÜ und dem Unionsrecht zu konstatieren, die ein Tätigwerden des Gesetzgebers erfordern würden?

Im vieldiskutierten Verhältnis des AÜG zur Entsende- RL sehe ich solche unlösbaren Widersprüche, wie gezeigt, nicht, sodass sich hier allein aus dem Unionsrecht heraus auch nicht die Notwendigkeit eines geänderten Umgangs mit „umgehungsverdächtigen“ Werkvertragskonstruktionen ergibt.

Umsetzungsdefizite sind dagegen im Verhältnis zur Leiharbeits-RL zu orten. Diese legt bestimmte strukturelle Schwächen des im Großen und Ganzen sehr überzeugenden Leiharbeitskonzepts des österreichischen Rechts offen:

Das Entlohnungssystem des § 10 Abs 1 AÜG entspricht keiner der beiden in der Leiharbeits-RL eröffneten Ausnahmeoptionen. Eine Lösung de lege ferenda bestünde in der Beschränkung der derzeit vorgesehenen Regelung auf Leih-AN mit unbefristetem Arbeitsvertrag. Für befristet beschäftigte Leiharbeitskräfte bliebe es dann bei der umfassenden Gleichstellung, was wegen der geringen Bedeutung befristeter Arbeitsverträge in der Leiharbeitsbranche87 wohl zu keinen gravierenden Änderungen im Verhältnis zum Status quo führen würde. Flankierend müsste aber auch nach Ansatzpunkten für eine effizientere Verhinderung von mit dem Überlassungsende synchronisierenden Beendigungen gesucht werden, insb iSe strengeren Umgangs mit wiederholten Beendigungen in der Probezeit bzw mit einvernehmlichen Auflösungen in der Leiharbeitsbranche.

Handlungsbedarf besteht an sich auch im Bereich Dauerüberlassungen. Der Gesetzgeber hat bisher keine besondere Sensibilität für das Thema erkennen lassen und stand insofern unter keinem besonderen Handlungsdruck, als eine horizontale Drittwirkung der RL grundsätzlich ausgeschlossen ist88 und auch ein Staatshaftungsanspruch in diesem Bereich wohl kaum Aussicht auf Erfolg hat, wie ein jüngst vom VfGH entschiedener Fall89 verdeutlicht: Eine mehr als 22 Jahre an denselben Beschäftiger überlassene AN hatte nach der Auslandsverlegung der Abteilung, in der sie zuletzt tätig war, keinen Anspruch auf die im Sozialplan vorgesehene Abfertigung, da Leiharbeitskräfte vom Geltungsbereich des Sozialplans ausgeschlossen waren. Die AN machte daraufhin einen Staatshaftungsanspruch in Höhe der entgangenen Abfertigung geltend und begründete ihre Klage insb mit einem Verstoß des 190 österreichischen Gesetzgebers gegen die sich aus der Leiharbeits-RL ergebende Verpflichtung zur Verhinderung von Dauerüberlassungen. Die Staatshaftungsklage scheiterte jedoch insb am mangelnden Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem behaupteten Verstoß gegen Unionsrecht und dem Schaden.90

Sollte allerdings der EuGH im derzeit anhängigen italienischen Vorabentscheidungsverfahren auch durchgehende Dauerüberlassungen mit klaren Worten für unzulässig erklären, könnte unter Umständen doch noch Bewegung in die Sache kommen. Für weitere Spannung im Recht der AÜ ist also auch zukünftig gesorgt.