ZimmerDas Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Handlungs optionen für Mitbestimmungsakteure und Gewerkschaften
HSI-Schriftenreihe, Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2023, 109 Seiten, kartoniert € 24,70
ZimmerDas Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Handlungs optionen für Mitbestimmungsakteure und Gewerkschaften
Am 1.1.2023 ist in Deutschland das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, abgekürzt: LkSG) in Kraft getreten, das erstmals verbindliche Vorgaben zu den Verpflichtungen, denen in Deutschland ansässige Unternehmen in ihren weltweiten Lieferketten unterliegen, enthält. Ziel des Gesetzes ist es, die Einhaltung zentraler international anerkannter Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte entlang der Wertschöpfungskette zu verbessern, zumal Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in internationalisierten Lieferketten immer noch Realität sind, wie etwa auch der Brand in einer Textilfabrik in Pakistan im Jahr 2012 zeigt, bei dem über 250 Menschen wegen fehlender Notausgänge um ihr Leben kamen. Neben einigen anderen Staaten in Europa, zu denen Österreich jedoch gerade nicht gehört, hat sich daher auch der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2021 zum Ziel gesetzt, die in Deutschland ansässigen Unternehmen zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu verpflichten, um international anerkannte Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte wahrzunehmen und zu diesem Zweck vorerst im nationalen Alleingang das LkSG verabschiedet. Bereits vor Inkrafttreten des LkSG am 1.1.2023 ist es jedoch auch auf europäischer Ebene zu neuen Entwicklungen gekommen. So hat die Europäische Kommission im Februar 2022 einen Entwurf für eine RL über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vorgelegt; die RL 2024/1760/EU – auch bekannt als CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) – ist schließlich im Juni 2024 in Kraft getreten und ist von den Mitgliedstaaten je nach Anzahl der Beschäftigten und Umsatz des Unternehmens ab 26.7.2027 (für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und Umsatz ab 1,5 Mrd €), ab 26.7.2028 (für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und Umsatz ab 900 Mio €) bzw ab 26.7.2029 (für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und Umsatz ab 450 Mio €) umzusetzen.
Das vorliegende Werk von Reingard Zimmer, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, behandelt aus zeitlichen Gründen noch das deutsche nationale LkSG, das in mehrfacher Hinsicht von der in der Zwischenzeit in Kraft getretenen CSDDD abweicht und konnte die zum Zeitpunkt der Publikation noch nicht verabschiedete RL freilich noch nicht berücksichtigen. Das Buch bietet aber einen hervorragenden Einblick in das derzeit geltende deutsche LkSG, das die in Deutschland ansässigen Unternehmen vor zahlreiche neue Herausforderungen gestellt hat. Besonders hervorzuheben ist, dass Zimmer den Fokus – anders als viele andere Publikationen zum LkSG – nicht nur auf unternehmens- und wirtschaftsrechtliche Fragestellungen, sondern primär auf arbeitsrechtliche Themen legt. Insb geht sie der überaus spannenden Frage nach, welche Rolle Mitbestimmungsakteur:innen und Gewerkschaften bei der Umsetzung und Kontrolle des LkSG haben und zeigt auf, dass sowohl Betriebsräte als auch Gewerkschaften einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung von Menschenrechtsstandards entlang der Lieferkette leisten können.
Inhaltlich ist das Werk in sieben Kapitel gegliedert. Nach einer kurzen Einleitung und Einführung in das LkSG in Kapitel A (S 13-15) widmet sich die Autorin in Kapitel B (S 16-50) zunächst den menschenrechtlichen 260 Sorgfaltspflichten von Unternehmen nach dem LkSG. In diesem umfassenden Kapitel werden neben dem Anwendungsbereich des Gesetzes auch die Reichweite der Lieferkette sowie menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken dargestellt.
Überdies geht die Autorin auf die einzuhaltenden unternehmerischen Sorgfaltspflichten ein, die im deutschen Recht nicht als Erfolgs-, sondern als Bemühenspflichten ausgestaltet sind und folgende Aspekte beinhalten:
Risikomanagement (§ 4 LkSG),
Risikoanalyse (§ 5 LkSG),
Präventionsmaßnahmen (§ 6 LkSG),
Abhilfemaßnahmen (§ 7 LkSG),
Beschwerdeverfahren (§ 8 LkSG),
Dokumentations- und Berichtspflichten (§§ 10 und 12 LkSG),
Risikomanagement bei mittelbaren Zulieferern (§ 9 LkSG).
Kapitel C (S 51-52) ist der Durchsetzung und Überwachung gewidmet, die in Deutschland öffentlich- rechtlich ausgestaltet ist. Die zuständige Behörde für die behördliche Kontrolle ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nachgeordnet ist. Bei Verstößen gegen das LkSG sind Bußgelder vorgesehen; von einer zivilrechtlichen Haftung hat der deutsche Gesetzgeber jedoch – anders als der Unionsgesetzgeber in der CSDDD – explizit Abstand genommen und eine solche nach dem LkSG ausdrücklich ausgeschlossen. Kapitel D (S 53-55) untersucht die Wiedergutmachung bei Rechtsverletzungen und erläutert neben dem anwendbaren Recht insb Rechtsfragen der gesetzlichen Prozessstandschaft iSd § 11 LkSG. Nach dieser Bestimmung sind inländische Gewerkschaften und NGOs bei der Verletzung von Menschenrechten zur Prozessführung in Deutschland ermächtigt und haben daher die Befugnis zur Prozessführung im eigenen Namen kraft gesetzlicher Ermächtigung.
Das Herzstück des Werks bilden Kapitel E (S 56-83) und Kapitel F (S 84-95), die aus arbeitsrechtlicher Sicht die Einbindung von Mitbestimmungsakteur:innen und die Rolle der Gewerkschaften untersuchen, um die unternehmerische Sorgfalt für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in den Lieferketten zu erhöhen. Zimmer arbeitet überzeugend heraus, dass neben dem Wirtschaftsausschuss, dessen Beteiligung an der Umsetzung des LkSG der deutsche Gesetzgeber explizit vorsieht, auch AN im Aufsichtsrat und Betriebsräten eine zentrale Rolle bei der Sicherung sozialer Mindeststandards entlang der Lieferkette zukommt. Der Wirtschaftsausschuss wird auf Unternehmensseite gebildet und erhält aufgrund eines umfassenden Unterrichtungsrechts die Informationen über die Umsetzung der Sorgfaltspflichten in Lieferketten für die Unternehmensebene. Für die Überwachung von Maßnahmen des Risikomanagements und der Compliance ist der Aufsichtsrat zuständig; ihm obliegt es auch, über die Einhaltung der Pflichten des LkSG zu wachen. Da die Einführung einiger Instrumente der Mitbestimmung des BR unterliegt, empfiehlt Zimmer eine Verzahnung mit dem zuständigen BR, der in die Umsetzung des LkSG in mehrfacher Weise einzubinden ist. Die Autorin arbeitet nicht nur die Kompetenzen heraus, die dem BR, Gesamt-BR, Konzern-BR und Europäischen BR zukommen, sondern schlägt auch Erweiterungen des Handlungsspielraums für Betriebsräte vor.
Zudem zieht Zimmer de lege ferenda die Schaffung eines neuen, paritätisch besetzten Gremiums – des Due Diligence Komitees – in Betracht, das sich aus Vertreter:innen der AG- und AN-Seite unter dem Vorsitz des Menschenrechtsbeauftragten zusammensetzen würde und zentrale Fragen der Implementierung der Sorgfaltspflichten im Unternehmen und im Konzern bearbeiten würde, wie etwa die Risikoanalyse, die Auswertung von Beschwerden sowie Festlegung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen. Überdies sollte das Komitee nach Ansicht der Autorin auch für die Ausarbeitung eines Notfallplans zuständig sein, wenn Probleme in der Lieferkette identifiziert werden.
Schließlich analysiert die Autorin die Rolle der Gewerkschaften, denen der deutsche Gesetzgeber zwar nur in § 11 LkSG bei der Prozessstandschaft eine ausdrückliche Rolle zugewiesen hat, die jedoch auch in vielen anderen Bereichen eine große Bedeutung bei der Sicherung sozialer Mindeststandards entlang der Lieferkette einnehmen können, etwa bei der Unterstützung der Mitbestimmungsakteur:innen in Betrieb und Unternehmen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Durchsetzung des LkSG. Zudem können sie den Beschwerdemechanismus des LkSG nutzen, um auf bestehende Risiken oder Rechtsverletzungen hinzuweisen. Die Autorin betont ua auch, dass die Umsetzungsmaßnahmen zur Erfüllung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten teilweise auch tarifvertraglich geregelt werden könnten. Ferner empfiehlt sie Konsultationen mit Gewerkschaften aus den Ländern des globalen Südens, was auch unter Einbindung der globalen Gewerkschaftsföderationen geschehen sollte.
Ob der deutsche Gesetzgeber bei der Novellierung des LkSG anlässlich der CSDDD, die in mehrfacher Hinsicht über das deutsche LkSG hinausgeht, die Vorschläge der Autorin aufgreifen und die Rolle der Mitbestimmungsakteur:innen und Gewerkschaften stärken wird, bleibt abzuwarten. Der Autorin ist es aber im vorliegenden Werk jedenfalls hervorragend gelungen, das deutsche LkSG trotz der Komplexität des Themas sehr verständlich und übersichtlich darzustellen und aus arbeitsrechtlicher Perspektive zahlreiche Denkanstöße zu bieten, welch wichtigen Beitrag Mitbestimmungsakteur:innen und Gewerkschaften bei der Sicherung der Menschenrechtsstandards leisten und in Zukunft leisten könnten. Das Werk, das im Übrigen elektronisch unter https://www.boeckler.de/fpdf/HBS-008496/p_hsi_schriften_48.pdf auch kostenlos verfügbar ist, ist daher nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich mit der Umsetzung der CSDDD befassten Expert:innen in Wissenschaft, Praxis und Gesetzgebung ans Herz zu legen, wenngleich nochmals zu betonen ist, dass zum Zeitpunkt der Publikation die CSDDD, die in vielerlei Hinsicht vom deutschen LkSG abweicht, noch nicht in Kraft war und daher noch nicht berücksichtigt werden konnte. 261