„Arbeit“ in globalgeschichtlicher Perspektive

ANDREA KOMLOSY (WIEN)

In mehreren Zeitschnitten vom Mittelalter bis zur Gegenwart wird aufgezeigt, dass der globale Kapitalismus keineswegs die lineare Durchsetzung von freier Lohnarbeit bedeutete, sondern auf der klein- und großräumigen Kombination von immer wieder neuen Formen von freien und unfreien, bezahlten und unbezahlten, gesicherten und ungesicherten Arbeitsverhältnissen beruhte.

1.
Ein breiter Arbeitsbegriff

Wie kommt es, dass in unserer Vorstellungswelt nur die Erwerbsarbeit als Arbeit angesehen wird und die vielen anderen Dinge, die Menschen tun, um überleben zu können, nicht als Arbeit anerkannt sind. War das schon immer so? Wenn nicht, wie hat sich unser Arbeitsbegriff herausgebildet?

Der den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des 19. Jahrhunderts zugrunde liegende Arbeitsbegriff war jener des Industriezeitalters und dementsprechend eng auf außerhäusliche Erwerbstätigkeit, vor allem in der großen Industrie, fokussiert. Auch die Geschichtsschreibung aus der ArbeiterInnenbewegung übernahm dieses Verständnis. Das Interesse an der Alltagsgeschichte schloss zwar auch die Wohnverhältnisse, Konsum und Versorgung, den Arbeitsweg, die Feierabendgestaltung und die Festkultur der Arbeiterklasse ein: Die dort verrichteten Tätigkeiten wurden jedoch nicht der Arbeitswelt zugeordnet, sondern bildeten deren Gegenpart: die sogenannte arbeitsfreie Zeit.

Seit den 1980er-Jahren brach die Engführung der Arbeitsforschung auf die in den alten Industrieländern vorherrschende Form bezahlter, geregelter und sozial abgesicherter Arbeitsverhältnisse auf. SozialhistorikerInnen begannen, über die westeuropäische Arbeitsgesellschaft hinaus zu denken und Tätigkeiten bzw Charaktere wahrzunehmen, die nicht dem jeweils vorherrschenden Arbeitstypus und Arbeitsverständnis entsprachen. Damit weitete sich auch der Arbeitsbegriff, der nun alle zum Überleben notwendigen Tätigkeiten einschloss, unabhängig davon, ob diese im Haushalt, in der Familie, am Feld, in Heimarbeit oder in der Fabrik, bezahlt oder unbezahlt, verrichtet wurden. Wesentliche Voraussetzung für die Öffnung der Perspektive waren die Impulse, die aus feministischen und entwicklungspolitischen Anliegen in die wissenschaftlichen Debatten eingebracht wurden und mit dazu beitrugen, den männlich-proletarischen und den eurozentrischen Charakter der bisherigen Arbeitsforschung zu überwinden.1 Wird Arbeitsgeschichte global gefasst, kann sie nicht an der Vielfalt von Arbeitsverhältnissen vorbeigehen, die im historischen Verlauf auftreten und – als Folge der Verbindung ungleicher Arbeitsverhältnisse – zu ein und demselben Zeitpunkt miteinander kombiniert werden.2

Im Folgenden wird eine Erzählweise der Geschichte der Arbeit skizziert, die Erkenntnisse der historischen Frauenforschung und der globalhistorischen Erweiterung der Perspektiven auf Arbeit aufgreift. Die Erzählung ist bewusst ohne Bezugnahme auf innerwissenschaftliche Debatten gehalten, um für Interessierte aus verschiedenen fachlichen Hintergründen nachvollziehbar zu bleiben. Den Hintergrund sowie Hinweise auf weiterführende Debatten und Literatur bietet das von Andrea Komlosy verfasste Buch „Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive“.3

2.
Eine inklusive Geschichte der Arbeit

In vorindustriellen Gesellschaften wurden die zum Überleben notwendigen Tätigkeiten im Rahmen von Familienwirtschaften organisiert. Leben und Arbeiten waren nicht getrennt, der Haushalt diente gleichzeitig als Arbeitsplatz. Man spricht hier auch vom „ganzen Haus“ (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 91): Das bedeutete in den seltensten Fällen, dass alle Bedürfnisse bargeldlos im Haus befriedigt wurden, sondern dass alle Arbeiten, die im Haus anfielen, egal ob sie zur Erzielung von Einkommen, zur Selbstversorgung, für Feste oder für Repräsentation dienten, als Arbeit galten. Alle Haushaltsmitglieder waren in den Arbeitsprozess eingebunden. Es herrschte einerseits eine klare Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, Familienangehörigen und Dienstboten, die maßgeblich vom Lebenszyklus und vom Status geprägt war. Diese Arbeitsteilung wurde jedoch immer, wenn es notwendig und möglich war, durchbrochen: Zur Aussaat und Ernte begaben sich alle aufs Feld, die Wickelkinder blieben bei den Alten oder wurden am Feldrand abgelegt; im Winter verlagerten sich die Arbeiten in die Stube, wo alle möglichen Gebrauchsgegenstände gefertigt wurden, teilweise für den Eigenbedarf, teilweise für den Markt.4 Nicht zu vergessen: Feudale Verhältnisse brachten es mit sich, dass ein Teil der Arbeitszeit, oder der Produkte, dem Grundherrn abgegeben werden mussten, der als Obereigentümer über das Land „seine“ Bauern für seinen Haushalt arbeiten lassen konnte, sei es als Leibeigene, sei es als selbständige, jedoch zu Robot und Abgaben verpflichtete Bauern. So gesellte sich zur Arbeit für den Markt (kommodifizierte Arbeit) und die bäuerliche Eigenversorgung (reziproke Arbeit) die Arbeit zur Erwirtschaftung der Tribute (tributäre Arbeit). Diese Unterscheidung des Bezugsrahmens hatte jedoch keinen Einfluss auf die Arbeitsteilung unter den Haushaltsmitgliedern: Alle waren daran ungeteilt beteiligt (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 91).

Im gewerblichen Haushalt der städtischen Handwerker herrschte ein ähnliches Prinzip. Lehrlinge, Gesellen und Dienstboten gehörten zum Haushalt, in dem sie beherbergt und verpflegt wurden. Die Haushaltsführung gehörte also ebenso zum Familienunternehmen wie das Handwerk. Die Herausbildung handwerklicher Spezialisierung akzentuierte allerdings die Unterscheidung, die bereits in der Antike zwischen der mühevollen, schweren, zum schieren Überleben notwendigen Arbeit (Labor) und der kreativen, erfüllenden, ein Werkstück hervorbringenden Arbeit (Opus) gemacht wurde. Der Gegensatz zwischen Labor und Opus spiegelt sich in den europäischen Sprachen, im deutschen zwischen Arbeit und Werk, englisch: LabourWork, französisch: LabeurOeuvre, russisch: RabotaTrud (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 36 f). Auch wenn das Christentum und andere Weltreligionen die mühevolle Arbeit als Dienst an Gott – „Ora et labora“ – zur Tugend machten, rangierte mühevolle ArbeitLabor stets unter dem befriedigenden OpusWerk. Bezogen auf das Handwerk, das sich im 13. Jahrhundert zu einer männlichen Domäne herausbildete, wurde die Haushaltsführung der mühevollen Seite der Arbeit zugeschlagen, die Erzeugungsseite hingegen dem Werk. Handwerk wurde zum Beruf und zur Berufung der Meister und Gesellen, es brachte Erfüllung und gesellschaftliches Prestige, das weit über jenes der mühevollen Arbeit hinausragte. Die Geschlechtergrenze war allerdings nicht unüberwindlich: Sie wurde von Witwen überschritten, wenn sie den Meisterbetrieb fortführten. Darüber hinaus waren Frauen im Handel tätig und es gab bestimmte Handwerke, die von Frauen ausgeübt wurden.

Wenn der Haushalt Versorgung, Einkommen und soziale Sicherheit bündelte, mussten sich Menschen, 252 die kein eigenes Haus besaßen, der Gewalt eines Hausherrn unterordnen. Umherziehende waren auf vorübergehenden Schutz sowie Unterhalt angewiesen, etwa durch Taglohn, durch Sold, durch allerhand Gelegenheitsarbeiten oder Almosen. Das Leben in Haushaltsgruppen traf allerdings auch auf Fahrende zu, die unter allerlei Bezeichnung als „Tinker“, „Jenische“ oder „Viajeros“ unterwegs waren und im Gegenzug für bestimmte Dienstleistungen Kost, Quartier oder Geldzahlungen erhielten. Auch die aus Indien nach Europa gewanderten Roma fallen in diese Kategorie. Oft verbrachten sie mehrere Monate in einem Dorf und verrichteten Hilfs- und Reparaturarbeiten für die ansässigen Bauern und Grundherren. Eine Spezialität der Fahrenden war der Umgang mit Pferden und Metallen, Flechten und Binden; die Frauen betätigten sich auch als WahrsagerInnen. Die Sesshaften fürchteten sie, gleichzeitig fühlten sie sich ihnen überlegen. Sie wussten freilich, dass sie als Landwirte und Gewerbetreibende ohne die Arbeit der Fahrenden und der Hintersassen nicht überleben konnten (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 92).

3.
Von der Peripherie zum Zentrum der Weltwirtschaft

Das Jahr 1250 steht für die Verdichtung der Urbanisierung und des Austauschs von Gütern des täglichen Bedarfs im Zusammenhang mit der Herausbildung eines eurasischen Weltsystems (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 88 f). Während die mongolische Expansion im 13. Jahrhundert in China, in Persien und in Russland Spuren der Zerstörung zog und sesshafte Zivilisationen dem Tributsystem der zentralasiatischen Reiternomaden unterwarf, ermöglichte die darauf aufbauende Pax Mongolica Warenaustausch und Kulturtransfer. West- und Zentraleuropa gelangten so in Kontakt mit der viel elaborierteren Gewerbekunst in China, Indien und Persien sowie Handelspraktiken, die entlang der Seidenstraßen entwickelt worden waren.5 So lernte man in Europa zum Beispiel den Wechsel kennen.

Handwerk und Stadt, die im 13. Jahrhundert zur Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung und zur Abgrenzung von „Beruf“ und mühevoller Arbeit in Europa beitrugen, waren also maßgeblich durch asiatische Impulse vermittelt. Wir können uns diese Impulse wie ein Schneeballsystem oder als überlappende Interaktionssysteme vorstellen. Auf dem gleichen Weg erreichten 100 Jahre später auch die Pesterreger Europa. Entscheidende Scharniere waren Venedig und Genua, von wo die Handelsrouten nach Oberdeutschland und Flandern ausgingen. Über die Hanse mit ihren Kontoren in Brügge, London, Bergen und Nowgorod wurde auch der Norden angebunden. Von hier bezog der Süden Felle und Waldwaren. Venedig und Genua waren auch jene Stadtstaaten, die im östlichen Mittelmeer- und Schwarzmeerraum bereits Plantagenwirtschaft und Sklavenhandel praktizierten, bevor diese mit der transatlantischen Expansion zum Inbegriff von Kolonialismus wurden.6

Mit der Kolonisierung Amerikas, quasi ein Nebeneffekt auf der Suche nach einem alternativen Seeweg von Europa nach Ostindien, verschoben sich die Zentren des Weltsystems nach 1500 vom Mittelmeerraum an den Atlantik.7 Eine großräumige Arbeitsteilung half, die spätmittelalterliche Krise zu überwinden. Die ersten Kolonialmächte waren Spanien und Portugal; durch die Finanzierung sowie die Verarbeitung der Kolonialwaren floss ein Teil der Erträge jedoch nach England und die Niederlande, die die landwirtschaftliche und die gewerbliche Spezialisierung vorantrieben. Die Feudalabgaben wurden dort seit dem 15. Jahrhundert in Pacht verwandelt: Agrarunternehmer hegten das Land ein – die berühmt-berüchtigten „Enclosures“ – und zwangen so die Bauern, sich als Landarbeiter oder als gewerbliche Arbeitskräfte in den Städten zu verdingen. Die Versorgung mit Getreide und Fleisch erfolgte durch Importe aus den nordosteuropäischen Gutsherrschaften im Baltikum und in Polen, die im Zuge der Exportkonjunktur die Leibeigenschaft einführten. Von dort kamen auch Marinebedarfsgüter wie Holz und Teer, die für den Schiffsbau unerlässlich waren. Die amerikanische Plantagenwirtschaft, in der nach dem Massensterben der indigenen Indios afrikanische Sklaven eingesetzt wurden, lieferte mit Zucker, Kautschuk und Baumwolle wichtige Rohstoffe für die Verarbeitungsgewerbe im europäischen Nordwesten (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 109-14).

An der Weltspitze stand nach wie vor die asiatische Gewerbekunst: Das in den Minen von Peru und Mexiko geförderte amerikanische Silber erlaubte es europäischen Händlern, an die begehrten Waren – Seide, Porzellan, Papier, feine Musseline, bedruckte Baumwollstoffe, auch Kalikos genannt – heranzukommen. Die Regierungen gaben der Handelsschifffahrt militärische Flankendeckung. Die europäisch-asiatischen Beziehungen zeigten keine Abhängigkeit: Es handelte sich im Wesentlichen um einen gleichberechtigten Austausch, der beiden Seiten Vorteile brachte. Im Bereich des Handwerks herrschte ein Kompetenzgefälle zugunsten der asiatischen Exportgewerbe (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 107).

Auch wenn sich für die meisten Menschen das Leben im lokalen Maßstab abspielte, waren die Teilräume der Welt durch eine ungleiche Arbeitsteilung miteinander verbunden: Die freie Lohnarbeit in Nordwesteuropa konnte ohne die von osteuropäischen Leibeigenen erzeugten Nahrungsmittel nicht auskommen; das Gewerbe benötigte die Rohstoffe aus Übersee; und die Handelskompanien, die britische East India Company (EIC) und die 252 niederländische Verenigde Oost-Indische Companie (VOC), brauchten das amerikanische Silber für den Import der asiatischen Gewerbewaren, die in Europa immer breiter nachgefragt wurden. Bauern und Gewerbetreibende, Lohnarbeiter, Sklaven und Leibeigene arbeiteten unter höchst unterschiedlichen Bedingungen: Das System – sprich der globale Kapitalismus – konnte nur funktionieren, indem alle diese Arbeitscharaktere und Verhältnisse gleichzeitig zum Einsatz kamen und einander ergänzten.8

Das Bergbaugebiet von Potosí/Peru zeigt, dass auch kleinräumig ein breites Spektrum von Arbeitsverhältnissen praktiziert wurde (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 117 f ). In den Minen kamen Indios zum Einsatz, die von den Provinzen im Hochland von Peru gestellt werden muss ten. Jedes Jahr mussten diese ein Siebentel ihrer männlichen Bewohner im Alter von 18 bis 50 Jahren der Bergbaugesellschaft zur Verfügung stellen, nach einem Jahr wurden sie ausgetauscht. Dieses System zur Arbeitskräftebereitstellung wurde „Mita“ genannt, im 16. Jahrhundert wurden jährlich über 16.000 Mitayos nach Potosí entsandt. Die Versorgung der Bergbaugemeinden mit Nahrungsmitteln wurde über die „Encomienda“ gewährleistet: Indianische Gemeinschaften wurden von der Kolonialadminis tration zur Ablieferung und zum Tausch von Produkten verpflichtet; wenn die indianischen Dörfer im Zuge der kolonialen Beanspruchung zusammenschrumpften, wurden die Überlebenden in sogenannte „Reducciones“ zusammengefasst, so ließ sich auch die Mission leichter bewerkstelligen. Ein anderes Modell war die „Hacienda“, wo indianische Landarbeiter für koloniale Großgrundbesitzer arbeiteten. Der Silberexport beruhte also auf einem ausgeklügelten kolonialen Binnenmarkt, der die lokale Bevölkerung in den Dienst der Exportökonomie stellte.9

Die Entdeckung Amerikas brachte zwar nicht den erhofften Zugang nach Ostindien. Die koloniale Ökonomie stellte allerdings das Silber bereit, das die asiatischen Gewerbeprodukte dem europäischen Publikum öffnete.10 Der Kreis schloss sich, als die Ostindien-Kompanien dazu übergingen, bedruckte indische Stoffe auch als Zahlungsmittel für afrikanische Sklaven sowie zur Bekleidung karibischer Plantagensklaven einzusetzen. Der Preis eines Sklaven wurde in Baumwollstoff angegeben: So entsprach ein kräftiger männlicher Sklave im 18. Jahrhundert 3.000 Gramm Gold oder einem Pièce d‘Inde (10-15 Ellen Baumwollstoff).11

4.
Verlag und Fabrik

Wollte ein Unternehmer um 1700 die Mengenbeschränkungen, Ausbildungs- und Qualitätsvorschriften umgehen, die in den Zunftregeln vorgeschrieben waren, musste er beim Landesfürsten um eine Ausnahmegenehmigung ansuchen, ein so genanntes Privilegium. Dies erfolgte zuallererst im Textilsektor. Da die städtischen Arbeitskräfte im Zunftsystem gebunden waren, wurden ländliche Arbeitskräfte angeheuert. Eine großbetriebliche Massenproduktion bestand aus einer Zentrale, wo Rohmaterialien aufbereitet wurden; die Spinn- und Webarbeiten wurden von Mittelsmännern, Faktoren genannt, an die ländlichen TextilarbeiterInnen weitergegeben, die diese – neben der Arbeit in der Landwirtschaft – in ihren eigenen vier Wänden verrichteten (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 126-128). Sie bauten die Aufträge für externe Auftraggeber einfach in die häusliche Familienwirtschaft ein, die ja schon bisher Textilien für den Eigenbedarf erzeugt hatte. Die Arbeit für den Verleger – so wurden die Unternehmer bezeichnet, die die dezentrale Produktionsweise, das Verlagswesen, kontrollierten – fügte sich nun allerdings in eine überregionale Produktionskette ein: Diese begann mit der Erzeugung der textilen Fasern. Im 18. Jahrhundert war das in zunehmendem Maße Baumwolle, die im Fall der Habsburgermonarchie aus dem Osmanischen Reich bezogen wurde; Baumwolle ließ sich gut mit Leinen kombinieren und ergab so den sogenannten Barchent. Die Produktionskette setzte sich mit dem Spinnen und Weben fort, das in den ländlichen Haushalten erfolgte, bis die fertigen Produkte an einem zentralen Ort gebleicht, gefärbt, appretiert, gewalkt oder bedruckt wurden. Besonders aufwändig war das Spinnen: 8-12 Handspinnerinnen waren notwendig, um einen Handweber mit Garn zu versorgen. Jede Ausweitung der Produktion erforderte demnach die Mobilisierung weiterer Arbeitskräfte.

Der Staat begünstigte daher die Eheschließung von Paaren, die über keine Ackerflächen verfügten: Sie erhielten die Genehmigung, Kleinhäuser zu errichten und standen den Textilverlegern als Arbeitskräfte zur Verfügung. Zur Selbstversorgung bauten sie auf eigenen Parzellen oder auf den Brachäckern der Bauern Kartoffel und Hülsenfrüchte an: Da sie in ihren eigenen Räumen arbeiteten und sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgten, konnten sie die Aufträge für die Textilverleger besonders kostengünstig erledigen.12 Alle Familienmitglieder waren in den Textilverlag eingebunden: Am größten war die Nachfrage nach den Händen der Frauen, die mit dem Spinnen aufgrund der geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung bestens vertraut waren. Wenn das Spinnen nun zum Hauptverdienst der Familie wurde, mussten die Männer auch Aufgabenbereiche übernehmen, die traditionellerweise Frauen vorbehalten waren. Die Familienwirtschaft zeigte große Flexibilität im Umgang mit geänderten Anforderungen und Rollenerwartungen.

Die bedeutendsten Verlagssysteme in Österreich wurden von der Linzer Wollzeugfabrik und der Schwechater Baumwollmanufaktur aufgezogen.13 Von den Zentralen aus versorgten sie in einem 253 Umkreis von über 100 Kilometer, bis nach Böhmen und Mähren, Spinnerinnen und Weber mit Aufträgen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren allein für diese beiden Unternehmen je 30.000-50.000 Personen tätig, manche im Haupterwerb, die meisten neben anderen Beschäftigungen. Zwischen den Manufakturen und den zünftischen Webern herrschte starke Konkurrenz um die Arbeitskräfte. Die Verleger schlossen die Arbeitskontrakte mit den Haushaltsvorständen ab und verpflichteten diese mitsamt all ihren Haushaltsmitgliedern, für diesen einen Auftraggeber zu arbeiten. Die zünftischen Weber waren mit dieser Entwicklung ganz und gar nicht zufrieden. Sie mussten sich in Hinkunft auf lokale Märkte beschränken; Massenproduktion und Export hingegen blieben den Manufakturen vorbehalten.

Das textile Verlagswesen als Etappe auf dem Weg zur industriellen Massenproduktion war nicht auf europäische Textilregionen beschränkt. Es wurde mit dem Dadni-System auf dem indischen Subkontinent und dem Zangfang-System in der chinesischen Seidenindustrie auf ähnliche Weise praktiziert. In Indien funktionierte die britische Ostindien- Kompanie (EIC) das lokale zu einem globalen Verlagssystem um, in dem die Agenten der Kompanie zunehmenden Einfluss auf die Selbstständigkeit der indischen Produzenten erlangten.14

Die Fabrik – genauer: die zentralisierte, mit Arbeitsmaschinen mit Wasser- oder Dampfkraftantrieb ausgestattete Produktionsstätte – brach mit dem Verlagssystem (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 140 f). Die Schwechater und die Linzer Manufaktur zeigen deutlich: Die langen Transportwege und die Schwierigkeiten der Arbeits- und Qualitätskontrolle begünstigten die Suche nach Zentralisierung und Mechanisierung der Produktion. In Österreich wurden um 1800, 20 Jahre später als in Großbritannien, erste mechanische Spinnfabriken eröffnet. Sie konzentrierten sich im niederösterreichischen Industrieviertel, in Vorarlberg, in Nordböhmen, Nordmähren, Schlesien und in der Region Brünn. Die Arbeit der Handspinnerinnen wurde nun von Mule-Maschinen, Waterframes und Selfaktoren ersetzt. In England war die Einführung des Fabriksystems maßgeblich dadurch motiviert, die indischen Baumwollstoffe, die bisher über britische Handelskompanien weltweiten Absatz fanden, durch einheimische, britische Produktion zu ersetzen. Die Einführung des Fabriksystems war überall damit verbunden, die einheimischen Märkte vor den asiatischen Textilien zu schützen; langfristiges Ziel der europäischen Textilindustriellen war es, auch deren Binnen- und Exportmärkte zu übernehmen.

Die Einführung des Fabriksystems bedeutete, dass das wichtigste Charakteristikum der vorindustriellen Wirtschaft, die Einbettung der Produktion in den familienwirtschaftlichen Haushalt, außer Kraft gesetzt wurde. Mit der zentralen Kraftanlage wanderte die Arbeit – und mit ihr die Arbeiter und Arbeiterinnen – in das Fabriksgebäude. Die Arbeit, die im Haushalt zurückblieb, wurde durch ihre ideologische Uminterpretation zur Reproduktion, Gattinnen- und Mutterpflicht ins Reich des Privaten verwiesen. Von der ökonomischen Wissenschaft wurde ihr Arbeitscharakter und Wertschöpfung abgesprochen (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 158 f).

5.
Das Normalarbeitsverhältnis

Wenn wir heute von Arbeit sprechen, denken wir automatisch an Erwerbsarbeit. Sie berechtigt nicht nur zu Geldeinkommen, sondern auch zur sozialen Absicherung. Dies schlägt sich auch in der Sprache nieder: „Arbeiten Sie?“ wird nur jemand positiv beantworten, der über eine solche verfügt. Mit der vorindustriellen Familienwirtschaft, in der Arbeiten für den Markt, die Selbstversorgung, die Herrschaft und die Gemeinschaft ungeteilt von allen Haushaltsmitgliedern verrichtet wurden, hat dieser Arbeitsbegriff nichts gemeinsam. Arbeit auf Erwerbsarbeit zu reduzieren, ist ein relativ junges Phänomen: Es kam Ende des 19. Jahrhunderts auf, trat im 20. Jahrhundert einen Siegeszug an, der unsere Auffassung von Arbeit grundlegend veränderte. Heute, 100 Jahre nach seiner Erfindung, hat der auf sozial abgesicherte, dauerhafte Erwerbsarbeit orientierte Arbeitsbegriff seine Bedeutung bereits wieder eingebüßt. Er stimmt mit der Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitsverhältnisse der globalisierten Wirtschaft nicht überein.

Der Reihe nach: Nach einer Phase der völlig ungeregelten Beschäftigung von FabriksarbeiterInnen in der Frühphase des Fabriksystems in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde bald klar, dass eine so krasse Ausbeutung die Quelle der Wertschöpfung, die Arbeitskräfte, physisch ruinierte (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 141). 14- bis 16-stündige Arbeitstage ohne Schutz- und Hygienevorrichtungen laugten die Menschen, viele Kinder, bis zur Erschöpfung aus. Eine stabile Industriearbeiterschaft bedurfte der Regulierung der Arbeitsverhältnisse und der sozialen Absicherung. Von Arbeiterseite entstanden selbst organisierte Unterstützungskassen und Industrielle gründeten auf eigene Initiative Betriebskrankenkassen. Einen sozialpolitischen Meilenstein stellte die gesetzliche Einführung der KV und UV dar, im Deutschen Reich 1884, in Österreich-Ungarn 1888 bzw 1891 (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 160 f). Sie eröffnete erstmals ein Sicherheitsnetz, das unabhängig von Familie und Armenhilfe wirksam war. Es gründete auf einem gesetzlichen Anspruch, der aus dem Arbeitsvertrag resultierte. Bei Erkrankung und Unfällen trat eine Lohnfortzahlung in Kraft und der Versicherte und seine Familienangehörigen konnten Medikamente sowie Leistungen von Ärzten und Krankenanstalten in Anspruch nehmen. Damit wurde ein Teil des Schutzes und der Sorge, die der Familienhaushalt bereitgestellt hatte, auf öffentliche, professionelle Einrichtungen übertragen.

Die Arbeitswelt selbst wurde binnen weniger Jahrzehnte einer rasanten Regulierung unterzogen (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspek- 254 tive 157). Gesetze und Verordnungen legten die Länge der Arbeitszeit, das Alter der Beschäftigten, Ruhezeiten, Sicherheits- und Schutzbestimmungen für Frauen fest. Jedes industrielle Unternehmen hatte eine schriftliche Arbeitsordnung zu erlassen, Arbeitsinspektorate überwachten die Einhaltung. So entstand ein Regelwerk an Gesetzen, Verordnungen und Durchführungsbestimmungen. Obwohl in jedem Punkt heftig umstritten, weil all dies mit Kosten verbunden war, die viele Unternehmer für unzumutbar hielten, kristallisierte sich um 1900 die Vorstellung eines „Normarbeitsplatzes“ und eines „Normarbeitslebens“ heraus. An diesem orientierten sich auch die Gewerkschaften, die im Prozess der Kodifizierung der Arbeit eine zentrale Rolle spielten.15 Die damals entstehenden Wirtschaftsund Gesellschaftswissenschaften waren davon überzeugt, dass sich die zum Normalarbeitsverhältnis erklärte Erwerbsarbeit über kurz oder lang allgemein durchsetzen würde. Arbeitswissenschaften bemühten sich um eine möglichst effiziente betriebliche Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung mit dem Ziel steigender Produktivität.

Auf die Realität der meisten Arbeitenden in Österreich- Ungarn traf dieses Bild nicht zu: Wer in der Landwirtschaft, im Gewerbe, als Dienstbote, Heimarbeiterin, Taglöhner oder mithelfende Familienangehörige tätig war, fiel nicht unter die Schutzbestimmungen und die Versicherungspflicht. Verloren sie ihr Einkommen oder stieß ihnen etwas zu, waren sie auf das Auffangnetz der Familie angewiesen: Dort wurden sie unentgeltlich versorgt und verpflegt.16 Diese Sorge- und Pflegearbeit wurde in der ökonomischen Theorie ebenso wenig wie die Hausarbeit als Arbeit angesehen: Sie schien in keiner Statistik und keinem Sozialprodukt auf, sie blieb im Verborgenen. Versagte das familiäre Auffangnetz, trat die staatliche Armenversorgung in Kraft, für die die Heimatgemeinde zuständig war. Arme, die am Arbeitsort kein Heimatrecht besaßen, wurden per Schub in ihre Heimatgemeinde expediert. Nur 10 % der österreichischen Bevölkerung war um 1900 krankenversichert, in Ungarn nicht einmal 4 % – gegenüber immerhin 18 % im Deutschen Reich (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 161).

Wir können daraus schließen: Die Kodifizierung der Arbeit diente nicht dazu, alle Arbeitsverhältnisse an das „Normalarbeitsverhältnis“ heranzuführen. Sie legte vielmehr fest, wer – zu einem bestimmten Zeitpunkt – in den Arbeitsschutz und die Sozialleistungen inkludiert werden sollte und wer nicht. Wer draußen blieb, genoss die Segnungen der Moderne von der anderen Seite: Er oder sie wurde von ihnen ausgeschlossen – obwohl Arbeit geleistet wurde; denn auch die zur Nicht- Arbeit herabgewürdigte Leistung war Arbeit.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde in den Industrieländern das Normalarbeitsverhältnis ausgeweitet: Landarbeiter, Dienstboten, Heimarbeiter und schließlich auch Bauern und Gewerbetreibende wurden in das System der SV einbezogen. Die Frauenerwerbstätigkeit nahm zu. Weltweit blieb es eine Ausnahme (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 173). Zwar setzte in Entwicklungsländern mit der Dekolonisierung und Industrialisierung auch ein Trend zur Ausweitung bezahlter Erwerbsarbeit ein. Soziale Absicherung war damit in der Regel nicht verbunden, sodass die Verbindung mit einem Haushalt, der bei Arbeitsplatzverlust oder Krankheit einspringen konnte, wichtig blieb. Umgekehrt versorgten die LohnbezieherInnen die Nichtverdienenden mit Geld. Sie blieben eng aufeinander angewiesen. Wenn das Auffangbecken nicht mehr funktionierte, weil der Zugang zu Land und Subsistenzmitteln verloren ging, konnte das schlecht enden, im schlimmsten Fall mit Entbehrungen, Hunger oder frühzeitigem Tod. Die geringe Teilhabe am Konsum und die niedrige Lebenserwartung in Entwicklungsländern spiegeln diese Ungleichheit wider.

6.
Atypische Arbeitsverhältnisse auf dem Weg zur Normalität

Um 1970 wurde der Begriff des informellen Sektors geprägt.17 Gemeint waren damit allerhand ungesicherte, prekäre Erwerbsformen vor allem in Ländern der Dritten Welt, in denen ungeregelte und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse vorherrschten: Dahinter verbargen sich etwa kleine Garküchen, Friseure am Straßenrand, Frauen, die in einem kleinen Raum an Nähmaschinen arbeiteten (Sweat Shops), Müllsammler und Verwerter uvam. Was sie verband, war das Nichtvorhandensein von Registrierung und sozialer Sicherheit; Betriebskosten, Steuern und Löhne lagen unter jenen in offiziell registrierten Unternehmen. Informelle Arbeitsverhältnisse wurden von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als Ausdruck von Rückständigkeit und mangelnder Modernisierung betrachtet. Erklärtes Ziel war es, die informellen Arbeitsverhältnisse zu überwinden und an die formellen Sektoren heranzuführen. Vorbild waren die Industrieländer: Diese standen für stabile, dauerhafte, qualifizierte Beschäftigung mit Aufstiegsmöglichkeiten, innerbetrieblicher Mitbestimmung, sozialer Absicherung und Löhnen, die eine angemessene Teilhabe an Konsum und Bildung ermöglichten.

Die nächsten 40 Jahre enttäuschten diese Hoffnung nicht nur für die meisten Entwicklungsländer, auch wenn einige Schwellenländer, wie China oder Brasilien, die Arbeitsgesetzgebung für Teile der Industriearbeiterschaft verbessern konnten. Es stellte sich heraus, dass das vergleichsweise hohe Niveau von Regulierung und sozialer Sicherheit auch in den alten Industrieländern nicht in Stein gemeißelt war. Den Auslöser stellte die Weltwirtschaftskrise der 1970er-Jahre dar: Sie markierte das Ende der Wiederaufbauperiode mit ihren hohen 255 Wachstums- und Profitraten. Um konkurrenzfähig zu bleiben, wurden Arbeitsplätze in Zulieferbetriebe mit geringeren Löhnen und Standards ausgelagert, prädestiniert dafür waren periphere Regionen im Zentrum, in Entwicklungsländern und im Zuge der Ostöffnung auch in Osteuropa.18 Die Standorte bemühen sich durch gegenseitiges Unterbieten, Investitionen und Aufträge zu ergattern. Die Auslagerung von Arbeitsschritten aus geregelten gesicherten in ungeregelte ungesicherte Bereiche, die heutzutage jedes größere Unternehmen betreibt, ist ebenso Teil der Informalisierung wie das informelle Kleinstunternehmen, das oft als Subsubunternehmen am untersten Ende der globalen Güterkette Zulieferaufträge übernimmt oder billige Versorgung bietet.19 Die Beschäftigten können die niedrigen Löhne und Preise nur deshalb verkraften, weil sie und ihre Angehörigen auf andere Netze der Versorgung und der sozialen Absicherung zurückgreifen können, die Haushalt, Familienbande, Selbstversorgung oder die Rücksendungen von Wanderarbeitern bieten. Der Billiglohn erklärt sich also aus dem hohen Anteil unbezahlter Arbeit, der im solcherart gefertigten Produkt enthalten ist – ein Subventionsanteil gewissermaßen, der die Subsistenzkraft der Haushalte aber häufig bis zur Erschöpfung überfordert (Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 81-83).

Wer durch periphere Regionen reist, wird durch die Fülle und Vielfalt der Kleinbauern und Selbstversorger- Wirtschaften, die Tauschkreise, die Gastfreundschaft und die gegenseitige Hilfsbereitschaft fasziniert sein. Es sticht aber auch ins Auge, dass hier von der Substanz gelebt wird: Schon lange wurde nichts mehr renoviert, nichts funktioniert mehr richtig, aber irgendwie geht es schon. Je höher die Erwerbsarbeitslosigkeit, je größer die Krise, desto mehr aktivieren Städter die Beziehungen zu ihren Herkunftsregionen. Auch urbane Alternativprojekte orientieren sich an solchen reziproken Überlebensformen.

Die informellen Arbeitsverhältnisse wirken auch auf die geregelten Bereiche zurück. Warum sollten hohe Löhne und Sozialausgaben getätigt werden, wenn sich anderswo kostengünstigere Anbieter um die Aufträge reißen. Unternehmer werden sich also dafür einsetzen, dass keine Beschränkungen im Handel, im Kapital- und Dienstleistungsverkehr sie daran hindern, diese Verhältnisse in Anspruch zu nehmen: Das Freihandelsgebot, das Organisationen wie die World Trade Organization (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF), die G7, G8 oder G20 genannten Vereinigungen der großen Industrieländer als vorgeblichen Beitrag zur internationalen Entwicklung dekretieren, dient diesem Zweck.20 Unternehmer setzen sich aber auch dafür ein, dass innerhalb ihrer Staaten oder Regionalblöcke bestehende Arbeitsgesetze gelockert oder außer Kraft gesetzt und alle nur erdenklichen Kosteneinsparungspotentiale mobilisiert werden. An die Stelle des Massenwohlstands tritt eine gesellschaftliche Polarisierung in jene, die sich etwas leisten können, und die anderen, die von der Hand in den Mund leben.

Für das Arbeitsleben in den alten Industrieländern ist all dies mit massiven Veränderungen verbunden. Im weltregionalen Vergleich handelt es sich um eine Angleichung nach unten. Hoher Arbeitsdruck, häufiger Wechsel, Mehrfachbeschäftigungen und Erwerbskombinationen stellen hohe Belastungen dar. Auch für jene, die mit der Flexibilisierung selbst ein gutes Einkommen erzielen können, wie lange werden sie durchhalten? Gewerkschaften, die an den Standards der immer kleiner werdenden Stammbelegschaften festhalten, stehen diesen Entwicklungen fassungslos gegenüber. Während sie noch zaghaft überlegen, auch atypische Arbeitsverhältnisse zu ihrer Agenda zu machen, hat sich der rechtliche Rahmen schon längst geändert und ehemals informelle Arbeitsverhältnisse haben ihren informellen Charakter abgelegt.21 Sobald neue Selbständigkeit, Generation Praktikum, Prekarität, Leiharbeit, Geringfügigkeit und Befristung gesellschaftliche Normalität geworden sind, verkehrt sich das Verhältnis von „typisch“ und „atypisch“ in sein Gegenteil. 256