24Grenzen rückwirkender Betriebsvereinbarungen
Grenzen rückwirkender Betriebsvereinbarungen
Mangels besonderer Vorschriften über den Abschluss von Betriebsvereinbarungen im ArbVG gilt allgemeines Vertragsrecht nach ABGB, soweit dem nicht die Besonderheit der BV entgegensteht.
Es ist grundsätzlich zulässig, Betriebsvereinbarungen hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener AN rückwirkend zu schließen. Es sind dabei die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Begründbarkeit zu beachten, wobei grundsätzlich bei Einschränkungen der mit Anwartschaften verbundenen Rechte auf die durch die unterschiedliche Dauer der Berufsausübung bedingte unterschiedliche Betroffenheit in der Vertrauensposition Bedacht zu nehmen ist.
Die nachträgliche Genehmigung einer BV ist nur binnen angemessener Frist möglich und erzeugt nur zwischen den Betriebsvereinbarungsparteien rückwirkend volle Wirksamkeit. Gegenüber den betroffenen AN (als Dritte) kann die nachträgliche Genehmigung nur dann rückwirkende Kraft erzeugen, wenn sie nicht in unzulässiger Weise in deren Rechte eingreift.
[1] Die Bekl ist Rechtsnachfolgerin der * Gebietskrankenkasse (idF: *GKK). Im Betrieb der Landesstelle * der Bekl ist für die Gruppe der Angestellten ein BR errichtet.
[2] Auf die Dienstverhältnisse der Angestellten der Bekl und deren Rechtsvorgängerin findet die Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Pflegepersonal und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (idF: DO.A) Anwendung. Dieser KollV sieht in § 44 vor, dass den in Gehaltsgruppe F einzureihenden Leiter:innen von Organisationseinheiten sowie deren in Gehaltsgruppe E einzureihenden ständigen Stellvertreter:innen eine Funktionszulage im Ausmaß von 10 bis 30 % der jeweiligen ständigen Bezüge gebührt. Gem § 59 Abs 3 DO.A ist bei Angestellten mit einer Funktionszulage die Vergütung für geleistete Überstunden in diesen Zulagen enthalten. Die wöchentliche Normalarbeitszeit der Angestellten der Bekl beträgt 40 Stunden.
[3] Weiters gibt es – zumindest seit 2004 – eine BV über die gleitende Arbeitszeit (idF: Gleitzeit- BV), deren aktuelle Version am 21.3.2019 abgeschlossen wurde. Gem § 2 Abs 10 dieser Gleitzeit-BV entspricht die Gleitzeitperiode für Funktionszulagenbezieher:innen dem jeweiligen Kalendermonat. Gem § 3 Abs 5 der Gleitzeit-BV darf für Mitarbeiter:innen, die eine Funktionszulage beziehen, der Gleitzeitsaldo am Ende einer Gleitzeitperiode (Monatsletzter) maximal ein Zeitguthaben (Plusstunden) von 40 Stunden aufweisen. Eine Zeitschuld (Minusstunden) ist unzulässig. Ein Gleitzeitsaldo, welcher am Ende des Kalendermonats ein Zeitguthaben von 40 Plusstunden übersteigt, kann in die nächste Gleitzeitperiode nicht übertragen werden. Als zuschlagspflichtige Mehr- oder Überstunden ist dieser Zeitsaldo nach den kollektivvertraglichen Bestimmungen abgegolten.
[4] Nach § 3 Abs 7 der Gleitzeit-BV gelten für Mitarbeiter:innen, die eine Funktionszulage gem § 44 DO.A beziehen, besondere Regelungen für einen ganztägigen Zeitausgleich. Ein solcher ist nur zu gewähren, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs 6 Gleitzeit-BV erfüllt sind und zusätzlich ein positiver Überstunden-, Zeitsaldo entsprechend der bisherigen betrieblichen Übung besteht.
[5] Um die Modalitäten der bisherigen Regelung für Funktionszulagenbezieher den technischen Möglichkeiten und Vorgaben anzupassen, wurde diese aber nicht sofort in der Gleitzeit-BV festgeschrieben, sondern einer separat zu verfassenden Zusatzvereinbarung vorbehalten. Die „Vereinbarung zu § 3 Abs 7 der BV über die gleitende Arbeitszeit vom 21.3.2019“ (idF: Zusatz-V) wurde – tatsächlich erst im Herbst 2019 – von der Direktorin, dem Obmann und dem Vorsitzenden des Angestellten- BR der *GKK unterzeichnet; eine Genehmigung durch den Vorstand oder die Kontrollversammlung erfolgte nicht. Aus dieser Zusatz-V leitet die Bekl die Berechtigung ab, bei ihren Angestellten, die eine Funktionszulage gem § 44 DO.A beziehen, (seit März 2019) monatliche Abzüge von den Gleitzeitguthaben unter Anrechnung auf die gewährte Funktionszulage vorzunehmen, sofern das Gleitzeitguthaben am Ende eines Kalendermonats 40 Stunden nicht überschreitet.
[6] Ein als Funktionszulagenbezieher von dieser Regelung betroffener DN erhob daraufhin am 6.7.2020 beim LG Linz als Arbeits- und Sozialgericht zu 36 Cga 25/20z eine Feststellungsklage (idF kurz: Vorverfahren), mit der er sich gegen den Zeitabzug wehrte. Mit Urteil vom 31.8.2022 zu 9 ObA 1/22w stellte der OGH aufgrund der vom Kl erhobenen Revision das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts mit der Begründung wieder her, dass der Zusatz-BV keine normative Wirkung als (ergänzende) BV zukomme, weil sie nicht vom dafür zuständigen Vorstand der *GKK unterzeichnet und damit genehmigt worden sei und sich eine Berechtigung zum Abzug der Zeitguthaben auch nicht aus der eigentlichen Gleitzeit-BV ableiten lasse.
[7] Am 31.10.2022 informierte die Bekl die Bezieher:innen einer Funktionszulage über diese Entscheidung und kündigte an, die „schwebend“ unwirksame Zusatz-V durch Nachholung des fehlenden formalen Beschlusses des Verwaltungsrats sanieren zu wollen. Die monatliche Zeitanrechnung auf die Funktionszulage werde von ihr weiter vorgenommen. Dementsprechend behielt die Bekl auch im Oktober 2022 und in den Folgemonaten die Praxis der monatlichen Zeitabzüge von den Gleitzeitguthaben der Funktionszulagenbezieher:innen bei.
[8] Der BR sprach sich am 24.11.2022 ausdrücklich gegen diese beabsichtigte Vorgangsweise der Bekl aus und erklärte, seine Zustimmung zur Zusatz-V nicht weiter aufrecht zu halten. 227
[9] Am 20.12.2022 teilte die Bekl dem BR mit, dass die Zusatz-V von ihrem Verwaltungsrat am 13.12.2022 rückwirkend als BV genehmigt worden sei. Diese Genehmigung wirke zurück. Sicherheitshalber werde die genehmigte Zusatz-V neuerlich (als BV) kundgemacht. Die bisherige Praxis betreffend Funktionszulage und Gleitzeit werde daher beibehalten. Mit Rundmail vom 13.2.2023 informierte die Bekl die betroffenen Funktionszulagenbezieher:innen schließlich über die „kürzlich neuerlich kundgemachte Zusatzvereinbarung zur Gleitzeit-BV (zu § 3 Abs 7 der Gleitzeit-BV)“.
[10] Von der Zusatz-V sind aktuell 38 Funk tionszulagenbezieher: innen betroffen.
[11] Mit der vorliegenden Klage gem § 54 Abs 1 ASGG möchte der klagende BR festgestellt haben, dass die Bekl nicht berechtigt ist, bei ihren Angestellten, die eine Funktionszulage gem § 44 DO.A beziehen, seit 21.3.2019 monatliche Abzüge von den Gleitzeitguthaben unter Anrechnung auf die gewährte Funktionszulage vorzunehmen, sofern das Gleitzeitguthaben am Ende eines Kalendermonats 40 Stunden nicht überschreitet. Die – im Übrigen nicht bloß schwebende – Rechtsunwirksamkeit der Zusatz-V könne nicht durch den Beschluss des Verwaltungsrats der Bekl rückwirkend saniert werden. Für eine Genehmigung der Zusatz-V seien bis zum 31.12.2019 ausschließlich der Vorstand und die Kontrollversammlung der *GKK zuständig gewesen. Da der Bekl die fehlende Genehmigung des Vorstands der *GKK zumindest seit der Klagseinbringung im Vorverfahren bewusst gewesen sei, sei ein Zuwarten von rund zweieinhalb Jahren bis zur nachträglichen Genehmigung außerdem als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren. Überdies habe der Kl am 24.11.2022 ausdrücklich erklärt, seine Zustimmung zur Zusatz-V nicht aufrechtzuerhalten. Die Zusatz-V sei daher nach wie vor rechtsunwirksam und entfalte keine normative Wirkung. Selbst wenn man aber von der Gültigkeit der nachträglichen Genehmigung der Zusatz-V ausgehen wollte, seien die vorgenommenen Zeitabzüge rechtswidrig.
[12] Die Bekl bestritt das Feststellungsbegehren und beantragte dessen Abweisung. Die verfahrensgegenständlichen Abzüge erfolgten aufgrund der nachträglichen Genehmigung der Zusatz-V durch den Verwaltungsrat berechtigt. Dieser habe die – auch rückwirkende – Genehmigung zulässigerweise erteilt, weil die Bekl Gesamtrechtsnachfolgerin der *GKK sei und der Verwaltungsrat für den Neuabschluss von Betriebsvereinbarungen, aber eben auch für die Genehmigung schwebend unwirksamer Betriebsvereinbarungen zuständig sei. Überdies hätte der Kl bzw einer der betroffenen Funktionszulagenbezieher:innen eine Frist für die Erteilung der Genehmigung setzen können. Der Kl sei bis zur Genehmigung der Bekl an seine Unterfertigung der Zusatz-V gebunden gewesen.
[13] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Verwaltungsrat sei generell nicht befugt, die Zusatz-V der längst nicht mehr existenten *GKK nachträglich zu genehmigen. Selbst wenn man von einer zunächst schwebend unwirksamen Vereinbarung ausginge, sei die Genehmigung nicht innerhalb angemessener Frist erfolgt, weil der Bekl seit der Klagserhebung im Vorverfahren die fehlende Genehmigung der Zusatz-V durch den Vorstand der *GKK bewusst sein musste. Jedenfalls aber hätte die Bekl seit Zustellung der Entscheidung des OGH am 22.9.2022 im Vorverfahren die Genehmigung binnen angemessener Frist einholen müssen. Die Genehmigung nahezu drei Monate später sei selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Verwaltungsrat der Bekl nicht ununterbrochen, sondern nur in regelmäßigen Abständen tage, nicht mehr als rechtzeitig anzusehen. Die Bekl könne sich daher nicht auf die Zusatz-V berufen. Dass der vorgenommene Vorwegabzug pauschalierter Überstunden vom Zeitguthaben in der geltenden Gleitzeit- BV vom 21.3.2019 keine Deckung finde, habe der OGH bereits im Vorverfahren entschieden.
[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass zwar der Verwaltungsrat im Hinblick auf die Organisationsreform des österreichischen Sozialversicherungssystems für eine nachträgliche Genehmigung einer schwebend rechtsunwirksamen BV zuständig, eine nachträgliche Genehmigung der vorerst rechtsunwirksamen Zusatz-V aber nicht wirksam erfolgt sei. Der Schwebezustand der unwirksamen Zusatz-V sei bereits im Vorverfahren beendet worden, als sich die Bekl in das Verfahren eingelassen habe, obwohl sie von der fehlenden Genehmigung der Zusatz-V gewusst habe. Eine nachträgliche Genehmigung sei daher (seitens des Kl) nicht mehr zu erwarten gewesen. Spätestens aber durch die rechtskräftige Erledigung des Vorverfahrens sei dieser Schwebezustand beendet gewesen. Der von der Bekl verlangten Aufforderung zur Genehmigung (mit oder ohne Fristsetzung) habe es daher nicht bedurft. Darüber hinaus habe der Kl in der vorliegenden Konstellation sachlich berechtigt seine seinerzeitige Zustimmung zur Zusatz-V widerrufen. Der Zusatz-V komme daher weiterhin keine normative Wirkung zu. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil der OGH zu einer nachträglichen Genehmigung einer BV bislang noch nicht Stellung genommen habe. [...]
[17] Die Revision der Bekl ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[18] Die Revision argumentiert, dass auch für die nachträgliche Genehmigung einer schwebend unwirksamen BV die allgemeinen Regelungen des § 1016 ABGB iVm der analogen Anwendung des § 865 Abs 5 ABGB gelten. Danach sei der klagende BR an seine Zustimmung zur Zusatz-V bis zur Sanierung durch Unterfertigung des Verwaltungsrats der Bekl gebunden gewesen. Da der BR keine Frist für die nachträgliche Genehmigung gesetzt habe, sei die Genehmigung am 13.12.2022 rechtswirksam erfolgt und dadurch die Zusatz-V rückwirkend in Kraft gesetzt worden.
Dazu ist auszuführen:
[19] 1. Betriebsvereinbarungen sind schriftliche Vereinbarungen, die vom Betriebsinhaber einerseits und dem BR (Betriebsausschuss, Zentral-BR, Konzernvertretung) andererseits in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch 228 Gesetz oder KollV der BV vorbehalten ist (§ 29 ArbVG). Das ArbVG enthält keine besonderen Vorschriften über den Abschluss einer BV. Es gilt daher allgemeines Vertragsrecht nach ABGB, soweit dem nicht die Besonderheiten der BV entgegenstehen (Födermayr in Jabornegg/Resch, ArbVG § 29 Rz 7; Reissner in ZellKomm3 § 29 ArbVG Rz 7 f; Pfeil in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 29 ArbVG Rz 10, 23; Kietaibl in Brameshuber/Tomandl, ArbVG [s. Lfg] § 29 Rz 7).
[20] 2. § 1016 ABGB regelt die Rechtsfolgen vollmachtslosen Handelns im Außenverhältnis. Danach ist grundsätzlich jedes ohne hinreichende Vollmacht in fremdem Namen geschlossene Geschäft dem Geschäftsherrn nicht zuzurechnen. § 1016 ABGB betrifft nicht nur die Überschreitung einer bestehenden Vollmacht, sondern auch ein – aus welchem Grund auch immer – sonst vollmachtsloses Handeln. Der (Schein-)Machtgeber hat aber nach § 1016 2. HS die Möglichkeit, das wegen des Vollmachtsmangels (schwebend) unwirksame Geschäft nachträglich zu sanieren (Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1016 Rz 1; Perner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1016 Rz 1; RS0019586; vgl RS0014709).
[21] 3. Die in § 1016 ABGB angeordneten Rechtsfolgen gelten auch für die organschaftliche und gesetzliche Vertretungsmacht (Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1016 Rz 4 mwN). Ist der (Schein-)Machtgeber keine natürliche Person, obliegt die nachträgliche Sanierung dem/n zuständigen organschaftlichen Vertreter(n) (P. Bydlinski in KBB7 § 1016 Rz 4; Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1016 Rz 14 je mwN). Mit der nachträglichen Sanierung wird das Geschäft rückwirkend rechtswirksam (RS0019572). Nach der Rsp macht eine Genehmigung das genehmigte Geschäft aber nur zwischen den Parteien rückwirkend voll wirksam (RS0014617 [T1]). Die rückwirkende Kraft der Genehmigung gegenüber einem Dritten, der nicht Vertragspartei ist, ist hingegen gesondert zu beurteilen (5 Ob 57/02x). Sie wird dann bejaht, wenn die Rückwirkung einer Genehmigung die Rechtsposition Dritter nicht beeinträchtigt, also nicht in zwischenzeitlich erworbene Rechte Dritter eingreift (RS0014617 [T3]).
[22] 4. Eine nachträgliche Sanierung eines schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts ist aber nicht unbegrenzt möglich. Die Rsp geht in diesem Zusammenhang von einer analogen Anwendung des § 865 Abs 5 ABGB aus (vgl RS0014630). Der Dritte kann daher dem Geschäftsherrn eine angemessene Frist zur nachträglichen Genehmigung setzen, mit deren Ablauf der Vertrag unwirksam ist. Setzt er dem Geschäftsherrn in seiner Aufforderung keine konkrete Frist, kann der Geschäftsherr nur innerhalb angemessener Frist genehmigen (RS0014088; Apathy/Burtscher in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 Bd 65 § 1016 ABGB Rz 2; Perner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1016 Rz 2; Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1016 Rz 8 mwN). Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Genehmigung der Zusatz-V hier innerhalb angemessener Frist erfolgte, bedarf es aufgrund nachstehender Überlegungen nicht.
[23] 5. Im Anlassfall sind die arbeitsverfassungsrechtlichen Besonderheiten einer BV zu berücksichtigen. Die BV ist ein Vertrag, auf den neben den besonderen Vorschriften des ArbVG über den Abschluss und den zulässigen Inhalt auch die Bestimmungen des ABGB über die rechtliche Möglichkeit und Erlaubtheit anzuwenden sind. Die BV darf daher nicht gegen die guten Sitten verstoßen (RS0018172 [T1]).
[24] 6. Nach der Rsp ist es grundsätzlich zulässig, Betriebsvereinbarungen auch rückwirkend zu schließen (8 ObA 137/02h; 8 ObA 52/03k Pkt III; 9 ObA 187/05y Pkt 2.). Auch eine rückwirkende Verringerung von mit BV zugebilligten Leistungen durch eine nachfolgende BV wird für zulässig angesehen (RS0028611). Es ist ebenso nicht verboten, Betriebsvereinbarungen hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener AN auch rückwirkend zu schließen (RS0028611 [T3]), soweit dadurch die AN nicht in ihren Rechten beschnitten werden (8 ObA 137/02h). Die Partner der BV haben dabei aber verschiedene Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Begründbarkeit zu beachten, wobei grundsätzlich bei Einschränkungen der mit Anwartschaften verbundenen Rechte auf die durch die unterschiedliche Dauer der Berufsausübung bedingte unterschiedliche Betroffenheit in der Vertrauensposition Bedacht zu nehmen ist (RS0028611 [T4]). Dies fußt nach ständiger Judikatur auf der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (Eigentumsschutz und Gleichheitssatz), die im Wege der Konkretisierung der Generalklausel des § 879 ABGB auch auf den normativen Teil von Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträgen einwirken (8 ObA 52/03k mwN).
[25] 7. Selbst unter der Annahme einer noch zulässigen nachträglichen Genehmigung der Zusatz-V vom 21.3.2019 durch Beschluss des Verwaltungsrats der Bekl vom 13.12.2022 wäre die Zusatz-V nur zwischen den Betriebsvereinbarungsparteien rückwirkend voll wirksam. Gegenüber den betroffenen AN (als Dritte) konnte sie aber keine rückwirkende Kraft erzeugen, weil die Zusatz-V damit in unzulässiger Weise in deren Rechte eingreifen würde. Unter der Annahme der Zulässigkeit der Zeitabzüge nach der Zusatz-V würde sie die bekl AG berechtigen, von den betroffenen AN rückwirkend mit 21.3.2019 monatliche Abzüge von den Gleitzeitguthaben unter Anrechnung auf die gewährte Funktionszulage vorzunehmen, sofern das Gleitzeitguthaben am Ende eines Kalendermonats 40 Stunden nicht überschreitet. Auch wenn die Bekl trotz (wenn auch schwebender) Unwirksamkeit der Zusatz-V seit 21.3.2019 diese Zeitabzüge tatsächlich schon vorgenommen hat, würde es sich im Ergebnis um einen derart massiven rückwirkenden Eingriff in die Entgeltansprüche der von der Zusatz-V betroffenen AN handeln, der mit den von der Rsp entwickelten Grundsätzen zu den Grenzen einer zulässigen Rückwirkung von Betriebsvereinbarungen nicht vereinbar wäre.
[26] 8. Die Klagsstattgabe durch die Vorinstanzen ist daher im Ergebnis berechtigt. Der Revision der Bekl war daher nicht Folge zu geben. [...] 229
Ausgangspunkt des gegenständlichen Verfahrens bildete eine mit März 2019 abgeschlossene, jedoch arbeitgeberseitig nicht entsprechend genehmigte Zusatzvereinbarung zu einer im Betrieb bestehenden Gleitzeit-BV für Funktionszulagenbezieher. Der Umstand, dass die Vereinbarung mangels Genehmigung keine Normwirkung zu entfalten vermochte, judizierte der OGH bereits in einer – dem gegenständlichen Judikat vorausgegangenen – E (OGH 31.8.2022, 9 ObA 1/22w). Offenkundig als Reaktion auf das Vorverfahren widerrief der BR seine Zustimmung zur Vereinbarung; auf Betriebsinhaberseite wurde diese im Dezember 2022 dennoch nachträglich genehmigt.
Die (mit-)verfahrensgegenständliche, kollektivvertraglich vorgesehene Funktionszulage soll qualitative und quantitative Mehrleistungen iZm Führungsaufgaben abdecken. Zwar normiert der KollV, dass die Überstunden- bzw Mehrarbeitsstundenvergütung in dieser Zulage enthalten sei; eine Konkretisierung hinsichtlich des qualitativen und ebenfalls von der Zulage umfassten Anteils fehlt. An diese Funktionszulage anknüpfend regelt die Zusatzvereinbarung zur Gleitzeit-BV zum einen eine pauschale Ermittlung des durch die Zulage als abgegolten anzusehenden Zeitanteils und ordnet dessen Abzug für jeden Arbeitstag am Ende des Monats vom durch Mehrleistung erwirtschafteten Zeitguthaben des AN an. Zum anderen werden die Übertragung des Restzeitguthabens nach Abzug des pauschalen Zeitanteils sowie Vorgaben für ganztägigen Zeitausgleich vorgesehen.
Den Kern des gegenständlichen Judikats bilden die Ausführungen des OGH zur – mit einer nachträglichen Genehmigung verbundenen – Rückwirkung einer BV. Vom OGH hierbei – verständlicherweise – offengelassen wurden die Fragen nach den Modalitäten der Frist für nachträgliche Genehmigungen sowie nach dem Bestehen von Widerrufsmöglichkeiten im Schwebezustand. Neben diesen Themenkomplexen wirft auch die Funktionszulage selbst Fragen auf, wie etwa, ob der BV Regelungszuständigkeit zur Konkretisierung der Zulage zukommt oder wie die Zulage (etwa in Bezug auf die Durchführung einer Deckungsprüfung) zu beurteilen ist, insb wenn die BV keine Regelungszuständigkeit hätte. Letztlich tut sich auch betreffend Gleitzeit Spannendes auf, wobei sich etwa in Betrieben mit BR insb die Frage nach (rechtlichem) Platz für das Entstehen einer betrieblichen Übung iZm Gleitzeit stellt oder sich auch das Verhältnis einer vereinbarten Pauschal- oder All-In-Entlohnung zur Gleitzeit sowie die Regelungsmöglichkeiten bei Zusammentreffen von Pauschalentlohnung und Gleitzeit zu beleuchten anböten.
Da im Rahmen dieser Entscheidungsanmerkung naturgemäß nicht all die angeführten Themen behandelt werden können, erlauben wir uns, die Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung der BV herauszugreifen und hierbei insb auf die dadurch bedingte Rückwirkung sowie auf die – die kontrovers diskutierte Frage der Einordnung von Gleitzeit-Betriebsvereinbarungen betreffenden und generell iZm dem Auseinanderfallen von Betriebsvereinbarungsabschluss und -wirksamwerden interessierenden – Widerrufsaspekte einzugehen. Die sich bei der nachträglichen Genehmigung ebenso stellende Frage der Angemessenheit der Genehmigungsfrist kann – aufgrund des begrenzten Umfangs des Beitrags und des Umstands, dass es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung handeln muss, die allgemein wenig Aussagekraft besitzt – nicht näher behandelt werden.
Die Situation, dass es durch eine fehlende Genehmigung zu einer schwebend unwirksamen und einer nachträglichen Genehmigung grundsätzlich zugänglichen Vereinbarung kommt, kann dann entstehen, wenn eine Vertragspartei nicht selbst handelt. Zwar ist die nachträgliche Genehmigung einer BV grundsätzlich möglich, jedoch gilt es dabei zu beachten, dass die nachträgliche Genehmigung eine Rückwirkung der Betriebsvereinbarungsinhalte auslöst, weshalb jene Grundsätze zu beachten sind, die bezüglich des rückwirkenden Abschlusses von Betriebsvereinbarungen entwickelt wurden.
Während der schuldrechtliche Teil als „gewöhnlicher“ schuldrechtlicher Vertrag zu beurteilen ist, gestalten die Bestimmungen des normativen Teils der BV ohne Zutun der Einzelvertragsparteien die Arbeitsvertragsebene unmittelbar rechtsverbindlich und sind somit Gesetz im materiellen Sinn (statt vieler grundlegend Strasser in Floretta/Strasser [Hrsg], Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [1975] 178 f). Ebendieser Besonderheit der normativen Wirkung auf am Vertragsschluss nicht unmittelbar Beteiligte gilt es nun – auch im Rahmen der Untersuchung der Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung – Berücksichtigung zukommen zu lassen. Betreffen die Rechtswirkungen nachträglich sanierter schwebend unwirksamer Rechtsgeschäfte nur die Parteien, macht die nachträgliche Genehmigung das Rechtsgeschäft zwischen diesen rückwirkend voll wirksam. Gegenüber Dritten tritt die rückwirkende Kraft der Genehmigung jedoch bloß dann ein, wenn deren Rechtsposition nicht beeinträchtigt, also nicht in ihre zwischenzeitlich erworbenen Rechte eingegriffen wird (RIS-Justiz RS0014617 [insb T1, T2 und T3]).
Ist im „rein zivilrechtlichen“ Kontext neben den Parteien idR allenfalls eine geringe Anzahl Dritter betroffen, besteht der Sinn und Zweck der BV gerade in der Erfassung eines größeren Personenkreises, nämlich mitunter aller Arbeitsverhältnisse im Betrieb. Da der normative Teil der BV für die AN – wie ausgeführt – vergleichbar mit einem 230 Gesetz auf ihre Arbeitsverhältnisse einwirkt, sind die Betriebspartner im Rahmen ihrer „Normsetzungsbefugnis“ an die verfassungsrechtlichen Grundrechte, wie insb den Gleichheitssatz (dazu etwa Kietaibl in Brameshuber/Tomandl [Hrsg], ArbVG – Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt-Slg ab 2005, Stand 17. Lfg, 2023] § 31 Rz 38; Födermayr in Jabornegg/Resch/Kammler [Hrsg], Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt-Slg ab 2002, Stand: 68. Lfg, 2024] § 29 Rz 47; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 § 31 ArbVG Rz 12 [Stand 1.1.2018, rdb.at]; Pfeil in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 26 [2020] § 31 Rz 16; RIS-Justiz RS0038552 [T2]), und damit auch an den für Gesetze (im formellen Sinn) maßgeblichen Vertrauensschutz gebunden. Der VfGH leitet diesen Grundsatz aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz ab und differenziert dabei drei Gruppen: den Schutz vor rückwirkenden Gesetzen, den Schutz rechtlicher Anwartschaften und den (eng gefassten) Schutz begründeter Erwartungshaltungen (ausführlich statt vieler Berka/C. Binder/Kneihs, Die Grundrechte. Grund- und Menschenrechte in Österreich2 [2019] 555 ff). Eine für Normunterworfene nachteilige und rückwirkende Gesetzesänderung ist aus vertrauensschutzrechtlichen Aspekten verfassungswidrig, wenn ein Eingriff erheblichen Gewichts zu einer Enttäuschung des berechtigten Vertrauens auf die Rechtslage führt, ohne dass besondere Umstände eine Rückwirkung erfordern (stRsp seit VfGHG 228/89 VfSlg 12.186).
An diesen Grundsätzen orientiert sich treffend auch das bisher zur Rückwirkung von Betriebsvereinbarungen judizierte: Hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener AN ist ein rückwirkender Betriebsvereinbarungsabschluss grundsätzlich möglich (RIS-Justiz RS0028611). Eine Rückwirkung ist unbedenklich, wenn AN-Rechte nicht beschnitten werden (OGH 13.2.2003, 8 ObA 137/02h); werden dagegen AN-Rechte beeinträchtigt, haben dabei die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und Begründbarkeit Beachtung zu finden. Kollektivrechtlichen Änderungen (auch zu Lasten der AN) kommt – aufgrund der Mitwirkung der zur Wahrung von AN-Interessen berufenen Belegschaftsvertretungsorgane – grundsätzlich die Vermutung der Verhältnismäßigkeit zu (OGH8 ObA 52/03k Arb 12.385 = DRdA 2005/18, 303 [Runggaldier] mwN). Bei Einschränkungen von mit Anwartschaften verbundenen Rechten ist auf die durch unterschiedliche Dauer der Berufsausübung bedingte unterschiedliche Betroffenheit in der Vertrauensposition Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0028611 [T4]; OGH9 ObA 153/12h Arb 13.092 = ZAS 2013/38, 233 [Reissner/Vinzenz] = DRdA 2013/50, 507 [Weiss] mwN). Soweit sich die Ausführungen auf Anwartschaften beziehen, haben diese – aufgrund der Eingriffsintensität – ebenso bzw umso mehr Bedeutung für rückwirkende Eingriffe in bereits erworbene Rechte/Ansprüche.
Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ist dem OGH im Ergebnis zuzustimmen, dass die Annahme einer nachträglichen Genehmigung zu einem unzulässigen Eingriff in die Rechtspositionen der AN führen würde. Ginge man von einer nachträglichen Genehmigung aus, welche die BV rückwirkend zum 21.3.2019 saniert, würde dies den AG (vom Datum der Genehmigung durch den Verwaltungsrat am 13.12.2022) für über drei Jahre und acht Monate rückwirkend berechtigen, Zeitguthaben unter Anrechnung auf die Funktionszulage vorzunehmen. Sofern und soweit eine rückwirkende Vernichtung von Entgeltansprüchen in Betracht kommt, ist eine Rückforderung nur nach den für irrtümliche Leistungen durch den AG entwickelten Grundsätzen möglich, wonach der AN einen gutgläubigen Verbrauch einwenden kann (Födermayr in Jabornegg/Resch/Kammler [Hrsg], ArbVG § 30 Rz 19; Kietaibl in Brameshuber/Tomandl [Hrsg], ArbVG § 30 Rz 17). Nun könnte im vorliegenden Fall vorgebracht werden, dass der AN keine schützenswerte Vertrauensposition hat, da die Zeitabzüge bereits erfolgt sind. Der Umstand, dass der AG die Abzüge ohne entsprechende Rechtsgrundlage tatsächlich vorgenommen hat, kann diesem jedoch nicht zum Vorteil gereichen. Es wäre nicht einsichtig, weshalb ein – etwa den Ausgang eines Gerichtsverfahrens abwartender und vorerst keine Zeitguthaben abziehender – AG gegenüber einem – trotz Strittigkeit der Rechtsgrundlage Zeitabzüge vornehmenden – AG benachteiligt werden sollte. Die mit der nachträglichen Genehmigung verbundene Rückwirkung wäre – trotz der bereits vorgenommenen Zeitabzüge – unzulässig; die Zeitkonten der betroffenen Funktionszulagenbezieher sind demnach entsprechend zu korrigieren bzw hat eine Nachverrechnung zu erfolgen.
Aufgrund des Umstands, dass die Vereinbarungsinhalte somit keine Rückwirkung zu erzeugen vermögen, wäre der Eintritt der Normwirkung – eine entsprechende neuerliche Kundmachung iSd § 30 ArbVG vorausgesetzt – allenfalls mit dem auf die nachträgliche Genehmigung folgenden Tag möglich. Hierbei stellt sich nun die Frage nach dem Bestehen einer Widerrufsmöglichkeit.
Da für die Frage der Widerrufsmöglichkeit vor Entfaltung der Normwirkung einer BV die Möglichkeit der Kündigung der BV entscheidend ist, ist zunächst das Wesen und die Einordnung der Gleitzeit-BV im System der Betriebsvereinbarungen zu untersuchen.
Damit der AN innerhalb eines vereinbarten zeitlichen Rahmens Beginn und Ende der täglichen Normalarbeitszeit iSd § 4b AZG selbst bestimmen kann, bedarf es einer Gleitzeitvereinbarung. Als erforderliche Inhalte der Gleitzeitvereinbarung sieht § 4b Abs 3 AZG die Dauer der Gleitzeitperiode, den Gleitzeitrahmen, das Höchstausmaß allfälliger Übertragungsmöglichkeiten von Zeitguthaben und -schulden in die nächste Gleitzeitperiode sowie die Dauer und Lage der fiktiven Normalarbeitszeit vor. In Betrieben mit BR ist die Gleitzeitvereinbarung 231 durch BV, in Betrieben ohne BR durch schriftliche Einzelvereinbarung zu regeln. In Betrieben mit BR ist eine Einführung von Gleitzeit durch Einzelvereinbarung oder Weisung nicht möglich; es liegt somit ein Fall der notwendigen Mitbestimmung vor (stv Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil [Hrsg], AZG. Arbeitszeitgesetz4 § 4b Rz 11 [Stand 1.3.2019, rdb.at]). Eine arbeitgeberseitig angeordnete bestimmte Arbeitszeitverteilung scheitert zudem an § 19c Abs 1 AZG. Da eine betriebliche Übung durch schlüssige Einzelvertragsergänzung rechtliche Maßgeblichkeit erlangt (stv Kammler/Resch, Arbeitsrecht8 [2023] 8 f), besteht iZm Gleitzeit daher auch kein Raum für das Entstehen einer betrieblichen Übung.
Die hA (zB Strasser, Zu den Rechtsgrundlagen für Betriebsvereinbarungen im Arbeitszeitgesetz, wbl 1995, 396 [399 f]; Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 4c AZG Rz 45; Klein in Gasteiger/Heilegger/Klein [Hrsg], Arbeitszeitgesetz7 [2021] §§ 3 bis 4c Rz 53; Schrank, Arbeitszeit – Kommentar7 [2023] § 4b AZG Rz 36) stuft die Gleitzeit-BV als erzwingbare BV ein, womit betreffend der Einführung von Gleitzeit bzw der Abänderung oder Aufhebung der Gleitzeit-BV die Anrufung der Schlichtungsstelle möglich wäre. Als zentrales Argument für die Erzwingbarkeit wird von der hA angeführt, dass mit der Gleitzeit-BV Angelegenheiten iSd § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG geregelt würden. Überdies habe der VfGH in der E B 1414/04 VfSlg 17.472 die Zuordnung der Gleitzeit-BV zum Kreis erzwingbarer Betriebsvereinbarungen implizit bestätigt. Zudem liege die durch die Einführung der Gleitzeit erreichte Form der Durchrechnung der Normalarbeitszeit im Wesentlichen auch im Interesse der AN (Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil [Hrsg], AZG4 § 4b Rz 12). Durch die von der hA vorgenommenen Qualifikation als erzwingbare BV scheidet die Kündigung gem § 32 Abs 2 ArbVG aus (vgl ausdrücklich etwa Risak, ARD-Spezial: Arbeitszeitpaket 2018 [2018] 35; Felten, Auswirkungen der AZG-Neuregelung auf bestehende Gleitzeitvereinbarungen, in Felten/Trost [Hrsg], Arbeitszeitrecht neu [2018] 67 [74]).
Ein Teil der Lehre spricht sich jedoch treffend gegen die Erzwingbarkeit der Gleitzeit-BV aus. Tomandl (Die Neuerungen im Arbeitszeitrecht, ZAS 2018, 260 [264] sowie Echte und freie Betriebsvereinbarungen [2017] 59 f) vertritt, dass der AN im Rahmen der Gleitzeit Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Lage der Pausen selbst bestimmen könne; lediglich die Kernarbeitszeit sei generell regelbar. Überdies entsprächen die zwingenden Inhalte der Gleitzeit-BV nicht den Betriebsvereinbarungstatbeständen des ArbVG. Auch die sich aus den Gesetzesmaterialien aus 1973 (ErläutRV 840 BlgNR 13. GP 84) ergebende Ansicht, die Fragen der gleitenden Arbeitszeit § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG zuordnet, sei durch den jüngeren und spezielleren § 4b AZG „derogiert“. Es sei zudem von der Nichterzwingbarkeit der BV auszugehen, wenn der Gesetzgeber keine speziellen Rechtswirkungen anordne. In der E VfGH B 1414/04 VfSlg 17.472 sei die Frage der Rechtsnatur der Gleitzeit-BV in der Beschwerde nicht aufgeworfen worden, weshalb der VfGH keine Prüfungsveranlassung hatte und sich mit der Aufhebung der bekämpften E mangels Interessenabwägung durch die Schlichtungsstelle begnügte. Binder (in Brameshuber/Tomandl [Hrsg], ArbVG § 97 Rz 44) sieht die BV – soweit die Gleitzeitperiode im Wochenrahmen bleibt – durch § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG gedeckt und als erzwingbar an. Erstreckt sich die Gleitzeit-BV auf zwei oder mehr Wochen, handle es sich um eine fakultative BV, da Verfügungen (aneinander gereihter) ungleichmäßiger Wochenarbeitszeiten nicht von § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG erfasst seien. Klein (in Gasteiger/Heilegger/Klein [Hrsg], Arbeitszeitgesetz7 §§ 3 bis 4c Rz 53, der sich im Ergebnis jedoch für die Erzwingbarkeit ausspricht) qualifiziert die Gleitzeit-BV als Zulassungsnorm, was ebenfalls gegen die Annahme der Erzwingbarkeit spreche.
Für die Diskussion über die Erzwingbarkeit von Betriebsvereinbarungen iSd § 4b AZG überhaupt verantwortlich – und gleichzeitig zentrales Argument gegen die Annahme der Erzwingbarkeit der Gleitzeit-BV – ist, dass der Gesetzgeber im zu § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG die lex posterior und specialis darstellenden § 4b AZG schlichtweg keine Erzwingbarkeit angeordnet hat. Stellt man die (Teilaspekte der) Arbeitszeit betreffenden Betriebsvereinbarungsermächtigungen des § 4b AZG sowie des (unstrittigerweise die Grundlage für erzwingbare Betriebsvereinbarungen darstellenden) § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG gegenüber, ergibt sich ein sehr schmaler bzw gar kaum existenter Überschneidungsbereich. So wird mit der Gleitzeit-BV gerade nicht der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit generell festgelegt, sondern vielmehr die Möglichkeit geschaffen, dass dies der AN selbst bestimmen kann. Zudem grenzt der Gleitzeitrahmen und eine allfällige Kernzeit den frühest- bzw spätestmöglichen Beginn- bzw Beendigungszeitpunkt der täglichen Arbeitszeit lediglich ein. Auch die konkrete Lage und Dauer der Pause bestimmt – im Rahmen des § 11 AZG – der AN bzw sich nach dem vom AN individuell festgelegten Beginn der täglichen Arbeitszeit; allenfalls kann die Gleitzeitvereinbarung auch hier Begleitregelungen zur Konkretisierung enthalten. Überdies sieht die Gleitzeit- BV bezüglich der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage durch Gleitzeitrahmen und allfällige Kernzeit eine Eingrenzung, jedoch keine konkrete Regelung vor – ist doch das flexible Gleiten zentrales Wesensmerkmal der Gleitzeit. Zudem enthält § 4b AZG etwa mit der Dauer der Gleitzeitperiode und den Übertragungsmöglichkeiten dem § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG fremde Regelungsinhalte. Darüber hinaus zeigen sich unter dem Blickwinkel der Notwendigkeit einer Gleitzeit im Betrieb gegenüber einer generellen Festlegung des Beginns und Endes der Arbeitszeit (auch in Bezug auf die einzelnen Wochentage) inklusive der Pausen wesentliche Unterschiede. Ist gerade bei Betrieben mit fixen Öffnungs- bzw Betriebszeiten das Bestehen generell geregelter Arbeitszeiten für die Führung des Betriebes geradezu essentiell und durch Anrufung der Schlichtungsstelle sinnvollerweise einer (sachlichen) Prüfung unterworfen, bietet die Gleitzeit idR für den AG finanzielle Vorzüge und für die AN Flexibilität. 232
Die besseren Argumente sprechen somit klar für die Klassifizierung der Gleitzeit-BV als nicht erzwingbare und damit kündbare BV. Diese Einordnung würde auf eine BV gem § 96 ArbVG hinauslaufen, wobei die Tatbestände von § 96 ArbVG und § 4b AZG sich unter dem Gesichtspunkt der Eingriffsintensität auf unterschiedlichen Ebenen bewegen. Nichtsdestoweniger hat der Gesetzgeber in Betriebsratsbetrieben die Einführung der Gleitzeit zwingend der BV vorbehalten.
Von der Kündbarkeit ausgehend, muss auch die Widerrufsmöglichkeit der BV vor deren Wirksamwerden bejaht werden. Es wäre nicht einsichtig, weshalb eine normativ wirkende BV einseitig beendet werden könnte, die noch keine Normwirkung entfaltende Vereinbarung vor dem Wirksamkeitsbeginn jedoch nicht. Da eine Kündigung im Zustand schwebender Unwirksamkeit nicht möglich ist, verbleibt als einseitige Beendigungsmöglichkeit der Widerruf. Wie bereits erwähnt, hat diese Überlegung für alle Fälle Relevanz, in denen bei einer kündbaren BV der Betriebsvereinbarungsabschluss inklusive entsprechender Kundmachung erfolgt und das Wirksamwerden durch die Betriebsvereinbarungsparteien für die Zukunft vereinbart wird, es also zu einem Auseinanderfallen von Betriebsvereinbarungsabschluss und Wirksamkeitsbeginn kommt.
Da § 32 Abs 3 ArbVG für den Kündigungsfall eine Nachwirkung anordnet und keine § 96 Abs 2 letzter Satz ArbVG entsprechende Ausschlussanordnung besteht, stellt sich die Frage, ob auch im Widerrufsfall eine (Art von) Nachwirkung eintritt/eintreten muss, um Wertungsschieflagen zu vermeiden. Die (vom Widerruf betroffene) Vereinbarung konnte während des Schwebezustands allerdings noch keine Normwirkung entfalten, weshalb denklogisch auch keine (die Rechtswirkung der BV perpetuierende) Nachwirkung eintreten kann.
Wie bereits eingangs erwähnt, stellt sich im gegenständlichen Zusammenhang ua auch die Frage, ob die BV Inhalte umfasst, die der Regelung durch BV nicht zugänglich sind. Weder Gesetz noch KollV sehen eine Ermächtigung vor, dass eine Festlegung des von der Funktionszulage erfassten Zeitanteils durch BV möglich ist. Ginge man diesbezüglich von einer unzulässigen Abrede aus, wären die vorangehenden, auf der Normwirkung von Betriebsvereinbarungen fußenden Überlegungen nicht maßgeblich; vielmehr wäre diesfalls auf Einzelvertragsebene anzusetzen. Diese grundlegende Untersuchung ist im Rahmen dieser Arbeit – aufgrund des Umfangs der anderen behandelten wichtigen und kontrovers diskutierten Themen, wie etwa der Einordnung von Gleitzeit-BV ins ArbVG-System der BV – nicht möglich, inspiriert aber jedenfalls zu einer weiteren Befassung mit der Entscheidung.
Was – grob – resümierend bleibt, ist die Bestätigung der Erkenntnis, dass das Recht der Betriebsvereinbarungen – trotz des mittlerweile über 50-jährigen Bestehens – ein sehr komplexes und höchst spannendes Rechtsgebiet ist, welches immer wieder Anlass für den juristischen Diskurs bietet.