Die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien

ELIAS FELTEN (SALZBURG)

Die Kollektivvertragsparteien haben in Österreich offenkundig Gestaltungsmacht und üben diese auch aktiv aus. Nicht das „Ob“ steht also zur Diskussion, sondern das „Wieweit“ und das „Woher“. Tatsächlich handelt es sich dabei um kommunizierende Gefäße: Die Frage, wieweit die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien reicht, lässt sich nur dann beantworten, wenn Klarheit darüber besteht, woher diese Gestaltungsmacht kommt bzw wo diese rechtlich zu verorten ist.

  1. Einleitung

  2. Ein aktueller Anlassfall aus Deutschland

    1. BAG

    2. BVerfG

  3. Die Ausgangssituation in Österreich

    1. Zu den Grenzen der Gestaltungsmacht in der Judikatur

      1. Der Gleichheitssatz als Schranke der Kollektivvertragsautonomie

      2. Das Unionsrecht als Schranke der Kollektivvertragsautonomie

      3. Kritische Analyse der Judikatur

    2. Zu den Grenzen der Gestaltungsmacht in der Lehre

    3. Synopse

  4. Rechtsgrundlagen der Kollektivvertragsautonomie

  5. Schlussfolgerungen

1
Einleitung

Insgesamt gibt es in Österreich 800 Kollektivverträge, 450 davon verhandelt die Gewerkschaft jährlich neu. (...) 98 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Österreich sind durch Kollektivverträge abgesichert – das ist Weltspitze“,11) so steht es auf der Homepage des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, kurz ÖGB. Eine offizielle Statistik, die diese Zahlen bestätigen würde, gibt es – soweit ersichtlich – zwar nicht, dennoch besteht kein Grund, an diesen Werten zu zweifeln.2 Sie sind für sich gesehen und im internationalen Vergleich beeindruckend. Nicht zu Unrecht führt sie der ÖGB mit einem – zwischen den Zeilen wahrnehmbaren – Stolz an. Sie belegen zum einen, wie aktiv der ÖGB tatsächlich ist. Mit dieser Bilanz will man wohl die bestehenden und potenziellen neuen Mitglieder adressieren. Zum anderen soll die schiere Anzahl an Kollektivverträgen in Österreich sowie der enorm hohe Erfassungsgrad die real- und sozialpolitische Bedeutung dieses Rechtsinstruments deutlich machen. Bei näherem Hinsehen ist das freilich eine allzu nüchterne Betrachtung der Dinge. Denn auch wenn es vordergründig um den KollV als Instrument zur Regelung von Arbeitsbedingungen gehen mag, so ist damit untrennbar auch die real- und sozialpolitische Bedeutung des ÖGB selbst angesprochen; und zwar in seiner Rolle als Kollektivvertragspartei. In logischer Konsequenz kann auch die andere Abschlusspartei, sprich die Wirtschaftskammer, diesen Nimbus für sich in Anspruch nehmen. MaW, die Botschaft ist klar: In Österreich sind die Kollektivvertragsparteien eine Macht. Denn sie haben es geschafft und schaffen es weiterhin, mit über 800 Kollektivverträgen die Arbeits- und damit auch die Wirtschaftsbedingungen maßgeblich mitzugestalten. Diesbezüglich zeichnen die Zahlen ein klares Bild.

Wenn es also nachfolgend darum gehen soll, der Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien nachzuspüren, so ist als Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen in einem ersten Schritt festzuhalten, dass die Kollektivvertragsparteien offenkundig Gestaltungsmacht haben und diese auch aktiv ausüben. Nicht das „Ob“ steht also zur Diskussion, sondern das „Wieweit“ und das „Woher“. Tatsächlich 171 handelt es sich dabei um kommunizierende Gefäße: Die Frage, wieweit die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien reicht, lässt sich nur dann beantworten, wenn Klarheit darüber besteht, woher diese Gestaltungsmacht kommt bzw wo diese rechtlich zu verorten ist. Das zeigt ein Blick über die Grenze.

2
Ein aktueller Anlassfall aus Deutschland

In Deutschland wurde in den letzten Jahren heftig darüber gestritten, wieweit die Gestaltungsmacht der – nach deutscher Diktion – Tarifvertragsparteien reicht und welche Konsequenz es hat, wenn diese überschritten wird. Anlass dafür war ein konkretes Verfahren, das in Deutschland sowohl das BAG (sogar zweimal)3 als auch das BVerfG4 und zwischenzeitlich (wenn auch ohne inhaltliche Positionierung) sogar den EuGH5 beschäftigt hat. So spektakulär der Verfahrensgang war, so banal ist eigentlich die zu klärende Rechtsfrage: Ist es den Tarifvertragsparteien gestattet, AN, die in der Nachtschicht arbeiten, eine geringere Zulage zu zahlen, als jenen, die unregelmäßig für Nachtarbeit eingesetzt werden? Es ging weniger um die Regelungsbefugnis dem Grunde nach, sondern um die konkret vorgenommene Differenzierung. Auslöser war die Klage von in der Nachtschicht beschäftigten AN, die sich gegenüber jenen, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, ungleich behandelt wähnten und deshalb auf Zahlung des höheren Zuschlags für Nachtarbeit auch während der Nachtschichtarbeit klagten.

2.1

Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass die unterschiedliche Zuschlagshöhe für Nachtarbeit (50 % Zuschlag) und Nachtschichtarbeit (25 % Zuschlag) im anzuwendenden Manteltarifvertrag tatsächlich unsachlich sei und einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG darstelle.6 Aus diesem Grund sei die betroffene AG zur sogenannten „Anpassung nach oben“ verpflichtet; einem Instrument, das aus dem europäischen Antidiskriminierungsrecht bekannt ist.7 Dh, die AG muss für Nachtschichtarbeit die höhere Zulage zahlen, die nach dem anzuwendenden Tarifvertrag eigentlich nur für unregelmäßige Nachtarbeit vorgesehen ist. Interessant ist die Begründung des BAG: Zwar seien die Tarifvertragsparteien nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden, da die Tarifvertragsparteien in Ausübung der von Art 9 Abs 3 GG geschützten Tarifautonomie keine delegierte Staatsgewalt ausüben, sondern vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahren. Mit dieser privatautonomen Legitimation vertrage sich eine umfassende gerichtliche Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit nicht.8 Die Tarifvertragsparteien seien daher grundsätzlich nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Vielmehr genüge es, „wenn es für die jeweils getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gibt“.9 Tarifnormen würden mit anderen Worten einer „zurückgenommenen Prüfungsdichte10 unterliegen. Dennoch seien sie uneingeschränkt am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen.11 Denn der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG bilde „als grundlegende Gerechtigkeitsnorm [...] eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie“.12 Daraus folge, dass auch für die Tarifvertragsparteien gelte, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.

Im konkreten Fall konnte das BAG keinen sachlichen Grund dafür erkennen, weshalb Nachtschichtarbeit mit einem geringeren Zuschlag als unregelmäßige Nachtarbeit entlohnt werden soll. AN, die Nachtarbeit leisten, seien mit AN, die in der Nachtschicht arbeiten, vergleichbar.13 Aus diesem Grund sei die unterschiedliche Zuschlagshöhe unsachlich und damit iSd Art 3 Abs 1 GG gleichheitswidrig. Um diese zu beseitigen, so das BAG weiter, müsse eine Anpassung „nach oben“ stattfinden, da der höhere Zuschlag als das einzig gültige Bezugssystem für die Entlohnung von Arbeiten während der Nacht verbleibe.14 Den Angehörigen der benachteiligten Gruppe seien daher dieselben Vorteile zu gewähren wie den Angehörigen der bevorzugten Gruppe;15 sprich, die klagenden AN hätten Anspruch auf Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 50 %.

2.2
BVerfG

Das Verfahren war an dieser Stelle freilich noch nicht beendet. Die zur Zahlung der höheren Zuschläge verpflichtete AG brachte gegen das Urteil des BAG Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Sie machte im Wesentlichen geltend, das BAG habe mit seiner Entscheidung in unzulässiger Weise in die Tarifautonomie eingegriffen und damit Art 9 Abs 3 GG, das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, verletzt.

Das BVerfG gab der Beschwerdeführerin tatsächlich recht. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Auslegung des BAG, „wonach die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen über die Nachtschichtarbeit mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar seien und auf Rechtsfolgenebene die Zuschlagsregelungen zur Nachtarbeit Anwendung fänden (‚Anpassung nach oben‘), [...] die Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise16 berücksichtige. 172 Es verwies in diesem Zusammenhang auf seine stRsp, dass sich aus Art 9 Abs 3 GG nicht nur ein Bestandsschutz der Koalitionen ergebe, sondern dass vom Schutzgehalt dieses Grundrechts auch die Tarifautonomie erfasst sei. Das Aushandeln von Tarifverträgen sei ein wesentlicher Zweck der Koalitionen und deshalb sei sowohl der autonome Abschluss von Tarifverträgen als auch das Recht, sich auf die Ergebnisse der in kollektiver Privatautonomie ausgehandelten Vereinbarungen zu berufen, geschützt.17 Die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung durch tarifliche Normsetzung sei als „kollektiv ausgeübte Privatautonomie18 zu verstehen. Mit der grundrechtlich garantierten Tarifautonomie werde ein Freiraum gewährleistet, in dem AN und AG ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen könnten.19 Daraus resultiere auch eine Richtigkeitsvermutung tarifvertraglicher Vereinbarungen. Man dürfe grundsätzlich davon ausgehen, dass das von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnis richtig ist und die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringt. Ein objektiver Maßstab, nach dem sich die Richtigkeit tarifvertraglicher Vereinbarung besser beurteilen ließe, existiere, so das BVerfG, nicht.20

Allerdings sei das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet. Denn auch wenn Art 9 Abs 3 GG die unmittelbare und normative Einwirkung der tarifvertraglich vereinbarten Inhalte in das Arbeitsverhältnis garantiere, so sei dennoch auch die individuelle Freiheit des Einzelnen zu achten. Zum Schutz ihrer Mitglieder müssten daher die Tarifvertragsparteien an den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebunden sein.21 Diese Bindung an den Gleichheitssatz dürfe jedoch nicht den Zweck der Tarifautonomie konterkarieren, nämlich eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen. Der damit einhergehende Einschätzungs-, Wertungsund Gestaltungsspielraum sei zu respektieren. Deshalb dürften die Verhandlungsergebnisse der Tarifvertragsparteien keiner feingliedrigen Sachlichkeits-, sondern lediglich einer Willkürkontrolle unterworfen werden.22

Für das konkrete Verfahren habe das zur Konsequenz, dass zwar die unterschiedlichen Zuschlagsregelungen zu einer Ungleichbehandlung führen, jedoch nicht als willkürlich bezeichnet werden können.23 Willkür sei dann anzunehmen, wenn

die ungleiche Behandlung der Sachverhalte nicht mehr mit einer „am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise24 vereinbar, wenn also die Unsachlichkeit der Differenzierung „evident25 sei. Im konkreten Fall könne den Tarifparteien nicht Willkür unterstellt werden, da ungeplante Nachtarbeit eine stärkere soziale Betroffenheit der AN zur Folge habe als geplante Nachtschichtarbeit. Das BAG habe daher bei der Anwendung des Gleichheitssatzes den aus Art 9 Abs 3 GG folgenden Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien verkannt.

Darüber hinaus ortete das BVerfG einen Grundrechtsverstoß in der Anordnung des BAG, die unzulässige Zuschlagsvereinbarung durch eine „Anpassung nach oben“ zu sanieren; sprich, allen AN den höheren Zuschlag zu zahlen. Dadurch missachte das BAG die grundrechtlich geschützte „primäre Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien“.26 Soweit es mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung einer Ungleichbehandlung gibt, müsse den Tarifparteien auf Grund der Garantien des Art 9 Abs 3 GG die Chance zur Korrektur gegeben werden.27 Dieses Recht habe das BAG mit seinem Urteil den Tarifparteien genommen.

3
Die Ausgangssituation in Österreich

Aus österreichischer Sicht ist dieses Verfahren nicht nur von hohem wissenschaftlichen, sondern auch von praktischem Interesse. Es wirft nämlich die Frage auf, ob und inwiefern der Beschluss des BVerfG auch auf die österreichische Rechtslage übertragbar ist. Käme man zu dem Ergebnis, dass die Ausführungen des BVerfG gleichermaßen auch für das ArbVG beachtlich sind, so wären die Auswirkungen massiv. Denn die herrschende Auffassung in Österreich zu den Grenzen der Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien entspricht wohl eher jener des BAG.

3.1
Zu den Grenzen der Gestaltungsmacht in der Judikatur
3.1.1
Der Gleichheitssatz als Schranke der Kollektivvertragsautonomie

Kollektivvertragsautonomie bedeutet nach der Rsp des OGH, dass „kollektivvertragliche Rechtsansprüche zwar [...] in jeder Richtung regelbar“28 sind. Jedoch sei die Gestaltungsfreiheit der Kollektivvertragsparteien nicht unbegrenzt, sondern finde ihre Schranke „in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, vor allem in der Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Zivilrechts“,29 insb des § 879 ABGB. Folglich hätten die Gerichte Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen „höherrangiges Recht, also die Verfassung, europäisches Unionsrecht, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts30 verstoßen. Verschlechternde Regelungen in Kollektivverträgen müssten daher den „Grundsätzen der Sachlichkeit 173 und Verhältnismäßigkeit“31 entsprechen, auch wenn im Zweifel davon auszugehen sei, „dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher unsachliche Differenzierungen vermeiden wollten“.32 MaW: Auch nach der Judikatur des OGH sind die Kollektivvertragsparteien bei der Gestaltung des KollV „an den mittelbar wirkenden verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und das sich daraus ergebende Sachlichkeitsgebot gebunden“.33 In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, „dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht“.34 Damit scheint der OGH – um bei der Diktion des BAG zu bleiben – ebenfalls von einer „zurückgenommenen Prüfungsdichte“ auszugehen, wenn es um die Sachlichkeitsüberprüfung von Kollektivvertragsbestimmungen geht. Der OGH selbst spricht von einer „abgeschwächten Grundrechtsbindung“.35 Im Ergebnis müsste das eigentlich bedeuten, dass die Gestaltungsspielräume der Kollektivvertragsparteien größer sind als jene des einfachen Gesetzgebers. Das gilt – zumindest verbal – solange Prüfmaßstab der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz ist. Wegen Unsachlichkeit aufgehoben wurde vom OGH, soweit ersichtlich, bis dato tatsächlich keine einzige Kollektivvertragsbestimmung.

3.1.2
Das Unionsrecht als Schranke der Kollektivvertragsautonomie

Anders verhält es sich, wenn es um die Begrenzung der Gestaltungsmacht durch das Unionsrecht geht. Nach der Judikatur des OGH sollen hier keine unterschiedlichen Maßstäbe für den einfachen Gesetzgeber und die Kollektivvertragsparteien gelten.36 Daran vermag nach der Ansicht des OGH selbst Art 28 GRC nichts zu ändern, der explizit ein europäisches Grundrecht auf Abschluss von Tarifverträgen anerkennt. Verantwortlich dafür zeichnet der EuGH, der zwar einerseits darauf verweist, dass kollektivvertragliche Maßnahmen im Gegensatz zu durch Gesetz oder Verordnung erlassene Maßnahmen für sich in Anspruch nehmen können, dass die Sozialpartner „bei der Wahrnehmung ihres in Art 28 der Charta anerkannten Grundrechts auf Kollektivverhandlungen darauf geachtet haben, einen Ausgleich zwischen ihren jeweiligen Interessen festzulegen“.37 Das legt eine kollektivvertragliche Richtigkeitsgewähr auch auf der Ebene des Unionsrechts nahe. Andererseits vertritt der EuGH bezugnehmend auf den Wortlaut des Art 28 GRC die Auffassung, dass die Garantien dieses Grundrechts lediglich „nach dem Unionsrecht“ bestehen. Der EuGH interpretiert dies in dem Sinne, dass die Kollektivvertragsparteien vollumfänglich und ohne jedwede Abstriche an unionsrechtliche Vorgaben, insb an die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote gebunden sind.38 Aus diesem Grund judiziert auch der OGH, dass den Sozialpartnern im Rahmen ihrer nach Art 28 GRC gewährten Befugnis, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen, „kein größerer Gestaltungsspielraum [...] als den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [zukommt] und sie sind in gleicher Weise wie diese an das Unionsrecht gebunden39. Folglich macht es zB bei der Prüfung, ob Vordienstzeitenregelungen mit dem Diskriminierungsverbot des Art 45 AEUV vereinbar sind, keinen Unterschied, ob diese in einem KollV oder Gesetz enthalten sind.40 Dasselbe gilt für die aus dem europäischen Antidiskriminierungsrecht erwachsenen und innerstaatlich durch das GlBG umgesetzten Gleichbehandlungsgebote.41 Die ursprünglich noch vom OGH vertretene Auffassung, dass die Gleichbehandlungsgebote des GlBG für Kollektivvertragsparteien nicht beachtlich seien,42 kann längst als überholt angesehen werden.43

Der OGH scheint zusammengefasst mit zweierlei Maß zu messen: Abhängig davon, ob im KollV geregelte Differenzierungen am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz oder an den europäischen Diskriminierungsverboten zu prüfen sind, ist die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien im Verhältnis zum Gesetzgeber unterschiedlich groß.

3.1.3
Kritische Analyse der Judikatur

Bei genauerem Hinsehen stellt sich freilich die Frage, ob dem tatsächlich so ist oder ob die vom OGH attestierte „abgeschwächte Grundrechtsbindung“ nicht bloß eine Formel darstellt, die zwar ein „Mehr“ an Gestaltungsmacht suggeriert, aber de facto nicht gewährt. Derartige Zweifel scheinen angebracht, wenn man die einschlägige Judikatur analysiert.

Der Großteil der bisher entschiedenen Fälle betraf die Frage, ob es den Kollektivvertragsparteien erlaubt ist, in bestehende kollektivvertragliche Pensionsregelungen einzugreifen.44 Die Antwort darauf gibt der OGH seit der Grundsatzentscheidung 9 ObA 602/9245 im Wege einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung und zwar unter expliziter Bezugnahme auf die Judikatur des VfGH, der aus Art 7 B-VG die Verpflichtung ableitet, bei Eingriffen in bereits erworbene Ruhegeldanwartschaften auf die durch die Dauer des Dienstverhältnisses bedingten unterschiedlichen Vertrauenspositionen 174 Rücksicht zu nehmen.46 Vor diesem Hintergrund prüft auch der OGH zum einen, ob es einen sachlichen Grund für den Eingriff in bestehende Anwartschaften gibt; oder anders ausgedrückt, ob der Eingriff ein legitimes Ziel verfolgt. Und zum anderen wird untersucht, ob die Kollektivvertragsparteien bei der konkreten Ausgestaltung des Eingriffs den durch die verschieden langen Dienstzeiten geschaffenen unterschiedlichen Vertrauenspositionen ausreichend Rechnung getragen haben.47 Ein Unterschied im Prüfmaßstab zwischen VfGH und OGH ist hier de facto nicht zu erkennen.

Ein Grund dafür könnte die Sachnähe zwischen gesetzlichen und kollektivvertraglichen Ruhegenuss- bzw Pensionsregelungen sein. Allerdings ist auch in anderen thematischen Zusammenhängen festzustellen, dass sich der OGH bei der Sachlichkeitsprüfung kollektivvertraglicher Regelungen unmittelbar an der Judikatur des VfGH orientiert.48 Auf diesem Weg haben Rechtsfiguren, wie die Zulässigkeit des Abweichens von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip,49 die grundsätzliche Sachlichkeit von zeitlichen Differenzierungen mittels Stichtags50 oder eben der unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zu berücksichtigende Vertrauensschutz51 Eingang in die zivilrechtliche Judikatur gefunden. In diesen Fällen besteht im Wesentlichen ein Gleichklang zwischen der Sachlichkeitsprüfung des VfGH und des OGH, so dass konkrete Auswirkungen der „abgeschwächten“ Grundrechtsbindung der Kollektivvertragsparteien de facto nicht feststellbar sind.52

Die Bezugnahme auf bereits vom VfGH entwickelte Grundsätze ist nicht immer möglich. Es stellt sich daher die Frage, ob der OGH zumindest in solchen Verfahren eigene Wege beschreitet. So war der Gerichtshof zB unlängst aufgerufen, zu einer Regelung des KollV für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen Stellung zu nehmen. Konkret ging es um die Frage, ob es den Kollektivvertragsparteien gestattet ist, den Anspruch auf Folgeprovisionen zu versagen, sollte das Dienstverhältnis auf Grund einer begründeten Entlassung vorzeitig enden.53 Ein betroffener AN hat auf Zahlung der Folgeprovision unter Verweis auf die Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der fraglichen Kollektivvertragsregelung geklagt. Der OGH verwies in seiner Urteilsbegründung zunächst auf die bereits bekannten Eckpfeiler seiner Judikaturlinie: Zwar seien kollektivvertragliche Ansprüche grundsätzlich in jede Richtung regelbar, dennoch sei der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz auch für die Kollektivvertragsparteien auf Grund ihrer mittelbaren Grundrechtsbindung beachtlich. Folglich seien Differenzierungen zulässig, wenn sie sachlich sind. Allerdings verweist der OGH auch hier sogleich auf seine stRsp, dass grundsätzlich auf Grund des weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums der Kollektivvertragsparteien von der Sachlichkeit kollektivvertraglicher Regelungen auszugehen ist. Bemerkenswert ist freilich, dass der OGH an dieser Stelle seine Prüfung nicht beendet. Vielmehr steigt er nunmehr in eine granulare Feinprüfung ein, in der er minutiös auf die bisher bereits von ihm entschiedenen Fallgestaltungen eingeht und herausarbeitet, unter welchen Voraussetzungen zumindest ein einzelvertraglicher Vorausverzicht auf Folgeprovisionen bisher für zulässig bzw unzulässig erachtet wurde.54 Auf diese Weise versucht der Gerichtshof zum einen Anhaltspunkte für Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Tatsächlichen zwischen den bereits entschiedenen und dem vorliegenden Fall zu gewinnen. Zum anderen werden Argumente dafür identifiziert, ob der strittigen Kollektivvertragsregelung ein legitimes Ziel zu Grunde liegt und ob die Maßnahme angemessen und erforderlich ist. Auf dieser Basis ist der OGH letztlich zu dem (überzeugenden) Ergebnis gekommen, dass es sich um eine differenzierte und damit sachliche Regelung handelt.

Losgelöst vom Ergebnis bleibt allerdings die Frage, was an diesem Prüfungsschema „zurückgenommen“ ist. Oder anders ausgedrückt: Anhand der Judikatur des OGH lässt sich bisher nicht erkennen, inwiefern die bloß mittelbare, abgeschwächte Grundrechtsbindung den Kollektivvertragsparteien tatsächlich einen weiteren Gestaltungsspielraum als dem einfachen Gesetzgeber eröffnet.55 Freilich wird die Existenz eines solch weiteren Gestaltungsspielraumes der Kollektivvertragsparteien von gewichtigen Teilen der Lehre ohnehin in Abrede gestellt.

3.2
Zu den Grenzen der Gestaltungsmacht in der Lehre

Die Einordnung des KollV in die österreichische Rechtsordnung ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen, auch wenn in zentralen Punkten inzwischen Einigkeit erzielt werden konnte. Gab es in den 1970er-Jahren noch eine hitzige Diskussion über die Verfassungskonformität des KollV, weil unklar war, ob der KollV im öffentlichen Recht oder im Privatrecht zu verorten ist, so ist heute anerkannt, dass es sich beim KollV um ein Instrument des Privatrechts handelt.56 Unstrittig ist daher auch, dass der KollV und seine Inhalte einer zivilrechtlichen Vertragskontrolle durch die ordentlichen Gerichte, in letzter Instanz durch den OGH, und nicht einer Prüfung auf Gesetzes- oder Verfassungskonformität durch den VfGH unterliegen.57 An diesem Punkt endet aber bereits die 175 Einmütigkeit in der Lehre. Unterschiedliche Positionierungen bestehen insb bezüglich der Frage, wie detailliert die Prüfkompetenz der ordentlichen Gerichte ist bzw wie weit diese geht. Die Antwort darauf hängt nur vordergründig davon ab, ob man für eine unmittelbare oder eine mittelbare Grundrechtsbindung des KollV eintritt. Zwar gibt es weiterhin Stimmen in der Lehre, die für eine unmittelbare Grundrechtsbindung plädieren, und zwar mit Verweis auf die Normwirkung des KollV.58 An ein Gesetz im materiellen Sinn sei derselbe Maßstab wie an ein Gesetz im formellen Sinn anzulegen.59 Freilich hat sich inzwischen überwiegend (und zu Recht) die Lehre von der bloß mittelbaren Grundrechtsbindung des KollV durchgesetzt.

Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Ansätze dürfen allerdings, wie Schrammel bereits konstatiert hat, nicht überschätzt werden.6060) Denn auch jene, die für eine mittelbare Grundrechtsbindung eintreten, gehen nicht so weit, zu behaupten, dass der Gleichheitssatz und die Grundrechte für die Kollektivvertragsparteien vollkommen unbeachtlich wären. Vielmehr bilden beide einen normativen Anknüpfungspunkt zur Beantwortung der Frage, ob ein bestimmter Kollektivvertragsinhalt iSd § 879 ABGB sittenwidrig ist.61 Die unmittelbare und mittelbare Grundrechtsbindung können also zum selben Ergebnis führen, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen. Und tatsächlich werden sie auch zum selben Ergebnis führen (müssen), sobald ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt ist. Das ist aber bei genauerem Hinsehen eine Binsenweisheit, denn es muss klar sein, dass es kein Rechtsinstrument gibt, das unbehelligt Grundrechte verletzen darf.

Die zentrale Frage muss daher vielmehr sein, ab welcher Eingriffsintensität von einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte auszugehen ist. Die Antwort darauf ist de lege lata vor allem davon abhängig, ob man einem solchen Eingriff als betroffene Person wehrlos ausgeliefert ist oder ob man diesen selbst sehenden Auges gebilligt hat. Es geht also weniger um die unmittelbare oder mittelbare Wirkung von Grundrechten, sondern vielmehr darum, ob es sich bei der zu prüfenden Regelung um einen heteronomen Eingriff oder um einen privatautonomen Eingriff handelt. Erstere unterliegen zum Schutz der Normunterworfenen strengeren Anforderungen als letztere. Und genau hier bereitet nun die Zwillingsnatur des KollV Probleme. Denn einerseits entfalten die Inhalte des KollV überhaupt nur dann eine Wirkung, wenn beide Seiten ihre Zustimmung erteilt haben. In einem Kollektivvertragssystem, das weder einen Kontrahierungszwang noch eine Zwangsschlichtung kennt, spricht das bereits für die Angemessenheit des vereinbarten Inhalts. Darauf weist auch der OGH in stRsp hin, indem er Kollektivverträgen eine grundsätzliche Richtigkeitsgewähr attestiert.62 Das könnte für eine (privat)autonome Normsetzung sprechen, die eine gerichtliche Kontrolle weitgehend obsolet macht. Andererseits sind jene, welche die Vereinbarung abgeschlossen haben, nicht mit jenen ident, welche die vereinbarten Inhalte anwenden müssen; sie sind lediglich deren unmittelbare oder, wie im Falle der Außenseiter, sogar bloß mittelbare Repräsentanten. Das legt eine heteronome Normsetzung und damit die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes vor Fremdbestimmung nahe. Die Befugnis zur Normsetzung für Dritte ist tatsächlich keine Selbstverständlichkeit. Damit sind wir bei der Frage angelangt, woher die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien kommt.

Die Antwort darauf schien lange Zeit klar zu sein: Die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien ist anders als in Deutschland keine verfassungsunmittelbare, grundrechtlich geschützte, sondern lediglich eine vom Gesetzgeber abgeleitete. Oder um mit den Worten Jaborneggs zu sprechen: „Die Möglichkeit, dem auf die Arbeitsverhältnisse einwirkungsfähigen Teil des Kollektivvertrages die Wirkung eines relativen oder gar absolut zwingenden Gesetzes im materiellen Sinne einzuräumen, [kann] nur aufgrund im Rahmen der entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung erfolgen.63 Damit wurde der Grundstein für drei zentrale Ableitungen gelegt:

1. Die vom Gesetz abgeleitete Normsetzung kann nicht geringeren Bindungen unterliegen als das Gesetz selbst. Die logische Konsequenz daraus ist im Falle eines Verstoßes zwar die Nichtigkeit der betreffenden Kollektivvertragsregelung gem § 879 ABGB; jedoch nicht wegen Sittenwidrigkeit, sondern wegen (Verfassungs- bzw) Gesetzwidrigkeit.64 Folgt man dieser These, dann darf es – mittelbare Grundrechtsbindung hin oder her – tatsächlich keinen Unterschied machen, ob der VfGH eine Gesetzesbestimmung oder der OGH eine Kollektivvertragsbestimmung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz respektive ihre Sachlichkeit hin überprüft.65

2. Jede wie immer geartete Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen über die kollektive Rechtsgestaltung – sei es zugunsten oder sei es auch zu Lasten der AN – scheidet aus.66 Die vom Gesetzgeber den Kollektivvertragsparteien überantwortete Regelungsbefugnis gem § 2 Abs 2 ArbVG ist maW absolut zwingend. Daraus folgt, dass jede privatautonome, zwischen den Kollektivvertragsparteien akkordierte Erweiterung dersel- 176 ben unzulässig ist.67 Das gilt insb auch für etwaige Praktiken, die im ArbVG geregelten Mitwirkungsbefugnisse des BR durch KollV auszudehnen.68 Die einzige Möglichkeit, die der Gesetzgeber eröffnet hat, ist, dass die Kollektivvertragsparteien ihre Regelungsbefugnis gem § 29 ArbVG an die Betriebsvereinbarungsparteien delegieren dürfen.

3. Selbst innerhalb der erteilten Regelungsbefugnis ist, da es sich um eine bloß vom Gesetzgeber abgeleitete handelt, die Normsetzungskompetenz der Kollektivvertragsparteien restriktiv zu interpretieren.69 Auch wenn § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG als Generalklausel formuliert ist, muss die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien beschränkt werden. Grundlage der Normsetzung sei nicht die Vertragsfreiheit, sondern die beschränkte gesetzliche Ermächtigung.70 Deshalb dürften die Kollektivvertragsparteien im Rahmen des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG nur das regeln, was „typischer, wesentlicher und regelmäßig wiederkehrender Inhalt eines Arbeitsverhältnisses“ ist.71

3.3
Synopse

Die Judikatur hat sich allen drei Thesen angeschlossen, den letzten zwei explizit, der ersten – so legt es die Rechtsprechungsanalyse nahe – zumindest im Ergebnis. So vertritt der OGH in stRsp die Ansicht, dass die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien dadurch begrenzt ist, dass im Rahmen des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG nur „typische, wesentliche und regelmäßig widerkehrende Inhalte eines Arbeitsverhältnisses“ mittels KollV geregelt werden dürfen. Auf dieser Grundlage wurde zB die kollektivvertragliche Regelung von Kondiktionsansprüchen für nichtig erklärt.72 Die substanzielle Kritik73 an dieser Formel hat den Gerichtshof bisher wenig beeindruckt. Zur Begründung führt der OGH das bereits bekannte Argument an, dass sich die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien nicht auf die allgemeine Vertragsfreiheit, sondern lediglich auf eine beschränkte gesetzliche Ermächtigung stützen kann.74 Ein weiteres Argument soll die Außenseiterwirkung und damit wohl der Schutz der individuellen Privatautonomie sein.75 Allerdings hat er in der OGH-E 9 ObA 153/16i76 insofern eine Relativierung vorgenommen, als er klargestellt hat, dass die Kollektivvertragsparteien nicht auf „typische Ausgestaltungen“ beschränkt seien, sondern auch neuartige, atypische oder unübliche Regelungen treffen dürfen.77

Unklar ist, wie dies nun zusammenpasst: Muss es sich weiterhin um einen typischen, wesentlichen und regelmäßig wiederkehrenden Regelungsgegenstand handeln und darf bloß die Ausgestaltung atypisch sein? Oder ist damit nun auch das Tor zu atypischen Regelungsgegenständen aufgestoßen?78 Der OGH hat sich diesbezüglich noch nicht ausdrücklich positioniert. Unabhängig davon kann aber vor dem Hintergrund dieser neuen Rsp des OGH kein Zweifel bestehen, dass zB die zuletzt in der metalltechnischen Industrie vereinbarten Wettbewerbs- und Beschäftigungssicherungsklauseln von § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG gedeckt sind. Denn im Kern wird ein typischer Regelungsinhalt, nämlich die Anordnung einer Ist-Lohnerhöhung, lediglich atypisch ausgestaltet, indem unter bestimmten Voraussetzungen von einer vollumfänglichen Erhöhung abgesehen werden kann, wenn auf betrieblicher Ebene eine entsprechende Vereinbarung, die alternative Kompensationsleistungen vorsieht, getroffen wird.

Klar ist aber, dass selbst atypische Ausgestaltungen einer gewichtigen Restriktion unterliegen, nämlich der zweiseitig zwingenden Wirkung des ArbVG. MaW: Eine Änderung der Bestimmungen des ArbVG durch kollektive Rechtsgestaltung ist nicht zulässig.79 Mit dieser Begründung hat der OGH in der bereits angesprochenen E 9 ObA 153/16i vom 24.5.2017 die Verknüpfung der Geltung eines besonderen Bestandsschutzes vor betriebsbedingten Kündigungen mit dem Abschluss eines Sozialplanes für unzulässig erachtet.80 Allerdings hat der Gesetzgeber mit § 29 ArbVG eine explizite Möglichkeit eröffnet, kollektivvertragliche Regelungsinhalte auf die betriebliche Ebene zu verlagern. Das führt zwar mittelbar ebenfalls zu einer Erweiterung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte des BR; damit wird das Dogma von der zweiseitig zwingenden Wirkung des ArbVG bereits relativiert.81 Allerdings ist diese Öffnung – zugegebenermaßen – nicht auf eine privatautonome Entscheidung der Kollektivvertragsparteien, sondern auf eine explizite gesetzliche Ermächtigung zurückzuführen. Auch vor diesem Hintergrund sind die bereits angesprochenen Wettbewerbs- und Beschäftigungssicherungsklauseln in der metalltechnischen Industrie unproblematisch, 177 da die Kollektivvertragsparteien lediglich von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, ihre Kompetenz zur Regelung von Ist-Lohnerhöhung an die Betriebsvereinbarungsparteien zu delegieren. Eine unzulässige Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des BR liegt nicht vor.

Zusammengefasst lässt sich ungeachtet dessen aber festhalten, dass die Gestaltungmacht der Kollektivvertragsparteien einer engmaschigen gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist. Zur Begründung dieser restriktiven Judikaturlinie wird vorgebracht, dass die Normsetzungskompetenz der Kollektivvertragsparteien lediglich eine vom einfachen Gesetzgeber verliehene ist. Die dogmatische Wurzel des Rechts der Kollektivvertragsparteien, für Dritte rechtsverbindliche Normen zu schaffen, ist demnach eine einfachgesetzliche Delegation.82 Die Kollektivvertragsparteien üben maW delegierte Staatsmacht aus. Daraus erklärt sich, weshalb die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien keine größere als jene des einfachen Gesetzgebers sein kann.

Darin ist der wesentliche Unterschied zur deutschen Rechtslage zu sehen. In Deutschland wird die Tarifautonomie nicht als Geschenk des einfachen Gesetzgebers verstanden, sondern ist als verfassungsunmittelbare Normsetzungskompetenz konstruiert, die vom Gesetzgeber zu respektieren ist. Sie ist Kernelement der grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit. Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang explizit von „kollektiver Privatautonomie“, die den Tarifvertragsparteien einen vor staatlicher Einflussnahme geschützten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum garantiert.83 Aus diesem Grund darf die Tarifautonomie nach Auffassung des BVerfG auch keiner engmaschigen Sachlichkeitsprüfung unterworfen werden, sondern unterliegt lediglich einer gerichtlichen Willkürkontrolle.

Wenn aber die Wurzeln der Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien nach österreichischem und deutschem Recht gänzlich andere sind, dann ergibt sich daraus bereits die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der vermeintlichen Übertragbarkeit der Rsp des BVerfG auf die österreichische Rechtslage. Eine solche verbietet sich mangels Vergleichbarkeit der rechtlichen Grundlagen der Kollektivvertragsautonomie. Es bleibt also alles beim Alten. Das setzt allerdings voraus, dass die These von der einfachgesetzlichen Delegation als Grundlage der Kollektivvertragsautonomie tatsächlich richtig ist. Mag das auch zum Zeitpunkt ihrer Formulierung der Fall gewesen sein, so sind inzwischen Zweifel angebracht. Denn in den letzten Jahren hat sich eine differenzierte Sichtweise auf die Grundlagen der kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis etabliert.

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Rechtsgrundlagen der Kollektivvertragsautonomie

Verantwortlich dafür zeichnen zwei Entwicklungen: Zum einen hat der EGMR im Jahr 2008 seine zurückhaltende Judikaturlinie zu Art 11 EMRK aufgegeben und klargestellt, dass aus der Koalitionsfreiheit nicht nur ein Recht der Koalition „auf Gehör“,84 sondern auch ein „Recht auf kollektives Verhandeln“ erwächst,85 wie es auch Art 28 GRC explizit garantiert.86 Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil die EMRK in Österreich im Verfassungsrang steht. Seit dieser Judikaturwende im Jahr 2008 existiert daher auch in Österreich ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht der Koalitionen auf kollektives Verhandeln.87

Zum anderen wurde ebenfalls im Jahr 200888 Art 120a ins B-VG aufgenommen. Im Abs 2 dieser Verfassungsbestimmung wurde erstmals klargestellt, dass die Republik die „Rolle der Sozialpartner anerkennt“, „deren Autonomie achtet“ und „den sozialpartnerschaftlichen Dialog durch die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern fördert“. Zwar gibt es Stimmen in der Lehre, die darin lediglich eine Programmnorm ohne jeden normativen Gehalt sehen.89 Inzwischen hat sich aber, jedenfalls im arbeitsrechtlichen Schrifttum, zu Recht die Ansicht durchgesetzt, dass der Verfassungsgesetzgeber mit Art 120a B-VG durchaus konkrete Garantien verbunden wissen wollte. Das betrifft zum einen die Sozialpartner selbst, die nicht nur eine verfassungsgesetzliche Legitimation erfahren haben, sondern nunmehr auch in ihrem Bestand geschützt sind.90 Zum anderen findet über Art 120a B-VG das im internationalen Vergleich einzigartige, aber für Österreich prägende System der Sozialpartnerschaft als Zusammenwirken freiwilliger Berufsvereinigungen und gesetzlicher Interessenvertretungen eine verfassungsrechtliche Absicherung.9191) Damit aber nicht genug. Normative Bedeutung kommt auch dem Umstand zu, dass in Art 120a Abs 2 B-VG ausdrücklich sowohl die „Autonomie“ der Sozialpartner als auch der „sozialpartnerschaftliche Dialog“ angesprochen werden. Da der KollV in der Praxis das wichtigste Instrument der Sozialpartner ist, um ihre Autonomie auszuüben und untereinander in einen Dialog zu treten, hat auch dieser eine verfassungsrechtliche Absicherung erfahren92 und zwar in jener 178 Ausprägung, wie er vom Bundesverfassungsgesetzgeber im Jahr 2008 vorgefunden wurde.93

Damit gehen die Garantien des Art 120a B-VG über jene des Art 11 EMRK hinaus. Denn zum einen können nach der EMRK nur freiwillige Berufsvereinigungen und nicht auch gesetzliche Interessenvertretungen das Recht auf kollektives Verhandeln für sich in Anspruch nehmen. Zum anderen verpflichtet Art 11 EMRK nicht dazu, das Ergebnis kollektiver Verhandlungen mit einer normativen oder gar mit einer erga omnes Wirkung auszustatten.94 Diese Entscheidung liegt nach der EMRK weiterhin im sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers. Dh zusammengefasst, dass zwar Art 11 EMRK für sich gesehen nicht in der Lage wäre, die These von der einfachgesetzlichen Delegation als Rechtsgrundlage der Kollektivvertragsautonomie in Frage zu stellen. Das Recht der Koalitionen auf kollektives Verhandeln wird aber durch Art 120a Abs 2 B-VG substanziell erweitert, in dem auch gesetzliche Interessenvertretungen als Teil der Sozialpartnerschaft anerkannt und der KollV iSd ArbVG als zentrales Instrument und Produkt des sozialpartnerschaftlichen Dialogs einer verfassungsrechtlichen Absicherung zugeführt wurden.95 Oder anders ausgedrückt: Art 120a Abs 2 B-VG ist ein verfassungsgesetzliches Bekenntnis zu Kollektivvertragsverhandlungen unter Einbeziehung gesetzlicher Interessenvertretungen zu entnehmen.96

Das Zusammenspiel von Art 11 EMRK und Art 120a Abs 2 B-VG spricht somit dafür, dass die Gestaltungsmacht der kollektivvertragsfähigen Körperschaften iSd § 2 Abs 1 ArbVG in ihrer Rolle als Sozialpartner inzwischen eine verfassungsunmittelbare ist,97 die sich gerade nicht mehr bloß von einer Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers ableitet.98 Vielmehr sind der einfache Gesetzgeber, aber auch die Gerichte in Auslegung des einfachen Gesetzesrechts verpflichtet, die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien als Ausdruck der in Art 120a Abs 2 B-VG explizit angesprochenen Autonomie zu achten. Bei allen sonstigen Systemunterschieden im Vergleich zur deutschen Rechtslage gilt daher auch für Österreich, dass die Kollektivvertragsautonomie nicht delegierte Staatsgewalt ist.99 Daraus lassen sich konkrete Schlussfolgerungen ziehen.

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Schlussfolgerungen

Die erste wesentliche Schlussfolgerung ist, dass der Begründung des OGH, die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien sei deshalb auf typische, wesentliche und regelmäßig wiederkehrende Regelungsinhalte des Arbeitsverhältnisses zu beschränken, da es sich lediglich um eine vom Gesetzgeber übertragene Normsetzungskompetenz handle, die Grundlage entzogen ist. Wenn im Art 120a Abs 2 B-VG die Rede davon ist, dass der sozialpartnerschaftliche Dialog zu fördern ist, so ist damit die Notwendigkeit angesprochen, Freiräume für Verhandlungen zu schaffen, die es den Sozialpartnern ermöglichen, ihre gegenläufigen Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der Gesetzgeber des ArbVG hat aus diesem Grund bewusst davon abgesehen, die Kollektivvertragsparteien einem Kontrahierungszwang zu unterwerfen oder ihnen eine Zwangsschlichtung aufzuerlegen. Sogar von der Notwendigkeit, „essentialia negotii“ zu vereinbaren, wurde bewusst abgesehen. § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG ist denkbar weit formuliert. Bereits vor diesem Hintergrund mutet es widersprüchlich an, dass gleichzeitig eine Beschränkung auf typische Arbeitsvertragsinhalte bestehen soll. Vielmehr hat der Gesetzgeber des ArbVG klar zum Ausdruck gebracht, dass es allein in der Entscheidungskompetenz der Kollektivvertragsparteien selbst liegt, ob es zu einer Einigung kommt und welche Inhalte Gegenstand dieser Einigung sein sollen. Denn nur so lässt sich gewährleisten, dass die getroffene Vereinbarung tatsächlich die Interessen beider Seiten in angemessener Weise abbildet und damit einen sozialen Ausgleich herbeiführt.100 Der OGH spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von einer „Richtigkeitsgewähr“ kollektivvertraglicher Verhandlungsergebnisse.101

Diese freie Entscheidung zur Einigung funktioniert freilich nur, wenn sich ebenbürtige Partner gegenüberstehen, die auf Augenhöhe verhandeln.102 Das ist der Grund, weshalb nach dem ArbVG die Kollektivvertragsfähigkeit an die soziale Mächtigkeit gekoppelt ist und insb auch gesetzliche Interessenvertretungen miteinbezieht.103 Dadurch wird eine „balance of powers“ sichergestellt.104 Über die soziale Mächtigkeit lässt sich im Übrigen auch erklären, weshalb die Kollektivvertragsparteien nicht nur für die eigenen Mitglieder, sondern auch für Außenseiter verbindliche Normen schaffen dürfen. Die kollektivvertragsfähigen Körperschaften repräsentieren weniger konkrete Mitglieder, sondern vielmehr abstrakte Interessen.105 Die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien ist daher auch – anders als in Deutschland – keine, die sich aus dem „Mandat“ der Mitgliedschaft legitimiert. Es geht weniger 179 um „kollektiv ausgeübte Privatautonomie“, sondern, wie es Pernthaler treffend bezeichnet hat, um „Sozialautonomie“.106 Oder anders ausgedrückt: Die Kollektivvertragsautonomie des ArbVG, inklusive Norm- und Außenseiterwirkung,107 ist kein Kind der Koalitionsfreiheit, sondern eine verfassungsunmittelbare, die über Art 120a Abs 2 B-VG Anerkennung erfahren hat. Deshalb überzeugt es auch nicht, wenn der Schutz der Außenseiter vor Fremdbestimmung als zweites zentrales Argument für eine Beschränkung der inhaltlichen Regelungsmöglichkeiten der Kollektivvertragsparteien herangezogen wird.108 Tatsächlich ist es erst die Kollektivertragsautonomie, die privatautonomes Agieren der Arbeitsvertragsparteien ermöglicht. Das gilt für Verbandsmitglieder in gleicher Weise wie für Außenseiter.

Folgt man dem, so ist auch eine zweite zentrale Schlussfolgerung naheliegend: Die bisher mehrheitsfähige These, die Kollektivvertragsparteien müssten im Rahmen ihrer Normsetzungskompetenz denselben Bindungen wie der einfache Gesetzgeber unterliegen, lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Es handelt sich bei der Kollektivvertragsautonomie gerade nicht um eine vom Gesetz abgeleitete Normsetzung, sondern um eine, die einer eigenen Logik folgt und die durch das ArbVG bloß eine einfachgesetzliche Verankerung erfahren hat. Die für Gesetze konzipierte Sachlichkeitsprüfung passt auch gar nicht für Verhandlungsergebnisse, die von ebenbürtigen, sozialmächtigen Partnern erzielt wurden; mögen sie nun unmittelbar rechtsverbindlich sein oder nicht. Darauf haben Marhold109und Mosler110 bereits zu Recht hingewiesen. Man fragt sich schon im Ansatz, wie eine Vereinbarung auf ihre Verhältnismäßigkeit und Sachlichkeit hin überprüft werden können soll, die nicht einmal bestimmte essentialia negotii aufweisen muss. Auch für Österreich muss daher gelten, dass eine granulare Sachlichkeitsprüfung der im Wege von Kollektivvertragsverhandlungen gefundenen Kompromisse nicht mit der Konzeption des Art 120a Abs 2 B-VG vereinbar ist. Die Grenze ist vielmehr erst dort zu ziehen, wo die Kollektivvertragsparteien ihre Gestaltungsmacht zu Lasten der Normunterworfenen missbrauchen, indem sie individuelle Schutzgarantien verletzen. In diesem Lichte ist es nun auch besser nachvollziehbar, weshalb der EuGH jedenfalls im Fall einer Diskriminierung geschützter Personengruppen die Berufung auf die Tarifautonomie des Art 28 GRC nicht als Rechtfertigungsgrund gelten lässt. Im Ergebnis läuft das auf die vom BVerfG postulierte Willkürkontrolle hinaus. Es mag zwar sein, dass der OGH ohnehin in diese Richtung tendiert, wurde doch bis dato noch nie eine Kollektivvertragsbestimmung wegen Unsachlichkeit aufgehoben. Die Urteilsbegründungen bringen das jedoch, wie bereits dargelegt wurde,111 nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck bzw legen sogar das Gegenteil nahe.112 Vor diesem Hintergrund kann somit aber auch kein Zweifel bestehen, dass die bereits mehrmals angesprochenen Wettbewerbs- und Beschäftigungssicherungsklauseln unproblematisch sind, da den Kollektivvertragsparteien bei der konkreten Ausgestaltung jedenfalls keine Willkür unterstellt werden kann.

Folgt man diesem Ansatz, so muss man konsequenterweise auch noch eine dritte Schlussfolgerung ziehen: Die Rechtsfolge unzulässiger Kollektivvertragsbestimmungen muss sich mangels anderslautender gesetzlicher Anordnungen strikt auf ihre Rechtsunwirksamkeit beschränken.113 Es liefe de facto auf eine Missachtung der Autonomie der Sozialpartner hinaus, wenn man den Kollektivvertragsparteien das Ergebnis ihrer erst zu führenden Verhandlungen vorgibt.114 Vor diesem Hintergrund erscheint es problematisch, wenn Lücken im KollV im Wege richterlicher Rechtsfortbildung dadurch geschlossen werden, dass man eine sogenannte „Anpassung nach oben“ anordnet. Tatsächlich gibt es vereinzelt gebliebene Entscheidungen des OGH, die aber in diese Richtung weisen.115 Damit schafft man zwar auf individualarbeitsrechtlicher Ebene Abhilfe, gleichzeitig nimmt man aber den Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Autonomie eine sozialverträgliche, alternative Lösung zu finden. Zu Recht ist daher im Falle nichtiger Kollektivvertragsbestimmungen auch eine Lückenschließung mit Hilfe der Ermittlung des hypothetischen Willens der Kollektivvertragsparteien abzulehnen. Das ist weniger einer bestimmten Auslegungsmaxime als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass auch in diesem Fall die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien durch richterliche Rechtsfortbildung ersetzt werden würde.

Fraglich ist allerdings, ob damit auch die von Marhold116 formulierte Kritik an der einfachgesetzlichen Anordnung des § 33a Abs 28 ARG bestätigt wird. Mit dieser Regelung hatte der Gesetzgeber als Reaktion auf das Karfreitagsurteil des EuGH117 sämtliche in Kollektivverträgen enthaltene Karfreitagsvergünstigungen für nichtig erklärt. Die Antwort hängt mit Marhold davon ab, ob dadurch den Kollektivvertragsparteien ihre Gestaltungsmacht genommen wird.118 Das erscheint keineswegs zwingend. Zum einen gibt die gesetzliche Anordnung der Nichtigkeit den Kollektivvertragsparteien noch kein bestimmtes Verhandlungsergebnis vor. Vielmehr liegt es weiterhin im Ermessen der Kollektivvertragsparteien, ob und wie sie die entstandene Lücke schließen. Andernfalls müsste man wohl generell die Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf Kollektivvertragsbestimmungen für verfassungswidrig einstufen. Zum 180 anderen ist Art 120a Abs 2 B-VG weder zu entnehmen, dass die Autonomie der Sozialpartner und der sozialpartnerschaftliche Dialog sakrosankt wären, noch, dass den Sozialpartnern gegenüber dem Gesetzgeber ein Regelungsvorrecht zukäme. Die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien mag zwar eine verfassungsunmittelbare sein, sie ist dennoch nicht unantastbar.