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Soziale Gestaltungspflicht des Arbeitgebers bei betriebsbedingten Kündigungen

VERA HABE-MOTH

Der Kl war bei der Bekl in gehobener Position vor allem im Bereich der Fertigzerspanung tätig. Als er gekündigt wurde, focht er die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt, der OGH wies die außerordentliche Revision der Bekl zurück.

Vorfrage war, ob der Kl leitender Angestellter ist. Gem § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ist die Anfechtung einer Kündigung nach § 105 ArbVG ausgeschlossen, wenn sie einen leitenden Angestellten betrifft, dem maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebs zusteht.

Dem Vorbringen der Bekl, dass der Kl leitender Angestellter gewesen sei, weil er mit Ausnahme des Geschäftsführers der Bekl deren bestverdienender Mitarbeiter gewesen sei und er die Aufgabe gehabt habe, die Entscheidungsgrundlagen für Investitionen von bis zu 50 Mio € zu ermitteln und zu bewerten, folgte der OGH nicht. Nach stRsp des OGH begründet allein die Ermittlung und Bewertung von Entscheidungsgrundlagen für (und damit die Vorbereitung von) Investitionsentscheidungen nicht die Stellung als leitender Angestellter.

Das Schwergewicht der Revision lag jedoch auf der Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung und insb der Frage der sozialen Gestaltungspflicht der Bekl.

Das Gericht hat bei einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt werden. Erst wenn das Vorliegen einer Beeinträchtigung von Interessen des gekündigten AN zu bejahen wäre, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Bei der Prüfung des Vorliegens objektiver Rechtfertigungsgründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG ist zu fragen, ob der AG seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist. Eine objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird und der AG alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausschöpft, um trotz Rationalisierungsmaßnahmen den AN weiter zu beschäftigen. Die soziale Gestaltungspflicht verpflichtet den AG insoweit zum Anbot freier Arbeitsplätze, als diese der – gesamten, und nicht bloß der zuletzt ausgeübten – bisherigen Berufspraxis des AN entsprechen, auch wenn sie schlechter entlohnt sind. Unterlässt der AG dieses Anbot, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt.

Im gegenständlichen Fall bestand zwar eine spezielle Expertise des Kl zuletzt vor allem im Bereich der Fertigzerspanung, in welchem es keine offenen Stellen im Konzern gab. Es bestand nach den Feststellungen jedoch sehr wohl ein Tätigkeitsfeld des Kl in einem der weniger komplexen Kernbereiche, nämlich etwa Positionen mit geringerer Entlohnung im Bereich der Vorzerspanung; die Bekl hatte in erster Instanz auch selbst darauf hingewiesen, dass der Kl bis zu seiner Kündigung tatsächlich in diesem Bereich der Vorzerspanung eingesetzt wurde. Die Bekl hat dem Kl weder solche Positionen noch andere konzernintern ausgeschriebene „Leitungspositionen“ mit um etwa 50 % geringeren Bruttojahresverdienst angeboten.

Laut OGH ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Bekl ihrer sozialen Gestaltungspflicht im konkreten Einzelfall nicht nachgekommen ist, jedenfalls vertretbar. Die Kündigung war sozial ungerechtfertigt.