Fitting, Trebinger/Linsenmaier/Schelz/SchmidtBetriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung – Handkommentar
32. Auflage, Verlag Franz Vahlen, München 2024, XXXVII, 2.538 Seiten, gebunden, € 97,70
Fitting, Trebinger/Linsenmaier/Schelz/SchmidtBetriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung – Handkommentar
Zwei Jahre sind seit dem Erscheinen der Vorauflage ins Land gezogen. Diese Zeit ging weder am Autor:innenteam noch am Betriebsverfassungsrecht selbst spurlos vorüber: Die ehemalige Präsidentin des BAG, Ingrid Schmidt, zog sich als Autorin zurück, und so lag es an den übrigen vier Autor:innen, die zahlreichen neuen Bestimmungen (Zweites Gesetz zur Änderung des BetrVG, LieferkettensorgfaltspflichtenG etc) sowie mehr als 250 arbeitsrechtliche Entscheidungen in die Kommentierung einzuarbeiten.
Den wohl größten Einfluss auf das BetrVG hatte freilich ein strafrechtliches Ureil: Der BGH (10.1.2023, 6 StR 133/22) befasste sich mit der Verantwortung für eine gesetzwidrige Bemessung des Entgelts freigestellter Betriebsratsmitglieder. Diese in ihrer Begründung problematische (zB Bayreuther, NZA 2024, 946 [950]: „Rechtsprechung des BAG […] zu einem guten Stück verkannt“) und in ihren Auswirkungen katastrophale (zB Bayreuter, NZA 2024, 951: „provozierte Rechtstreitigkeiten [zur] „richterliche[n] Absicherung des Entgelts“) Entscheidung wurde mittlerweile durch „Fortschreibung“ der §§ 37, 78 BetrVG „saniert“. Ausgangspunkt bildet weiterhin die Anordnung, dass das Entgelt freigestellter Betriebsratsmitglieder nicht geringer bemessen werden darf als jenes „vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“ (§ 37 Abs 4 Satz 1 BetrVG). Wesentliche Konkretisierungen bzw Neuerungen gibt es jedoch bezüglich der Vergleichbarkeit mit anderen AN. Das betrifft sowohl den Zeitpunkt, an dem die Vergleichbarkeit zu beurteilen ist, als auch die Festlegung der Vergleichspersonen. Es ist nunmehr vorgesehen, dass ein Verfahren zur Konkretisierung vergleichbarer AN in einer BV geregelt werden kann sowie dass zwischen AG und BR die Vergleichspersonen für jedes Betriebsratsmitglied einvernehmlich festgelegt werden können; beides soll nachträglich nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar sein.
Diese neuen Bestimmungen ziehen eine Vielzahl neuer Rechtsfragen nach sich (zB Jacobs, BB 2024, 117), denen sich die Autor:innen ausgewogen und mit ausführlicher Einbeziehung von Literatur und Judikatur widmen. Hervorzuheben sind etwa die Ausführungen bezüglich des Fehlens vergleichbarer AN im Betrieb (§ 37 Rn 118) sowie der eingeschränkten Nachprüfbarkeit der zwischen AG und BR einvernehmlich festgelegten (und in Textform dokumentierten) Vergleichsgruppenbildung für das einzelne Betriebsratsmitglied (§ 37 Rn 119f). Größeres Augenmerk hätte allenfalls der Frage gewidmet werden können, welche Rechtswirkungen die Vergleichsgruppenbildung für das einzelne Betriebsratsmitglied zeitigt. Diese soll für das Betriebsratsmitglied „als Normunterworfener verbindlich“ sein (§ 37 Rn 119e). Das kann sich zwar auf die Materialien stützen (BT-Drs 20/9469, 10), findet im Wortlaut des Gesetzes aber keinen Niederschlag. Mit guten Gründen wird daher neuerdings die Auffassung vertreten, dass das Einvernehmen zwischen AG und BR nur „ein gesteigertes Beweisindiz“ für die Richtigkeit der Vergleichsgruppe darstelle (Bayreuther, NZA 2024, 948).
Hält man sich vor Augen, dass der Entwurf für die Novellierung der §§ 37, 78 BetrVG erst kurz vor der Drucklegung von der deutschen Bundesregierung beschlossen wurde und erst Monate nach dem Erscheinen der Neuauflage in Kraft trat, kann es den Autor:innen nicht zum Vorwurf gereichen, dass die neuen Bestimmungen noch nicht bis ins letzte Detail ausgelotet sind. Im Gegenteil: Anders als der ebenfalls 2024 neu erschienene Erfurter Kommentar sowie der am 1.6.2024 aktualisierte Beck’sche Online-Kommentar Arbeitsrecht bietet der Fitting bereits eine tiefschürfende Aufarbeitung des neuen Rechtsstoffes. Den zweifellos immensen Zeitdruck bei der Bearbeitung des § 37 BetrVG verrät dabei allein ein kleiner Fehler, der sich bei den Formalia eingeschlichen hat: auf Rn 119f folgt Rn 119e.