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Entlassung wegen potentiell genesungswidrigen Verhaltens im Krankenstand

GREGOR KALTSCHMID

Der Kl, der dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört, war bei der Bekl als Flüchtlingsbetreuer beschäftigt. An einem Morgen wandte er sich wegen Schmerzen im Nierenbereich an seine Hausärztin, die ihn krankschrieb. In der Arbeitsunfähigkeitsmeldung wurden keine Ausgehzeiten angeführt. Am späten Nachmittag desselben Tages ging der Kl in die Wiener Innenstadt, wo eine Demonstration mit 350 Teilnehmern stattfand, und gab dort ein Fernseh-Interview, in dem er sich politisch äußerte. Nachdem die Sendung ausgestrahlt worden war, sprach die Bekl die Entlassung aus.

Die Vorinstanzen wiesen die auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses gerichtete Klage ab.

Der OGH erachtete die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage für nicht zulässig und begründete seine Entscheidung wie folgt:

Nach stRsp des OGH muss sich ein DN im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so verhalten, dass seine Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird. Der AN muss deshalb nicht nur die Anordnungen des Arztes einhalten, sondern darf auch, wenn solche infolge der allgemeinen Lebenserfahrung entbehrlich sind, die Gebote der allgemein üblichen Verhaltensweisen nicht betont und offenkundig verletzen. Eine Verletzung dieser Verpflichtung, welche den AN des Vertrauens des DG unwürdig erscheinen lässt, berechtigt den AG nach § 27 Z 1 AngG zur vorzeitigen Entlassung.

Der Kl richtet sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Hausärztin, weil keine Ausgehzeiten genannt wurden, Schonung zu Hause verordnet habe und sich auch aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebe, dass die Teilnahme an einer Demonstration geeignet sei, den Genesungsprozess hinsichtlich der noch abzuklärenden Schmerzen zu verzögern. Angesichts der Tatsache, dass die Ursache der die Arbeitsunfähigkeit begründenden Schmerzen damals noch nicht abgeklärt war, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Teilnahme an der Demonstration unter diesen Umständen einen gravierenden Verstoß gegen Sorgfaltspflichten bedeute, nicht korrekturbedürftig. Im Übrigen ist die Frage, wie ärztliche Anordnungen zu verstehen und welche Verhaltensweisen aufgrund einer Erkrankung geboten sind, stets nach den Umständen 101 des Einzelfalls zu beurteilen und begründet deshalb für sich genommen keine erhebliche Rechtsfrage.

Soweit der Kl geltend macht, dass nicht festgestellt worden sei, dass sein Verhalten dem Heilungsverlauf abträglich gewesen sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nach stRsp nicht darauf ankommt, ob das Zuwiderhandeln tatsächlich zu einer Verlängerung des Krankenstands führt, sondern es genügt, dass das Verhalten geeignet war, den Heilungsprozess zu verzögern.

Der Kl meint, dass die Annahme eines Entlassungsgrundes sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art 11 EMRK verletze. Grundfreiheiten und Menschenrechte richten sich primär an den Staat, sind aber aufgrund einer mittelbaren Drittwirkung auch im Privatrecht zu beachten. Die durch sie verkörperten Wertungen sind deshalb aufgrund einer umfassenden Interessensabwägung auch bei der Auslegung des Arbeitsvertrags zu berücksichtigen. Damit ist für den Kl aber nichts gewonnen, weil die Versammlungsfreiheit des AN ihn nicht von seinen Dienstpflichten befreien kann, die er durch den Abschluss des Arbeitsvertrags freiwillig übernommen hat, sodass – wenn die Teilnahme an einer Versammlung eine Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit befürchten lässt – das Interesse des AG an der alsbaldigen Wiederherstellung der Arbeitskraft vorrangig bleibt. Im Übrigen liegt keine die Anrufung des OGH rechtfertigende Rechtsfrage vor, wenn der OGH die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt.

Die außerordentliche Revision des Kl war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.