Weisungsrecht und Gleitzeitarbeit – Zulässigkeit der Überstundenanordnung
Weisungsrecht und Gleitzeitarbeit – Zulässigkeit der Überstundenanordnung
Gleitzeitarbeit ermöglicht es AN, ihre Arbeitszeiten innerhalb eines vorgegebenen Rahmens selbst zu gestalten. Mitunter kann es jedoch aufgrund betrieblicher Erfordernisse notwendig sein, Überstunden anzuordnen. Dabei darf die Anordnung von Überstunden iSd Arbeitszeitgesetzes (AZG) aber nicht unverhältnismäßig sein oder die Gleitzeitvereinbarung gar aushebeln. Zur Beurteilung der Zulässigkeit empfiehlt sich eine Stufen-Prüfung, anhand der die Zulässigkeitskriterien strukturiert werden können.
Grundlegendes Merkmal des Gleitzeitmodells ist die Möglichkeit der AN, ihre Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Gem § 4b Abs 1 AZG sollen AN sowohl den Beginn als auch das Ende ihrer Arbeitszeit an einem Tag flexibel und selbstbestimmt gestalten.1 Weiters erfordert die Einführung eines Gleitzeitmodells iSd § 4b Abs 2 ArbVG eine (erzwingbare) BV (die Durchrechnung der Normalarbeitszeit ist im Ergebnis als Verteilung der Arbeitszeit gem § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG zu werten) oder in Betrieben, in denen kein BR eingerichtet wurde, eine schriftliche Vereinbarung mit den betroffenen AN. Dabei normiert § 4b Abs 3 AZG gewisse Mindestinhalte: So muss die jeweilige Vereinbarung kumulativ die Dauer der Gleitzeitperiode (Z 1), den Gleitzeitrahmen (Z 2), das Höchstausmaß allfälliger Übertragungsmöglichkeiten von Zeitguthaben und Zeitschulden in die nächste Gleitzeitperiode (Z 3) sowie Dauer und Lage der fiktiven Normalarbeitszeit (Z 4) festlegen.
Zentraler Inhalt der Gleitzeitvereinbarung ist zunächst die Gleitzeitperiode. Diese gibt den Zeitraum an, innerhalb dem die wöchentliche Normalarbeitszeit im Durchschnitt nicht überschritten werden darf. Unter „wöchentlicher Normalarbeitszeit“ ist dabei die 40-Stunden-Woche zu verstehen. Es handelt sich also um den spezifischen Durchrechnungszeitraum im Rahmen des Gleitzeitmodells. Die zulässige Länge der Gleitzeitperiode ist gesetzlich nicht determiniert. Es ist daher zulässig, mittels KollV Grenzen aufzustellen, wobei über „viele Monate gehende Gleitzeitperioden“ auf ihre Sittenwidrigkeit hin zu überprüfen sind. Am Ende der Gleitzeitperiode wird das bestehende Zeitguthaben – mangels Übertragungsmöglichkeit in die nächste Periode – zu Überstunden iSd § 6 Abs 1a AZG. Zeitschulden, die während der Gleitzeitperiode nicht ausgeglichen werden, führen demgegenüber, jedenfalls bei entsprechender Vereinbarung, zur Entgeltkürzung.2
Darüber hinaus hat die Vereinbarung den Gleitzeitrahmen festzulegen. Dieser erstreckt sich auf die Zeitspanne zwischen dem frühestmöglichen Arbeitsbeginn sowie dem spätestmöglichen Arbeitsende an den jeweiligen Arbeitstagen. Innerhalb dieses Rahmens kann der AN Beginn und Ende seiner Arbeitszeit frei festlegen.3
Zulässig ist auch die Vereinbarung einer Kernzeit, während der für die AN „Anwesenheitspflicht“ besteht. Um die geforderte Flexibilität der AN jedoch nicht zu weit einzuschränken, dürfen Kernzeitregelungen nicht schrankenlos festgelegt werden, sondern müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Normalarbeitszeit stehen.4
So vertritt etwa Jöst5 die Auffassung, dass AN ein Mindestmaß an selbstbestimmter Zeit von 25 % übrigbleiben muss. Vereinbarte Kernzeiten dürfen somit maximal 75 % der fiktiven Normalarbeitszeit ausmachen. Zudem normiert § 4b Abs 4 AZG („großes Gleitzeitmodell“), dass die Verlängerung der Normalarbeitszeit auf bis zu 12 Stunden (aufgrund der AZG-Novelle 2018) nur zulässig ist, sofern die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines ganztägigen Zeitausgleichs besteht.
Weiters hat die Vereinbarung das Höchstausmaß allfälliger Übertragungsmöglichkeiten von Zeitguthaben sowie Zeitschulden in die nächste Gleitzeitperiode festzulegen. Unzulässig sind dabei etwa Generalklauseln, wonach die jeweils vorhandenen offenen Zeitsalden übertragen werden bzw „ad-hoc-Vereinbarungen“ am Ende der Gleitzeitperiode. In der Gleitzeitvereinbarung ist daher die Anzahl der zu übertragenden 129 Plus- bzw Minusstunden klar festzulegen. Die zu übertragenden Zeitguthaben stellen diesfalls keine Überstunden dar, sondern werden dem Zeitkonto der nächsten Gleitzeitperiode 1:1 gutgeschrieben.6
Schließlich ist auch die Dauer und Lage der fiktiven Normalarbeitszeit zu determinieren. Sie definiert, zu welchen Zeiten die tägliche (fixe) Normalarbeitszeit ohne Gleitzeit beginnen und enden würde. Hintergrund dieser Regelung ist es, zu gewährleisten, dass das Risiko berechtigter Dienstverhinderungen nicht einseitig vom AG auf den AN abgewälzt wird. Dienstverhinderungen, die in die fiktive Normalarbeitszeit fallen, sind nämlich – selbst bei vereinbarter Gleitzeit – als Arbeitszeit zu behandeln. Daher sind Vereinbarungen, die lediglich Dienstverhinderungen innerhalb der Blockarbeitszeit bzw Kernzeit anrechnen, unzulässig.7
Grundsätzlich liegen Überstunden iSd § 6 Abs 1 Z 1 AZG vor, wenn die tägliche oder wöchentliche Normalarbeitszeit (nach § 3 Abs 1 AZG [8h/Tag bzw 40h/Woche]) überschritten wird. Auch bei Gleitzeitmodellen liegen Überstunden zum einen innerhalb des Gleitzeitrahmens vor, wenn die tägliche oder wöchentliche Normalarbeitszeit überschritten wird.
Überstunden entstehen dabei auch, wenn der AG in das Recht des AN zur freien Zeiteinteilung eingreift und zusätzliche Arbeitsstunden anweist, soweit diese zur Überschreitung von 8h/Tag oder 40h/Woche führen und der AN die „Normalarbeitszeit schon durch die Kernzeiten, Gleitzeiten oder auch bisherige (nicht zur Überschreitung dieser Grenzen führende) Anordnungen erreicht“. Schrank8 spricht hierbei von Anordnungs-Überschreitungsstunden, die zwingend Überstunden darstellen.
Das ergibt sich aus § 4b Abs 5 AZG, der auf § 3 Abs 1 AZG verweist, welcher wiederum die tägliche Normalarbeitszeit mit 8h bzw wöchentlich mit 40h festlegt. Da iSd § 4b Abs 5 AZG explizit eine Anordnung des AG gefordert wird, kann das bloße Dulden von Arbeit bzw das „Nicht-Heimschicken“ bei Überschreiten der entsprechenden Grenzen ohne Weisung jedoch noch nicht zur Überstunde führen. Dementsprechend empfiehlt sich ein klar kommuniziertes Stundenanordnungs- bzw Überstundengenehmigungssystem.9 Zudem sind Arbeitsleistungen, die außerhalb des Gleitzeitrahmens erbracht werden, als Überstunden zu qualifizieren.10
Schließlich können Überstunden ebenso am Ende einer Gleitzeitperiode anfallen: § 6 Abs 1a AZG normiert hierbei, dass Überstunden entstehen, wenn das am Ende der Gleitzeitperiode bestehende Zeitguthaben nicht in die nächste Gleitzeitperiode übertragen wird. Umgekehrt verursachen in die nächste Gleitzeitperiode übertragbare Guthaben keine Überstunden. Diese werden daher ohne Zuschlag in die nächste Periode übertragen. Ist das Zeitguthaben demgegenüber nicht übertragbar, sind die geleisteten Arbeitsstunden als Überstunden mit 50 % Zuschlag abzurechnen. Wird bloß die durch KollV verkürzte Normalarbeitszeit, nicht aber die gesetzliche Normalarbeitszeit überschritten, steht kein Überstundenzuschlag zu. Vielmehr gebührt der kollektivvertragliche Differenzstundenzuschlag.11
Abgesehen davon müssen die angeordneten Überstunden zulässig iSd § 19d Abs 3 AZG sein. Obwohl die erforderlichen Voraussetzungen lediglich für Teilzeitbeschäftigte (zur Mehrarbeit) gesetzlich normiert werden, sind diese Regelungen ebenso für Vollzeitbeschäftigte zu beachten.
Überstunden sind demnach zulässig, wenn
gesetzliche Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder der Arbeitsvertrag diese Möglichkeit vorsehen (Z 1),
ein erhöhter Arbeitsbedarf besteht bzw Vor- und Abschlussarbeiten dies erforderlich machen (Z 2) und
keine berücksichtigungswürdigen Interessen des AN entgegenstehen (Z 3).12
Die Zulässigkeit der Überstunde erfordert daher in einem ersten Schritt eine Rechtsgrundlage: Die Pflicht zur Überstundenarbeit ergibt sich idR aus dem Arbeitsvertrag, unter Umständen auch aus dem KollV (vgl etwa Pkt 13 Abs 3 des Sparkassen-KollV, § 3 Abs 2 des KollV für Arbeiter der Bauindustrie und des Baugewerbes) oder der BV (§ 97 Abs 1 Z 13 ArbVG, § 7 Abs 4 AZG).13 Gegebenenfalls kann ebenso aufgrund der Treuepflichten der AN im Rahmen der Beistandspflicht eine gesetzliche Pflicht zur Leistung von Überstunden begründet werden.14
In der Praxis enthalten idR die Arbeitsverträge sogenannte Überstundenvorbehalte, womit es dem 130AG ermöglicht wird, seine AN gegebenenfalls mittels Weisung zur Leistung von Überstunden zu verpflichten. Ungeachtet dessen rechtfertigt diese abstrakte, vertragliche Verpflichtung zur Leistung von Überstunden nicht automatisch die konkrete Weisung des AG.15
Die Beantwortung der Frage, ob Überstunden im Einzelfall mittels Weisung angeordnet werden können, erfordert zunächst eine Beurteilung der Einhaltung von Arbeitszeithöchstgrenzen: Gem § 9 AZG dürfen maximal 12 Stunden pro Tag bzw 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Abgesehen davon ist die maximale Anzahl zulässiger Überstunden iSd § 8 Abs 3 AZG (bei erhöhtem Arbeitsbedarf 20 Stunden pro Woche; bei Vor- und Abschlussarbeiten eine halbe Stunde pro Tag) zu beachten. Dementsprechend stellt auch die Weigerung des AN, darüber hinausgehende Überstunden zu leisten, keinen Entlassungsgrund dar.16
Zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem mit der AZG-Novelle BGBl I 2018/53 eingeführten Ablehnungsrecht des AN (§ 7 Abs 6 AZG „Freiwilligkeitsgarantie“) zu. Demnach können AN über die 10. Stunde pro Tag bzw 50. Stunde pro Woche hinausgehende Stunden grundlos ablehnen, ohne dadurch benachteiligt werden zu dürfen.17 Nach § 7 Abs 6 AZG sind AN somit berechtigt, Arbeitszeiten grundlos (ohne Vornahme einer Interessenabwägung) abzulehnen, bei denen es sich um Überstunden nach § 7 oder § 8 Abs 1 oder 2 handelt und die entweder die Tagesarbeitszeit von 10 Stunden oder die Wochenarbeitszeit von 50 Stunden überschreiten.18 Dementsprechend sind nicht sämtliche denkbare Überstunden von der Freiwilligkeitsgarantie umfasst, sondern bloß jene „nach § 7 und § 8 Abs 1 oder Abs 2“ AZG.
Beruhen Überstunden aber nicht auf §§ 7 f AZG, sondern beispielsweise in außergewöhnlichen Fällen auf § 20 AZG, ist das Ablehnungsrecht nach Klein/Gasteiger19 jedoch fraglich. Da die Bestimmungen des § 19d Abs 3 Z 1 und 2 AZG in außergewöhnlichen Fällen durch § 20 Abs 1 AZG vorübergehend ausgesetzt werden, wird die Pflicht zur Überstundenleistung hier somit nur mehr durch – im Rahmen einer Abwägung besonders stark zu wertende – berücksichtigungswürdige Interessen des AN aufgehoben werden können.20 Denn der Überstundenanordnung dürfen ebenso wenig berücksichtigungswürdige Interessen des AN entgegenstehen. Die Anordnung muss – innerhalb der vertraglichen und gesetzlichen Grenzen – daher stets verhältnismäßig sein, was im Ergebnis auf die Vornahme einer Interessenabwägung hinausläuft.21
Insgesamt lässt sich die Beurteilung der Zulässigkeit von Überstunden mE daher gut mittels Durchführung einer Stufen-Prüfung bewerkstelligen.
Der Stufen-Prüfung liegt der Gedanke zugrunde, dass das Weisungsrecht des AG durch verschiedene rechtliche Gestaltungsfaktoren begrenzt wird, die auf unterschiedlichen Ebenen zusammenwirken.
Auf erster Stufe ist dabei die individuelle Vereinbarung bzw vertragliche Grundlage zwischen AN und AG zu prüfen. So bedarf die Wirksamkeit von Überstundenanordnungen – wie bereits unter 2. erläutert – einer entsprechenden gesonderten Vereinbarung, deren Inhalt gegebenenfalls interpretativ zu ermitteln ist (gewöhnlich im Arbeitsvertrag, aber auch in KollV oder BV und ausnahmsweise durch Gesetz [Beistandspflicht] möglich).
Entspricht die Überstundenanordnung der verpflichtenden Grundlage (= 1. Stufe), sind im nächsten Schritt die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu prüfen, wobei die Überstundenanordnung insb nach dem AZG zulässig sein muss (= 2. Stufe). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Arbeitszeithöchstgrenzen sowie die maximale Anzahl an zu leistenden Überstunden (vgl dazu 2.).22
Besteht insoweit grundsätzlich eine Pflicht zur Überstundenarbeit, dürfen der Anordnung überdies keine berücksichtigungswürdigen Interessen des AN entgegenstehen. Das läuft auf die Vornahme einer Interessenabwägung (= 3. Stufe) hinaus, in der die betrieblichen Interessen des AG an der Leistung der Überstunde, den Interessen des AN am Unterbleiben der Überstunde (aus gewichtigen Gründen) gegenüberzustellen sind.
Im Rahmen dieser Abwägung– die schlussendlich über die Zulässigkeit der Überstundenanordnung 131entscheidet – sind mE verschiedene Kriterien miteinzubeziehen, die im Folgenden prägnant dargestellt werden. Zentral ist dabei, dass die jeweiligen Faktoren im Rahmen eines beweglichen Systems zusammenwirken. Dementsprechend müssen nicht alle Kriterien vorliegen bzw in ihrer Intensität gleich stark gegeben sein. Vielmehr kommt es auf ihr Zusammenspiel an, sodass einzelne stärkere vorhandene Kriterien andere schwache oder nicht vorhandene Merkmale aufwiegen können.
Neben den Voraussetzungen einer entsprechenden rechtlichen Grundlage zur Anordnung von Überstunden sowie der Einhaltung der Arbeitszeithöchstgrenzen wird es mA nach vor allem – speziell für Überstunden bei Gleitzeitmodellen – auf folgende Umstände ankommen:
Zunächst ist klar, dass die Anordnung von Überstunden nur zulässig sein kann, sofern ein entsprechender erhöhter Arbeitsbedarf aufgrund betrieblicher Notwendigkeiten besteht. Die Überstunden müssen daher unvermeidlich zur Arbeitsbewältigung sein und dürfen nicht durch andere Maßnahmen, wie den Einsatz (noch nicht ausgelasteter) anderer Mitarbeiter:innen, aufgefangen werden können.23 Umso stärker der Überstundenbedarf ist, umso schwerwiegender werden die entgegenstehenden AN-Interessen zur Rechtfertigung einer allfälligen Verweigerung sein müssen.24
Schrank25 zählt als typische Kriterien für die Bedarfsinteressen des AG zusammengefasst etwa die
„Unvorhersehbarkeit oder Gestaltbarkeit des Ausfalls der Arbeit anderer;
die zeitliche Dringlichkeit (technische ebenso wie kundenbedingte oder sonstige Termingebundenheit) der zu verrichtenden Arbeiten,
Abhängigkeit der Arbeit anderer AN von der Mitarbeit des AN (zB eines Spezialisten);
Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit des Umdisponierens, insb auf andere AN mit keinen oder geringeren Gegeninteressen,
drohende wirtschaftliche Nachteile (auch ohne Pönalezahlungen, aber Kundenverlustgefahr) nach Größe, Gewicht, Bedeutung“ auf.
Zentrale jedenfalls zu berücksichtigende AN-Interessen liegen demgegenüber zB in der Betreuungspflicht von pflegebedürftigen Familienangehörigen oder Kindern und damit im „Bedürfnis eines ausreichenden Eltern-Kind-Kontakts“.26 Sie können sich aber nicht nur auf familiäre Pflichten, sondern auch auf andere Erwerbstätigkeiten beziehen.27 Außerdem ergeben sich bereits gewisse Verbote aus dem MSchG sowie dem VKG bzw aus § 13a AVRAG (Wiedereingliederungsteilzeit).28
Entsprechend zu berücksichtigen sind neben familiären Betreuungspflichten auch Freizeitverpflichtungen wie beispielsweise die Mitgliedschaft bei einem Rettungsdienst. Darüber hinaus kann die Nutzung von Bildungs- und Kulturangeboten, wie zB Sprachkursen, der Anordnung entgegenstehen. Auch Nachteile beim Arbeitsweg, etwa schlechtere Busverbindungen oder das „Interesse an Freizeit am Wochenende und in der Nacht“, müssen berücksichtigt werden.29
Schrank30 ergänzt diese Kriterien etwa ebenso um angemessene Interessen im gesellschaftlichen, kulturellen oder politischen Bereich sowie wichtige Termine von „hoher gesellschaftlich-sozialer Üblichkeit“ wie zB gewichtige Hochzeitstage oder (eigene) Geburtstage (von Familienangehörigen).
Besonders entscheidend ist mE ebenso der Erhalt der für Gleitzeitmodelle typischen Flexibilität des AN. Die zeitliche Souveränität des AN darf daher nicht gänzlich ausgehebelt werden. Überstunden sollten bei Gleitzeitarbeit – soweit möglich – grundsätzlich nur vereinzelt bzw insofern angewiesen werden, als AN weiterhin in der Lage sind, Arbeitsbeginn und -ende innerhalb des vereinbarten Gleitzeitrahmens selbst zu wählen, auch wenn Überstunden erforderlich sein sollten. Andernfalls wird die Grundidee der Gleitzeit verletzt. Ein ähnliches Szenario würde sich durch die Verpflichtung ergeben, dauerhaft über die Kernzeit hinaus im Betrieb anwesend zu sein. Unverhältnismäßig wäre mE etwa die ursprüngliche Kernzeit von 08:00-14:00 Uhr dauerhaft oder regelmäßig durch die Überstundenanordnung de facto auf 07:00-17:00 Uhr zu erstrecken.
Ausschlaggebend sind daher wohl auch Häufigkeit und Umfang der angeordneten Überstundenarbeit. Zum einen ergibt sich dieses Kriterium bereits aus dem Gesetz. So begrenzt § 8 Abs 3 AZG die maximale Anzahl zulässiger Überstunden bei erhöhtem Arbeitsbedarf mit 20 Stunden pro Woche sowie bei Vor- und Abschlussarbeiten mit einer halben Stunde pro Tag. Zum anderen kann die regelmäßige Anordnung von Überstunden darauf hinweisen, dass die normale Arbeitszeitplanung nicht ausreichend ist, um das tatsächliche Arbeitsvolumen abzudecken. Während gelegentliche Überstunden in einem vertretbaren Umfang zumutbar sein werden, sind Über132stunden, die regelmäßig erteilt werden, sodass der AN Arbeitsbeginn und -ende faktisch nicht mehr selbst wählen kann (zB täglich über einen längeren Zeitraum hinweg), mE hingegen wohl als unverhältnismäßig anzusehen. Schließlich schränken sie die Flexibilität der AN zu stark ein und können zu einer dauerhaften Mehrbelastung führen. Gleiches gilt im Übrigen für den Umfang der Überstunden.31
Die Anordnung von Überstunden hat überdies rechtzeitig zu erfolgen. Da die Rechtzeitigkeit hierbei aber an keine Frist gebunden ist, gilt, je früher der AN über die Notwendigkeit der Überstundenarbeit informiert wird, desto eher kann er sich darauf einstellen. Auch dieser Umstand ist zu berücksichtigen, wobei das Ausreichen der Ankündigungszeit wohl nur anlassbezogen beurteilt werden kann.32
Schließlich ist ebenso das Zeitguthaben des betroffenen AN mitzuberücksichtigen und vom AG im Auge zu behalten. AN, die bereits einige Gutstunden angesammelt haben, werden tendenziell wohl weniger zu Überstunden herangezogen werden als AN, bei denen das nicht der Fall ist bzw die auf ihrem Arbeitszeitkonto womöglich sogar Zeitschulden aufweisen. Ist noch nennenswertes Zeitguthaben vorhanden, sollte dem AN daher vor der Anordnung weiterer Arbeits- bzw Überstunden zunächst die Möglichkeit gegeben werden, das Guthaben abzubauen. Wird der AN hingegen, bei einem ausreichendem Zeitguthaben, weiterhin zur Leistung von Überstunden angehalten, kann dieser Umstand mE mitunter zur Unverhältnismäßigkeit führen.33
Die Anordnung von Überstunden in der Gleitzeitarbeit muss so gestaltet sein, dass das Gleitzeitmodell nicht übermäßig eingeschränkt oder gar ausgehebelt wird. AG dürfen Überstunden daher nur anordnen, sofern diese im Rahmen der (vertraglichen) Grundlage sowie den gesetzlichen Grenzen zulässig sind. Bedeutend kann zudem die Durchführung einer Interessenabwägung sein, in der verschiedene Kriterien in einem beweglichen System berücksichtigt werden müssen (betriebliche Notwendigkeit, kollidierende persönliche AN-Interessen, Flexibilitätsbeeinträchtigungen iSd Häufigkeit und dem Umfang der Überstunden, Rechtzeitigkeit der Anordnung, vorhandenes Zeitguthaben).