58Änderung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes ist auch im Rechtsmittelverfahren beachtlich
Änderung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes ist auch im Rechtsmittelverfahren beachtlich
Die Kl, ihr Lebensgefährte und das am 7.7.2022 geborene gemeinsame Kind leben im gemeinsamen Haushalt in Österreich. Beide Elternteile sind in Liechtenstein unselbständig erwerbstätig. Die Kl bezog bis 20.9.2022 volles Entgelt aus ihrem Dienstverhältnis, direkt im Anschluss bis 13.11.2022 eine liechtensteinische „wochengeldähnliche Leistung“ sowie zudem eine einmalige Geburtszulage von CHF 2.300,-. Seit 1.7.2022 bezieht sie die liechtensteinische Kinderzulage von CHF 280,- im Monat. Die Kl bezieht keine Familienbeihilfe aus Österreich. Die Bekl wies den Antrag der Kl auf Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes als Konto für den Zeitraum 14.11.2022 bis 28.12.2023 ab.
In ihrer Klage begehrte die Kl die Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes als Konto in der Variante 410 Tage für den Zeitraum 14.11.2022 bis 28.12.2023. Die Bekl hielt entgegen, Österreich sei für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld weder vor- noch nachrangig zuständig, weshalb auch kein Anspruch auf einen Unterschiedsbetrag bestehe. Selbst nach den innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen bestehe der Anspruch maximal für 410 Tage ab der Geburt, somit längstens bis 20.8.2023, scheitere aber daran, dass die Kl keine Familienbeihilfe aus Österreich beziehe.
Das Erstgericht wies die Klage ab und auch das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. In ihrer außerordentlichen Revision macht die Kl geltend, während des Berufungsverfahrens sei § 2 Abs 1 Z 1 KBGG durch BGBl I 2023/115 rückwirkend ab 1.2.2023 dahin geändert worden, dass die Anspruchsvoraussetzungen zumindest ab diesem Zeitpunkt erfüllt seien. Das Berufungsgericht hätte die Rechtsänderung von Amts wegen beachten müssen. Dass Österreich nach Art 11 VO (EG) 883/2004 keine internationale Zuständigkeit hat, war im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Im Revisionsverfahren ging es um die Frage, ob die Kl aufgrund einer Rechtsänderung während des Berufungsverfahrens die nationale Anspruchsvoraussetzung in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG erfüllt.
Der OGH entschied, dass die außerordentliche Revision der Kl zulässig, weil die durch BGBl I 2023/115 geänderte Rechtslage zu beachten ist, und teilweise auch berechtigt ist.
Der OGH erörterte, dass gem § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF vor BGBl I 2023/115 Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für ein Kind nur bestand, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl Nr 376, besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird. § 2 Abs 1 Z 1 KBGG wurde durch die Novelle dahin geändert, dass an den bisherigen Wortlaut die Wortfolge „oder für dieses Kind nur deswegen kein Anspruch besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige Leistung aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz besteht und diese tatsächlich bezogen wird“ angefügt wurde. § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2023/115 trat mit 1.2.2023 in Kraft.
Das durch die Klage des Versicherten im Rahmen der sukzessiven Kompetenz eingeleitete gerichtliche Verfahren ist kein Rechtsmittelverfahren und hat daher keine kontrollierende Funktion. Das Gericht prüft vielmehr selbständig den geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch. Es ist daher grundsätzlich die Rechtslage zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgebend. Allerdings hat das Gericht – auch das Rechtsmittelgericht – auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Bei Dauerrechtsverhältnissen ist im Fall einer Gesetzesänderung mangels anders lautender Übergangsbestimmungen für den Zeitraum bis zum Wirksamwerden der Novellierung die alte Rechtslage anzuwenden und ab dann die neue. Der OGH hat bereits klargestellt, dass auch die Anspruchsberechtigung auf Kinderbetreuungsgeld nach seiner gesetzlichen Konzeption, die auf die laufende Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, also nicht nur zu einem bestimmten Stichtag, abstellt, wie ein Dauerrechtsverhältnis zu behandeln ist. Im vorliegenden Fall, in dem das Übergangsrecht keine andere Anordnung trifft, ist daher zwischen dem Zeitraum von 14.11.2022 bis 31.1.2023 einerseits und dem Zeitraum von 1.2. bis 28.12.2023 zu unterscheiden.
Zur Anspruchsberechtigung bis 31.1.2023 sind die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen mit Teilurteil zu bestätigen.
Zur Anspruchsberechtigung ab 1.2.2023 hielt der OGH wie folgt fest:
Die Anwendung des Koordinierungsrechts darf nicht dazu führen, dass AN oder Selbständigen, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht haben, die Vorteile der sozialen Sicherheit, die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bestehen, entzogen oder gekürzt werden. Der Anspruch der Kl ist daher auch dann berechtigt, wenn er sich allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften ergibt.
Die Bekl bestritt – für den Fall, dass österreichisches Recht zur Anwendung komme – ausschließlich die Erfüllung der Voraussetzung des § 2 Abs 1 126 Z 1 KBGG. Die für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum von 1.2. bis 28.12.2023 anwendbare Bestimmung idF BGBl I 2023/115 wird von der Kl ab 1.2.2023 jedenfalls erfüllt.
Nach den Feststellungen beantragte die Kl das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto „in der Variante 410 Tage für den Zeitraum 14.11.2022 bis 28.12.2023“. Die Bekl legt den Antrag dahin aus, dass sie das im Antrag angegebene Datum des gewünschten Bezugsendes (28.12.2023) als unmaßgeblich erachtet und ausschließlich auf die angegebene Anzahl der Tage (410) abstellt, die nach den Erläuterungen im Antragsformular stets ab der Geburt des Kindes gerechnet sind.
Mit der Formulierung „ab Geburt des Kindes“ in § 5 Abs 1 KBGG wird klargestellt, dass hinsichtlich der längst möglichen Bezugsdauer immer ab der Geburt des Kindes gerechnet wird; die Anspruchsdauer beginnt ab der Geburt zu laufen. In allen Fällen, in denen der tatsächliche Bezug von Kinderbetreuungsgeld nicht bereits mit der Geburt des Kindes beginnt, kommt es dazu, dass die nicht in Anspruch genommenen Tage verfallen. Sie führen weder zu einer späteren Verlängerung noch zu einer Erhöhung der (Rest-)Leistung.
Im vorliegenden Fall ist der Antrag der Kl insofern unklar, als die gewählte Bezugsdauer (410 Tage) dann, wenn man den Hinweis auf dem Antragsformular zugrunde legt, dass die beantragten Tage immer ab der Geburt des Kindes gerechnet werden, mit dem gewählten Enddatum in Widerspruch steht. Die Frage, wie der Antrag der Kl auszulegen ist, wurde mit den Parteien im Verfahren noch nicht erörtert, sodass zum Zeitraum der Anspruchsberechtigung keine Entscheidungsreife besteht. Das führt hinsichtlich des Anspruchs für den Zeitraum ab 1.2.2023 zur Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht erster Instanz.