55Covid-19-Infektion bei verpflichtender Tagung in Therapiezentrum – Berufskrankheit?
Covid-19-Infektion bei verpflichtender Tagung in Therapiezentrum – Berufskrankheit?
Geschützt werden die Versicherten mit anderen Worten nicht, weil sie eine spezielle gefahrenträchtige Tätigkeit ausüben, sondern (bereits) deshalb, weil sie bei generell-abstrakter Betrachtung in einem gefahrenträchtigen Unternehmen beschäftigt sind.
Die Kl ist im Krankenhaus * als Leiterin der Personalabteilung angestellt. Vor Ort hatte sie regen Kontakt zum Personal, jedoch nur ausnahmsweise zu Patienten. Vom 27. bis 28.9.2022 nahm sie an einer verpflichteten HR-Tagung im Neurologischen Therapiezentrum * teil. Am 1.10.2022 wurde sie positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Auch bei anderen Tagungsteilnehmern erfolgte ein positiver Test. Am 23.7.2023 wurde bei der Kl ein hochgradiger Verdacht auf eine Post-Covid-Erkrankung diagnostiziert.
Mit Bescheid vom 3.4.2023 hat die Bekl die Anerkennung als Berufskrankheit und die Gewährung von Leistungen aus der UV abgelehnt.
Mit der Klage wurde die Feststellung, dass es sich einerseits bei der Erkrankung um eine Berufskrankheit handelt und andererseits die Bekl zur Leistung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu verpflichten, begehrt. Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Durch die Teilnahme an der verpflichtenden Tagung im Neurologischen Therapiezentrum * sei die Kl in einem unter der Nr 38 der Anlage 1 angeführten Listenunternehmen tätig geworden. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs zur Klarstellung der Frage zu, ob die Teilnahme an einer Tagung in einem geschützten Unternehmen als Beschäftigung iSd § 177 Abs 1 ASVG anzusehen sei. Die Bekl begehrte mit dem Rekurs die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung sowie hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht.
Der Rekurs ist jedoch entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[12] Nach § 177 Abs 1 ASVG iVm Nr 38 der Anlage 1 gelten Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die Personen zur Kur und Pflege aufnehmen, in öffentlichen Apotheken, in Einrichtungen der Fürsorge, in Schulen, Kindergärten und Säuglingskrippen, im Gesundheitsdienst, in Laboratorien für wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen und Versuche, in Justizanstalten und Hafträumen der Verwaltungsbehörden oder in Unternehmen, in denen eine vergleichbare Gefährdung besteht, verursacht wurden.
[13] 2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die in Nr 38 der Anlage 1 aufgezählten Unternehmen dadurch gekennzeichnet sind, dass die dort beschäftigten Personen nach durchschnittlicher Betrachtung und im Regelfall in einem ganz besonderen Ausmaß der Gefahr von Ansteckungen ausgesetzt sind. […]
[14] 3. Erst kürzlich hat sich der Senat mit der auch hier maßgeblichen Frage befasst, ob zwischen den Beschäftigten eines durch die Nr 38 der Anlage 1 ausdrücklich geschützten Unternehmens zu differenzieren ist, und hat in diesem Zusammenhang […] (neuerlich) die rechtspolitische Zielsetzung hinter Nr 38 der Anlage 1 betont, Personen einen Schutz zu bieten, die wegen ihrer Erwerbstätigkeit in einem der dort bezeichneten Unternehmen in einer besonderen Ansteckungsgefahr schweben. Spalte 3 der Nr 38 der Anlage 1 nennt daher pauschalierend jene Einrichtungen, die aus Sicht des Gesetzgebers ihrer Typizität nach für die dort Beschäftigten ein erhöhtes Risiko der Ansteckung mit Infektionskrankheiten mit sich bringen (10ObS39/23t&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 39/23t Rz 17, 25; vgl schon 10ObS149/22t&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 149/22t Rz 24, 54).
[15] Die signifikante Erhöhung des Infektionsrisikos gegenüber der allgemein bestehenden Ansteckungsgefahr, die jeden Erwerbstätigen trifft, der in einem intensiven, ständigen Kontakt mit anderen – im Regelfall gesunden – Menschen steht, ist vor dem Hintergrund dieser ratio nicht Tatbestandsmerkmal der Regelung; sie ist vielmehr der Grund für die Aufnahme bestimmter Unternehmen in die Spalte 3 der Nr 38 der Anlage 1. Geschützt werden die Versicherten mit anderen Worten nicht, weil sie eine spezielle gefahrenträchtige Tätigkeit ausüben, sondern (bereits) deshalb, weil sie bei generell-abstrakter Betrachtung in einem gefahrenträchtigen Unternehmen beschäftigt sind (vgl RS0134302). Dieses Konzept spiegelt sich auch in der Generalklausel der Nr 38 der Anlage 1 wider, die – anders als die deutsche Regelung betreffend Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten (BK 3101 […]) – auf andere „Unternehmen“ und nicht auf eine andere „Tätigkeit“ mit vergleichbarer Gefährdung abstellt […].
[16] Mangels eines eindeutig für eine Differenzierung sprechenden Gesetzeszwecks ist daher auf Basis des Gesetzeswortlauts grundsätzlich davon auszugehen, dass alle in einem geschützten Unternehmen Beschäftigten unabhängig von ihrer konkreten Tätigkeit Versicherungsschutz genießen […].
[17] 4. In Auseinandersetzung mit der Stellungnahme von Tomandl […] zur Abgrenzung der geschützten 121Personen(-gruppen) sowie mit älteren Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien, die auf die konkrete Art der Tätigkeit der im geschützten Unternehmen Beschäftigten abstellten […], hat der Senat bereits in der zuvor angeführten Entscheidung weiterführend dargelegt, dass dieses Ergebnis einer teleologischen Reduktion im Sinn der Ausführungen von Tomandl – und letztlich auch im Sinn der vormaligen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien – nicht generell entgegen steht, ist doch auch nach Auffassung von Tomandl nicht auf ein tatsächlich höheres oder niedrigeres Risiko der Tätigkeit abzustellen; vielmehr sollen nur solche (ganz eindeutigen) Fälle vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, bei denen der Betroffene dem Risiko einer Infektion gar nicht ausgesetzt sei, nicht aber Beschäftigte – wie externe Handwerker –, deren Tätigkeit es bedingt, dass sie mit der abstrakten Ansteckungsgefahr auch nur kurz in Berührung kommen.
[18] Ob eine teleologische Reduktion in diesem „Randbereich“ angezeigt ist, konnte in dieser Entscheidung aber ausgehend von der konkret zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation offengelassen werden, weil die von der dortigen Klägerin konkret ausgeübte Tätigkeit einer Schulpsychologin mit direktem Kontakt zu Schülern jedenfalls nicht diesem Bereich zuzuordnen ist. […].
[19] 5. Das Berufungsgericht gelangte nun unter Beachtung dieser Leitlinien und auf Basis der Annahme, es könne im vorliegenden Fall keine Rede davon sein, dass die Klägerin im Rahmen eines dienstlichen Besuchs einer Tagung in einem Therapiezentrum dem typischen Infektionsrisiko einer solchen geschützten Gesundheitseinrichtung gar nicht ausgesetzt gewesen sei, zur Auffassung, schon aufgrund dieser beruflichen Tätigkeit in einem durch Nr 38 der Anlage 1 ausdrücklich geschützten Unternehmen genieße die Klägerin grundsätzlich Versicherungsschutz für die Zeit der Teilnahme an der Tagung. […]
[21] 5.1. Es ist davon auszugehen, dass die typische Gefährdung von Beschäftigten in Krankenhäusern und sonstigen Gesundheitseinrichtungen im Sinn der Nr 38 der Anlage 1 bei generell-abstrakter Betrachtung darauf zurückzuführen ist, dass diese in den besagten Einrichtungen mehr als gewöhnlich Krankheitserregern ausgesetzt sind, wobei es zu dieser Exposition […] nicht etwa nur im Zuge des unmittelbaren Patientenkontakts kommt […]; vielmehr führt schon der bloße Umstand, dass sich (infizierte) Patienten bestimmungsgemäß in den Räumlichkeiten dieser Anstalten aufhalten, dazu, dass (auch nicht zum medizinischen Personal zählende) Beschäftigte eher als in anderen Unternehmensbetrieben mit kontaminierten Gegenständen und Flächen sowie infektiösen Aerosolen in Berührung kommen.
[22] Mit Blick auf diese Überlegung kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit im Neurologischen Therapiezentrum * gerade jener abstrakt erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt war, deretwegen die in Frage stehenden Einrichtung Aufnahme in die Spalte 3 der Nr 38 der Anlage 1 gefunden hat. Der bloße Umstand, dass die Klägerin im Zuge der Teilnahme an der Tagung keinen unmittelbaren Kontakt zu Patienten gehabt haben mag, spielt vor diesem Hintergrund keine entscheidende Rolle.
[23] 5.2. Dass die Klägerin anlässlich der Tagungsteilnahme im Therapiezentrum gar nicht in den abstrakten Gefahrenbereich des geschützten Unternehmens gelangte (etwa weil die Tagungsräumlichkeiten in einem externen, nicht für den Patientenverkehr bestimmten Gebäudekomplex des Therapiezentrums gelegen sein mögen), behauptet die Beklagte im Verfahren nicht. Damit ist aber der von ihr ins Treffen geführten teleologischen Reduktion im Sinn der zuvor erwähnten Ausführungen Tomandls von vornherein der Boden entzogen. […]
[24] 5.3. Wieso schließlich die dienstlich verpflichtende Teilnahme der Klägerin an einer Tagung in dem Gebäude eines geschützten Unternehmens keine berufliche Beschäftigung in diesem Unternehmen iSd Nr 38 der Anlage 1 darstellen soll […], vermag die Beklagte nicht nachvollziehbar darzulegen. Sie postuliert sinngemäß, die Annahme einer solchen Beschäftigung erfordere eine – hier nicht vorliegende – Arbeitsleistung oder Interessenförderung gerade zugunsten jenes Betriebs, in dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt werde, führt aber keine stichhaltigen Argumente an, weshalb es darauf ankommen soll, in wessen Interesse der im Unternehmen Beschäftigte tätig wird. Insbesondere unterbleibt eine Auseinandersetzung mit dem schon angesprochenen Telos hinter Nr 38 der Anlage 1, all jenen Personen Schutz zu bieten, die wegen ihrer Erwerbstätigkeit in einem der dort bezeichneten Unternehmen in einer besonderen Ansteckungsgefahr schweben. Wieso angesichts dieser rechtspolitischen Zielsetzung die von der Beklagten geforderte Einschränkung sachlich gerechtfertigt sein soll, bleibt gänzlich unbegründet.
Als Berufskrankheiten gelten gem § 177 Abs 1 ASVG die in der Anlage 1 („Berufskrankheitenliste“) angeführten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch die versicherte Beschäftigung in einem der in Spalte 3 genannten Unternehmen verursacht wurde. In der Berufskrankheitenliste sind Krankheiten aufgelistet, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht werden und bestimmte Gruppen von Beschäftigten diesen Einwirkungen in einem höheren Grade als der Rest der Bevölkerung ausgesetzt sind. Derzeit hat die Berufskrankheitenliste 73 Positionen, wobei vorranging auf die schädigenden Einwirkungen (zB Nr 6.2.7. Erkrankungen durch Kohlenmonoxid) Bezug genommen wird und nur in einzelnen Fällen eine konkrete Krankheit genannt wird (zB Nr 5.3.2. Grauer Star). Es ist festzuhalten, dass die Liste jedenfalls nicht alle berufsbedingten Krankheiten umfasst. Krankheiten die nicht in der Liste genannt sind, können zwar über die sogenannte Generalklausel in § 177 Abs 2 ASVG anerkannt werden, jedoch nur 122wenn diese Krankheiten auf die ausschließliche oder überwiegende berufsbedingte Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen zurückzuführen sind. Durch die Berufskrankheitenliste und Generalklausel sind somit nicht alle berufsbedingten Krankheiten (zB psychische Erkrankungen) abgesichert. Hinsichtlich dieses lückenhaften Schutzes hat der OGH betreffend die Generalklausel bereits klargestellt: „Der Wortlaut des § 177 Abs 2 oder des § 92 Abs 3 B-KUVG und die dargelegte Entstehungsgeschichte zeigen klar, dass der Gesetzgeber der 32. ASVG-Novelle mit der Schaffung dieser Normen nicht auf eine Lückenlosigkeit des Systems zielte, in dem jede irgendwie mit der Berufstätigkeit in Zusammenhang stehende Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen ist. Nach Auffassung des Senats liegt die Entscheidung für ein nicht auf Lückenlosigkeit abzielendes Regelungssystem der Berufskrankheiten im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Sozialversicherungsgesetzgebers (RS0120384).“
Die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit ist somit nur im angeführten, teilweise engen Rahmen möglich. Findet sich eine Krankheit auf der Berufskrankheitenliste, schließt dies die Generalklausel aus. COVID-19 war unter Nr 38 der Berufskrankheitenliste (alt) „Infektionskrankheiten“ zu subsumieren. Seit 1.3.2024 finden sich im Zuge der „Modernisierung der Berufskrankheitenliste“ die Infektionskrankheiten unter Nr 3.1. der Berufskrankheitenliste (neu).
Infektionen sind daher nur als Berufskrankheit geschützt, wenn diese auf eine Beschäftigung in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die Personen zur Kur und Pflege aufnehmen, öffentlichen Apotheken, ferner Einrichtungen und Beschäftigungen in der öffentlichen und privaten Fürsorge, in Schulen, Kindergärten und Säuglingskrippen und im Gesundheitsdienst sowie in Laboratorien für wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen und Versuche sowie in Justizanstalten und Hafträumen der Verwaltungsbehörden bzw in Unternehmen, in denen eine vergleichbare Gefährdung besteht, eintreten.
In der gegenständlichen E musste sich der OGH mit der Frage auseinandersetzen, ob auch externe Schulungsteilnehmer vom geschützten Personenkreis umfasst sind, wenn die Schulung in einem „Listenunternehmen“ stattfindet. Der OGH hat dies unter mehrmaligen Verweisen auf die E 10 ObS 39/23t vom 21.11.2023 (dazu Bischofreiter OGH10 ObS 39/23t DRdA 2024/49) bejaht, da diese Personen nicht einem „Randbereich“ angehören, bei dem das Risiko einer Infektion gar nicht vorliegt. Die Schulungsteilnehmer waren gerade jener abstrakt höheren Infektionsgefahr ausgesetzt, weswegen das Unternehmen in die Liste aufgenommen wurde.