51Verpflichtung zur Mitwirkung am Berufsfindungsverfahren auch im Verfahren über die Entziehung einer Invaliditätspension
Verpflichtung zur Mitwirkung am Berufsfindungsverfahren auch im Verfahren über die Entziehung einer Invaliditätspension
Die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit betrifft einen für die Entziehung der Invaliditätspension nach § 99 Abs 1 ASVG relevanten Umstand, der aufgrund der unberechtigten Weigerung des Kl, sich am Berufsfindungsverfahren zu beteiligen, nicht beurteilt werden kann. Die Weigerung, sich der für das Verfahren nach § 99 Abs 1 ASVG notwendigen Beobachtung zu unterziehen, stellt demgemäß einen Grund für die Entziehung nach § 99 Abs 2 ASVG dar.
Der 1969 geborene Kl genießt Berufsschutz als Universalschweißer. In der Zeit von 1.8.2006 bis 31.1.2014 bezog er eine befristete Invaliditätspension, daran anschließend bis 30.6.2016 Rehabilitationsgeld und ab 1.7.2016 eine unbefristete Invaliditätspension. Diese wurde dem Kl mit Bescheid der Bekl vom 25.1.2019 mit Ablauf des Monats Februar 2019 entzogen, weil ihm die Ausübung einer berufsschutzerhaltenden Tätigkeit wieder möglich sei.
Mit Klage begehrte der Kl die Weitergewährung der Invaliditätspension. Das Verfahren befand sich bereits im dritten Rechtsgang. Im zweiten Rechtsgang hatte das Berufungsgericht mit rechtskräftigem Teilurteil ausgesprochen, dass das Klagebegehren über den 28.2.2019 hinaus bis 31.7.2020 dem Grunde nach zu Recht besteht und stellte fest, dass auch ab 1.8.2020 Invalidität voraussichtlich dauerhaft besteht. Gegenstand des Verfahrens war daher nur noch, ob der Weitergewährung der Invaliditätspension über den 31.7.2020 hinaus entgegensteht, dass der Kl im Juli 2020 ein Berufsfindungsverfahren abgebrochen hat.
Der Kl brachte vor, das Berufsfindungsverfahren aus rein medizinischen Gründen und daher berechtigt abgebrochen zu haben. Da ihm aufgrund seines Zustandes weitere Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zumutbar seien, liege keine Verletzung der Mitwirkungspflicht vor. Die Bekl behauptete, dass der Kl mittlerweile umschulbar geworden sei und nach § 305 iVm § 366 ASVG auch verpflichtet gewesen sei, an Berufsfindungsmaßnahmen mitzuwirken.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Aus § 366 Abs 4 ASVG ergäbe sich, dass der Antrag auf Invaliditätspension im Fall der mangelnden Mitwirkung in einen Antrag auf Feststellung der Invalidität umgewandelt werde und auch im Entziehungsverfahren aus der Bestimmung folge, dass die auf Weitergewährung der Leistung gerichteten Klage mangels Mitwirkung zwar abzuweisen, aber dennoch gem § 255a ASVG festzustellen sei, dass Invalidität voraussichtlich dauerhaft vorliege. Im Anlassfall stehe fest, dass dem Kl trotz gesundheitlicher Einschränkungen die Teilnahme am Berufsfindungsverfahren zumutbar gewesen wäre. Der Abbruch des Verfahrens am 28.7.2020 stelle somit eine Verletzung der Mitwirkungspflicht dar, weshalb ab August 2020 kein Anspruch auf Invaliditätspension mehr bestehe. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu.
Die Revision ist aus der Sicht des OGH jedoch nicht zulässig.
1. Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass die Entziehung einer laufenden Leistung nach § 99 Abs 1 ASVG zulässig ist, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben bzw die Leistungsvoraussetzungen weggefallen sind […]. Er bezweifelt auch nicht, dass die Beklagte berechtigt war, im gerichtlichen Verfahren die Verletzung der Mitwirkungspflicht als zusätzlichen Entziehungsgrund geltend zu machen, obwohl sie diesen für die Begründung des angefochtenen Bescheids nicht herangezogen hatte […].
2. In der Revision bekämpft er vielmehr nur die Anwendung des § 366 Abs 4 ASVG durch die Vorinstanzen und meint, dieser stelle explizit nur auf die „antragstellende Person“ ab und sei daher im Fall der Entziehung nicht anwendbar. Die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit knüpfe zudem offenkundig 114 an den Zeitpunkt der Gewährung der Pension an und dürfe daher im Entziehungsverfahren nicht mehr geprüft werden.
3. Mit diesem Vorbringen vermag der Kläger die Zulässigkeit der Revision nicht aufzuzeigen.
3.1. Er übergeht, dass die zu rehabilitierende Person nach der völlig eindeutigen Anordnung des § 305 Satz 2 ASVG die Pflicht trifft, an Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken (vgl auch § 4 Abs 1 Bundesbehindertengesetz). Diese Pflicht steht (schon nach ihrer ursprünglichen Konzeption) im Zusammenhang mit § 99 ASVG und bezieht sich unter anderem auf Bezieher einer unbefristeten Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (vgl Bericht des Ausschusses für Soziales zur 32. ASVG-Novelle, 388 BlgNR 14. GP, 13; so auch Ziegelbauer in Sonntag, ASVG15 § 307 Rz 4). Mit seinen Ausführungen nur zu § 366 Abs 4 ASVG spricht der Kläger daher keine entscheidende Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO an […].
3.2. Darauf aufbauend kann die Leistung nach § 99 Abs 2 ASVG auf Zeit ganz oder teilweise entzogen werden, wenn sich der Anspruchsberechtigte nach Hinweis auf diese Folge unter anderem einer Beobachtung entzieht. […] Eine darauf gestützte Entziehung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Leistungsberechtigte nachweislich zur Untersuchung oder Beobachtung geladen wurde und er die Ladung trotz ausdrücklichen Hinweises auf den sonstigen Leistungsentzug schuldhaft nicht befolgt (RS0083949; 10 ObS 21/21t Rz 17 ua).
3.2.1. Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, bestreitet der Kläger in der Revision nicht. Er meint nur, die berufliche Rehabilitierbarkeit sei eine negative Anspruchsvoraussetzung (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG) und daher im Entziehungsverfahren (nach § 99 Abs 1 ASVG) gar nicht mehr zu prüfen, womit er erkennbar zum Ausdruck bringt, die angeordnete Beobachtung betreffe keinen für den Weiterbezug der Invaliditätspension relevanten Umstand. Das ist nicht nachvollziehbar.
3.2.2. Dem Kläger ist zwar beizupflichten, dass seine Weigerung, am Berufsfindungsverfahren teilzunehmen, nur dann als Grundlage einer Entziehung nach § 99 Abs 2 ASVG in Betracht kommen kann, wenn die dadurch zu gewinnenden Informationen für die (Nicht-)Berechtigung der entzogenen Leistung relevant sind (10 ObS 25/23h Rz 48; Auer-Mayer aaO 402). Entgegen seiner Auffassung ist das hier aber sehr wohl der Fall.
3.2.3. Denn für den nach § 99 Abs 1 ASVG anzustellenden Vergleich sind stets die Verhältnisse im Zeitpunkt der Zuerkennung der Leistung jenen im Zeitpunkt des Leistungsentzugs gegenüberzustellen […]. Warum diese Prüfung bei einer negativen Anspruchsvoraussetzung anders ausfallen sollte als bei einer positiven bzw sogar ganz entfallen sollte, ist nicht ersichtlich. […] Ist der Betroffene nicht rehabilitierbar, gebührt ihm zwar eine Pensionsleistung (vgl § 254 Abs 1 Z 2 ASVG), dies aber nur solange, bis aufgrund einer Verbesserung des Zustands berufliche Rehabilitationsmaßnahmen zumutbar und zweckmäßig sind.
4. Zusammenfassend betrifft die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit einen für die Entziehung der Invaliditätspension nach § 99 Abs 1 ASVG relevanten Umstand, der aufgrund der unberechtigten Weigerung des Klägers, sich am Berufsfindungsverfahren zu beteiligen, nicht beurteilt werden kann. Die Weigerung, sich der für das Verfahren nach § 99 Abs 1 ASVG notwendigen Beobachtung zu unterziehen, stellt demgemäß einen Grund für die Entziehung nach § 99 Abs 2 ASVG dar.
Darauf aufbauend entspricht die vom Berufungsgericht […] dargelegte Ansicht, die Entziehung der Invaliditätspension sei solange gerechtfertigt, solange sich der Kläger trotz objektiver Fähigkeit weigere, an Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken, der Rechtslage. Klarzustellen ist nur, dass sich dies nicht aus § 366 Abs 4 Satz 1 ASVG, der sich insofern an den Versicherungsträger richtet (vgl Sonntag in Sonntag aaO § 254 Rz 3), sondern aus § 99 Abs 2 iVm § 305 ASVG ergibt.
In der vorliegenden E beschäftigte sich der OGH mit der grundsätzlichen Frage, ob auch im Leistungsentziehungsverfahren die mangelnde Mitwirkung am Berufsfindungsverfahren (dh bei der Prüfung der beruflichen Rehabilitierbarkeit) als Entziehungsgrund geltend gemacht werden kann.
Grundsätzlich gilt gem § 254 Abs 1 Z 2 ASVG, dass kein Anspruch auf Invaliditätspension besteht, wenn ein Rechtsanspruch auf zumutbare und zweckmäßige Maßnahmen (auf berufliche Rehabilitation) iSd § 253e ASVG besteht. Bei Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen ist eine Leistung gem § 99 Abs 1 ASVG zu entziehen. Daher hat der Versicherungsträger, sowohl im Antragsverfahren als auch bei Bezug der Invaliditätspension, zu prüfen, ob die berufliche Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist. In der Praxis erfolgt dies in einem sogenannten Berufsfindungsverfahren.
Die Entziehung von Leistungen – im vorliegenden Fall der Invaliditätspension – ist in § 99 ASVG geregelt. § 99 Abs 2 ASVG bestimmt für den Fall, dass sich der Anspruchsberechtigte einer Nachuntersuchung oder Beobachtung entzieht, die Möglichkeit der Entziehung der Leistung auf Zeit ganz oder teilweise, wenn der Anspruchsberechtigte auf die Folgen hingewiesen wurde. Auch die Teilnahme am Berufsfindungsverfahren stellt nach Ansicht des OGH eine solche notwendige Beobachtung dar. Darüber hinaus regelt auch § 305 ASVG eindeutig, dass die zu rehabilitierende Person bei der Durchführung der Maßnahmen der Rehabilitation mitzuwirken hat, dies aber nur im Rahmen des für die gesundheitlich eingeschränkte Person objektiv Möglichen.
Mit dem ursprünglich im Verfahren auf § 366 Abs 4 ASVG gestützten Vorbringen wird somit für den vorliegenden Sachverhalt keine Rechtsfrage von erheblicher 115 Bedeutung aufgezeigt. § 366 Abs 4 ASVG bestimmt, dass die antragstellende Person zur Klärung der Frage, ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nach § 253e Abs 4 ASVG zumutbar sind, persönlich mitzuwirken hat und bei mangelnder Mitwirkung der Leistungsantrag (auf Pension) in einen Antrag auf Feststellung der Invalidität nach § 255a ASVG oder der Berufsunfähigkeit nach § 273a ASVG umzudeuten ist. Diese Norm richtet sich primär an den Sozialversicherungsträger und gelangt bei der Frage der Entziehung nicht zur Anwendung. Das vom Berufungsgericht vertretene Ergebnis folgt im gegebenen Fall jedoch, wie gezeigt, aus § 99 iVm § 305 ASVG.